BT-Drucksache 16/12892

Zur Verantwortung des Bundes für die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung

Vom 6. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12892
16. Wahlperiode 06. 05. 2009

Antrag
der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Axel Troost, Hüseyin-Kenan Aydin, Dr. Gesine
Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter,
Roland Claus, Dr. Dagmar Enkelmann, Lutz Heilmann, Hans-Kurt Hill, Michael
Leutert, Dorothee Menzner, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion
DIE LINKE.

Zur Verantwortung des Bundes für die Stärkung der kommunalen
Selbstverwaltung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Finanzmarktkrise und die wirtschaftliche Rezession verschärfen auch die
kommunale Finanzlage. Städte, Gemeinden und Landkreise müssen sich auf
niedrigere Einnahmen und höhere Ausgaben einstellen. Für das Jahr 2009 prog-
nostizieren die kommunalen Spitzenverbände allein bei der Gewerbesteuer
einen Rückgang um bis zu 18 Prozent. Nach Berechnungen des Bundesministe-
riums der Finanzen betragen die Steuermindereinnahmen der Kommunen aus
beiden Konjunkturpaketen in der vollen Jahreswirkung zusammen rund 2,15 Mrd.
Euro. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-
Böckler-Stiftung beziffert die Mindereinnahmen der Kommunen auf 1,9 Mrd.
Euro für das Jahr 2009 und 3,4 Mrd. Euro für 2010. Damit würden den Städten,
Gemeinden und Landkreisen 30 Prozent der mit dem kommunalen Zukunfts-
investitionsprogramm zusätzlich zur Verfügung gestellten Mittel wieder ent-
zogen, für 2010 sogar 60 Prozent. Die dringend benötigten Gelder kommen bei
den Kommunen nicht in vollem Umfang an.

Hinzu kommt, dass auch die übrigen Steuereinnahmen sowie die Zuweisungen
der Länder an die Städte und Gemeinden wegen des Konjunktureinbruchs deut-
lich sinken werden. Zugleich steigen jedoch aufgrund zunehmender Arbeits-
losigkeit die Sozialausgaben, die nur durch die Aufnahme neuer Schulden finan-
zierbar sein werden.

All das führt dazu, dass das über Jahrzehnte aufgrund bundespolitischer Ent-
scheidungen entstandene strukturelle Defizit nicht beseitigt wird. Die kommu-
nale Selbstverwaltung wird weiter ausgehöhlt.

Bund und Länder sind deshalb nicht nur aktuell gefordert, den Investitions-

impuls der Konjunkturpakete ungeschmälert in den Kommunen ankommen zu
lassen. Beide staatlichen Ebenen müssen generell nachdrücklicher ihrer Verant-
wortung für die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung in den Städten,
Gemeinden und Landkreisen nachkommen und ihren Beitrag dazu leisten.

Drucksache 16/12892 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

durch die Umsetzung folgender Maßnahmen, die Handlungsfähigkeit der Kom-
munen wieder herzustellen und damit die Verantwortung für die Stärkung der
kommunalen Selbstverwaltung wahrzunehmen:

1. Verankerung eines verbindlichen Anhörungs- und Mitwirkungsrechtes der
kommunalen Spitzenverbände im Grundgesetz bei Bundesgesetzen und
Verordnungen, die die Städte, Gemeinden und Landkreise betreffen;

2. Anpassung der Bundesbeteiligung für Pflichtaufgaben, die der Bund Städten,
Gemeinden und Landkreisen vor der Föderalismusreform 2006 übertragen
hat, an die reale Kostenentwicklung;

3. Entlastung der Städte, Gemeinden und Landkreise für fünf Jahre von Zins-
und Tilgungsverpflichtungen für Altschulden;

4. Abschaffung der Gewerbesteuerumlage von den Städten und Gemeinden an
den Bund;

5. Umwandlung der Gewerbesteuer in eine Gemeindewirtschaftsteuer, in der
Steuerpflicht für Kapitalgesellschaften, gewerbliche Unternehmen und alle
selbstständig ausgeübten Tätigkeiten besteht sowie eine weitere Verbreite-
rung der Bemessungsgrundlagen dieser Steuer;

