BT-Drucksache 14/5958

Gesetz zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Prostituierten

Vom 8. Mai 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

5958

14. Wahlperiode

08. 05. 2001

Gesetzentwurf

der Abgeordneten Anni Brandt-Elsweier, Christel Riemann-Hanewinckel,
Dr. Jürgen Meyer (Ulm), Margot von Renesse, Hermann Bachmaier, Bernhard
Brinkmann (Hildesheim), Ursula Burchardt, Dieter Dzewas, Sebastian Edathy,
Hans Forster, Arne Fuhrmann, Renate Gradistanac, Kerstin Griese, Hans-Joachim
Hacker, Alfred Hartenbach, Christel Humme, Anette Kramme, Christine
Lambrecht, Christine Lehder, Christa Lörcher, Winfried Mante, Dirk Manzewski,
Lothar Mark, Marlene Rupprecht, Dr. Hansjörg Schäfer, Wilhelm Schmidt
(Salzgitter), Richard Schuhmann (Delitzsch), Erika Simm, Wieland Sorge, Rolf
Stöckel, Joachim Stünker, Hedi Wegener, Hildegard Wester, Hanna Wolf
(München), Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), Gila
Altmann (Aurich), Marieluise Beck (Bremen), Angelika Beer, Grietje Bettin, Annelie
Buntenbach, Ekin Deligöz, Franziska Eichstädt-Bohlig, Katrin Dagmar
Göring-Eckardt, Rita Grießhaber, Winfried Hermann, Antje Hermenau, Kristin
Heyne, Monika Knoche, Cem Özdemir, Werner Schulz (Leipzig), Christian Simmert,
Hans-Christian Ströbele, Helmut Wilhelm (Amberg), Kerstin Müller (Köln),
Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation
der Prostituierten

A. Problem

Prostitution, d. h. die gewerbsmäßige Ausübung sexueller Handlungen, ist in
der Bundesrepublik Deutschland eine rechtlich zulässige Tätigkeit. Schätzun-
gen zufolge gehen ihr in Deutschland etwa 400 000 Personen – überwiegend
Frauen – nach, ihre Dienste werden täglich von über einer Million Männer in
Anspruch genommen.

Nach der bisherigen überwiegenden Rechtsprechung werden die zwischen den
Prostituierten und ihren Kunden geschlossenen Vereinbarungen als sittenwidrig
und damit als zivilrechtlich nicht wirksam bewertet. Aus dieser Einschätzung
ergeben sich rechtliche Benachteiligungen für die Betrof fenen. Prostituierten
bleibt der Zugang zur Arbeitslosen-, zur gesetzlichen Krankenversicherung so-
wie in aller Regel zur Rentenversicherung verschlossen.

Nach geltendem Strafrecht wird bereits das Schaf fen besonders günstiger und
angenehmer Arbeitsbedingungen für Prostituierte als Förderung der Prostitu-
tion sanktioniert.
Drucksache

14/

5958

– 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

B. Lösung

Durch die gesetzgeberische Klarstellung, dass das Entgelt für die Tätigkeit der
Prostituierten zivilrechtlich wirksam vereinbart werden kann, sollen diese Be-
nachteiligungen aufgehoben werden. Den Prostituierten soll zudem der Zugang
zu den Sozialversicherungssystemen und durch die Änderung im Strafgesetz-
buch ein angemessenes Arbeitsumfeld ermöglicht bzw. erleichtert werden.

C. Alternativen

Keine

D. Kosten

Für die Haushalte des Bundes und der Länder entstehen keine Mehrkosten.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 –

Drucksache

14/

5958

Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation
der Prostituierten

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

§ 1

Sind sexuelle Handlungen gegen ein vorher vereinbartes
Entgelt vorgenommen worden, so begründet diese V erein-
barung eine rechtswirksame Forderung. Das Gleiche gilt,
wenn sich eine Person, insbesondere im Rahmen eines Be-
schäftigungsverhältnisses, für die Erbringung derartiger
Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt für eine
bestimmte Zeitdauer bereithält.

§ 2

Die Forderung kann nicht abgetreten und nur im eigenen
Namen geltend gemacht werden. Gegen eine Forderung ge-
mäß § 1 Satz 1 kann nur die vollständige, gegen eine Forde-
rung nach § 1 Satz 2 auch die teilweise Nichterfüllung, so-
weit sie die vereinbarte Zeitdauer betrifft, eingewendet wer-

den. W eitere Einwendungen oder Einreden sind ausge-
schlossen.

