BT-Drucksache 16/11878

Anreizregulierung im Strom- und Gassektor nachbessern - Benachteiligung von städtischen Versorgern verhindern

Vom 10. Februar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11878
16. Wahlperiode 10. 02. 2009

Antrag
der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Barbara Höll,
Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter,
Roland Claus, Dr. Dagmar Enkelmann, Lutz Heilmann, Katrin Kunert, Michael
Leutert, Ulla Lötzer, Dorothee Menzner, Bodo Ramelow, Dr. Herbert Schui,
Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Anreizregulierung im Strom- und Gassektor nachbessern – Benachteiligung
von städtischen Versorgern verhindern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Strom- und Gasnetze stellen ein natürliches Monopol dar, da ein Wett-
bewerb konkurrierender Netze weder wirtschaftlich noch technisch sinnvoll ist.
In privatwirtschaftlicher Hand führt dies zu überhöhten Netzentgelten und
belastet vor allem Privathaushalte und Unternehmen. Um den Netzbetrieb zu
überwachen, wurde deshalb die Bundesnetzagentur eingerichtet. Diese über-
prüfte und genehmigte die Netzentgelte bisher und konnte Kostensenkungen
durchsetzen.

Seit Anfang 2009 gilt nun ein anderes Modell. Die Bundesregierung will mit
Hilfe einer Anreizregulierung einen Wettbewerb im Netzbereich simulieren,
um die Senkung der Netzgebühren zu erreichen. Dazu wird der wirtschaftliche
Betrieb aller Netzbetreiber in Deutschland in regelmäßigen Abständen bewer-
tet. Die effizientesten Unternehmen geben dann den Wirtschaftlichkeitsstan-
dard vor, den alle anderen Netzbetreiber darauffolgend erreichen sollen. Dazu
werden entsprechende Erlösobergrenzen vorgegeben. Können einzelne Netz-
betreiber das vorgegebene Ziel nicht erreichen, schmälert sich bei diesen der
Gewinn, arbeitet ein Betreiber wirtschaftlicher als vorgegeben, fällt der Erlös
entsprechend höher aus.

Für kleine und mittlere Stadtwerke stellt die Anreizregulierung eine erhebliche
Herausforderung dar. Obwohl sie Energie mit hoher Stabilität und qualitativ
hohem Service vor Ort bereitstellen, können sie die Kosten nicht derart deutlich
senken, wie die großen Netz betreibenden Energiekonzerne mit ihrer markt-
beherrschenden Stellung. Hinzu kommt, dass bei der Effizienzbewertung Lohn-
kosten, Betriebsrenten und in der Vergangenheit zugekaufte Netze als so

genannte beeinflussbare Kosten einbezogen werden. Das heißt, die niedrigsten
Löhne werden zum Standard erhoben und Anlagevermögen herabgestuft. Letzt-
endlich können kleine Stadtwerke, die häufig in kommunaler Hand sind, die
Standards nur erreichen, indem sie Personal entlassen, Löhne unter Mindest-
lohnniveau senken und Teile des Netzes unter Wert verkaufen. Gerade die Lohn-
bestandteile müssen daher als nicht beeinflussbare Kosten gelten, auch um einen
behördlichen Eingriff in die Tarifautonomie zu verhindern.

Drucksache 16/11878 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Anreizregulierungsverordnung (ARegV) im Strom- und Gassektor nachzubes-
sern, um die Besonderheiten der städtischen Versorger zu berücksichtigen und deren
strukturelle Diskriminierung zu beseitigen, indem

– das Verfahren zur Durchführung der Anreizregulierung gegenüber den Teilneh-
merinnen und Teilnehmern einschließlich der Offenlegung der Basisdaten und
der Methodik transparent und nachvollziehbar gestaltet wird;

– der Bereich der nicht beeinflussbaren Kosten zur Ermittlung der Obergrenzen
bei den Erlösen nachjustiert wird, und vor allem Lohnkosten, Betriebsrenten und
bisher getätigte Netzkaufkosten bei den dauerhaft nicht beeinflussbaren Kosten
in voller Höhe anerkannt werden;

– die Übertragungsnetze als ungeeignet aus der Anreizregulierung herausgenom-
men und bis zu einer Überführung in die öffentliche Hand wie bisher über eine
wirksame Netzentgeltgenehmigung reguliert werden.

Berlin, den 10. Februar 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung
Den an der Anreizregulierung teilnehmenden Netzbetreibern werden nach wie vor
nicht alle Informationen zur Methodik, insbesondere zum Effizienzvergleich und zu
den Effizienzergebnissen sowie die historischen Datenreihen, uneingeschränkt und
in nachvollziehbarer Form zur Verfügung gestellt. Gerade mittlere und kleine Netz-
betreiber haben nicht die personelle Kapazität, um die behördlichen Vorgaben auf
Angemessenheit und Richtigkeit zu überprüfen.

Die jetzigen Regeln in der Anreizregulierungsverordnung (ARegV) führen zu einer
Schlechterstellung der mittleren und kleinen städtischen Netzbetreiber gegenüber
den großen Unternehmen. Das führt zu einer Wettbewerbsverzerrung und befördert
die Kartellbildung. Vor allem der Bereich der nicht beeinflussbaren Kosten zur Er-
mittlung der Obergrenzen bei den Erlösen muss deshalb nachjustiert werden.

Besonders bei den Übertragungsnetzbetreibern, die ein marktfernes Oligopol dar-
stellen, ist die Anwendbarkeit der Anreizregulierung anzuzweifeln. Sie sind auch
mit anderen europäischen Netzbetreibern nicht ausreichend vergleichbar, da die
nationalstaatlichen, infrastrukturellen und eigentumsbezogenen Unterschiede zu groß
sind und erforderliche Daten nicht transparent ermittelt werden können. Darüber
hinaus wird mittlerweile eine bundesweit einheitliche Regelzone bzw. eine einzige
Netzgesellschaft für die Übertragungsnetze vorgeschlagen. Eine Anreizregulierung
mit nur einem Teilnehmer im Bereich der Übertragungsnetze wäre dann gänzlich
unwirksam. Die Übertragungsnetzbetreiber sind deshalb aus der ARegV heraus-
zunehmen und weiterhin über die derzeit durchaus erfolgreich funktionierende
Netzentgeltaufsicht zu kontrollieren.

Die Übertragungsnetze einschließlich der Netzkuppelstellen zum Ausland sind be-
sonders anfällig für preislichen Missbrauch. Um dies zu verhindern und eine zu-
kunftsgerechte Ausrichtung der Energieversorgung sicherzustellen, bedarf es daher
einer direkten gesellschaftlichen Kontrolle der Netze. Dieses Ziel ist letztendlich
nur durch Überführung der Höchstspannungstrassen in die öffentliche Hand zu er-
reichen.

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