Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.04.2018, Az. 5 StR 611/17

5. Strafsenat | REWIS RS 2018, 11073

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Gegenstand

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln: Erforderlichkeit einer förmlichen Einziehung der beim Angeklagten sichergestellten Betäubungsmittelerlöse


Leitsatz

Hat ein Angeklagter wirksam auf die Rückgabe bei ihm sichergestellter Betäubungsmittelerlöse verzichtet, bedarf es auch aufgrund der seit 1. Juli 2017 geltenden §§ 73 ff. StGB regelmäßig keiner förmlichen Einziehung.

Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 8. September 2017 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte und vom [X.] vertretene Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich allein dagegen, dass weder Betäubungsmittel noch Verkaufserlöse eingezogen worden sind. Sie bleibt erfolglos.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s hielt der Angeklagte Ende Februar 2017 eine Menge von 55 kg Marihuana sowie 537,1 g Amphetamine zum gewinnbringenden Verkauf vorrätig. Bis 11. April 2017 verkaufte er von dem Marihuana 4.312,7 g. Die übrigen Betäubungsmittel wurden am genannten Tag durch die Polizei ebenso sichergestellt wie 5.230 Euro Verkaufserlös. Der glaubhaft geständige Angeklagte hat in der Hauptverhandlung auf die Rückgabe der sichergestellten Gegenstände verzichtet. [X.]m Hinblick darauf hat das [X.] davon abgesehen, eine Einziehungsentscheidung zu treffen.

3

2. Die Revision der Staatsanwaltschaft meint, nach den seit 1. Juli 2017 geltenden §§ 73 ff. [X.] sei das [X.] verpflichtet gewesen, die sichergestellten Betäubungsmittel und Gelder trotz des Verzichts des Angeklagten förmlich einzuziehen. Zudem habe es die ihm obliegende Prüfung versäumt, ob der Angeklagte durch die Marihuanaverkäufe über die von ihm als Erlös bezeichneten 5.230 Euro hinaus Einnahmen erzielt habe.

4

3. Das wirksam beschränkte Rechtsmittel bleibt erfolglos. Eine Verpflichtung, die von der Staatsanwaltschaft begehrten Einziehungsentscheidungen zu treffen, besteht nicht (dazu [X.]). Es ist von Rechts wegen auch nicht zu beanstanden, dass das [X.] nicht erörtert hat, ob der Angeklagte aus den Verkäufen mehr als den genannten Betrag erlangt hat (dazu [X.]. b).

5

a) Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass es der Anordnung der Einziehung bzw. des Verfalls sichergestellter Gegenstände regelmäßig nicht bedarf, wenn ein Angeklagter auf deren Rückgabe wirksam verzichtet hat (siehe nur [X.], Urteil vom 27. Juli 2005 – 2 [X.]; Beschlüsse vom 18. November 2015 – 2 StR 399/15, [X.], 83, 84, und vom 6. Juni 2017 – 2 [X.]; BayObLG, [X.], 51; KG, [X.], 358, 359). Der [X.] sieht keinen Anlass, von dieser in der forensischen Praxis bewährten Handhabung abzuweichen.

6

aa) Hinsichtlich einer Einziehung der sichergestellten Betäubungsmittel ist ohnehin die bis 30. Juni 2017 geltende Rechtslage maßgeblich. Nach Art. 316h [X.] sind lediglich die durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 ([X.] [X.] 2017, [X.]) neu gefassten Bestimmungen zur Einziehung von Taterträgen (§§ 73 ff. [X.]; hier des Verkaufserlöses), nicht also die der Einziehung von [X.], [X.] und [X.] nach §§ 74 ff. [X.] auch auf vor ihrem [X.]nkrafttreten verübte Taten anwendbar. Die insoweit geltenden neuen Regelungen sind für den Angeklagten nicht milder (§ 2 Abs. 1, 3 und 5 [X.]). Ein tragfähiger Grund, die bisherige Rechtsprechung zum weiterhin anzuwendenden Einziehungsrecht zu ändern, ergibt sich nicht.