Artikel 2

Änderung des Strafgesetzbuches (StGB)

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntma-
chung vom 10. März 1987 (BGBl. I S. 945), zuletzt geän-
dert durch …, wird wie folgt geändert:

§ 180a

Die Überschrift wird wie folgt gefasst: „Ausbeutung von
Prostituierten“.

Absatz 1 Ziffer 2 wird ersatzlos gestrichen.

Artikel 3

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am … in Kraft.

Berlin, den 8. Mai 2001

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion
Drucksache

14/

5958

– 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeine Begründung

1. Gesellschaftliche Realität

Prostitution ist in der Bundesrepublik Deutschland gesetz-
lich nicht verboten.

Nach seriösen Schätzungen gibt es in Deutschland etwa
400 000 Personen, die der Prostitution nachgehen, überwie-
gend sind dies Frauen.

Prostituierte sind tätig in Bordellen, Clubs, auf der Straße
und in privaten W ohnungen. Ihre Dienste werden täglich
von über einer Million Männer in Anspruch genommen.
Damit werden jährlich Umsätze in zweistelliger Milliarden-
höhe erzielt. Der Staat erhebt auf die Einkünfte der Prostitu-
ierten Steuern.

Dennoch sind Prostituierte weitgehend rechtlos und werden
aufgrund ihrer Tätigkeit diskriminiert. Dadurch werden sie
ins „Milieu“ gedrängt und zu einem Doppelleben gezwun-
gen. Ein Ausstieg wird ihnen erschwert.

2. Rechtliche Benachteiligung

2.1 Sittenwidrigkeit

Nach zurzeit überwiegender Auf fassung der Rechtspre-
chung zu § 138 Abs. 1 BGB wird eine V ereinbarung zwi-
schen Freiern und Prostituierten als sittenwidrig bewertet.
Als Maßstab für die guten Sitten dient nach einer vom
Reichsgericht 1901 entwickelten Formel „das Anstandsge-
fühl aller billig und gerecht Denkenden“ (RGZ 48, S. 114,
124). Die Einstufung als gemeinschaftsschädlich beruht in
erster Linie auf einem bis heute nicht korrigierten Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1965, in der die
Prostitution mit der Betätigung als Berufsverbrecher gleich-
gestellt wurde (BVerwGE 22, S. 286, 289).

Diese Bewertung entspricht nicht mehr der heutigen Zeit
und wird von weiten T eilen der Bevölkerung nicht geteilt.
Dies hat insbesondere eine Umfrage er geben, die das V er-
waltungsgericht Berlin im Rahmen eines V erfahrens (35 A
570.99) durchgeführt hat. Die meisten der befragten gesell-
schaftlichen Organisationen sehen die Prostitution nicht als
sittenwidrig an. In einer dimap-Umfrage aus dem Jahr 1999
sprachen sich 68 % der Befragten dafür aus, Prostitution
rechtlich anzuerkennen. In der Juristischen Literatur wird
ebenfalls vermehrt die Auf fassung vertreten, dass die Pros-
titution nicht sittenwidrig ist (z. B. Manssen in v. Mangoldt,
Klein, Stark, Kommentar zum GG, 4. Auflage, Artikel 12
Abs. 1, Rn. 39, Scholz in Maunz-Dürig, Kommentar zum
GG, September 1981, Artikel 12, Rn. 24). Auch in der
Rechtsprechung bahnt sich ein Umdenken an. So hat das
Verwaltungsgericht Berlin entschieden, dass die Prostitution
heute nicht mehr als sittenwidrig anzusehen ist (VG Berlin,
Urt. v. 1. Dezember 2000, 35 A 570.99).

Die bisherige Bewertung als sittenwidrig in der herrschen-
den Rechtsprechung hat schwerwiegende Folgen für die
materielle und soziale Existenzsicherung der Betroffenen.

2.2 Kein Anspruch auf das vereinbarte Honorar

Prostituierte haben wegen der Nichtigkeit der zwischen ih-
nen und den Kunden getrof fenen Vereinbarungen keinen
rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Bezahlung ihrer Tä-
tigkeit.

