BT-Drucksache 16/2505

Energiepreiskontrolle sicherstellen

Vom 5. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2505
16. Wahlperiode 05. 09. 2006

Antrag
der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Eva Bulling-Schröter, Lutz Heilmann, Oskar
Lafontaine, Ulla Lötzer, Dr. Herbert Schui, Dr. Barbara Höll, Dr. Gesine Lötzsch,
Dr. Dietmar Bartsch, Heidrun Bluhm, Roland Claus, Werner Dreibus, Katrin Kunert,
Michael Leutert, Dorothee Menzner, Kornelia Möller, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten
Tackmann, Dr. Axel Troost, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Energiepreiskontrolle sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit der Neuregelung des Energiewirtschaftsgesetzes 1998 sollte der Wettbe-
werb in die Strom- und Gasversorgung Einzug halten, fallende Preise wurden
prognostiziert. Das Gegenteil ist heute festzustellen. Die Strom- und Gasrech-
nungen der Privathaushalte sind rapide gestiegen. Bei der Preisentwicklung ist
zu berücksichtigen, dass sich die Steuern auf Energie sowohl für private als auch
für gewerbliche Kunden seit Anfang 2005 nicht geändert haben. Die Abgaben
auf erneuerbare Energien sind gesunken. Lediglich über die Mehrwertsteuer hat
der Bund aufgrund des Energiepreisanstiegs mehr eingenommen.

Die Energiekosten selbst sind für die Endverbraucher in den vergangenen 18
Monaten beim Strom um 10 und beim Gas um 17 Prozent gestiegen. Im gleichen
Zeitraum haben die vier größten Energiekonzerne RWE, Eon, Vattenfall Europe
und EnBW die Gewinne erheblich gesteigert – zusammengenommen fast 9 Mrd.
Euro. Ein Teil der Gewinne wird nach Erkenntnis der Bundesnetzagentur mit
überhöhten Netzentgelten erzielt. Die Netzregulierungsbehörde kann jedoch
nicht verhindern, dass RWE, Eon, Vattenfall Europe und EnBW praktisch allein
über die Erzeugerpreise in Deutschland bestimmten.

Laut einer vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages erstellten
Studie erzeugen die von acht auf vier fusionierten großen Energieversorgungs-
unternehmen RWE, Eon, Vattenfall Europe und EnBW ca. 80 Prozent der Elek-
trizität und besitzen 96 Prozent der Grundlastkraftwerke in Deutschland. 50 Pro-
zent des deutschen Gasmarktes werden allein durch Eon Ruhrgas kontrolliert
(Deutscher Bundestag, Wissenschaftlicher Dienst: Strom und Gas – Geschichte
und Beschreibung des Sektors, 2006). Die Monopolkommission attestiert in ih-
rem sechzehnten Hauptgutachten vom Juli 2006 sowohl dem Strom- als auch
dem Gasmarkt eine Anfälligkeit für Preis beeinflussende Angebotsstrategien

marktmächtiger Erzeugungsunternehmen.

Bis zum 30. Juni 2007 sind für den Stromsektor die Tarifkundenpreise genehmi-
gungspflichtig. Die Bundestarifverordnung Elektrizität (BOTElt), die dies re-
gelt, läuft aber ersatzlos aus. Im Gassektor gibt es vergleichbares nicht mehr. Die
Bundestarifordnung Gas (GasTarifO) trat bereits zum Mai 1998 außer Kraft.
Durch die Neuregelungen des Energiewirtschaftsgesetzes von 2005 unterliegen

Drucksache 16/2505 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
zwar künftig die Netzentgelte für Strom und Gas der staatlichen Genehmigung,
nicht jedoch die Preisgestaltung für die Endverbraucherin bzw. den Endverbrau-
cher, da die Preisaufsicht der Länder im Wesentlichen wegfällt. Neben Steuern
und Abgaben sind dies im Stromsektor etwa 25 Prozent des Endkostenpreises,
die aus der Genehmigungspflicht durch staatliche Behörden künftig entfallen.
Im Gassektor sind zusätzlich die Ferngasnetze aus der Kostenregulierung ausge-
nommen.

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) stellt fest, dass Preise für
Leistungen der Daseinsvorsorge wie Strom und Gas auf deren Inanspruchnahme
der Verbraucher bzw. die Verbraucherin angewiesen ist, der Billigkeitskontrolle
gemäß § 315 BGB unterworfen sind, wenn sie nicht individuell vereinbart wur-
den (Az.: X ZR 60/04, 5. Juli 2005). Danach dürfen Preiserhöhungen im Rah-
men einer leitungsgebundenen Energieversorgung nicht willkürlich erfolgen,
sondern müssen „billigem Ermessen“ entsprechen. Dies eröffnet zwar einerseits
Verbraucherinnen und Verbrauchern die Möglichkeit, Preiserhöhungen nicht zu
bezahlen und vom Gericht die Billigkeit der Forderung des Energieversorgers
überprüfen zu lassen. Andererseits bedeutet dies jedoch einen unzumutbaren
Aufwand und finanzielle Risiken für die Privatkundinnen und Privatkunden.

Es ist Aufgabe des Staates, für alle Bürgerinnen und Bürgern einen allgemeinen,
diskriminierungsfreien, verlässlichen und bezahlbaren Zugang zu Leistungen
der Daseinsvorsorge sicherzustellen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf,

– die Preiskontrolle nach § 12 BOTElt über den 30. Juni 2007 hinaus beizu-
behalten;

– eine Preiskontrolle für einen Gas-Endkundentarif analog zum § 12 BOTElt
einzuführen;

– eine Regelung dahingehend zu treffen, dass die Preisaufsicht für alle Ver-
brauchertarife Strom und Gas gilt, die von Privathaushalten oder kleinen ge-
werblichen Kunden genutzt werden können;

– die verpflichtende Einführung eines Stromsozialtarifs für Privathaushalte mit
geringen Einkommen festzulegen;

– eine umfassende Berichtspflicht für Energieversorger über die Zusammen-
setzung der Tarife gegenüber der Preisaufsicht einzuführen;

– eine „Best-Price-Regelung“ für Strom und Gas einzuführen. Das heißt, die
Preise orientieren sich am niedrigsten Standardtarif eines Bundeslandes und
müssen gesenkt werden, sofern die höheren Preise nicht mit strukturellen
oder geografischen Unterschieden begründbar sind;

– der Preisaufsicht in jedem Bundesland ein Verbraucherbeirat zur Seite zu
stellen. Ihm gegenüber sind die Energieversorger und die Behörde rechen-
schaftspflichtig. Der Verbraucherbeirat hat den Rang eines anerkannten Ver-
braucherschutzverbandes und ist im Interesse der Energieverbraucher klage-
befugt.

Berlin, den 5. September 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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