7

bb) Für die dem neuen Recht unterliegende Einziehung der Taterlöse gilt Folgendes:

8

(1) Soweit die Beschwerdeführerin ihre Ansicht darauf stützt, nach dem Wortlaut des § 73 Abs. 1 [X.] („ordnet an“) sei die Einziehung zwingend, zeigt sie kein tragfähiges Argument auf. Zwar räumt die Norm dem Gericht kein Ermessen ein. [X.]nsofern gilt aber nichts anderes als bei ihrer Vorgängervorschrift (§ 73 Abs. 1 Satz 1 [X.] aF). Bewusst gestrichen hat der Gesetzgeber freilich die Härtevorschrift (§ 73c [X.] aF), die es unter bestimmten Voraussetzungen gestattete, eine Verfallsanordnung ganz oder teilweise zu unterlassen. Eine der in dieser – den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (siehe hierzu [3]) konkretisierenden Regelung – vorgesehenen Konstellationen ist jedoch in § 421 StPO eingestellt worden. Diese Vorschrift sieht im Übrigen – wie zuvor § 430 Abs. 1 StPO aF – weitere prozessuale Möglichkeiten vor, von einer Einziehung abzusehen.

9

(2) Maßgebliche Bedeutung für die Auslegung kommt vorliegend dem aus den Gesetzesmaterialien erkennbaren Willen des Gesetzgebers zu. Danach schränkt die „Neufassung der Vorschrift … die Möglichkeit der ‚formlosen Einziehung‘ des [X.] nicht ein“ (BT-Drucks. 18/9525, [X.] unter Bezugnahme auf die Analyse der tatgerichtlichen Praxis der sogenannten außergerichtlichen Einziehung bei [X.], [X.] in der Praxis 2. Aufl. Rn. 422 ff.). Ferner hat der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, das Recht der Vermögensabschöpfung zu vereinfachen sowie Gerichte und Staatsanwaltschaften zu entlasten (vgl. etwa BT-Drucks. 18/9525, [X.], 48, 54 f. und 59). Dem würde es zuwiderlaufen, den Tatgerichten die Pflicht aufzuerlegen, durch im Urteil zu begründende Entscheidung auch Gegenstände einzuziehen, auf deren Rückgabe der Angeklagte wirksam verzichtet hat.

(3) Hinzu kommt, dass eine derartige Anordnung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzen würde. Dieser verlangt, dass jede staatliche Maßnahme geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein muss (vgl. [X.], NJW 1985, 121, 122 ff.; [X.]/[X.], 27. Aufl., [X.]. Abschn. [X.] Rn. 96 f.). Hat aber ein Angeklagter – wie hier – wirksam den aus seinem früheren Besitz erwachsenden Herausgabeanspruch bezüglich des durch Drogengeschäfte erlangten Geldes aufgegeben, so ginge dessen Einziehung ins Leere und wäre mithin ungeeignet, ihr Ziel zu erreichen. Denn da der Angeklagte nach § 134 BGB am Kauferlös kein Eigentum erwerben konnte (hierzu [X.] NStZ 2017, 497, 500), könnte ihm mehr als das Besitzrecht auch nach § 73 [X.] nicht entzogen werden. Einer dennoch vorgenommenen Einziehungsanordnung käme ihm gegenüber nur deklaratorische Bedeutung zu (vgl. [X.], NStZ 1993, 452; BayObLG, [X.], 51).

[X.]m Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist es etwa bei Entscheidungen nach § 55 Abs. 2 [X.] in vergleichbarer Weise anerkannt, dass es des [X.] einer der dort genannten Rechtsfolgen nicht bedarf, sofern diese bereits mit der Rechtskraft des einbezogenen Judikats wirksam geworden ist. Dies wird beispielsweise für die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 [X.]; siehe nur [X.], Beschlüsse vom 28. Oktober 2009 – 2 [X.], [X.], 58, und vom 18. November 2015 – 4 [X.]) und für Einziehungsanordnungen angenommen ([X.], Beschluss vom 2. Juni 2005 – 3 [X.]; Urteil vom 20. Juli 2016 – 2 StR 18/16, [X.], 368, 369; jeweils zu den §§ 74 ff. [X.] aF). Ein Fall der einen Eingriff in das Eigentum eines [X.] (§ 74b [X.]) wird in Bezug auf die Drogenerlöse kaum je vorliegen.