2.3 Keine Aufnahme in die Sozialversicherung

Prostituierte haben über ihre Tätigkeit derzeit keinen bzw .
keinen unmittelbaren Zugang zur Sozialversicherung. Sie
haben keinen Anspruch auf Pflichtversicherung in der ge
setzlichen Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung
sowie der Rentenversicherung.

2.4 Strafrechtliche Sanktionen

Gute Arbeitsbedingungen für Prostituierte, z. B. in Lu-
xus-Bordellen und Sauna-Clubs, sind die Ausnahme. Sol-
che Einrichtungen sind von Strafverfolgung und Schließung
bedroht, denn wer in seinem/ihrem Betrieb mehr als das
„bloße Gewähren von W ohnung, Unterkunft oder Aufent-
halt“ bietet, macht sich wegen „Förderung der Prostitution“
strafbar (§ 180a Abs. 1 Nr. 2 StGB).

Als prostitutionsfördernd gilt z. B. eine gehobene und dis-
krete Atmosphäre, ein aufwendiges Ambiente, ein hoher
Hygiene-Standard, die freie Entscheidung hinsichtlich der
Bedienung von Freiern etc.

Die strafrechtliche Sanktionierung der Förderung der Pros-
titution durch § 180a Abs. 1 Nr. 2 StGB schränkt die Eigen-
verantwortlichkeit der Prostituierten ein und verhindert die
Schaffung bestmöglicher Rahmenbedingungen für die Aus-
übung ihrer Tätigkeit.

3. Rechtspolitische Konsequenzen

Der Gesetzgeber will durch den vorliegenden Entwurf die
rechtliche Stellung der Prostituierten – nicht die der Kun-
den, der Bordellbetreiber und anderer – verbessern.

Durch die Verbesserung der rechtlichen Stellung der Prosti-
tuierten soll den in diesem Bereich oftmals vorherrschenden
kriminellen Begleiterscheinungen, die auch dem Bereich
der Organisierten Kriminalität zugerechnet werden müssen,
die Grundlage entzogen werden.

Hierzu wird im Gesetz eindeutig geregelt, dass Prostituierte
einen Anspruch auf das vereinbarte Entgelt haben, wenn sie
ihre Leistung erbracht haben. Die V ereinbarung verstößt
nicht gegen die guten Sitten. Eine Anwendung von § 138
Abs. 1 BGB auf diese Vereinbarung soll damit ausgeschlos-
sen werden.

Indem hierbei der Weg eines einseitig verpflichtenden er-
trages gewählt wurde, wird deutlich gemacht, dass es dem
Gesetzgeber um Rechtsansprüche der Prostituierten, nicht
aber um Rechtsansprüche zugunsten von Kunden und Bor -
dellbetreibern gegen die Prostituierten geht. Die Prostitu-
ierte soll nach dem Willen des Gesetzgebers u. a.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 –

Drucksache

14/

5958

– keine Kündigungsfrist einhalten müssen, um ein Be-
schäftigungsverhältnis beenden zu können,

– keinen Ansprüchen auf V ornahme der sexuellen Hand-
lungen bzw. Ansprüchen wegen angeblicher „Schlecht-
leistung“ ausgesetzt sein,

– keinem Direktionsrecht des Bordellbetreibers unterlie-
gen, das über die Bestimmung von Ort und Zeit hinaus-
geht (z. B. keine freie Auswahl der Kunden).

Durch die Streichung des § 180a Abs. 1 Nr. 2 im Strafge-
setzbuch wird Prostituierten die Möglichkeit gewährt, recht-
lich abgesichert und unter angemessenen Bedingungen frei-
willig im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses in
Bordellen oder auch selbständig tätig zu sein. Die Ausbeu-
tung oder unzumutbare Beeinflussung von Prostituierte
bleibt weiterhin strafbar (§ 180a Abs. 1 Ziffer 1 und § 181a
StGB). Ebenso bleibt der Schutz von Minderjährigen ge-
währleistet.

Gleichzeitig soll die soziale Benachteiligung der Prostitu-
ierten abgebaut werden, indem die im Entwurf vorgesehene
gesetzliche Regelung den Zugang zu den Sozialversiche-
rungen ermöglicht bzw. erleichtert.

Prostituierte, die in Bordellen, Clubs oder ähnlichen Ein-
richtungen arbeiten, erfüllen heute schon typische Merk-
male abhängig Beschäftigter.