6. Einführung einer selbstverwaltungsgerechten und aufgabenangemessenen
Finanzausstattung der Landkreise durch ihre Beteiligung am Gesamtsteuer-
aufkommen;

7. Schaffung bundesgesetzlicher Voraussetzungen und von Rahmenbedingun-
gen für die Rekommunalisierung sowie Aufbau eines bundesweiten Bera-
tungsnetzwerkes „Rekommunalisierung“;

8. Aufhebung des Public Private Partnership-Beschleunigungsgesetzes (PPP-
Beschleunigungsgesetz), Rückabwicklung der Partnerschaft Deutschland
AG und Schaffung eines bundesweiten PPP-Registers;

9. Hilfe für Kommunen, denen bei der Abwicklung von Cross-Border-Lea-
sing-Verträgen finanzielle Verluste drohen;

10. Evaluierung aller für Städte, Gemeinden und Landkreise geltenden Förder-
programme und deren Förderkriterien mit dem Ziel, sie nach bestimmten
Schlüssen den Kommunen zum Teil direkt zukommen zu lassen und zum
anderen Teil sie durch Bündelung und Pauschalisierung der Mittel grund-
legend zu vereinfachen;

11. Einführung einer kommunalen Investitionspauschale des Bundes für Ost-
deutschland und für finanzschwache Kommunen in den Alt-Bundesländern.

Berlin, den 6. Mai 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Zu Nummer 1

Bereits 1976 hat die Enquetekommission „Verfassungsreform“ des Deutschen
Bundestages eine Mitwirkung der kommunalen Spitzenverbände (Deutscher

Städtetag, Deutscher Städte- und Gemeindebund, Deutscher Landkreistag) an

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12892

Gesetzgebungsverfahren des Bundes gefordert (Bundestagsdrucksache 7/5924).
Auch bei der Föderalismusreform 2006 stand ein verfassungsrechtlich abgesi-
chertes Anhörungs- und Mitwirkungsrecht der Kommunen bei kommunalrele-
vanten Gesetzgebungsverfahren des Bundes auf der Agenda. Weil es wieder zu
keinem Ergebnis kam, wurde das Reformziel, eine praxistaugliche Gesetzge-
bung zu erreichen, verfehlt.

Keine andere Ebene sammelt so viele Erfahrungen im Gesetzesvollzug wie die
Kommunen. Der Wert kommunalen Sachverstandes sollte endlich verfassungs-
rechtlich anerkannt werden und in die Vorbereitung neuer Gesetze und Verord-
nungen verbindlich einfließen. Damit könnte es im Interesse aller gelingen, Ge-
setze und Verordnungen praxisnäher, unbürokratischer und bürgerfreundlicher
zu gestalten. Ein verbindliches und einklagbares Anhörungs- und Mitwirkungs-
recht der politischen Interessenvertretungen der Städte, Gemeinden und Kreise
bei Gesetzgebungsverfahren würde zudem der Tatsache Rechnung tragen, dass
die Kommunen ebenso wie Bund und Länder eine demokratisch gewählte Ebene
sind. Für ein kommunales Anhörungs- und Mitwirkungsrecht müssten weder
Bund noch Länder angestammte Kompetenzen abgeben. Es sollte im Artikel 28
des Grundgesetzes (GG) verankert werden, der die kommunale Selbstverwal-
tung garantiert.

