BT-Drucksache 16/4772

Mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds Migrantinnen und Migranten sowie Personen fördern, die Asyl bzw. internationalen Schutz erhalten oder beantragt haben

Vom 21. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4772
16. Wahlperiode 21. 03. 2007

Antrag
der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Dr. Thea Dückert, Anja Hajduk,
Josef Philip Winkler, Kerstin Andreae, Volker Beck (Köln), Birgitt Bender,
Markus Kurth, Monika Lazar, Jerzy Montag, Irmingard Schewe-Gerigk,
Dr. Gerhard Schick, Silke Stokar von Neuforn, Wolfgang Wieland und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds Migrantinnen und Migranten
sowie Personen fördern, die Asyl bzw. internationalen Schutz erhalten oder
beantragt haben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Gemeinschaftsinitiative EQUAL der EU hat seit ihrem Beginn im Jahr 2000
für viele Migrantinnen und Migranten und Personen, die in Deutschland Schutz
und Asyl suchen, einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung ihrer Chancen
auf Integration am Arbeitsmarkt und auf Beschäftigung geleistet. Die letzte För-
derperiode der Gemeinschaftsinitiative EQUAL läuft nun aus. Um die guten Er-
folge auch in der Zukunft zu erzielen, müssen die Erkenntnisse, Erfahrungen
und erfolgreichen Ansätze der Gemeinschaftsinitiative EQUAL in der neuen
Förderperiode des Europäischen Sozialfonds (ESF) aufgenommen und weiter-
entwickelt werden.

In diesem Frühjahr will die Bundesregierung das für die nationale Umsetzung
des ESF-Programms notwendige Operationelle Programm (OP) für die Jahre
2007 bis 2013 verabschieden. Um die Zielgruppe der Migrantinnen und Migran-
ten und der Personen, die Asyl bzw. internationalen Schutz erhalten oder bean-
tragt haben, auch im Zeitraum bis 2013 effektiv zu fördern, sind jetzt ein klares
Bekenntnis und die Aufnahme entsprechender Handlungsfelder in das Opera-
tionelle Programm des Bundes erforderlich.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Möglichkeiten der neuen ESF-Verordnung in den Interventionsbereichen zu
nutzen und in ihr Operationelles Programm für den ESF folgende Handlungs-
felder aufzunehmen:
1. Im Schwerpunkt „Steigerung der Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer, Unternehmen sowie Unternehmerinnen und Unter-
nehmer“ (Artikel 3 Abs. 1 Buchstabe a der ESF-Verordnung) soll ein eigenes
Handlungsfeld eingerichtet werden zur Unterstützung von Unternehmens-
gründungen durch Migrantinnen und Migranten bzw. durch Personen, die
Asyl bzw. internationalen Schutz erhalten bzw. beantragt haben.

Drucksache 16/4772 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Im Schwerpunkt „Verbesserung des Zugangs von nicht erwerbstätigen Perso-
nen zum Arbeitsmarkt“ (Artikel 3 Abs. 1 Buchstabe b der ESF-Verordnung)
soll ein eigenes Handlungsfeld eingerichtet werden zur Erhöhung der
Erwerbsbeteiligung und zur sozialen Eingliederung von Migrantinnen und
Migranten sowie von Personen, die Asyl bzw. internationalen Schutz erhalten
bzw. beantragt haben.

3. Im Schwerpunkt „Verbesserung der sozialen Eingliederung von benachteilig-
ten Personen und Bekämpfung aller Formen von Diskriminierung auf dem
Arbeitsmarkt“ (Artikel 3 Abs. 1 Buchst. c der ESF-Verordnung) sollen zwei
Handlungsfelder eingerichtet werden

● zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit von Migranten und Mig-
rantinnen sowie von Personen, die Asyl bzw. internationalen Schutz erhal-
ten bzw. beantragt haben, und

● zur Bekämpfung der Diskriminierung beim Zugang zum Arbeitsmarkt
und beim Vorankommen im Arbeitsmarkt durch Sensibilisierungsmaß-
nahmen unter Einbeziehung lokaler Nichtregierungsorganisationen und
Bürgerinitiativen.

4. In den Schwerpunkten „Stärkung des Humankapitals“ (Artikel 3 Abs. 1
Buchstabe d der ESF-Verordnung) bzw. „Ausweitung und Verbesserung der
Investitionen in das Humankapital“ (Artikel 3 Abs. 2 Buchstabe a der ESF-
Verordnung) soll ein Handlungsfeld geschaffen werden zur Förderung der
verstärkten Teilnahme von Migrantinnen und Migranten sowie von Personen,
die Asyl bzw. internationalen Schutz erhalten bzw. beantragt haben, an der
allgemeinen und beruflichen Bildung als auch in den Bereichen Hochschule,
Forschung und Innovation.

