Bundessozialgericht, Urteil vom 12.12.2018, Az. B 12 R 15/18 R

12. Senat | REWIS RS 2018, 561

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Sozialversicherung - Säumniszuschlag - Arbeitgeber - Kenntnis von der Beitragspflicht - Verschulden - Erhebung ab Eintritt der Kenntnis oder verschuldeten Unkenntnis


Leitsatz

1. Die Säumniszuschläge auslösende Kenntnis von der Beitragspflicht liegt vor, wenn der Arbeitgeber die seine Beitragsschuld begründenden Tatsachen kennt und zumindest als Parallelwertung in der Laiensphäre nachvollzieht, dass eine Beschäftigung vorliegt, die Beitragspflicht nach sich zieht.

2. Die fehlende Kenntnis von der Zahlungspflicht ist dann nicht unverschuldet, wenn dem Arbeitgeber wenigstens bedingter Vorsatz vorzuwerfen ist.

3. Säumniszuschläge sind ab Eintritt der Kenntnis oder verschuldeten Unkenntnis von der Beitragspflicht zu erheben.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 30. August 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 4419 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Erhebung von Säumniszuschlägen auf eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen streitig.

2

Die klagende GmbH betreibt ein Busunternehmen mit speziell für einen 24-stündigen Aufenthalt ausgestatteten Reisebussen. Sie beschäftigte eigene Fahrer und zog regelmäßig ergänzend weitere Fahrer (sog [X.]) heran, die sie als selbstständig behandelte und nicht zur Sozialversicherung anmeldete. Auch der Beigeladene zu 1. war mit Unterbrechungen in der [X.] vom 17.10.2006 bis zum 18.11.2009 wiederholt als [X.] für die Klägerin tätig. Nach einer Betriebsprüfung für die Jahre 2006 bis 2009 forderte die Beklagte von der Klägerin insgesamt 54 303,03 [X.] Sozialversicherungsbeiträge einschließlich Säumniszuschlägen von 14 480,50 [X.] für die Tätigkeit von sechs [X.]n nach, davon entfiel auf den Beigeladenen zu 1. ein Betrag von 19 737,21 [X.] einschließlich 7432 [X.] Säumniszuschläge (Bescheid vom [X.], Widerspruchsbescheid vom 2.4.2012).

3

Das [X.] hat die Verfahren hinsichtlich vier Fahrer abgetrennt und die Klage abgewiesen (Urteil vom 24.6.2014). Im Berufungsverfahren hat das L[X.] das Verfahren bezüglich eines weiteren [X.]s abgetrennt. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem L[X.] ihre Forderung gegen den Beigeladenen zu 1. auf 16 643,53 [X.] einschließlich Säumniszuschlägen von 4419 [X.] reduziert. Sodann hat das L[X.] das Urteil des [X.] geändert, die angefochtenen Bescheide hinsichtlich der auf den Beigeladenen zu 1. entfallenden Säumniszuschläge aufgehoben und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen. Die Beitragsnachforderung sei wegen der abhängigen Beschäftigung des Beigeladenen zu 1. für die Klägerin nicht zu beanstanden. Allerdings sei die für die Erhebung von Säumniszuschlägen für die Vergangenheit erforderliche vorsätzliche Unkenntnis des Geschäftsführers der Klägerin von der [X.] nicht feststellbar. Der [X.] bestimme sich nicht nach § 276 BGB. Da sowohl § 25 Abs 2 [X.]B IV als auch § 14 Abs 2 [X.]B IV nach der Rechtsprechung des B[X.] mindestens bedingten Vorsatz erforderten, gelte dieser Maßstab auch für § 24 Abs 2 [X.]B IV (Urteil vom 30.8.2017).

