BT-Drucksache 14/8586

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung

Vom 19. März 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8586
14. Wahlperiode 19. 03. 2002

Gesetzentwurf
der AbgeordnetenAlfred Hartenbach, JoachimStünker, HermannBachmaier, Anni
Brandt-Elsweier, Hans-Joachim Hacker, Christine Lambrecht, Robert Leidinger,
Gabriele Lösekrug-Möller, Winfried Mante, Dirk Manzewski, Dr. Jürgen Meyer
(Ulm), Margot von Renesse, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Richard Schuhmann
(Delitzsch), Erika Simm, Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Hans-Christian Ströbele, Grietje
Bettin, Cem Özdemir, Irmingard Schewe-Gerigk, Helmut Wilhelm (Amberg),
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen
Sicherungsverwahrung

A. Problem
Die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung, die zuletzt durch das Gesetz
zum Schutz der Bevölkerung vor schweren Gewalt- und Sexualstraftaten von
1998 geändert wurden, lassen gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 Strafgesetzbuch die An-
ordnung einer Sicherungsverwahrung zu, wenn eine Gesamtwürdigung des Tä-
ters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Strafta-
ten für die Allgemeinheit gefährlich ist. Konnte dieser Hang bei der
Verurteilung des Täters nicht mit der erforderlichen Sicherheit prognostiziert
werden, war es demnach nicht möglich, die Sicherungsverwahrung anzuord-
nen. Stellt sich nun ein Hang zu erheblichen Straftaten während des Vollzuges
der Freiheitsstrafe heraus, ist der unter Umständen hochgefährliche Straftäter
trotz dieser Erkenntnis nach Verbüßung seiner Strafe aus der Haft zu entlassen.

B. Lösung
Der Entwurf sieht vor, zusätzlich erforderliche Sicherungen bei einem Täter zu
schaffen, bei dem im Zeitpunkt des Urteils der „Hang“ im Sinne des § 66
Abs. 1 Nr. 3 Strafgesetzbuch nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt
werden kann, dieser sich jedoch während des Vollzuges der Freiheitsstrafe he-
rausstellt. Das erkennende Gericht kann die Entscheidung über die Anordnung
der Sicherungsverwahrung bei Verurteilung des Täters im Urteil vorbehalten.
Ergibt sich nach Teilverbüßung der verhängten Strafe, dass von dem Verurteil-
ten erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder
körperlich schwer geschädigt werden, so kann die Strafvollstreckungskammer
die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anordnen.

Drucksache 14/8586 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

C. Alternativen
l Gesetzentwurf derAbgeordnetenNorbert Geis,WolfgangBosbach,Dr.Maria

Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU–Entwurf ei-
nes Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung vor Sexualver-
brechen und anderen schweren Straftaten (Bundestagsdrucksache 14/6709) –
hier: Schaffung der Möglichkeit einer nachträglichen Anordnung der Unter-
bringung in der Sicherungsverwahrung;

l Gesetzesantrag der Länder Baden-Württemberg und Thüringen – Entwurf
eines Gesetzes zum Schutz vor schweren Wiederholungstaten durch nach-
trägliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Bun-
desratsdrucksache 48/02);

l Gesetzesantrag des Landes Hessen – Entwurf eines Gesetzes zur Einführung
eines Vorbehaltes für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwah-
rung (Bundesratsdrucksache 118/02).

D. Kosten
Für die Länder ist mit unerheblichen Mehrkosten zu rechnen, da die Anzahl der
voraussichtlich betroffenen Personen außerordentlich gering ist und nicht in
jedem Fall der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung diese auch angeordnet
und vollzogen wird. Es kann durch die Entscheidung über die im Urteil vorbe-
haltene Sicherungsverwahrung zu einer stärkeren Belastung der Staatsanwalt-
schaften und Strafvollstreckungskammern kommen. Dies wird jedoch voraus-
sichtlich durch Vermeidung des Ermittlungs- und Abwägungsaufwandes bei der
Entscheidung über die Aussetzung des Strafrests zumindest teilweise kompen-
siert.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8586

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen
Sicherungsverwahrung

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuches

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntma-
chung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt
geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19. Juni 2001
(BGBl. I S. 1142), wird wie folgt geändert:
1. In der Inhaltsübersicht wird nach der Angabe zu § 66

folgende Angabe eingefügt:
㤠66a Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungs-
verwahrung“.

2. In § 66 Abs. 1, 2 und 3 Satz 1 und 2 wird jeweils das
Wort „zeitiger“ gestrichen.

3. Nach § 66 wird folgende Vorschrift eingefügt:
㤠66a

Vorbehalt der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung

(1) Ist bei der Verurteilung wegen einer der in § 66
Abs. 3 Satz 1 genannten Straftaten nicht mit hinreichen-
der Sicherheit feststellbar, ob der Täter für die Allge-
meinheit im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 gefährlich ist,
so kann das Gericht die Anordnung der Sicherungsver-
wahrung vorbehalten, wenn die übrigen Voraussetzun-
gen des § 66 Abs. 3 erfüllt sind.
(2) Über die Anordnung der Sicherungsverwahrung

entscheidet das Gericht spätestens sechs Monate vor
dem Zeitpunkt, ab dem eine Aussetzung der Vollstre-
ckung des Strafrestes zur Bewährung nach § 57 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1, § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 auch in Verbin-
dung mit § 454b Abs. 3 der Strafprozessordnung mög-
lich ist. Es ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn
die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und
seiner Entwicklung während des Strafvollzuges ergibt,
dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind,
durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer
geschädigt werden.
(3) Die Entscheidung über die Aussetzung der Voll-

streckung des Strafrestes zur Bewährung darf erst nach
Rechtskraft der Entscheidung nach Absatz 2 Satz 1 erge-
hen. Dies gilt nicht, wenn die Voraussetzungen des § 57
Abs. 2 Nr. 2 offensichtlich nicht vorliegen.