Der 12. Senat des Bundessozialgerichts geht in seinem Ur -
teil vom 10. August 2000 (Az.: B 12 KR 21/98 R) im Falle
eines Mitarbeiters eines Unternehmens, das Online-Dialoge
mit sexuellem Inhalt im Bildschirmtextsystem anbietet,
davon aus, dass eine V ersicherungs- und Beitragspflich
besteht: Es sei kein Grund ersichtlich, selbst sittenwidrige
Beschäftigungsverhältnisse von vornherein vom Schutz
der Sozialversicherung auszunehmen, zumal sie von der
Rechtsordnung geduldet würden. Insofern ist der Zugang
zur Sozialversicherung bereits heute möglich.

Die Streichung von § 180a Abs. 1 Nr . 2 soll die Einbe-
ziehung Prostituierter in die Sozialversicherung zusätzlich
absichern.

Derzeit scheitert der Zugang zur Sozialversicherung fak-
tisch daran, dass ein Bordellbesitzer , bei dem Prostituierte
unter Bedingungen arbeiten, die ein sozialversicherungs-
pflichtiges Beschäftigungsverhältnis darstellen, sich u. U.
nach § 180a Abs. 1 Nr. 2 strafbar macht.

Rechtlich würde der Verstoß gegen das Strafrecht und da-
mit gegen ein gesetzliches Verbot eine Sozialversicherungs-
pflicht nicht automatisch ausschließen, da nur der Bordell
besitzer sich strafbar macht, nicht aber die Prostituierte. Da
das Strafrecht den Schutz der Prostituierten bezweckt,
würde dieser Schutzzweck unterlaufen werden, wenn man
eine Sozialversicherungspflicht verneint, nur weil der Bo -
dellbesitzer gegen dieses Verbot verstößt.

Die Strafbarkeit macht allerdings in der Praxis den Zugang
zur Sozialversicherung unmöglich, weil kein Bordellbesit-
zer Prostituierte bei der Sozialversicherung meldet, wenn er
sich selbst hierdurch der Gefahr der Strafverfolgung aus-
setzt. Dieses Problem wird mit der Streichung des § 180a
Abs. 1 Nr. 2 behoben.

Die Änderung weiterer Strafvorschriften ist dafür nicht er -
forderlich. Insbesondere stehen die T atbestandsmerkmale

der persönlichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeit in
§ 180a Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch einem Beschäftigungs-
verhältnis nicht entgegen. Die V oraussetzungen des § 180a
Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch liegen nur vor, wenn die Pros-
tituierten in dieser Abhängigkeit „gehalten“ werden, also
einseitig, d. h. gegen ihren freien W illen, durch Druck oder
sonstige gezielte Einwirkung eine entsprechende Abhängig-
keit herbeigeführt oder aufrechterhalten wird oder die Pros-
tituierten an einer Selbstbefreiung bzw . Loslösung aus die-
sem Abhängigkeitsverhältnis gehindert werden (vgl. Lenck-
ner, in: Schönke-Schröder , Kommentar zum Strafgesetz-
buch, 25. Auflage, § 180a, Rn. 8; Fischer , in: T röndle/
Fischer, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 49. Auflage
§ 180a, Rn. 4).

Die Strafbarkeit des Bestimmens der Umstände der Prosti-
tutionsausübung in § 181a Abs. 1 Nr . 2 Strafgesetzbuch
steht der Sozialversicherungspflicht ebenfalls nicht ent
gegen, da das Bestimmen ein einseitiges V orgehen voraus-
setzt. Eine freiwillig getrof fene Vereinbarung über Ort und
Zeit der Prostitutionsausübung, also ein einvernehmlich
begründetes rechtlich wirksames Beschäftigungsverhältnis,
das Prostituierten eine jederzeitige Selbstbefreiung bzw .
Loslösung aus dieser vertraglichen Beziehung ermöglicht,
fällt nicht unter den T atbestand des § 181a Abs. 1 Nr . 2
Strafgesetzbuch.

Daher genügt die Streichung des § 180a Abs. 1 Nr. 2, um zu
gewährleisten, dass ein Bordellbesitzer, der eine bei ihm be-
schäftigte Prostituierte zur Sozialversicherung anmeldet,
sich nicht automatisch der Strafverfolgung aussetzt.