4

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 24 Abs 2 [X.]B IV. Diese Vorschrift definiere nicht selbst den [X.], so dass nach der Rechtsprechung des 13. Senats des B[X.] (Urteil vom [X.] - B 13 R 67/09 R - [X.] 4-2400 § 24 [X.]) § 276 BGB heranzuziehen sei, der für ein Verschulden bereits leichte Fahrlässigkeit ausreichen lasse. Dem ständen die Entscheidungen des erkennenden Senats vom [X.] ([X.] KR 3/04 R - [X.] 4-2400 § 14 [X.]) und vom 9.11.2011 ([X.] R 18/09 R - B[X.]E 109, 254 = [X.] 4-2400 § 14 [X.]) nicht entgegen. Nur diese Auslegung entspreche dem Zweck des § 24 [X.]B IV, der nicht sanktionieren, sondern Druck auf säumige Beitragszahler ausüben solle, einen standardisierten Mindestschadensausgleich enthalte und Zinscharakter habe. Es bestehe eine Parallele zu § 28r [X.]B IV, in dessen Anwendungsbereich die Einzugsstelle Vorsatz und jede Fahrlässigkeit zu vertreten habe. Die Klägerin habe kein Verfahren zur Feststellung der Sozialversicherungspflicht des Beigeladenen zu 1. eingeleitet und damit fahrlässig gehandelt.

5

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.] vom 30. August 2017 aufzuheben, soweit der Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. April 2012 und des Änderungsbescheids vom 30. August 2017 aufgehoben worden ist, und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 24. Juni 2014 hinsichtlich des Beigeladenen zu 1. insgesamt zurückzuweisen.

6

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

7

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).

9

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den angegriffenen vorinstanzlichen Entscheidungen der mit der Anfechtungsklage zulässig angefochtene Bescheid der Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] und des in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] erlassenen Änderungsbescheids vom 30.8.2017 (§§ 96, 153 Abs 1 SGG), mit dem (noch) Säumniszuschläge von 4419 Euro gefordert werden. Ob diese Säumniszuschläge dem Grunde und der Höhe nach zu Recht festgesetzt worden sind, kann der [X.] nicht abschließend entscheiden. Zwar liegen die objektiven Voraussetzungen zur Erhebung von Säumniszuschlägen für die Vergangenheit vor (dazu 1.). Mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen kann der [X.] jedoch nicht beurteilen, ob und - wenn ja - für welchen [X.]raum die [X.]lägerin unverschuldet keine [X.]enntnis von der [X.] hatte (dazu 2.).

1. Gemäß § 24 Abs 1 [X.] [X.] in der seit 1.1.2002 unveränderten Fassung des [X.] vom [X.] ([X.] 1983) ist für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des [X.] gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von eins vom Hundert des rückständigen, auf 50 Euro nach unten abgerundeten Betrags zu zahlen. Die objektiven Voraussetzungen für die Erhebung von Säumniszuschlägen, deren Vorliegen die Beklagte nachzuweisen hat, sind hier erfüllt. Die von der [X.]lägerin aufgrund des von ihr nicht angefochtenen und damit rechtskräftigen Urteils des [X.] für die Beschäftigung des Beigeladenen zu 1. in der [X.] vom 17.10.2006 bis zum 18.11.2009 geschuldeten Beiträge hat sie nicht rechtzeitig gezahlt.

2. Wird eine Beitragsforderung - wie hier - durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist nach § 24 Abs 2 [X.] in der seit 1.1.2001 unveränderten Fassung des [X.] vom [X.] ([X.] 1983) ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der [X.]ner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine [X.]enntnis von der Zahlungspflicht hatte. Diese Ausnahmeregelung setzt voraus, dass (a) der [X.]ner keine [X.]enntnis von seiner Zahlungspflicht hat, (b) die Unkenntnis nicht verschuldet ist, (c) ihm auch [X.]enntnis oder Verschulden einer anderen Person nicht zurechenbar ist und (d) die unverschuldete Unkenntnis ununterbrochen bis zur Festsetzung der Säumniszuschläge durch Bescheid bestanden hat. Dazu hat das [X.] weitere Feststellungen (e) unter Berücksichtigung des Grundsatzes der objektiven Beweislast (f) zu treffen.