Zu Nummer 2

Im Ergebnis der Föderalismusreform 2006 ist durch Neufassung der Artikel 84
und 85 GG eine bundesunmittelbare Aufgabenübertragung auf die Kommunen
unterbunden worden (Gesetz vom 28. August 2006 – BGBl. I S. 2034). Damit
haben die Städte, Gemeinden und Kreise ab 1. September 2006 einen kommu-
nalindividuellen Anspruch auf eine den Aufgaben angemessene Finanzausstat-
tung gegen das jeweilige Land. Nicht geregelt wurden aber die bundesrechtlich
in der Vergangenheit statuierten kommunalen Pflichtausgaben – insbesondere
bei der Verpflichtung zur Betreuung der Kinder vom vollendeten ersten bis zum
dritten Lebensjahr, bei den Kosten für Unterkunft und Heizung, bei der Grund-
sicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, bei kommunalen Eingliede-
rungshilfen für Menschen mit Behinderung. Deren Kosten steigen immer weiter
an und deshalb auch die Belastungen für die Kommunen. Der Bund hingegen
verkürzt entgegen der Wirklichkeit in den Kommunen seine Beteiligung oder
setzt sie von Anfang an zu gering an.

Für die Betreuung der Kinder vom vollendeten ersten bis zum dritten Lebensjahr
setzte der Bund beispielsweise 12 Mrd. Euro an, wovon er ein Drittel – also
4 Mrd. Euro – anteilmäßig tragen will. Dazu konnte bereits im April 2007 kein
Einvernehmen erzielt werden, weil die Berechnungsgrundlagen der Kommunen
von mindestens 10 Mrd. Euro Investitionskosten und 4,4 Mrd. Euro jährlichen
Betriebskosten ab 2013 ausgehen und sie deshalb nach wie vor andere Vorstel-
lungen zur Höhe der Bundesbeteiligung haben.

Die Ausgaben der Kommunen für Unterkunft und Heizung (KdU) nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch haben sich u. a. wegen höherer Energie- und
Nebenkosten seit ihrer Einführung im Jahr 2005 von 8,9 Mrd. Euro auf 9,5 Mrd.
Euro im Jahr 2008 erhöht. Der Bund aber hat seine Beteiligung von zuletzt
29,2 Prozent auf 26 Prozent reduziert und sich damit nicht an den tatsächlichen
Kosten, sondern allein an der Zahl der Bedarfsgemeinschaften orientiert. Dies
führt zu einer Lastenverschiebung um 400 Mio. Euro vom Bund auf die
Kommunen, die zu der fortbestehenden Schlechterstellung aus dem Jahr 2008 in
Höhe von 1,15 Mrd. Euro hinzutritt. Der Deutsche Städtetag forderte bereits bei
der Einführung von Hartz IV die Aufstockung der Bundesbeteiligung an den
KdU auf 42 Prozent. Die Bundesregierung überlässt also die steigenden Kosten

zur Unterhaltsgewährung Langzeitarbeitsloser den Kommunen.

Drucksache 16/12892 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Bei der 2003 eingeführten Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
verbleiben den Landkreisen ebenfalls regelmäßig die Mehrkosten. Sie haben
sich wegen der demografischen Entwicklung, zunehmend unterbrochener Er-
werbsbiografien sowie Änderungen in den sozialen Sicherungssystemen mehr
als verdoppelt. 2007 mussten die Landkreise 3,6 Mrd. Euro für die Grundsiche-
rung aufwenden, bei ihrer Einführung waren es nur 1,3 Mrd. Euro. Der Bund
beteiligte sich bislang mit einem Festbetrag von 409 Mio. Euro. Im Jahr 2009
übernimmt er 13 Prozent der Kosten, 2012 soll der Höchstsatz von 16 Prozent
erreicht sein, obgleich der Bundesrat bereits 2007 einen Beteiligungssatz von
20 Prozent beschlossen hatte.