Artikel 2
Änderung der Strafprozessordnung

Die Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntma-
chung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), zuletzt
geändert durch Artikel 2 Abs. 12 des Gesetzes vom 25. Juni
2001 (BGBl. I S. 1206), wird wie folgt geändert:

1. In § 140 Abs. 1 Nr. 8 wird der Punkt am Ende durch ein
Semikolon ersetzt und folgende Nummer angefügt:
„9. über die im Urteil vorbehaltene Sicherungsverwah-

rung entschieden wird.“
2. In § 260 Abs. 4 Satz 4 werden nach den Wörtern „Wird

die“ die Wörter „Entscheidung über die Sicherungsver-
wahrung vorbehalten, die“ eingefügt.

3. § 267 Abs. 6 Satz 1 wird wie folgt gefasst:
„Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine
Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine
Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehal-
ten oder entgegen einem in der Verhandlung gestellten
Antrag nicht angeordnet oder vorbehalten worden ist.“

4. Nach § 268c wird folgender § 268d eingefügt:
㤠268d

Wird in dem Urteil die Entscheidung über die Anord-
nung der Sicherungsverwahrung nach § 66a Abs. 1 des
Strafgesetzbuches einer weiteren gerichtlichen Entschei-
dung vorbehalten, so belehrt der Vorsitzende den Ange-
klagten über den Gegenstand der weiteren Entscheidun-
gen sowie über den Zeitraum, auf den sich der Vorbehalt
erstreckt.“

5. § 454 Abs. 2 Satz 3 bis 6 wird durch folgenden Satz er-
setzt:
„Der Sachverständige ist mündlich zu hören, wobei der
Staatsanwaltschaft, dem Verurteilten, seinem Verteidiger
und der Vollzugsanstalt Gelegenheit zur Mitwirkung zu
geben ist.“

6. Nach § 454b wird folgende Vorschrift eingefügt:
㤠454c

(1) Die Entscheidung über die im Urteil vorbehaltene
Sicherungsverwahrung (§ 66a des Strafgesetzbuches)
trifft das Gericht durch Beschluss.
(2) Vor der Entscheidung sind die Staatsanwaltschaft,

der Verurteilte und die Vollzugsanstalt in einem gemein-
samen Termin mündlich zu hören, wobei dem Verteidi-
ger Gelegenheit zur Mitwirkung zu geben ist.
(3) Das Gericht holt vor der Entscheidung das Gut-

achten eines Sachverständigen ein. Der Gutachter darf
im Rahmen des Strafvollzugs nicht mit der Behandlung
des Verurteilten befasst gewesen sein. Der Sachver-
ständige ist mündlich zu hören, wobei der Staatsanwalt-
schaft, dem Verurteilten, seinem Verteidiger und der
Vollzugsanstalt Gelegenheit zur Mitwirkung zu geben
ist. Erwägt das Gericht, die Sicherungsverwahrung nicht
anzuordnen, gilt § 454 Abs. 2 Satz 4 entsprechend.
(4) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die

Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen
und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entschei-
dung von Bedeutung sind.

Drucksache 14/8586 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

(5) Gegen die Entscheidung nach Absatz 1 ist sofor-
tige Beschwerde zulässig.“

7. In § 462a Abs. 1 Satz 1 wird nach der Angabe „454a“
die Angabe „454c“ eingefügt.

Artikel 3
Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes

Das Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung der Be-
kanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt
geändert durch Artikel 5 Abs. 1 des Gesetzes vom 26. No-
vember 2001 (BGBl. I S. 3138), wird wie folgt geändert:
1. In § 78b Abs. 1 Nr. 1 werden nach dem Wort „Siche-

rungsverwahrung“ die Wörter „oder die Entscheidung
über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung“ einge-
fügt.

2. In § 135 Abs. 2 werden nach den Wörtern „Der Bundes-
gerichtshof entscheidet ferner“ die Wörter „über die so-
fortige Beschwerde nach § 454c Abs. 5 der Strafprozess-
ordnung,“ eingefügt.

Artikel 4
Änderung des Bundeszentralregistergesetzes
Das Bundeszentralregistergesetz in der Fassung der Be-

kanntmachung vom 21. September 1984 (BGBl. I S. 1229,
1985 I S. 195), zuletzt geändert durch Artikel 17 des Geset-
zes vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361), wird wie folgt ge-
ändert:
1. In § 5 Abs. 1 Nr. 7 werden nach den Wörtern „selbstän-

dig angeordneten“ die Wörter „oder vorbehaltenen“ ein-
gefügt.

2. In § 12 Abs. 1 wird der Punkt am Ende durch ein
Komma ersetzt und folgende Nummer angefügt:
„9. Entscheidungen über eine vorbehaltene Sicherungs-

verwahrung.“

Artikel 5
Änderung des Gerichtskostengesetzes

In der Anlage 1 Teil 6 des Gerichtskostengesetzes in der
Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1975
(BGBl. I S. 3047), das zuletzt durch Artikel 5 Abs. 6 des
Gesetzes vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138) geän-

dert worden ist, wird in Hauptabschnitt I nach Abschnitt 3
folgender Abschnitt eingefügt:

Artikel 6
Änderung der Bundesgebührenordnung

für Rechtsanwälte
Die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte in der

im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 368-1,
veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch
Artikel 5 Abs. 1a Nr. 5, Abs. 10 des Gesetzes vom 26. No-
vember 2001 (BGBl. I S. 3138), wird wie folgt geändert:
1. Nach § 92 wird folgende Vorschrift eingefügt:

㤠92a
Gerichtliche Entscheidungen der Strafvollstreckungs-

kammer
Der Rechtsanwalt erhält als Verteidiger im Verfahren

über die Entscheidung über die vorbehaltene Siche-
rungsverwahrung (§ 454c der Strafprozessordnung) eine
Gebühr von 60 bis 780 Euro. Im Verfahren über die Be-
schwerde gegen die Entscheidung erhält der Rechtsan-
walt die Gebühr besonders.“

2. In § 97 Abs. 1 wird nach Satz 3 folgender Satz einge-
fügt:
„Das Fünffache der Mindestgebühr erhält der Rechtsan-
walt auch in den Fällen des § 92a.“

Artikel 7
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Nr. Gebührentatbestand Gebühren-
betrag oder
Satz der
Gebühr6110,
soweit nichts
anderes ver-
merkt ist

„4. Verfahren über die im Urteil vorbehaltene
Sicherungsverwahrung (§ 454c StPO)

6140 Beschluss, durch den die Siche-
rungsverwahrung angeordnet wird

41,00 EUR“

Berlin, den 19. März 2002

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/8586

Begründung

A. Allgemeines
Die zuletzt im Jahre 1998 durch das Gesetz zum Schutz der
Bevölkerung vor schweren Gewalt- und Sexualstraftaten
geänderten und erweiterten Vorschriften über die Siche-
rungsverwahrung bestimmen eindeutig, wann zum Schutz
der Bevölkerung vor schweren Straftaten die Unterbringung
in der Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann. Die
Diskussion über die Anwendung dieser Vorschriften in der
Praxis hat in den vergangenen Jahren allerdings zu der Be-
sorgnis geführt, dass in seltenen Ausnahmefällen die Entlas-
sung eines hochgefährlichen Straftäters nach dem Vollzug
der Freiheitsstrafe nicht ausgeschlossen werden könne. Um
auch bei einem Täter, bei dem zum Zeitpunkt des Urteils
der „Hang“ i. S. v. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht mit der er-
forderlichen Sicherheit festgestellt werden kann, während
dies unter Einbeziehung der Erfahrungen aus dem Strafvoll-
zug möglich wäre, zusätzlich erforderliche Sicherungen zu
schaffen, erweitert der Gesetzentwurf die Reaktionsmög-
lichkeiten in diesem Bereich und verringert zugleich die
Gefahr falscher Prognosen.
Der Entwurf trägt zugleich der Kritik Rechnung, die gegen
§ 66 Abs. 3 StGB geäußert wurde. Nach dieser Vorschrift
können in den Konstellationen des dortigen Satzes 2 bereits
zwei realkonkurrierende Delikte, auch wenn sie innerhalb
kürzesten zeitlichen Zusammenhangs begangen wurden, für
die Annahme eines Hanges ausreichen. Hiergegen wird ein-
gewendet, dies lasse sich mit der ursprünglichen Konzep-
tion der Sicherungsverwahrung als Reaktion auf beharrliche
Verweigerung des Rechtsgehorsams mit schwerwiegenden
Delikten (vgl. dazu die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1
Nr. 1 und 2 StGB) nicht vereinbaren. Der Entwurf eröffnet
dem Gericht hier die Möglichkeit, die endgültige Anord-
nung der Sicherungsverwahrung von einer Beurteilung ab-
hängig zu machen, der das Verhalten des Verurteilten über
einen längeren Zeitraum zugrunde liegt. Hierdurch wird die
Genauigkeit der Gefährlichkeitsprognose erhöht und dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 62 StGB) besser als bis-
her Rechnung getragen.
Ein weiterer Vorteil des Entwurfs ist darin zu sehen, dass
der Verurteilte aufgrund des im Urteil angeordneten Vorbe-
halts einen Anreiz erhält, konstruktiv an der Erreichung des
Vollzugsziels mitzuwirken und insbesondere in der Behand-
lung mitzuarbeiten.
Die Neuregelung bezieht sich nur auf die Fälle unklarer
Prognose im Zeitpunkt des Urteils und ändert damit nichts
an der Pflicht des erkennenden Gerichts, alle mög-
licherweise prognoserelevanten Tatsachen umfassend auf-
zuklären und zu einer abschließenden Entscheidung über
die Sicherungsverwahrung zu kommen, wenn bereits im Ur-
teilszeitpunkt die auf einem Hang zu erheblichen Straftaten
beruhende Gefährlichkeit des Täters hinreichend sicher
festgestellt werden kann.
Da es sich bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung
um einen schwerwiegenden Eingriff handelt, ist auch das
Verfahren so auszugestalten, dass es den rechtsstaatlichen
Garantien voll umfänglich Rechnung trägt. Aus diesem

Grund ist vorgesehen, dass dem Verurteilten ein Pflichtver-
teidiger beigeordnet wird und die Anhörung des Verurteil-
ten, der Staatsanwaltschaft, des Sachverständigen und der
Vollzugsanstalt mündlich zu erfolgen hat. Bei dem Sach-
verständigen muss es sich um einen externen Gutachter
handeln.
Durch diese Maßnahmen soll sichergestellt werden, dass
das Gericht seine Entscheidung auf einer breiten Grundlage
treffen kann. Aus diesem Grund ist für die Entscheidung
über die Anordnung der Sicherungsverwahrung auch das
Vollstreckungsgericht zuständig. Dieses wird sich im Laufe
des Vollzugs der Freiheitsstrafe in aller Regel mit dem Ver-
urteilten zu befassen haben. Die dadurch gewonnenen Er-
kenntnisse über den Verurteilten sollen bei der Entschei-
dungsfindung genutzt werden können. Der Schwere des
Eingriffs wird auch dadurch Rechnung getragen, dass die
Strafvollstreckungskammer bei der Entscheidung mit drei
Richtern besetzt ist. Schließlich wird aus Gründen der
Rechtsvereinheitlichung hinsichtlich der Entscheidung über
die sofortige Beschwerde der Rechtsweg zum Bundesge-
richtshof eröffnet.