Diese Handlungsfelder sollten mindestens folgende Maßnahmen umfassen:

1. Unterstützung von Unternehmensgründungen

● Förderung von Projekten zur Ermittlung innovativer Segmente im Ar-
beitsmarkt, in denen zukunftsfähige Unternehmensgründungen durch Per-
sonen mit Migrationshintergrund sinnvoll sein könnten;

● Förderung von Projekten zur Ermittlung und Stärkung interkultureller
oder anderweitiger beruflicher Kompetenzen von Personen mit Migra-
tionshintergrund, die die Gründung eines Unternehmens planen;

● Förderung von Beratungs- und Coachingsangeboten im Zuge von Unter-
nehmensgründungen durch Personen mit Migrationshintergrund;

● Unterstützung von Projekten zur Vermittlung zielgruppenspezifischer
Förderprogramme;

● Förderung von Projekten zur Vernetzung von Unternehmen, die durch
Personen mit Migrationshintergrund gegründet wurden bzw. geleitet wer-
den;

● Förderung von Projekten, die ihre entsprechenden Angebote speziell an
Gründerinnen bzw. Unternehmerinnen mit einem Migrationshintergrund
richten;

● Förderung von Initiativen, die sich für die Erhöhung der Zahl von Aus-
bildungsplätzen einsetzen, die durch Unternehmen bereitgestellt werden,
die von Personen mit Migrationshintergrund gegründet wurden bzw. ge-
leitet werden.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4772

2. Erhöhung der Erwerbsbeteiligung, der sozialen Eingliederung und der Be-
schäftigungsfähigkeit:

● Förderung von Projekten zur Ermittlung interkultureller oder anderwei-
tiger beruflicher Kompetenzen;

● Förderung von Projekten, die abgestimmt auf eine berufliche Kompetenz-
bilanzierung individuelle Eingliederungspläne entwerfen bzw. die auf den
jeweiligen Einzelfall zugeschnittene Fortbildungen bzw. Möglichkeiten
zur beruflichen Nach-, Anpassungs- oder Aufbauqualifikation mit dem
Ziel des Erreichens anerkannter Berufs- und Qualifikationsabschlüsse an-
bieten;

● Förderung der Entwicklung innovativer (z. B. interkultureller) Berufsfel-
der sowie von Projekten zur Implementierung sog. Diversity-Ansätze in
der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst;

● Angebote der berufsbezogenen Sprachförderung und weiterer Maßnah-
men, die der o. g. Zielgruppe den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern;

● Förderung der Gleichstellung von Frauen mit Migrationshintergrund und
gezielte Verbesserung ihres beruflichen Fortkommens mit besonders auf
ihre Probleme ausgerichteten Maßnahmen.

3a. Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit von Migranten und Migrantin-
nen bzw. von Schutzbedürftigen

● Förderung von Projekten zur Erleichterung des Übergangs aus der
Schule in die berufliche Ausbildung bzw. in die Berufswelt;

● Förderung eines Programmes, welches auf die besondere Problematik
von Frauen mit Migrationshintergrund eingeht und ihre Beschäfti-
gungsfähigkeit verbessert.

3b. Bekämpfung von Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt

● Initiativen und Aufklärungskampagnen für Wirtschaftsakteure zur
Verbesserung des Zugangs zum Arbeitsmarkt für Migrantinnen und
Migranten bzw. von Schutzbedürftigen;

● Förderung lokaler innovativer Projekte zur Kooperation zwischen
Opferschutzvereinen, Betreuungsstellen und Akteuren der Wirtschaft
mit dem Ziel, die Beschäftigungsfähigkeit und soziale Eingliederung
und die Eingliederung in den Arbeitsmarkt von Gewaltopfern rassis-
tischer Gewalt wiederherzustellen.

4. Förderung im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung, Hochschule
und Forschung

● Förderung von Projekten zur Anerkennung und Nutzung interkultureller
Kompetenzen im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung;

● Förderung von Projekten, die den Übergang aus der Schule in die beruf-
liche Ausbildung bzw. in die Berufswelt erleichtern, und spezifischer
Angebote zur schulischen Nachqualifizierung junger Erwachsener mit
Migrationshintergrund;

● Förderung von Projekten, die der o. g. Zielgruppe den Zugang zur Hoch-
schule und in den Forschungsbereich erleichtern.

Drucksache 16/4772 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Personen, die Asyl bzw. internationalen Schutz erhalten bzw. beantragt haben,
sollen in die künftige ESF-Förderung zumindest in demselben Maße einbezogen
werden, wie dies im Rahmen der bisherigen Gemeinschaftsinitiative EQUAL
erfolgt ist.

Berlin, den 20. März 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

I.

