BT-Drucksache 16/11059

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/9900, 16/9902, 16/10411, 16/10423, 16/10424, 16/10425- Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2009 (Haushaltsgesetz 2009) hier: Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales

Vom 24. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11059
16. Wahlperiode 24. 11. 2008

Änderungsantrag
der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina Bunge,
Diana Golze, Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Ilja Seifert, Frank
Spieth, Jörn Wunderlich, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder,
Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus, Lutz Heilmann, Hans-Kurt
Hill, Katrin Kunert, Michael Leutert, Dorothee Menzner, Dr. Kirsten Tackmann und
der Fraktion DIE LINKE.

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/9900, 16/9902, 16/10411, 16/10423, 16/10424, 16/10425 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2009
(Haushaltsgesetz 2009)

hier: Einzelplan 11
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales

Der Bundestag wolle beschließen:

1. Die Regelsätze der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab dem 1. Januar 2009 auf 435 Euro zu er-
höhen und dazu die Gesamtausgaben im Kapitel 11 12 Titelgruppe 01 um
7 Mrd. Euro zu erhöhen. Diese Mittel verteilen sich auf folgende Titel:

– Titel 681 12 Arbeitslosengeld II – dieser Titel ist um 4 Mrd. Euro auf
24,25 Mrd. Euro zu erhöhen;

– Titel 632 11 Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft
(KdU) – dieser Titel ist um 3 Mrd. Euro auf 6,2 Mrd. Euro zu erhöhen.

2. Die Regelsätze für die Sozialhilfe sowie die Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung im SGB XII analog zu erhöhen und zu diesem Zweck den
Kommunen 1 Mrd. Euro über den Titel 632 01 zusätzlich zur Verfügung zu
stellen.

3. Auf Kürzungen bei den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit gegenüber
dem Haushaltsansatz von 2008 zu verzichten und den entsprechenden

Titel 685 11 um 440 Mio. Euro zu erhöhen.

Berlin, den 24. November 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Drucksache 16/11059 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Begründung

1. Das soziokulturelle Existenzminimum wird durch die Grundsicherungsleis-
tungen nach dem SGB II und dem SGB XII nicht gewährleistet. Wie der
Paritätische Wohlfahrtsverband in mittlerweile mehreren Expertisen nachge-
wiesen hat, sind die Ansprüche von Beziehenden von Grundsicherungsleis-
tungen nach dem SGB II und SGB XII durch willkürliche Abschläge gezielt
klein gerechnet worden. Die von der Bundesregierung ermittelten Ansprüche
decken selbst nach der Logik des Statistikmodells, also nach der Logik des
geltenden Rechts, das soziokulturelle Existenzminimum nicht ausreichend
ab. Betrachtet man einzelne statistische Posten, so wird deutlich, dass eine
ausgewogene und gesundheitsbewusste Ernährung nicht möglich ist, dass die
Mittel für die Mobilität ebenso wenig ausreichen wie die kalkulierten Mittel
für Arzneien und Medikamente. Die spezifischen Bedarfe von Kindern wer-
den überhaupt nicht sachgerecht abgebildet, sondern schlicht als Anteil des
Erwachsenenbedarfs kalkuliert. Die ermittelten Sätze für Kinder decken
nicht die spezifischen Bedarfe, wie beispielsweise für Lern- und Schulmittel
oder Fahrkosten zur Schule.

Eine jüngere Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung,
IAB, zeigt, dass in sämtlichen Haushaltskonstellationen die Nettoeinkommen
der Grundsicherungsbeziehenden unterhalb der Armutsschwelle von 60 Pro-
zent des durchschnittlichen Äquivalenzeinkommens liegen, sofern sie keine
sonstigen Einkommen haben (IAB Discussion Paper 34/2008, S. 16). Daten
aus umfassenden Haushaltsbefragungen beim IAB zeigen die prekären Ver-
hältnisse auf, in denen Grundsicherungsbeziehende leben müssen: „Jeweils
6–8 % der ALG-II-Bezieher berichten, dass sie sich keine warme Mahlzeit
pro Tag leisten können, dass die Wände in ihrer Wohnung feucht sind, dass
sie Probleme mit der pünktlichen Bezahlung der Nebenkosten haben oder
dass sie rezeptfreie Medikamente nicht bezahlen können.“ (Informations-
dienst Soziale Indikatoren ISI 40 – Juli 2008, S. 7–10). Damit ist klar: Ein
menschenwürdiges Leben als gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft ist
mit den Regelsätzen der Grundsicherungssysteme nicht möglich. Dies zu
garantieren ist aber ein Verfassungsauftrag für die Politik, der sich aus den
grundlegenden Prinzipien der Menschenwürde (Artikel 1 des Grundgesetzes –
GG) und des Sozialstaatsgebots (Artikel 20 GG) zwingend ergibt.