B. Zu den einzelnen Bestimmungen
Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuches)
Zu Nummer 1 (Inhaltsübersicht)
Seit Inkrafttreten des Sechsten Gesetzes zur Reform des
Strafrechts (6. StrRG; BGBl. 1998 I S. 164, 704) am
1. April 1998 steht fest, dass die durch Artikel 1 Nr. 1 dieses
Gesetzes neu gefasste Inhaltsübersicht am Gesetzesrang
teilnimmt. Das bedeutet, dass sie durch den Gesetzgeber mit
geändert werden muss, soweit sich – was hier der Fall ist –
Änderungen des Strafgesetzbuches auf die Inhaltsübersicht
auswirken (vgl. den Bericht des Rechtsausschusses des
Deutschen Bundestages zu Artikel 1 Nr. 1 des 6. StrRG,
Bundestagsdrucksache 13/9064, S. 8).
Zu Nummer 2 (§ 66)
Nach der bisherigen Fassung von § 66 Abs. 1 bis 3 StGB,
die jeweils ausdrücklich die Verurteilung zu zeitiger Frei-
heitsstrafe voraussetzen, ist die Anordnung der Sicherungs-
verwahrung bei Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe
nur dann zulässig, wenn der Täter neben der lebenslangen
Freiheitsstrafe wegen einer weiteren Tat auch eine den Vor-
aussetzungen des § 66 genügende zeitige Freiheitsstrafe
verwirkt hat. Der Bundesgerichtshof weist zutreffend auf
das Spannungsverhältnis zwischen den verschiedenen Fall-
konstellationen hin, in denen Sicherungsverwahrung neben
zeitiger Freiheitsstrafe auch dann möglich bleibt, wenn le-
benslange Freiheitsstrafe hinzutritt, während sie selbst ne-
ben mehrfach verwirkter lebenslanger Freiheitsstrafe ausge-
schlossen ist (vgl. BGHSt 37, 160; zuletzt BGH NStZ 2000,
417 [418]). Dieses Spannungsverhältnis ist sachlich schwer
begründbar. Die Absätze 1 bis 3 legen deshalb nunmehr
eine gegenüber der bisherigen Fassung unveränderte Min-
destgrenze für das Strafmaß der Verurteilung fest, ohne dies

Drucksache 14/8586 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

jeweils mit der Beschränkung auf zeitige Freiheitsstrafe zu
verbinden.
Zu Nummer 3 (§ 66a – neu –)
Der Entwurf verfolgt ein zweistufiges Modell: In der ersten
Stufe (§ 66a Abs. 1 StGB-E) befasst sich das erkennende
Gericht bei der Aburteilung der Tat mit der Frage, ob die for-
mellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 StGB erfüllt sind,
also mindestens eine Vorverurteilung zu zeitiger Freiheits-
strafe von mindestens drei Jahren wegen einer oder mehrerer
der in dem Katalog des Satzes 1 genannten Straftaten vor-
liegt, gegen den Täter deshalb mindestens zwei Jahre Frei-
heitsentzug vollzogen wurden und er nun wegen einer weite-
ren Katalogtat zu zeitiger Freiheitsstrafe von mindestens
zwei Jahren verurteilt wird (§ 66 Abs. 3 Satz 1 StGB) oder
der Täter zwei Katalogtaten begangen hat, deswegen jeweils
Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und
nun wegen einer oder beider Taten zu zeitiger Freiheitsstrafe
von mindestens drei Jahren verurteilt wird (§ 66 Abs. 3
Satz 2 StGB). Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind,
aber ein Hang des Täters zu erheblichen Straftaten und seine
darauf beruhende Gefährlichkeit für die Allgemeinheit nicht
mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden können,
so kann das Gericht – neben der Verurteilung zu einer zei-
tigen Freiheitsstrafe von mindestens zwei bzw. drei Jahren –
die spätere Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehal-
ten. An diese Verurteilung anknüpfend erfolgt rechtzeitig
vor Ablauf des Vollzugs der Freiheitsstrafe in der zweiten
Stufe (§ 66a Abs. 2 StGB-E) die Beurteilung durch das Voll-
streckungsgericht, ob die Gefährlichkeit des Verurteilten,
insbesondere unter Berücksichtigung seines Verhaltens im
Vollzug, nunmehr hinreichend sicher festgestellt werden
kann. Auf diese Weise bleibt der Zusammenhang zwischen
Tat und Sanktion gewahrt; die (spätere) Anordnung stellt
sich nicht als Korrektur, sondern als Ergänzung des straf-
gerichtlichen Urteils dar.
Die hier vorgeschlagene Regelung des neuen § 66a StGB
beschränkt die Möglichkeit einer vorbehaltenen Anordnung
auf die Fälle des § 66 Abs. 3 StGB, da nur hinsichtlich Ver-
urteilter nach den dort genannten schwerwiegenden Strafta-
ten ein aus einem erhöhten Sicherungsbedürfnis resultieren-
der praktischer Bedarf für eine spätere Anordnung der Si-
cherungsverwahrung gesehen wird und gleichzeitig die Er-
kenntnisgrundlage für das Gericht dort unter Umständen
den geringsten aller in § 66 Abs. 1 bis 3 StGB genannten
Zeiträume umfasst. In Fällen des § 66 Abs. 1 und 2 StGB ist
demnach kein Vorbehalt möglich; das Gericht muss hier be-
reits im Urteil eine definitive Entscheidung über die Anord-
nung der Sicherungsverwahrung treffen.
In jedem Fall hat sich das Tatgericht bereits bei der Aburtei-
lung mit der Gefährlichkeitsprognose zu befassen. Es darf
diese Frage nicht unbehandelt lassen, sondern muss seine
Aufklärungsmöglichkeiten (z. B. Gutachten) ausschöpfen.
Die Voraussetzung der Nichtfeststellbarkeit der Gefährlich-
keit ist in Anlehnung an § 27 JGG formuliert, so dass Zwei-
felsfragen unter Rückgriff auf eine gefestigte (jugend-)ge-
richtliche Praxis unaufwändig gelöst werden können.
Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass ein Hang des
Verurteilten zu erheblichen Straftaten und eine hierauf beru-
hende Gefährlichkeit nicht hinreichend sicher festgestellt,
aber auch nicht ausgeschlossen werden können, so hat es

