BT-Drucksache 16/141

Berichte über verdeckte US-amerikanische Transporte und menschenrechtswidrige Behandlung von Gefangenen sowie deutsche Kooperation mit US-Sicherheitsbehörden

Vom 5. Dezember 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/141
16. Wahlperiode 05. 12. 2005

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck (Köln), Kerstin Müller
(Köln), Marieluise Beck (Bremen), Ute Koczy, Monika Lazar, Jerzy Montag,
Winfried Nachtwei, Claudia Roth (Augsburg), Irmingard Schewe-Gerigk, Rainder
Steenblock, Silke Stokar von Neuforn, Jürgen Trittin, Wolfgang Wieland, Josef
Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Berichte über verdeckte US-amerikanische Transporte und
menschenrechtswidrige Behandlung von Gefangenen sowie deutsche
Kooperation mit US-Sicherheitsbehörden

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu Flügen seit 2003 über
Deutschland und Landungen auf deutschen Flughäfen von Flugzeugen, die
vom US-amerikanischen Geheimdienst CIA genutzt werden?

2. Inwieweit kann die Bundesregierung oder können ihr nachgeordnete Stellen
Medienberichte bestätigen, wonach von der CIA genutzte Flugzeuge seit
2003 in mehr als 80 Fällen auf Flugplätzen in Deutschland gelandet sind, die
Gefangene an Bord hatten?

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Verbleib der Gefan-
genen und insbesondere darüber, ob diese in Gefängnisse geflogen wurden,
in denen sie gefoltert oder anderer unmenschlicher Behandlung unterworfen
wurden?

4. Inwieweit hat die Bundesregierung insbesondere Kenntnis und kann Medien-
berichte bestätigen, wonach durch die CIA bzw. auf deren Veranlassung hin

a) der deutsche Staatsbürger K. el-M. aus Ulm am 23. Januar 2004 von Ma-
zedonien nach Kabul verschleppt, dort in einem Gefängnis gefoltert wor-
den und unter Beteiligung eines Norddeutschen („Sam“) über Albanien im
Juni 2004 nach Frankfurt/Main zurückbefördert worden sei (Süddeutsche
Zeitung, 14. Januar 2005),

b) deswegen die Staatsanwaltschaft München gegen Unbekannt ermittelt
(Az. 111 UJs 715051/04) und Rechtshilfeersuchen an Mazedonien sowie
die USA gerichtet hat (Süddeutsche Zeitung, 25. November 2005),

c) der Australier M. H. von Australien nach Ägypten sowie der Kanadier

M. A. von New York nach Syrien verschleppt und gefoltert worden seien
(Süddeutsche Zeitung, 14. Januar 2005),

d) der in Bremen geborene und lebende M. K. seit Ende 2001 zunächst in
Afghanistan und anschließend bis heute auf dem US-Stützpunkt Guata-
namo inhaftiert und gefoltert worden sei (WELT am SONNTAG,
13. März 2005),

Drucksache 16/141 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

e) Anfang 2003 der angebliche Islamist A. O. in Mailand entführt und auf
dem Luftweg mit Zwischenlandung auf der pfälzischen US-Airbase
Ramstein nach Ägypten verschleppt worden sei (Süddeutsche Zeitung,
25. November 2005),

f) deswegen die Staatsanwaltschaft Zweibrücken ein Ermittlungsverfahren
einleitete (Süddeutsche Zeitung, 25. November 2005)?

5. Teilt die Bundesregierung unsere Auffassung sowie die Anregung ermitteln-
der Staatsanwälte, der Generalbundesanwalt möge in diesem Zusammenhang
die Einleitung eines Strafermittlungsverfahrens prüfen?

6. Inwieweit ist der Bundesregierung ferner bekannt bzw. kann sie Medien-
berichte bestätigen, dass

a) Angaben der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ die
US-Regierung 13 Geheimgefängnisse u. a. in Afghanistan, Pakistan, Jor-
danien sowie auf US-amerikanischen Kriegsschiffen unterhält (WELT am
SONNTAG, 13. März 2005),

b) die CIA Anfang März 2005 zugab, seit dem 11. September 2001 mehrfach
Terrorverdächtige an Länder ausgeliefert zu haben, in denen gefoltert wird
(WELT am SONNTAG, 13. März 2005),

c) für solche Transporte von Gefangenen Flugzeuge eines von der CIA
kontrollierten Unternehmens („Premier Exekutive Transport Services“,
Boeing 737 BBJ mit Kennung N 313 P, Gulfstream V mit Kennung
N 379 P) zwischen Januar 2003 bis Dezember 2004 mindestens 26-mal
auf der ehemaligen US-Airbase in Frankfurt/Main gestartet und gelandet
sein sollen (Süddeutsche Zeitung, 25. November 2005),

d) Zählungen des Europarats sowie von Menschenrechtsorganisationen erge-
ben haben, dass der CIA zugeschriebenen Flugzeuge mit Gefangenen an
Bord vielfach Flughäfen in ganz Europa angesteuert hätten: darunter unter
anderem Island, Glasgow, Palma de Mallorca, Larnaka, Shannon/Irland,
Mailand, Tartu/Estland, Constanta/Rumänien, Warschau (Süddeutsche
Zeitung, 25. November 2005),

e) kürzlich das dänische Außenministerium die US-Regierung ersucht hat,
die CIA möge bei Flügen, die „nicht mit internationalen Konventionen
vereinbar sind“, den dänischen Luftraum meiden (Süddeutsche Zeitung,
25. November 2005),

f) die österreichische Bundesregierung wegen eines CIA-Fluges mit Gefan-
genen von Frankfurt nach Aserbeidschan im Januar 2003 durch den öster-
reichischen Luftraum ermittelt (Süddeutsche Zeitung, 25. November
2005),