Belastet werden die Landkreise auch durch die steigenden Ausgaben bei der
Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung, dem größten Leistungs-
block der Sozialhilfe. Sie belief sich im Jahr 2006 auf rund 10,5 Mrd. Euro. Ihre
Steigerungsrate beträgt jedes Jahr um die 4,2 Prozent, dies entspricht einem
Ausgabezuwachs von etwa 400 Mio. Euro. Es ist mittlerweile allgemein aner-
kannt, dass es einer Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe für behinderte
Menschen bedarf, um diese kommunale Leistung zukunftssicher zu gestalten.
Der Deutsche Landkreistag hat Vorschläge dazu unterbreitet. Die Bundesregie-
rung allerdings weigert sich, diesem Reformbedarf Rechnung zu tragen.

Zu Nummer 3

Auch wenn einige Kommunen aufgrund höherer Gewerbesteuereinnahmen in
den letzten Jahren momentan wieder über etwas Spielraum für die Tilgung der
in den Jahren mit katastrophaler Haushaltslage aufgenommenen Schulden ver-
fügen, ist die Gesamtverschuldung der kommunalen Haushalte besorgniserre-
gend. Sie betrug Ende 2007 insgesamt 110,6 Mrd. Euro. Besonders dramatisch
entwickelte sich der Kassenkreditbestand von 913 Mio. Euro Ende 1990 auf
28,8 Mrd. Euro Ende 2007. Der durchschnittliche Stand der Kommunen an Kre-
ditmarktschulden betrug Ende 2007 in der Gesamtheit der Flächenländer über
1 070 Euro je Einwohnerinnen und Einwohner.

Eine Entspannung ist angesichts der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise nicht in
Sicht. Im Gegenteil. Zusammen mit den in den Konjunkturpaketen enthaltenen
Steuersenkungen rechnet das Institut für Makroökonomie und Konjunkturfor-
schung der Hans-Böckler-Stiftung mit kommunalen Mindereinnahmen von
1,9 Mrd. Euro in diesem Jahr und sogar 3,4 Mrd. Euro 2010. Damit würden den
Kommunen 30 bzw. rund 60 Prozent der zusätzlichen Mittel des Kommunalen
Investitionsprogramms gleich wieder entzogen.

Eine Entlastung der Städte, Gemeinden und Landkreise für fünf Jahre von Zins-
und Tilgungsverpflichtungen für Altschulden wäre ein erster notwendiger
Schritt, um einer finanziellen Abwärtsspirale entgegenzuwirken. Das Verschul-
dungsproblem kann aber nur durch eine längst überfällige Reform der Kommu-
nalfinanzen gelöst werden.

Zu Nummer 4

Ein Wegfall der Gewerbesteuerumlage würde den Charakter der Gewerbesteuer
als originäre Gemeindesteuer wiederherstellen und der Maßgabe des Grundge-
setzes entsprechen, dass eine den Gemeinden mit Hebesatz zustehende wirt-
schaftskraftbezogene Steuerquelle zu den Grundlagen der finanziellen Eigen-
verantwortung der kommunalen Selbstverwaltung gehört.

Die Gewerbebesteuerumlage an den Bund – rund 1,6 Mrd. Euro – sollte deshalb
unverzüglich abgeschafft werden. Zeitgleich sollte die Gewerbesteuerumlage an
die Länder – rund 5,4 Mrd. Euro – schrittweise abgesenkt werden und schließ-
lich wegfallen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/12892