über den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung zu entschei-
den. Die Ausgestaltung der Vorbehaltsregelung des Absat-
zes 1 als Ermessensvorschrift korrespondiert mit der ent-
sprechenden Ausgestaltung des § 66 Abs. 3 StGB und
ermöglicht dem Gericht, seine Entscheidung am Grad der
Wahrscheinlichkeit eines Hanges des Verurteilten und der
mit ihm verbundenen Gefährlichkeit zu orientieren. Bei sei-
ner Ermessensentscheidung wird das Gericht auch zu be-
rücksichtigen haben, ob im Strafvollzug neue Erkenntnisse
über die Gefährlichkeit des Täters zu erwarten sind. Dies
kann dann ausgeschlossen sein, wenn nach Anrechnung von
Untersuchungshaft der Zeitraum des Vollzugs der Strafhaft
relativ kurz ist oder die abgeurteilte Tat lange zurückliegt.
Schließlich erlaubt die Ermessensvorschrift auch die sach-
gerechte Handhabung von Fällen, in denen das Gericht zwar
im Urteilszeitpunkt eine Gefährlichkeit des Täters (i. S. d.
§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) als möglich ansieht, sie jedoch für
den Zeitpunkt seiner Entlassung aus dem Vollzug, etwa auf-
grund absehbarer Alterungs- oder Krankheitsprozesse, für
ausgeschlossen hält. Das Gericht muss überprüfbar darle-
gen, welche Gründe für den Vorbehalt einer Anordnung der
Sicherungsverwahrung sprechen. Damit soll einem denkba-
ren „Net-Widening-Effekt“ vorgebeugt werden, also der
Tendenz, generell einen Vorbehalt zu treffen.
Die Entscheidung über die vorbehaltene Sicherungsverwah-
rung ist spätestens sechs Monate vor dem Zeitpunkt zu tref-
fen, zu dem das Gericht von Amts wegen über eine Ausset-
zung des Strafrestes zu beschließen hat. Bei zeitigen Frei-
heitsstrafen ist dies der Zwei-Drittel-Zeitpunkt des § 57
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB, bei lebenslangen Freiheitsstrafen
der Zeitpunkt, zu dem fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt
sind (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB), im Falle der Voll-
streckung mehrerer Freiheitsstrafen ist es der Zeitpunkt, zu
dem über die Aussetzung der Vollstreckung der Reste aller
Strafen gleichzeitig entschieden werden kann (§ 454b
Abs. 3 StPO).
Zu diesen Zeitpunkten hat der Verurteilte in der Regel den
größten Teil seiner Strafe verbüßt, so dass sich eine ausrei-
chende Erkenntnisgrundlage für die abschließende Ent-
scheidung über die Sicherungsverwahrung bietet. Die Un-
gewissheit des Verurteilten hinsichtlich seiner künftigen
Lebensplanung darf nicht ohne zwingende Notwendigkeit
verlängert werden. Nach der Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts (BVerfGE 86, 288 [327]) enthält das
Rechtsstaatsprinzip als wesentlichen Bestandteil die Ge-
währleistung der Rechtssicherheit auch insoweit, als es
„verbietet, den von einem staatlichen Eingriff in die Freiheit
der Person (Artikel 2 Abs. 2 GG) Betroffenen über das Aus-
maß dieses Eingriffs im Ungewissen zu lassen, wenn und
sobald nach der jeweiligen gesetzlichen Grundlage das zu-
lässige Ausmaß des Eingriffs einer abschließenden Beurtei-
lung zugänglich ist“. Das Bundesverfassungsgericht führt
aus, dass die notwendige Mitarbeit des Gefangenen an sei-
ner Wiedereingliederung als dem Ziel des Behandlungsvoll-
zuges der Motivation durch eine Konkretisierung der Ent-
lassungschance auch in zeitlicher Hinsicht bedarf. Je näher
der Zeitpunkt einer möglichen Entlassung rückt, um so quä-
lender kann für den Verurteilten die Ungewissheit werden,
ob er tatsächlich mit einer Entlassung rechnen kann. Darü-
ber hinaus ist eine möglichst frühzeitige Klarheit über den
Entlassungszeitpunkt für eine angemessene Vollzugspla-
nung unabdingbar. § 15 StVollzG sieht vielfältige Maßnah-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/8586