Auch die Regelung in Artikel 1 bringt unzweifelhaft zum
Ausdruck, dass der Zugang zur Sozialversicherung nicht an
der Frage der Sittenwidrigkeit scheitern darf – unabhängig
davon, ob diese Frage als entscheidungsrelevant angesehen
wird oder nicht (vgl. die Entscheidung des Bundessozialge-
richts vom 10. August 2000, B 12 KR 21/98 R).

Für die Annahme eines sozialversicherungspflichtigen Be
schäftigungsverhältnisses reicht es aus, dass faktisch eine
abhängige Tätigkeit ausgeübt wird, die

– durch ein eingeschränktes Direktionsrecht des „Arbeit-
gebers“ bei einem Höchstmaß an Eigenverantwortung
der Prostituierten,

– einer gewissen Eingliederung in den Betrieb und

– die Freiwilligkeit der Tätigkeit

gekennzeichnet ist. Spezielle Regelungen im Sozialrecht
sind daher nicht erforderlich.

Mit dem Zugang zu den Sozialversicherungssystemen wird
neben dem individuellen Vorteil für die Prostituierten auch
ein gesellschaftlicher Vorteil erzielt: Durch die Einzahlung
in die Sozialversicherungssysteme finanzieren die abhängi
beschäftigten Prostituierten ihre Existenzsicherung bei
Krankheit, Arbeitslosigkeit oder im Alter mit, ohne – wie
dies bisher nahezu ausnahmslos der Fall ist – in diesen Fäl-
len auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen zu
sein.

Prostituierte sollen jederzeit die Möglichkeit haben aus ih-
rer Tätigkeit „auszusteigen“, z. B. indem sie Umschulungs-
maßnahmen in Anspruch nehmen können. Eine gesonderte
Regelung im Sozialgesetzbuch ist hierzu nicht notwendig.
Bereits das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Sep-
Drucksache

14/

5958

– 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

tember 1991 (S 66 Ar 923/90) zum Arbeitsförderungsgesetz
bestätigt, dass Arbeitszeiten in der Prostitution beruflich
Tätigkeiten im Sinne des Arbeitsförderungsgesetzes und da-
her bei Anträgen auf eine Förderung für Umschulungsmaß-
nahmen zu berücksichtigen sind.

Folgeänderungen im Gaststättengesetz, soweit dort auf
„Unsittlichkeit“ abgestellt wird, sind nicht erforderlich: Ar -
tikel 1 des Gesetzentwurfs stellt klar , dass bei entgeltlichen
sexuellen Handlungen nicht mehr automatisch von Unsitt-
lichkeit ausgegangen werden kann (vgl. auch Urteil des VG
Berlin vom 1. Dezember 2000).

B. Zu den einzelnen Vorschriften

Zu Artikel 1

Nach der bisherigen Rechtsprechung ist eine V ereinbarung,
in der die geschuldete Leistung in der Ausübung sexueller
Handlungen gegen Entgelt besteht, wegen V erstoßes gegen
die guten Sitten nichtig. Unter Hinweis auf diese Begrün-
dung wurden durch die Rechtsprechung sowohl die Arbeit-
nehmereigenschaften als auch die Annahme eines fakti-
schen Beschäftigungsverhältnisses der Prostituierten ne-
giert.

Eine Klarstellung ist dahin gehend notwendig, Prostituier -
ten, die freiwillig ihre Tätigkeit anbieten, rechtlichen Schutz
zu gewähren. Ihre Tätigkeit wird vom Gesetzgeber nicht als
gegen die guten Sitten verstoßend gewertet. § 138 Abs. 1
BGB ist insoweit nicht mehr anwendbar.

Das Rechtsverhältnis zwischen Prostituierten und Kunden
ist als einseitig verpflichtender ertrag geregelt: Die Kun-
den können aus diesem V ertrag keine Ansprüche auf sexu-
elle Leistungen gegenüber der Prostituierten herleiten. Die
Bordellbetreiber haben nur eingeschränkte Ansprüche ge-
genüber der Prostituierten hinsichtlich der vereinbarten Ar -
beitszeit und dem vereinbarten Arbeitsort. Die Prostituierte
behält auch gegenüber dem Bordellbetreiber ein Höchstmaß
an Eigenverantwortung, insbesondere die freie Auswahl der
Kunden und die Bestimmung, welche Art von sexuellen
Dienstleistungen sie erbringt.