g) der Europarat Untersuchungen veranlasste, ob US-Regierungsstellen
Geheim-Gefängnisse – auch solche, in den gefoltert wird – in Staaten des
Europarats unterhalten (DER TAGESSPIEGEL, 23. November 2005),

h) nach einer von der Deutschen Flugsicherung im Auftrag der Bundesregie-
rung gefertigten Statistik allein 2002 und 2003 zwei auf CIA-Privatfirmen
zugelassene Flugzeuge 137- bzw. 146-mal den deutschen Luftraum nutz-
ten oder auf deutschen Flughäfen landeten (DER SPIEGEL, 5. Dezember
2005),

i) der frühere US-Botschafter in Deutschland, Coats, den ehemaligen Bun-
desminister des Innern, Otto Schily, schon im Mai 2004 darüber informiert
hat, dass der in Frage 4 a) erwähnte deutsche Staatsbürger K. el-M. auf
Grund einer Verwechslung unter Mitwirkung der CIA entführt worden sei

(Washington Post, 4. Dezember 2005),

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/141

j) K. el-M. laut einem dem Auswärtigen Amt schon seit Juni 2004 vorlie-
genden Bericht an Bord einer CIA-Maschine misshandelt worden ist
(DER SPIEGEL, 5. Dezember 2005)?

7. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung außerdem im vorgenannten Zu-
sammenhang hinsichtlich folgender Punkte:

a) wie viele und welche Personen auf solchen Flügen transportiert wurden,
insbesondere auf Flügen mit deutschen Einwohnern oder mit Berührung
deutschen Luftraums,

b) über Start, Verlauf und Ziel solcher Flüge,

c) insbesondere, ob Flüge in Staaten gingen, welche die Anti-Folter-Kon-
vention nicht unterzeichnet haben oder nicht beachten,

d) über die Behandlung transportierter Gefangener, insbesondere, ob diese
tatsächlich während ihrer Gefangenschaft gefoltert wurden?

8. Welche informatorische, logistische oder sonstige Unterstützung haben
deutsche Stellen zu den vorgenannten Praktiken geleistet, insbesondere zu
Ergreifung und Transport der erwähnten Personen?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die unter 1. bis 6. geschilderten Sachver-
halte, sofern diese sich tatsächlich ereigneten?

10. Wann hat die Bundesregierung und wann haben deutsche Geheimdienste
wie der Bundesnachrichtendienst erstmals von den unter 1. bis 6. erwähnten
Sachverhalten oder Medienberichten darüber erfahren?

11. a) Was hat die Bundesregierung seither unternommen, um

aa) diese Sachverhalte aufzuklären,

bb) rechtswidrige Behandlung von Personen zu unterbinden, v. a. Folter
und Verschleppung, und eine Behandlung im Einklang mit allen ein-
schlägigen Rechtsnormen sicherzustellen?

b) Falls die Bundesregierung seit Bekanntwerden nichts unternahm, warum
nicht?

12. Was wird die Bundesregierung nunmehr unternehmen, um

a) die in Frage 11 a) genannten Ziele zu erreichen,

b) entsprechende Transporte, v. a. Flüge, wirksamer zu kontrollieren bzw.
kontrollieren zu lassen,

c) sicherzustellen, dass deutsche Behörden nicht zu Transporten Beihilfe
leisten, die völkerrechtswidriges Handeln, insbesondere Folter und fol-
terähnliche Behandlung, ermöglichen?

13. Welche Rechtsinstrumente kann und will die Bundesregierung einsetzen,
um solche Verschleppungen und Transporte zu unterbinden?

14. Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussagen des CIA-Direktors Porter
Goss, wonach US-amerikanische Behörden in der Auseinandersetzung mit
dem internationalen Terrorismus „einzigartige und innovative Methoden“
wie beispielsweise Schläge ins Gesicht und in den Bauch, Schlafentzug und
vorgetäuschtes Ertränken anwenden?

15. Hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, die
obigen Sachverhalte und Medienberichte bei seinem Besuch in Washington
gegenüber der US-Administration angesprochen?

Drucksache 16/141 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
16. Wenn ja,

a) was war dessen Reaktion und Antwort,

b) welche Folgerungen zieht die Bundesregierung daraus,

c) welche Konsequenzen hat die Bundesregierung daraufhin von der US-
Administration gefordert?

17. Wird die Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, diese Sachverhalte bei ihren
Besuchen in Washington im Januar 2006 ansprechen?

18. Hat die Bundesregierung in Ergänzung zur entsprechenden Anfrage der
EU-Kommission um Aufklärung über obige Sachverhalte und Medienbe-
richte, so diese zutreffen, bei den EU-Partnern sowie den Beitrittskandida-
ten zur EU – Rumänien und Bulgarien – und bei den Staaten, mit denen ge-
genwärtig Beitrittsverhandlungen geführt werden – Kroatien und Türkei –
ersucht?

a) Falls ja, welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung erhalten?

b) Falls nein, warum nicht und beabsichtigt die Bundesregierung, dies zu
tun und wenn ja, wann?

c) Wie unterstützt die Bundesregierung die Bemühungen von EU-Präsi-
dentschaft, EU-Kommission, Europäischem Parlament und vom Europa-
rat hinsichtlich einer umfassenden und vollständigen Aufklärung der
oben dargestellten Sachverhalte und Medienberichte, soweit zutreffend?

Berlin, den 5. Dezember 2005

Hans-Christian Ströbele
Volker Beck (Köln)
Kerstin Müller (Köln)
Marieluise Beck (Bremen)
Ute Koczy
Monika Lazar
Jerzy Montag
Winfried Nachtwei
Claudia Roth (Augsburg)
Irmingard Schewe-Gerigk
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
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Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion
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