men der Entlassungsvorbereitung (Vollzugslockerungen,
Verlegung in eine offene Anstalt, Sonderurlaub z. B. zum
Zweck der Arbeits- oder Wohnungssuche) vor. Diese Maß-
nahmen erscheinen nicht sinnvoll, solange der Verurteilte
weiterhin unter dem Vorbehalt der Anordnung der Siche-
rungsverwahrung steht.
Rechtzeitig vor dem Entscheidungszeitpunkt muss sich das
Gericht sämtliche notwendigen Informationen verschafft
haben, d. h. es muss insbesondere das Sachverständigengut-
achten eingeholt und die entsprechenden mündlichen Anhö-
rungen durchgeführt haben.
Die endgültige Anordnung der Sicherungsverwahrung ist
zwingend, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorlie-
gen. Sie erfordert die prognostizierte Gefahr schwerwiegen-
der Delikte gegen die Person; nicht erfasst sind Vermögens-
delikte. Diese Einschränkung gegenüber der allgemeinen
Prognose in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist eine Folge der Be-
schränkung des Anwendungsbereichs der Neuregelung auf
die Fälle des § 66 Abs. 3 StGB. In die für die Erstellung der
Gefährlichkeitsprognose erforderliche Gesamtwürdigung
hat das Gericht die Persönlichkeit des Verurteilten und seine
Taten, also die abgeurteilten und die früheren Taten, einzu-
beziehen. Hieran wird deutlich, dass auch die aufgrund ei-
nes Vorbehalts angeordnete Sicherungsverwahrung eine
Rechtsfolge der Straftat bleibt. Die Berücksichtigung des
Verhaltens des Verurteilten im Strafvollzug soll vor allem
seine Entwicklung in einer Behandlung als gewichtigen
Prognosefaktor erfassen. Weitere prognoserelevante Ge-
sichtspunkte können z. B. aggressive Handlungen gegen
Strafvollzugsbedienstete oder Mitgefangene, Straftaten oder
subkulturelle Aktivitäten im Vollzug, Drohungen oder an-
dere Äußerungen sein, die auf eine Rückkehr in kriminelle
Subkulturen und eine Wiederaufnahme insbesondere von
Gewalt- oder Sexualkriminalität hindeuten.
Verzichtet wird in § 66a Abs. 2 StGB-E auf das Merkmal
des „Hanges“ als Grundlage der Gefährlichkeit des Täters.
Es dient in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB als zusätzliches Regulativ
dazu, die Sicherungsverwahrung auf die Fälle zu begrenzen,
in denen sie zum Schutz der Bevölkerung unerlässlich ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verlangt
das Merkmal des Hanges einen „eingeschliffenen inneren
Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten
begehen lässt“. Hangtäter ist danach, wer „dauernd zu Straf-
taten entschlossen ist oder … auf Grund einer fest eingewur-
zelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die
Gelegenheit dazu bietet“ (std. Rspr.: BGH NStZ 2000, 587;
1999, 502; BGHR STGB § 66 Abs. 1 HANG 8 m. w. N.; nä-
her zum Hangbegriff in der Rechtsprechung Kinzig NStZ
1998, 14). Anhaltspunkte für einen „Hang“ des Täters kön-
nen aus seiner familiären und schulischen Sozialisation, sei-
ner bisherigen kriminellen Karriere (insbesondere Rück-
fallhäufigkeit und -geschwindigkeit, Zeitpunkt der ersten
kriminellen Handlungen, Art der Straftaten), seinem Sozial-
verhalten und seiner Persönlichkeitsstruktur gewonnen wer-
den (vgl. Schönke, Schröder, Stree, StGB, 26. Auflage § 66
Rn. 22 ff.). Kann ein solcher „Hang“ des Täters vom erken-
nenden Gericht nicht sicher festgestellt werden, so dürften
sich unter den künstlichen, nämlich stark kontrollierenden
und reglementierten, Bedingungen des Strafvollzuges nur in
Ausnahmefällen weitere entscheidende Anhaltspunkte für
einen Hang des Gefangenen zu erheblichen Straftaten erge-

ben. Aus diesem Grunde erscheint es nicht sinnvoll, in § 66a
Abs. 2 StGB-E die Feststellung eines Hanges zu verlangen.
Das erforderliche zusätzliche Regulativ zur Begrenzung der
Sicherungsverwahrung auf die schwerwiegenden Fälle ist
ohnehin dadurch gewährleistet, dass regelmäßig eine Fehl-
entwicklung des Gefangenen im Strafvollzug zu verlangen
sein wird, ohne dass diese seinen „Hang“ zu erheblichen
Straftaten erweisen muss.
Die aufgrund eines Vorbehalts angeordnete Sicherungsver-
wahrung unterscheidet sich nicht von der bereits im Urteil
angeordneten Sicherungsverwahrung. Es gelten daher die
allgemeinen Vorschriften der §§ 67 bis 67g StGB.
Die Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes darf
erst nach Rechtskraft der Entscheidung über die vorbehal-
tene Sicherungsverwahrung ergehen. Damit wird dem Um-
stand Rechnung getragen, dass den Entscheidungen eine ab-
gestufte Gefährlichkeitsprognose zugrunde liegt: Während
die vorgeschlagene Regelung des § 66a Abs. 2 StGB negativ
auf die Gefahr erheblicher Straftaten, durch welche die Op-
fer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, ab-
stellt, ist nach den §§ 57 ff. StGB eine günstige Täterprog-
nose Voraussetzung für die Aussetzung. Es erscheint daher
konsequent, zunächst die besondere Gefährlichkeit des Ver-
urteilten zu überprüfen und gegebenenfalls verbindlich klä-
ren zu lassen. Hierdurch wird auch der Gefahr divergieren-
der Entscheidungen vorgebeugt. Nach rechtskräftiger Ent-
scheidung über die Sicherungsverwahrung gelten die allge-
meinen Vorschriften über die Aussetzung des Strafrestes.
Durch den Zeitraum von mindestens sechs Monaten bis zum
Ablauf der Mindestverbüßungsdauer wird es regelmäßig zu
keiner Verzögerung bei der Aussetzungsentscheidung kom-
men, zumal es das Gericht in der Hand hat, die Entscheidung
über den Vorbehalt mit Rücksicht auf die Umstände des Ein-
zelfalls besonders frühzeitig zu treffen. Zudem wird die Be-
schleunigung des weiteren Verfahrens dadurch begünstigt,
dass die Aussetzungsentscheidung regelmäßig mit einem
geringeren Aufwand getroffen werden kann.
Der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung lässt die Möglich-
keit der Aussetzung nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB grundsätz-
lich unberührt. Kommt sie in Ausnahmefällen, etwa auf-
grund einer äußerst vorteilhaften Entwicklung des Verurteil-
ten im Vollzug, ernsthaft in Betracht, so hat das Gericht
zuvor rechtzeitig abschließend über die Sicherungsverwah-
rung zu entscheiden. Das ergibt sich aus dem in Absatz 3
Satz 1 geregelten Vorrang der Vorbehalts- vor der Ausset-
zungsentscheidung. Dies darf aber nicht dazu führen, dass
das Gericht auch bei einem offensichtlich unbegründeten
Antrag nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB schon über den Vorbe-
halt entscheiden muss. Deshalb macht Satz 2 von dem Vor-
rang der Vorbehaltsentscheidung eine Ausnahme für die
Fälle, in denen die Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 Nr. 2
StGB offensichtlich nicht vorliegen.