Die im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative EQUAL und des Bundesprogram-
mes „XENOS – Leben und Arbeiten in Vielfalt“ geförderten Projekte – zu deren
Zielgruppen insbesondere auch Migrantinnen und Migranten sowie Personen,
die Asyl bzw. internationalen Schutz erhalten bzw. beantragt haben, gehörten –
waren ausgesprochen erfolgreich. Sie haben einen wichtigen Beitrag für die För-
derung von Toleranz und interkultureller Verständigung am Arbeitsmarkt, für
die Sprachförderung und für die Beseitigung von Ungleichheiten und Diskrimi-
nierungen am Arbeitsmarkt für diese Gruppen geleistet. Dies bestätigen nicht
nur Erfahrungen aus der Praxis, sondern auch die begleitenden Evaluationen der
EU-Kommission und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

Mit Auslaufen der alten und Beginn der neuen Förderperiode auf europäischer
Ebene für die Jahre 2007 bis 2013 gehen einige strukturelle Änderungen einher.
So wird es z. B. keine Gemeinschaftsinitiativen mehr geben. Umso wichtiger
ist es, die positiven Erkenntnisse der Gemeinschaftsinitiativen bei der Aus-
gestaltung des Operationellen Programms des Europäischen Sozialfonds zu
berücksichtigen. Darüber hinaus ist dafür Sorge zu tragen, dass Migrantinnen,
Migranten und Asylsuchende auch zukünftig entsprechend ihren besonderen
Bedürfnissen gefördert werden können. Als besonders benachteiligte Gruppe
am Arbeitsmarkt bedürfen sie besonderer Anstrengungen, um ihre Einglie-
derungs- und Beschäftigungschancen zu verbessern. Dem würde mit der Ver-
ankerung der geforderten Handlungsfelder im Operationellen Programm des
Bundes Rechnung getragen.

II.

Anfang Februar 2007 hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales den
Entwurf für ein Operationelles Programm (OP) der Bundesregierung ins Inter-
net eingestellt. Dem Deutschen Bundestag will die Bundesregierung das OP erst
nach Genehmigung durch die Europäische Kommission in gedruckter Form zur
Verfügung stellen. Hiermit sei – so die Bundesregierung – im Herbst 2007 zu
rechnen.

Bund und Länder haben sich – so die Bundesregierung – bei der gemeinsamen
Erarbeitung des Nationalen Strategischen Rahmenplans auf folgende einheit-
liche Prioritäten für die neue Förderperiode beim ESF verständigt:

1. Steigerung der Anpassungs- und Wettbewerbsfähigkeit von Beschäftigten
und Unternehmen,

2. Verbesserung des Humankapitals,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/4772

3. Verbesserung der Arbeitsmarktchancen und Integration benachteiligter Per-
sonen,

4. technische Hilfe,

5. transnationale Maßnahmen als eigener Schwerpunkt oder Querschnittsthema
(optional).

Im Operationellen Programm der Bundesregierung soll es – laut ihrer Antwort
auf eine Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundes-
tagsdrucksache 16/4392) – eine Maßnahmenebene (mit einer detaillierten Be-
schreibung der einzelnen Förderungen) zwar nicht mehr geben (um so auf Be-
darfe besser als in der Vergangenheit „flexibel reagieren“ zu können). Gleich-
wohl sind eine schwerpunktmäßige als auch eine querschnittsartige Förderung
bestimmter Zielgruppen nicht nur möglich, sondern von der Bundesregierung
auch erwünscht.

Aus dem Operationellen Programmentwurf der Bundesregierung ist kein in sich
geschlossenes Konzept zur Förderung der Integration von Migrantinnen und
Migranten bzw. von Flüchtlingen und Asylsuchenden zu erkennen. In der Ant-
wortung der o. g. Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
führt die Bundesregierung jedoch einzelne Vorhaben in diese Richtung auf wie
z. B. die Bündelung der berufsbezogenen Sprachkurse unter dem Dach des Bun-
desamtes für Migration und Flüchtlinge und die strukturelle Verbesserung des
regionalen Übergangsmanagements Schule – Berufsausbildung zur Erleichte-
rung die beruflichen Einstiegs- und Integrationschancen vor allem u. a. von
Jugendlichen mit Migrationshintergrund.

Die von der Bundesregierung genannten Vorhaben sind zwar als Einzelmaßnah-
men keineswegs falsch, sie ersetzen aber keine kohärente integrationspolitische
Schwerpunktsetzung, so wie sie in der ESF-Verordnung angelegt ist.

III.

Die hier genannten Handlungsfelder und Maßnahmen zur Förderung der
Arbeitsmarktintegration von Migrantinnen und Migranten sowie von Personen,
die Asyl bzw. internationalen Schutz erhalten bzw. beantragt haben, entsprechen
der Europäischen Beschäftigungsstrategie, der Empfehlung der EU-Kommis-
sion, der Schwerpunktsetzung ESF-Verordnung, der entsprechenden Entschlie-
ßung des Europa-Parlaments 22. Juni 2005 sowie dem Anliegen des „Strate-
gischen Rahmenplans“ der Bundesregierung vom 1. Februar 2006.

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