Zu Nummer 5

2008 betrugen die Gewerbesteuereinnahmen rund 28 Mrd. Euro (nach Abzug
der Gewerbesteuerumlage). Sie waren durch einen deutlichen Rückgang in
Höhe von 7,6 Prozent (mit Umlage sogar 9,8 Prozent) gegenüber dem Vorjahr
gekennzeichnet. 2007 betrug das Aufkommen (netto) 30,3 Mrd. Euro. Es
schwankt je nach Konjunkturlage und ist – insbesondere in Ostdeutschland –
sehr ungleich verteilt, da es einerseits prosperierende Kommunen und anderer-
seits Städte und Gemeinden gibt, die mit Abwanderung, Konkursen und hoher
Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben. Infolge der Finanzmarkt- und Wirtschafts-
krise ist zu erwarten, dass es zu weiteren Gewerbesteuereinbrüchen kommt.
Eine verbesserte Gewerbesteuer ist notwendig, damit die Kommunen wieder
mehr investieren und damit Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung geben
können. So können auch Arbeitsplätze vor Ort entstehen. Dazu ist es notwendig,
die Gewerbesteuer in eine Gemeindewirtschaftsteuer umzuwandeln, in der Steu-
erpflicht für Kapitalgesellschaften, gewerbliche Unternehmen und alle selbst-
ständig ausgeübten Tätigkeiten besteht. Bislang unterliegen Freiberufler und an-
dere nichtgewerbliche Selbstständige wie Architektinnen und Architekten,
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Ärztinnen und Ärzte nicht der Gewerbe-
steuer. Land- und forstwirtschaftliche Betriebe werden nur bedingt besteuert.

Die Einbeziehung der unternehmerisch Tätigen in die Gewerbesteuerpflicht – bei
Berücksichtigung sozialer Belange kleiner Unternehmen – würde dazu führen,
die Steuerlast auf mehr „Schultern“ zu verteilen. Auch durch eine Erweiterung
der Bemessungsgrundlagen durch die Finanzierungsanteile von Mieten, Pachten,
Leasingraten und die Lizenzgebühren in voller Höhe würden die derzeitigen
Gewerbesteuereinnahmen verstetigt werden.

Zu Nummer 6

Die Landkreise haben eine Fülle unverzichtbarer freiwilliger und pflichtiger
übergemeindlicher Selbstverwaltungsaufgaben zu gewährleisten. Ihre Finanzie-
rung jedoch wird gerade in Zeiten ständig wachsender Kosten insbesondere im
Sozialbereich immer dramatischer. Davon zeugt die Tatsache, dass die Land-
kreise in den Jahren 2002 bis 2006 ein Gesamtdefizit von 6,6 Mrd. Euro hinneh-
men mussten. Auch wenn für 2008 mit einem positiven Finanzierungssaldo von
1,9 Mrd. Euro gerechnet wird, stellen die abzubauenden kumulierten Altfehlbe-
träge eine schwere Belastung auf Jahre dar, zumal über ein Viertel der Land-
kreise nach wie vor Defizite verkraften muss. Die immer weiter aufreißenden
Deckungslücken sorgten für eine beispiellose Explosion der Kassenkredite auf
5,66 Mrd. Euro Ende 2007.

Kosteneinsparungen durch den Abbau freiwilliger Aufgaben und von Personal
sind kaum noch vermittelbar. Einnahmeerhöhungen durch veränderte Steuer-
sätze sind nicht möglich, da die Landkreise so gut wie keine eigenen Steuern er-
heben dürfen. Als nahezu einzige Handlungsmöglichkeit bleibt den Landkreisen
deshalb, ihre steigenden Ausgaben über die Erhöhung der Kreisumlage auf ihre
kreisangehörigen Städte und Gemeinden abzuwälzen. Damit aber werden deren
Einnahmen geschwächt. Auch zeigt sich angesichts der kommunalen Haushalts-
lage, dass weitere Erhöhungen der Kreisumlagesätze kaum noch zu realisieren
sind.

Eine Beteiligung am Gesamtsteueraufkommen würde die Eigenfinanzierung der
Landkreise stärken. Zugleich würde damit der Anteil der Kommunen am Ge-
samtsteueraufkommen, der im Vergleich zu den kommunalen Gesamtausgaben
an den Ausgaben des öffentlichen Gesamthaushalts weit unterproportional ist,
erhöht.

Mit dieser Lösung kann eine Rückführung der Kreisumlage und der Zuweisun-

gen an die Landkreise im kommunalen Finanzausgleich der Länder einherge-

Drucksache 16/12892 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

hen. Zudem könnten mit einer Senkung der Kreisumlage die latenten Spannun-
gen zwischen den Landkreisen und den kreisangehörigen Städten und Gemein-
den entschärft werden.