Nach den Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes hätten die
Regelsätze – bezogen auf die Daten von 2003 – 403 Euro statt 345 betragen
müssen. Berücksichtigt man zusätzlich die jüngere Preisentwicklung, so
wäre eine Anhebung auf mittlerweile etwa 435 Euro geboten (so die Stel-
lungnahme des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zur Anhörung des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages am 16. Juni
2008 16(11)1022, S. 30). Diese Erhöhung muss als erster Schritt auf dem
Weg zu einer an der Armutsrisikogrenze orientierten sozialen Grundsiche-
rung unternommen werden, um Beziehenden der Leistungen nach den
Grundsicherungssystemen SGB II und SGB XII ein Leben in Würde und
Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

Nach den Modellrechnungen des IAB (Kurzbericht 11/2008) entstehen bei
einer Anhebung der Regelsätze auf 420 Euro Kosten für das Arbeitslosengeld II
(ALG II) in Höhe von 3,8 Mrd. Euro. Zusätzlich werden die Aufwendungen
für die Kosten der Unterkunft um etwa 3 Mrd. Euro ansteigen. Die zusätz-
lichen Kosten bei den Kosten der Unterkunft (KdU) sind – um die finanzielle
Verantwortung nicht auf die Kommunen abzuwälzen und die bei der
Einführung von Hartz IV zugesagte Entlastung der Kommunen um 2,5 Mrd.
Euro zu realisieren – durch den Bund zu übernehmen. Die entsprechenden
gesetzlichen Regelungen zur Bundesbeteiligung an den KdU (§ 46 SGB II)

sind demzufolge anzupassen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11059

Die zitierte Analyse des IAB zu den Effekten einer Erhöhung des Regelsatzes
zeigt, dass die Maßnahme in der gewünschten Weise wirkt. Die Einkommen
der unteren Einkommensgruppen profitieren in einer signifikanten Größen-
ordnung. Eine gesellschaftliche Umverteilung von reich zu arm wird ein-
geleitet. Allein durch diese isolierte Maßnahme wird die Armuts(risiko)quote
um 2 Prozentpunkte gesenkt. In besonderer Weise profitieren die Alleinerzie-
henden: deren Armutsrisiko sinkt von 22,5 Prozent auf 15 Prozent. Der ge-
sellschaftliche Spaltungsprozess wird gestoppt und eine Trendwende einge-
leitet. Mit der Reduktion der Armutsquote um 2 Prozentpunkte „… könnte der
von 2001 bis 2005 beobachtbare Anstieg der Quote (+ 3 Prozentpunkte …) zu
etwa zwei Dritteln rückgängig gemacht werden.“ (IAB Kurzbericht 11/2008,
S. 5).

2. Die Anhebung der Regelsätze muss zeitgleich im SGB XII erfolgen. Um die
Kosten nicht auf die Kommunen abzuwälzen, müssen die entsprechenden
Mittel über den Bundeshaushalt organisiert werden. Das IAB kalkuliert mit
Mehrbelastungen in der Größenordnung von 1 Mrd. Euro (IAB Kurzbericht
11/2008). Zudem ist die Ausgliederung von Asylsuchenden, Geduldeten und
Bürgerkriegsflüchtlingen in eigene, residuale Leistungssysteme mit repressi-
ven Bedingungen und schlechterem Leistungsniveau abzuschaffen. Asyl-
suchende müssen in die regulären Grundsicherungssysteme integriert wer-
den.

3. Der Haushaltsentwurf sieht eine Absenkung des Titels Leistungen zur Ein-
gliederung in Arbeit in Höhe von 200 Mio. Euro für 2009 gegenüber 2008
vor. Gleichzeitig gehen die 2008 noch separat ausgewiesen Mittel für das
Bundesprogramm Kommunal-Kombi und die Beschäftigungspakte für ältere
Arbeitnehmer in diesen Haushaltstitel ein. Damit werden die zur Verfügung
stehenden Mittel zur Eingliederung von SGB-II-Beziehenden in Arbeit fak-
tisch um 440 Mio. Euro gegenüber 2008 gekürzt. Damit wird die Förder-
dimension im SGB II weiter abgebaut. Statt die ausgewiesenen Mittel zu
kürzen, sollten mehr Menschen von Fördermaßnahmen profitieren können.
Zusätzlich müssen die Förderinstrumente qualitativ verbessert werden – ins-
besondere müssen Ein-Euro-Jobs durch einen qualitativ höherwertigen
öffentlichen Beschäftigungssektor abgelöst werden. Das Ziel ist die Schaf-
fung von 500 000 öffentlich finanzierten Beschäftigungsverhältnissen. Die
Kürzung der Mittel zur Eingliederung in Arbeit ist daher zurückzunehmen
und das Geld im Sinne der Erwerbslosen einzusetzen.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.