Zu Artikel 2 (Änderung der Strafprozessordnung)
Zu Nummer 1 (§ 140 Abs. 1 Nr. 9)
Durch die Ergänzung des Katalogs des § 140 Abs. 1 StPO
soll der Schwere des möglichen Eingriffs (Anordnung der
Sicherungsverwahrung) Rechnung getragen werden. Die
Regelung erfolgt in § 140 Abs. 1 StPO, weil die Entschei-
dung über die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsver-

Drucksache 14/8586 – 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

wahrung an das Urteil im Erkenntnisverfahren anknüpft.
Die übrigen Fälle der Pflichtverteidigung gemäß § 140
Abs. 2 StPO bleiben davon unberührt, so z. B. die Pflicht-
verteidigerbestellung im Verfahren über die Aussetzung des
Strafrestes gemäß § 454 StPO.
Zu den Nummern 2 und 3 (§ 260 Abs. 4 Satz 4, § 267

Abs. 6 Satz 1)
Es wird klargestellt, dass der Vorbehalt über die Anordnung
der Sicherungsverwahrung in die Urteilsformel mitaufge-
nommen bzw. in den Urteilsgründen ausgeführt werden
muss. Ebenso muss sich aus den Urteilsgründen ergeben,
weshalb einem Antrag auf Vorbehalt der Entscheidung über
die Sicherungsverwahrung nicht entsprochen wurde.
Zu Nummer 4 (§ 268d)
Die Entscheidung des Gerichts, die Sicherungsverwahrung
gemäß § 66a Abs. 1 StGB vorzubehalten, bedeutet einen
schweren Eingriff für den Verurteilten. Aus diesem Grund
ist der Verurteilte über den Gegenstand der vorbehaltenen
Entscheidung sowie über den Zeitraum, auf den sich der
Vorbehalt erstreckt, zu belehren.
Zu Nummer 5 (§ 454 Abs. 2 Satz 3)
Es handelt sich im um eine Angleichung an den neu einge-
fügten § 454c StPO (vgl. Nummer 6) mit dem Ziel, für die
Strafprozessordnung einen neuen, einheitlichen Begriff ein-
zuführen. Wie die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist
auch die Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes
zur Bewährung von erheblicher Bedeutung für den Verur-
teilten. Der Terminus „Gelegenheit zur Mitwirkung“ lehnt
sich an die Formulierung in § 255a StPO an. Damit soll zum
Ausdruck gebracht werden, dass bei nachvollziehbaren und
gewichtigen Gründen auf eine Terminverschiebung einzuge-
hen ist. Auf diese Weise wird einerseits sichergestellt, dass
die Rechte des Verteidigers ausreichend gewahrt werden,
andererseits aber verhindert, dass er durch sein bloßes Fern-
bleiben den weiteren Gang des Verfahrens behindern kann.
Der ursprüngliche Satz 7 der Vorschrift bleibt unberührt und
wird nunmehr zu Satz 4.
Zu Nummer 6 (§ 454c)
Die Entscheidung über die vorbehaltene Sicherungsverwah-
rung trifft das Gericht (s. hierzu Nummer 7 sowie Artikel 3)
durch Beschluss. Die Strafvollstreckungskammer wird die
Sicherungsverwahrung nur dann anordnen, wenn ihr über
die dem erkennenden Gericht zum Urteilszeitpunkt zu-
grunde liegenden Erkenntnisse zur Frage der Gefährlichkeit
hinaus weitere Erkenntnisse vorliegen.
Absatz 2 des neuen § 454c StPO gewährleistet, dass die Be-
teiligten vor der Entscheidung mündlich angehört werden.
Die Regelung stellt klar, dass der Termin zur mündlichen
Anhörung ein einheitlicher Termin ist. Die Anwesenheit der
Staatsanwaltschaft, des Verurteilten und der Vollzugsanstalt
ist dabei zwingend. Sinn und Zweck ist, dass sich sowohl
das Gericht als auch die Staatsanwaltschaft im Rahmen des
mündlichen Anhörungstermins ein eigenes Bild von dem
Verurteilten machen sollen. Dazu bedarf es auch der Anhö-
rung der Vollzugsanstalt. Dem Verteidiger soll ein Mitwir-
kungsrecht an dieser Anhörung zukommen.