Zu Nummer 7

Nach langen Jahren des Privatisierungswahns herrscht in den Kommunen Er-
nüchterung. Mittlerweile ist bekannt, dass von den Versprechungen privater An-
bieterinnen und Anbieter sowie Investorinnen und Investoren nicht viel geblie-
ben ist. Deshalb gehen immer mehr Kommunen den Weg der Rekommunalisie-
rung, zurzeit vor allem in den Bereichen Energie, Wasser und Abfall. Dem
diametral entgegen stehen die Aktivitäten des Bundes zur Förderung der Public
Private Partnerships (PPP) oder Öffentlich Privater Partnerschaften (ÖPP). So
hat die Bundesregierung 2004 die PPP Task Force des Bundes eingerichtet, die
dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung unterstellt ist,
und das 2005 verabschiedete „Gesetz zur Beschleunigung der Umsetzung von
Öffentlich Privaten Partnerschaften und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmen-
bedingungen für Öffentlich Private Partnerschaften“ (sog. ÖPP-Beschleuni-
gungsgesetz – BGBl. 2005 I, S. 2676) erstellt. 2008 initiierte der Bund die ÖPP
Deutschland AG „Partnerschaften Deutschland“. Diese Beratungsgesellschaft,
die zu 50,1 Prozent von der öffentlichen Hand gehalten wird, hat mit Beginn des
Jahres 2009 ihre operative Tätigkeit aufgenommen. Nach Klärung juristischer
Fragen ist beabsichtigt, ihre alle Aufgaben zu übertragen, die bisher von der PPP
Task Force wahrgenommen wurden.

Beide Institutionen sollten aufgelöst und ihre vom Haushaltsausschuss des
Deutschen Bundestages bewilligten Mittel für den Aufbau eines bundesweiten
Beratungsnetzwerkes „Rekommunalisierung“ umgewidmet werden. Auch ist
das Schaffen bundesgesetzlicher Voraussetzungen zur Rekommunalisierung wie
beispielsweise zum Rückkauf der Netze und zur vorfristigen Kündigung von
Konzessionsverträgen notwendig.

Zu Nummer 8

ÖPP ist als Baustein in der Debatte um die Zukunft öffentlicher Dienstleistungen
zu sehen – mit erheblichen Folgen für die Daseinsvorsorge, die politische Ge-
staltung und die öffentlichen Finanzen.

Der finanzielle Kollaps für die kommunalen Haushalte lässt sich momentan nur
erahnen, was inzwischen auch die Landesrechnungshöfe kritisch sehen. „Städten,
Gemeinden und auch Ländern, die finanziell angeschlagen sind, hilft dieses In-
strument nicht weiter. Bei Finanzierungsengpässen wird es von der öffentlichen
Hand häufig als Ausweg angesehen, um Investitionen zu realisieren und Wachs-
tumsimpulse zu setzen. Mittel- und langfristig ein gefährlicher Weg, weil auch
hier die Finanzierungslast in die Zukunft verschoben wird“ (Pressemitteilung der
Landesrechnungshöfe vom 5. Mai 2006). PPP ist somit kein Finanzierungsinstru-
ment, mit dessen Hilfe auf Dauer die öffentlichen Haushalte entlastet werden
können. Die von privaten Partnerinnen und Partnern häufig über komplizierte
Vertragsstrukturen eingebrachten Finanzmittel haben in der Regel den Charakter
einer Vor- oder Zwischenfinanzierung.