§ 1 regelt daher, dass es zur Erlangung eines vorher verein-
barten Entgelts nicht der tatsächlichen Erbringung der sexu-
ellen Handlung bedarf, wenn die V ereinbarung darauf ge-
richtet ist, dass sich die Prostituierte für eine bestimmte
Zeitdauer zur V erfügung stellt. Eine solche V ereinbarung
liegt z. B. vor, wenn die Prostituierte mit einem Bordellbe-
treiber eine bestimmte „Arbeitszeit“ vereinbart. Ausrei-
chend ist die T atsache, dass sich die Prostituierte im Rah-
men der vereinbarten Zeitdauer zur V erfügung gestellt hat.
Sofern sie gegen diese V ereinbarung verstößt, ist dies ge-
mäß § 2 eine (teilweise) Nichterfüllung.

Die Forderung kann nach § 2 Satz 1 nicht abgetreten wer -
den. Hierdurch wird verdeutlicht, dass es dem Gesetzgeber
um die Besserstellung von Prostituierten, nicht aber Dritter ,
insbesondere von Zuhältern geht. Diesen soll kein Erpres-
sungspotential in die Hand gegeben werden.

Ausgeschlossen ist nach § 2 Satz 1 nur die Abtretung. Eine
unmittelbare Entstehung der Forderung bei einer anderen
Person als der Prostituierten, in der Regel einem Bordellbe-
treiber, durch einen direkten Vertragschluss zwischen Kun-
den und dem Bordellbetreiber, ist möglich. Dies betrifft die
Konstellation, dass eine vorherige V ereinbarung zwischen
Prostituierter und Bordellbesitzer über eine pauschal zu zah-
lende Summe („Gehalt“) getrof fen wurde und daher der
Bordellbetreiber die V erträge mit den Kunden schließt.
Dann erhält die Prostituierte ihr „Festgehalt“ vom Bordell-
betreiber und dieser das Geld von den Kunden. Das Abtre-
tungsverbot steht in diesen Fällen einer unmittelbaren Zah-
lung der Kunden an den Bordellbesitzer nicht entgegen.

Gegen den Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Entgelts
kann der Kunde gegenüber der Prostituierten nur die voll-
ständige Nichterfüllung der sexuellen Handlung einwenden.
Weitere Einwendungen und Einreden können weder im Ver-
hältnis zwischen Prostituierter und Kunde noch zwischen
Prostituierter und Bordellbetreiber geltend gemacht werden.

Damit kann der Kunde sich z. B. nicht darauf berufen, die
Leistung sei „nicht gut“ gewesen. Des W eiteren soll insbe-
sondere ausgeschlossen werden, dass Bordellbetreiber Pros-
tituierte zunächst in Schulden verstricken und dann die
Rückzahlungsforderung aus den Schulden gegen den Ent-
geltanspruch der Prostituierten aufrechnen können. Hiermit
soll verhindert werden, dass Prostituierten der Ausstieg er -
schwert wird oder sie indirekt gezwungen werden können,
ihre Schulden „abzuarbeiten“.

Zu Artikel 2

Durch die Streichung des § 180a Abs. 1 Ziffer 2 StGB wird
Prostituierten die Möglichkeit gewährt, rechtlich abge-
sichert und unter angemessenen Bedingungen freiwillig als
abhängig Beschäftigte in Bordellen oder auch selbständig
tätig zu sein.

Daran knüpft sich die Erwartung, dass schlechte Arbeitsbe-
dingungen z. B. in Eros-Centern, beseitigt werden. Der Her-
stellung besserer Arbeitsbedingungen steht kein gesetzli-
ches Verbot mehr entgegen.

Damit haben Bordellbetreiber nunmehr die Möglichkeit, die
bei ihnen freiwillig und ohne Ausbeutung beschäftigten
Prostituierten bei der Sozialversicherung anzumelden, ohne
sich der Gefahr der Strafverfolgung wegen Förderung der
Prostitution auszusetzen.

Die Ausbeutung oder unzumutbare Beeinflussung der Be
troffenen bei der Ausübung der Prostitution bleibt weiterhin
strafbar (§ 180a Abs. 1 Ziffer 1 und § 181a StGB). Ebenso
bleibt der Schutz von Minderjährigen gewährleistet.

Die Änderung der Überschrift ist eine Folge der Streichung.

Zu Artikel 3

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.