BT-Drucksache 16/6174

Grundgesetz und Völkerrecht bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr: Behandlung von Personen, die in Gewahrsam genommen werden

Vom 30. Juli 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6174
16. Wahlperiode 30. 07. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Volker Beck (Köln),
Jürgen Trittin, Kerstin Müller (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Dr. Uschi Eid,
Thilo Hoppe, Ute Koczy, Monika Lazar, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg),
Irmingard Schewe-Gerigk, Rainder Steenblock, Silke Stokar von Neuforn,
Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, Josef Philip Winkler, Renate Künast,
Fritz Kuhn, und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Grundgesetz und Völkerrecht bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr:
Behandlung von Personen, die in Gewahrsam genommen werden

Die Grund- und Menschenrechte gelten für deutsches Staatshandeln auch im
Ausland. Eine regionale Begrenzung bei den Garantien des Grundgesetzes gibt
es nicht. Die deutsche Staatsgewalt ist unabhängig vom Handlungsort an die
Grundrechte gebunden.

Ähnliches gilt für die Menschenrechte. Menschenrechtliche Verpflichtungen
aus Verträgen, denen die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist – wie bei-
spielsweise die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte
(EMRK) und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte
(IPBPR) – beanspruchen Geltung gegenüber einem Vertragsstaat, wenn er effek-
tive territoriale oder personale Kontrolle ausübt – unabhängig vom Ort, an dem
sich das staatliche Handeln des Vertragsstaates manifestiert.

Daneben gelten bei Auslandseinsätzen die Regelungen des humanitären Völ-
kerrechts.

Die Mandate für Auslandseinsätze der Bundeswehr – beispielsweise in Afgha-
nistan (ISAF, OEF) – enthalten zu diesen elementaren Sachverhalten keine
Aussagen. So wird im Mandat für die Beteiligung deutscher Streitkräfte im
Rahmen von ISAF (Bundestagsdrucksachen 15/5996 und 16/2573) weder unter
den Stichworten „Völkerrechtliche Grundlagen“, „Verfassungsrechtliche Grund-
lagen“ oder „Status und Rechte“ eine Aussage zur Geltung der Grund- und
Menschenrechte getroffen. Gleiches gilt – soweit bekannt – für die Rules of
Engagement (RoE).

Innerhalb der Bundesregierung gab es zumindest seit Anfang 2002 einen deut-
lichen Dissens zwischen dem Auswärtigen Amt (AA) und dem Bundesminis-
terium der Justiz (BMJ) einerseits und dem Bundesministerium der Verteidi-

gung (BMVg) andererseits über die Rechtsgrundlagen für die Beteiligung der
Bundeswehr an der Gefangennahme von Personen in Afghanistan. Das BMVg
hat – soweit bekannt – erstmalig im April 2007 rechtliche Vorgaben für die Be-
handlung von Gefangenen gemacht, die bei Auslandseinsätzen von deutschen
Soldatinnen oder Soldaten in Gewahrsam genommen werden. Dieser Befehl
vermeidet jedoch jegliche konkrete Bezugnahme auf das Grundgesetz, men-
schenrechtliche Verpflichtungen oder Normen des humanitären Völkerrechts.

Drucksache 16/6174 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Einsatzregeln gelten für die Festnahme oder Inhaftierung von Per-
sonen durch Angehörige deutscher Streitkräfte im Ausland, beispielsweise
im Rahmen der Operation ENDURING FREEDOM oder des ISAF-Man-
dats?

2. Welche Einsatzregeln gelten für gemeinsame Einsätze mit den Streitkräf-
ten anderer Nationen, deren Ziel die Festnahme von Personen ist, an denen
deutsche Soldatinnen oder Soldaten beteiligt sind, ohne die Festnahme un-
mittelbar durchzuführen?

3. Welche Einsatzregeln gelten für die Bundeswehr für die Übergabe oder
Überstellung von bei Auslandseinsätzen festgenommenen oder festgehal-
tenen Personen an andere Nationen?

4. Gibt es einen Unterschied zwischen Personen, die „festgenommen“ wer-
den, „festgehalten“ werden oder „in Gewahrsam genommen“ werden?

Wenn ja, welcher?

Inwieweit wirkt sich ein solcher Unterschied gegebenenfalls auf die
Rechtsstellung der betroffenen Personen aus?

5. Welche Rechtsgarantien gelten für Personen, die bei Auslandseinsätzen der
Bundeswehr in Gewahrsam genommen worden sind, und in welchen Ge-
setzen, Verträgen oder Vereinbarungen sind diese Garantien kodifiziert
(bitte genau bezeichnen)?

6. In welcher Form und in welchem Umfang wurden bzw. werden die Solda-
tinnen und Soldaten vor oder während eines Auslandseinsatzes über die
Rechtstellung von in Gewahrsam genommenen Personen informiert?

7. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Menschenrechtsausschusses
der Vereinten Nationen, wonach der Internationale Pakt über bürgerliche
und politische Rechte (IPBPR) auch auf Personen Anwendung findet, die
der Hoheitsgewalt eines Vertragsstaates unterstehen, wenn seine Truppen
oder Polizeikräfte insbesondere im Rahmen von Friedensmissionen im
Ausland eingesetzt sind?

8. Gab es vor der Anordnung vom 26. April 2007 vergleichbare Befehle oder
vergleichbare Weisungen?

Wenn ja, wie lauten diese?

Wenn nein, auf welcher Rechtsgrundlage haben Deutsche seit 1994 bei
Auslandseinsätzen an Festnahmen mitgewirkt?

9. Wie wurde bzw. wird der Befehl vom 26. April 2007 über die Behandlung
von Personen, die bei Auslandseinsätzen von deutschen Soldatinnen und
Soldaten in Gewahrsam genommen werden, umgesetzt?

10. Wie wurden die Rechtslage in Bezug auf Festnahmen und die Behandlung
von Festgenommenen und entsprechende Handlungsanweisungen an die
Soldatinnen und Soldaten kommuniziert?

11. Wie sieht die von der Bundesregierung gegenüber dem Menschenrechts-
ausschuss der Vereinten Nationen erwähnte Belehrung bei der Ausbildung
deutscher Sicherheitskräfte im internationalen Einsatz über die im IPBPR
verankerten einschlägigen Rechte konkret aus?

12. Wie wurde und wird mit Personen, die von deutschen Soldatinnen und Sol-
daten festgehalten oder festgenommen wurden, verfahren?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6174

13. Wurden oder werden Personen, die im Rahmen von Operationen, an denen
auch deutsche Soldatinnen oder Soldaten beteiligt waren, festgehalten oder
festgenommen wurden, an Sicherheitskräfte aus anderen Staaten überge-
ben?

Wenn ja, wann, an welche, und auf welcher rechtlichen Grundlage?

14. Wurden oder werden insbesondere Personen, an deren Festnahme deutsche
Soldatinnen oder Soldaten beteiligt waren, an US-amerikanische Stellen
übergeben?

Wenn ja, wann, an welchen Stellen, und auf welcher Rechtsgrundlage?

15. Wurden oder werden Personen, an deren Festnahme deutsche Soldatinnen
oder Soldaten beteiligt waren, an afghanische Stellen übergeben?

Wenn ja, wann, an welche Stellen, und auf welcher Rechtsgrundlage?

16. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass sich deutsche
Stellen auch durch untergeordnete Unterstützungshandlungen nicht an
Menschenrechtsverletzungen durch andere Staaten beteiligen dürfen?

17. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass von deutschen Stellen – vor-
läufig – festgehaltene Personen nach einer Übergabe an Stellen anderer
Staaten nicht Gefahr laufen, Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu
werden?

18. Gibt es in diesem Zusammenhang verbindliche schriftliche Vereinbarun-
gen zwischen deutschen Stellen und Stellen anderer Staaten, durch die die
Beachtung menschenrechtlicher Standards sichergestellt werden soll?

Wenn ja, mit welchen Staaten?

Wenn nein, warum nicht?

19. Wie bewertet die Bundesregierung den Military Commissions Act der US-
Regierung, und welche Folgen hat er für die Zusammenarbeit der Bundes-
wehr mit den US-Streitkräften?

20. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass Personen, die an andere Staaten
übergeben wurden, nicht zum Tode verurteilt werden?

21. Ist die Bundesregierung bereit, in die Anträge zur Fortsetzung der deut-
schen Beteiligung an ISAF bzw. OEF einen Passus aufzunehmen, der klar-
stellt, dass Deutschland bei Einsätzen bewaffneter deutscher Streitkräfte
allen Personen, soweit sie seiner Herrschaftsgewalt unterstehen, die Ge-
währleistung der im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische
Rechte anerkannten Rechte zusichert?

Wenn nein, warum nicht?

22. Ist die Bundesregierung bereit, in die Anträge zur Fortsetzung der deut-
schen Beteiligung an ISAF bzw. OEF einen Passus aufzunehmen, der die
in dem Befehl vom 26. April 2007 niedergelegten Grundsätze über die
Behandlung von Personen, die bei Auslandseinsätzen von deutschen Sol-
datinnen und Soldaten in Gewahrsam genommen werden, für verbindlich
erklärt?

Wenn nein, warum nicht?

23. Welche menschen- und völkerrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit
Auslandseinsätzen der Bundeswehr bedürfen nach Auffassung der Bun-
desregierung weiterer interner oder internationaler Klärung?

Berlin, den 30. Juli 2007
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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