Untermauert wird diese Position durch folgende Fakten: ÖPP-spezifische Mehr-
kosten werden bewusst verschleiert. So führten z. B. zu niedrig angesetzte
Finanzierungskosten, aufsummierte und damit deutlich überhöhte Risikokosten
oder hohe, zuvor nicht berücksichtigte Projektdurchführungs- und Verfahrens-
kosten im Ausschreibungsprozess (siehe ÖPP-Schulprojekt des Landkreises
Goslar) – zu einer angeblichen Vorteilhaftigkeit der ÖPP-Lösung. In Hannover
wären ab 2008 fast alle Mittel der Gebäudeinstandhaltung und -sanierung nur

noch in die ÖPP-Immobilien, die einen Bruchteil des Gebäudebestands der Stadt
ausmachen, geflossen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/12892

Ungeachtet dieser Tatsachen werden kommunale PPP-Projekte durch die Bun-
desregierung weiter vorangetrieben und gefördert. Mit der Gründung der ÖPP
Deutschland AG erfolgte die Institutionalisierung von PPP. Bund, Länder und
Kommunen sind mit ca. 60 Prozent an der Gesellschaft beteiligt. Der Bund ist
mit 10 Mio. Euro am Stammkapital beteiligt. Diese Gesellschaft erhält dazu
Ausschreibungsgewinne aus der laufenden Ausschreibung in unbekannter Höhe
und Zuschüsse vom Bund, zunächst 2,4 Mio. Euro für die „Grundlagenarbeit“.

Für alle bestehenden und die jeweils geplanten PPP-Projekte muss Transparenz
geschaffen werden. Dazu soll ein bundesweites PPP-Register eingerichtet wer-
den, in dem die Projekte und ihre Finanzvolumina beschrieben, sowie die Lauf-
zeiten, die Betreiber, die beteiligten Banken und Beraterfirmen benannt werden.

Zu Nummer 9

Trotz vieler Warnungen haben seit den 1990er Jahren viele Kommunen Cross-
Border-Leasing-Verträge (CBL) abgeschlossen. Dabei verkauften sie ihre Klär-
werke, Kanalsysteme, Heizkraftwerke, Trinkwassersysteme, Straßenbahnen,
U- Bahnen, Schienennetze, Messehallen und Schulen für 30 bis 99 Jahre an US-
Unternehmen, die die Objekte sogleich wieder an die betreffende Kommune
zurückvermieteten. Die US-Investoren konnten damals Steuervorteile geltend
machen, die sie zum Teil an die Kommunen weiterreichten. CBL erschien vielen
als Rettung in der Hauhaltsnot, obgleich die englischsprachigen Texte der in der
Regel mehrere Tausend Seiten Vertragswerke selbst den Kommunalvertretun-
gen nicht zugänglich waren. Für dieses Geschäftsmodell fungierte der Versiche-
rungskonzern American International Group Inc. (AIG) sehr häufig als Garantie-
geber. AIG wurde damals als Unternehmen mit der höchsten Bewertung in
Bezug auf die Kreditwürdigkeit (AAA-Bonität) versehen. Im Zuge der Finanz-
marktkrise büßten beteiligte US-Banken und CBL-Versicherer ihre Bonität
ein – auch die AIG mit einem Jahresminus in 2008 von fast 100 Mrd. US-Dollar.
Daraus ergeben sich für die deutschen Kommunen unwägbare finanzielle und
eigentumsrechtliche Risiken. Hinzu kommen steuerrechtliche Unwägbarkeiten
und der Vorwurf des Steuerbetrugs, weil Verkauf und Eigentümerwechsel vor-
getäuscht worden seien.

Ein Engagement der KfW-Bankengruppe bei Kommunen und die Übernahme
von Garantien beim Ausfall von US-Partnerinnen und Partnern wäre eine Mög-
lichkeit, Kommunen, denen bei der Abwicklung von CBL-Verträgen finanzielle
Verluste drohen, zu unterstützen.

Auch sollten gesetzliche Regelungen zur Offenlegung von CBL-Verträgen er-
lassen werden.