Absatz 3 regelt die Einholung eines Sachverständigengut-
achtens einschließlich der mündlichen Anhörung des
Sachverständigen. Der Termin zur mündlichen Anhörung
des Sachverständigen kann mit dem unter Absatz 2 geregel-
ten Anhörungstermin zusammenfallen; eine solche Vorge-
hensweise empfiehlt sich grundsätzlich aus prozessökono-
mischen Erwägungen. Zwingend ist dies jedoch nicht, die
Termine können je nach Sachlage auch auseinanderfallen.
Um zu gewährleisten, dass der Sachverständige nicht be-
reits aufgrund seines Umgangs mit dem Verurteilten wäh-
rend des Strafvollzugs voreingenommen ist, ist zwingend
vorgesehen, dass es sich bei dem Sachverständigen um ei-
nen externen Gutachter handeln muss. Sinn und Zweck der
Regelung ist es sicherzustellen, dass die Entscheidung über
die Anordnung der Sicherungsverwahrung auf einer mög-
lichst objektiven Grundlage getroffen wird.
Der ohnehin geltende Amtsermittlungsgrundsatz für das Be-
schlussverfahren in § 454c StPO soll durch eine Regelung in
§ 454c Abs. 4 StPO ausdrücklich klargestellt werden. Es soll
hier ein Signal gesetzt und die Bedeutung der Entscheidung
für den Betroffenen hervorgehoben werden. Damit wird
deutlich gemacht, dass das Beschlussverfahren hier nicht
hinter den Anforderungen einer Hauptverhandlung zurück-
steht, was die Aufklärung des Sachverhaltes angeht.
Eine entsprechende Anwendbarkeit des § 453c StPO mit
dem Ziel, dass bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die
Anordnung der Sicherungsverwahrung die Sicherungshaft
angeordnet werden kann, wurde bewusst nicht geregelt.
Dem Gericht steht ein ausreichender Zeitraum, nämlich
sechs Monate zuzüglich des verbleibenden Strafrestes, zur
Verfügung, um eine rechtskräftige Entscheidung zu erlassen.
Zu Nummer 7 (§ 462a Abs. 1 Satz 1)
Durch die vorgeschlagene Ergänzung wird die Zuständig-
keit der Strafvollstreckungskammer für die Entscheidung
über die Anordnung der Sicherungsverwahrung geregelt.
Für die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer an-
stelle des erkennenden Gerichts sprechen erhebliche prakti-
sche Gesichtspunkte. In der Regel wird eine Sicherungsver-
wahrung und hier eine „vorbehaltene“ Sicherungsverwah-
rung nicht bei Verurteilungen zu nur kurzfristigen Freiheits-
strafen in Betracht kommen. Bei längeren Freiheitsstrafen
aber wird sich die Strafvollstreckungskammer im Laufe des
Vollzugs in der Regel mit dem Verurteilten befassen und da-
her am besten in der Lage sein, über den Vorbehalt der Si-
cherungsverwahrung zu entscheiden.
Zu Artikel 3 (Änderung des Gerichtsverfassungsge-

setzes)
Zu Nummer 1 (§ 78b Abs. 1 Nr. 1)
Durch die Änderung des § 78b GVG ist sichergestellt, dass
die Strafvollstreckungskammer bei ihrer Entscheidung mit
drei Richtern besetzt ist. Damit wird der erheblichen Bedeu-
tung der Entscheidung für den Verurteilten Rechnung getra-
gen.
Zu Nummer 2 (§ 135 Abs. 2)
Da es sich bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung
um einen schwerwiegenden Eingriff für den Verurteilten
handelt, wird aus Gründen der Rechtsvereinheitlichung hin-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 9 – Drucksache 14/8586

sichtlich der Entscheidung über die sofortige Beschwerde
der Rechtsweg zum Bundesgerichtshof eröffnet.
Zu Artikel 4 (Änderung des Bundeszentralregister-

gesetzes)
Zu den Nummern 1 und 2 (§ 5 Abs. 1, § 12 Abs. 1)
Es handelt sich um Folgeänderungen zu Artikel 1 Nr. 3.
Zu Artikel 5 (Änderung des Gerichtskostengesetzes)
Für die Anordnung einer Maßregel der Besserung und
Sicherung durch Urteil entsteht eine Gebühr in Höhe von
41 Euro (Nummer 6110 Buchstabe c des Kostenverzeich-
nisses). Ist die Maßregel neben einer Strafe angeordnet wor-
den, so ist sowohl eine Gebühr für die Anordnung der Maß-
regel als auch für die Verhängung der Strafe zu zahlen (§ 40
Abs. 4 Satz 2 GKG). Aus Gründen der Gleichbehandlung
erscheint es daher sachgerecht, für den Beschluss, durch
den die Sicherungsverwahrung angeordnet wird, eine ent-
sprechende Gebühr zu schaffen.
Zu Artikel 6 (Änderung der Bundesgebührenord-

nung für Rechtsanwälte)
Zu den Nummern 1 und 2 (§§ 92a, 97 Abs. 1)
Die Auffangvorschrift des § 91 Nr. 1 BRAGO sieht einen
Gebührenrahmen von 15 bis 175 Euro vor. Für den bestell-

ten Verteidiger bedeutet dies eine Gebühr von 60 Euro (§ 97
Abs. 1 BRAGO). Im Hinblick auf die erhebliche Bedeutung
des Verfahrens über die Unterbringung in der Sicherungs-
verwahrung ist dieser Gebührenrahmen nicht angemessen.
Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit des
Rechtsanwalts durch Inhaftierung des Mandanten erschwert
ist und in jedem Falle eine mündliche Anhörung stattfindet.
Auf eine solche verhältnismäßig umfangreiche und für den
Mandanten bedeutsame Tätigkeit ist § 91 BRAGO nicht zu-
geschnitten.
Die Gebührenhöhe soll sich sowohl für das erstinstanzliche
Verfahren als auch für das Beschwerdeverfahren an dem
Gebührenrahmen für erstinstanzliche Strafverfahren vor der
großen Strafkammer (§ 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO) orien-
tieren.
Für den gerichtlich bestellten Verteidiger ist eine Gebühr,
die dem Fünffachen der Mindestgebühr des Wahlanwalts
entspricht, vorgesehen (300 Euro). Dies entspricht der Re-
gelung für den Verteidiger in der erstinstanzlichen Haupt-
verhandlung vor der großen Strafkammer, wenn sich der
Beschuldigte nicht auf freiem Fuß befindet (§ 97 Abs. 1
Satz 3 BRAGO).

Zu Artikel 7 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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