(4) Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Einwand der Revisionsführerin, ohne formale Einziehungsentscheidung käme es zu keinem staatlichen Eigentumserwerb (§ 75 [X.]). Dies trifft in dieser Allgemeinheit im Blick auf die Erwerbsmöglichkeiten nach bürgerlichem Recht nicht zu (vgl. insbesondere § 948 BGB). Zudem ist der Einwand bei einer Konstellation wie der vorliegenden ohne praktische Bedeutung. Fälle, in denen sich ein Betäubungsmittelerwerber an die Strafverfolgungsbehörden wendet, um von diesen das seinem „Dealer“ als Kaufpreis hingegebene Geld ausgezahlt zu bekommen, sind dem [X.] nicht bekannt geworden. Einem derartigen Ansinnen bräuchte selbst dann nicht entsprochen zu werden, wenn das Geld im Eigentum des Betreffenden stünde. Vielmehr wäre gegen ihn – sofern nicht sogar ein Anfangsverdacht des Handeltreibens besteht – ein Ermittlungsverfahren wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG) einzuleiten. [X.]n diesem Verfahren könnte das zum Kauf verwendete Geld nach § 74 Abs. 1 und 3 Satz 1 [X.] mit der Folge des [X.] auf den Staat eingezogen werden.

(5) Schließlich würde das von der Beschwerdeführerin erstrebte [X.] einem Angeklagten die Möglichkeit nehmen, sich – durch eine entsprechende Verzichtserklärung glaubhaft dokumentiert – von seiner Tat zu distanzieren und das Tatgericht so unter dem Gesichtspunkt gezeigter Reue zu einer milderen Strafe zu bewegen (zu diesem Strafmilderungsgrund [X.], Beschluss vom 4. Februar 2010 – 1 StR 3/10, [X.], 152; BayObLG, [X.], 51; Brauch, NStZ 2013, 503, 504). Demgemäß hat das [X.] dem Angeklagten auch im vorliegenden Verfahren den freiwillig erklärten Verzicht im Rahmen der Strafzumessung zugute gehalten.

b) Von der seitens der Beschwerdeführerin vermissten Prüfung, ob der Angeklagte aus seinen Betäubungsmittelgeschäften mehr als 5.230 Euro erzielt hat, war das [X.] freilich nicht schon infolge des insoweit erklärten Verzichts entbunden. Die diesbezügliche – revisionsgerichtlicher Überprüfung nur eingeschränkt zugängliche (vgl. [X.], Urteil vom 10. Dezember 2014 – 5 StR 413/14) – Beweiswürdigung zu den erzielten Verkaufserlösen weist jedoch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf; sie ist insbesondere nicht lückenhaft.

Das [X.] hat seinen Feststellungen das umfassende Geständnis des Angeklagten zugrunde gelegt. Es hat dessen durch erhobene Beweismittel bestätigte Angaben als insgesamt glaubhaft angesehen. Den unterdurchschnittlichen Wirkstoffgehalt des gehandelten Rauschgifts von 6,6 % hat es der kriminaltechnischen Untersuchung des sichergestellten Marihuanas entnommen. Soweit die Beschwerdeführerin in ihrer Revisionsbegründungsschrift und der [X.] in seiner Antragsschrift Umstände anführen, die ihrer Ansicht nach weiterer Aufklärung bedurft hätten, wäre für die revisionsgerichtliche Prüfung eine entsprechende Verfahrensrüge erforderlich gewesen; eine solche ist nicht erhoben worden.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO.

Mutzbauer     

      

Sander     

      

[X.]

      

König     

      

Berger     

      

Meta

5 StR 611/17

10.04.2018

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hamburg, 8. September 2017, Az: 2 Ss 78/17

§ 73 StGB vom 13.04.2017, §§ 73ff StGB vom 13.04.2017, § 29 Abs 1 S 1 Nr 1 BtMG, §§ 29ff BtMG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.04.2018, Az. 5 StR 611/17 (REWIS RS 2018, 11073)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 11073

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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