Zu Nummer 10

Noch immer werden einige Förderprogramme nur zu etwa 80 Prozent ausge-
schöpft. Millionen Euro werden nicht abgerufen, weil manche Kommunen diese
Finanzquellen nicht kennen oder den notwendigen Eigenanteil nicht aufzubrin-
gen vermögen oder weil Anträge wegen überbürokratisierter Förderbedingun-
gen schon aus Formfehlern von der Bearbeitung ausgeschlossen werden.

Förderprogramme müssen durch Bündelung und Pauschalisierung der Mittel
grundlegend vereinfacht werden. Dabei sollten den Kommunen zwei Drittel der
Mittel nach einem zu bestimmenden Schlüssel und ein Drittel direkt zur Ver-
fügung gestellt werden. Durch die Verantwortungsübertragung auf kommunale
und regionale Entscheidungsträger können die Kommunen Prioritätenlisten
nach den tatsächlichen Notwendigkeiten vor Ort erstellen und müssen sich nicht
Zwängen unterwerfen, die sich aus den Fondstiteln von staatlichen Förder-
absichten ergeben und mancherorts zu kuriosen Ergebnissen führen. Zugleich

würden viele Unwägbarkeiten der Genehmigung von Fördermitteln sowie Prak-

Drucksache 16/12892 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
tiken einer immer noch anzutreffenden Politik der „goldenen Zügel“ ausgeschal-
tet. Die kommunale Selbstbestimmung würde gestärkt. Bürgermeisterinnen und
Bürgermeister, Landrätinnen und Landräte würden aus einer Rolle herauskom-
men, die sie zwingt, Fördermittel gleichwie zu requirieren, um als erfolgreich
zu gelten – was letztlich Abhängigkeitsverhältnisse und Obrigkeitsdenken be-
fördert und nichts mit kommunaler Selbstverwaltung zu tun hat.

Zu Nummer 11

Für ostdeutsche Städte, Gemeinden und Landkreise sowie finanzschwache
Kommunen in den Alt-Bundesländern soll eine kommunale Investitionspau-
schale des Bundes wieder aufgelegt werden. Für das Jahr 2009 sind dafür in den
Bundeshaushalt 3 Mrd. Euro einzustellen.

Der Anteil von Investitionen ist in den Jahren von 1992 bis 2006 sowohl absolut
als auch innerhalb der kommunalen Haushalte zurückgegangen. Der Rückgang
der kommunalen Investitionstätigkeit ist mittlerweile so stark, dass eine äußerst
kritische Grenze erreicht worden ist. Seit 2003 überschreitet die Summe der
jährlichen Abschreibungen die Summe der getätigten Bauten, des Erwerbs von
Ausrüstungen, d. h., das Sachvermögen der Städte und Gemeinden ist kleiner
geworden. Damit sind die Abschreibungen inzwischen höher als die Investitio-
nen und das als längerfristiger Trend.

Neuesten Untersuchungen zufolge beläuft sich der Investitionsbedarf in den
Infrastrukturbereichen Trinkwasserleitungen und -anlagen, Abwasserleitungen
und -anlagen, Schulen, Verwaltungsgebäude, Krankenhäuser, Sporthallen und
Sportstätten, Straßen, öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), Städtebau und
städtebauliche Erneuerung sowie sonstige Bereiche und Erwerb von Grundver-
mögen bis zum Jahr 2020 auf 704 Mrd. Euro. Dies entspricht einem jährlichen
Investitionsbedarf von ca. 47 Mrd. Euro. (Quelle: Forschungsprojekt Kommu-
naler Investitionsbedarf 2006 bis 2020)

Der Abbau des Investitionsrückstands und die Deckung des kommunalen Inves-
titionsbedarfs bis 2020 sind nur leistbar, wenn ein ganzes Bündel von Maßnah-
men eingeleitet wird. Dazu zählt auch, dass jährlich zusätzliche Finanzmittel
insbesondere für ostdeutsche Städte, Gemeinden und Landkreise sowie finanz-
schwache Kommunen in den Alt-Bundesländern zur Verfügung gestellt werden.

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