a) Eine Exkulpation nach § 24 Abs 2 [X.] ist ausgeschlossen, wenn der säumige [X.]ner [X.]enntnis von seiner Zahlungspflicht hatte (vgl [X.] vom 17.4.2008 - [X.] R 123/07 R - [X.], 215 = [X.]-2400 § 25 [X.], Rd[X.]2). Während "[X.]enntnis" nach seinem Wortsinn das Wissen von einer Tatsache bedeutet ([X.] Onlinewörterbuch, Stichwort [X.]enntnis recherchiert am 23.10.2018), ist dem Begriff der "Zahlungspflicht" über das Wissen der sie begründenden Tatsachen hinaus eine rechtliche Wertung iS des Erkennens einer konkreten Verhaltensanforderung immanent (ähnlich zur Meldepflicht im [X.] [X.] vom [X.] - B 11a/11 AL 81/04 R - [X.], 8 Rd[X.]9 = [X.]-4300 § 140 [X.], Rd[X.]6). [X.]enntnis von der Zahlungspflicht nach § 24 Abs 2 [X.] ist damit das sichere Wissen darum, rechtlich und tatsächlich zur Zahlung von Beiträgen verpflichtet zu sein (so bereits zu § 25 [X.] [X.] Urteil vom 16.12.2015 - [X.] R 11/14 R - [X.], 209 = [X.]-2400 § 28p [X.], Rd[X.]5). Sie liegt bei einem nach § 28e [X.] zahlungspflichtigen Arbeitgeber vor, wenn er die seine [X.] begründenden Tatsachen kennt, weil er zumindest als Parallelwertung in der [X.] nachvollzieht, dass einerseits Beschäftigung vorliegt, die andererseits die Beitragspflicht nach sich zieht. Das Wissen um die (bloße) Möglichkeit der Beitragserhebung steht dem sicheren Wissen um die rechtliche und tatsächliche Verpflichtung zur Beitragszahlung hingegen nicht gleich ([X.] vom 16.12.2015 - [X.] R 11/14 R - [X.], 209 = [X.]-2400 § 28p [X.], Rd[X.]8). Ein Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft schließt die [X.]enntnis aus (ähnlich zum Straftatbestand des § 266a StGB: [X.] Urteil vom 24.1.2018 - 1 StR 331/17 - Juris; vgl auch [X.] Urteil vom 5.3.1986 - 2 StR 666/85 - Juris).

b) Allein das Fehlen der [X.]enntnis von der [X.] steht der Festsetzung von Säumniszuschlägen noch nicht entgegen. Vielmehr sind Säumniszuschläge nur dann nicht zu erheben, wenn die Unkenntnis unverschuldet ist. Dieses ([X.] bestimmt sich nicht nach § 276 [X.], sondern setzt - wie das [X.] zutreffend ausgeführt hat - aufgrund eines eigenständigen Verschuldensmaßstabs wenigstens bedingten Vorsatz voraus (vgl [X.] vom [X.] - [X.] [X.]R 3/04 R - [X.]-2400 § 14 [X.] Rd[X.] 36; [X.] in [X.] 2018, Säumniszuschläge Rd[X.]6). Hierfür sprechen der Wortlaut des § 24 Abs 2 [X.] (1), systematische Erwägungen (2) und der Zweck der Säumniszuschläge (3). Mit diesem Auslegungsergebnis widerspricht der erkennende [X.] nicht der Rechtsprechung des 13. [X.]s (4).

(1) § 24 Abs 2 [X.] verwendet den Begriff "unverschuldet", während § 276 [X.] zur Bestimmung der Verantwortlichkeit eines Schuldners für Pflichtverletzungen festlegt, dass dieser Vorsatz und Fahrlässigkeit "zu vertreten" hat. Die unterschiedliche Formulierung legt es nahe, dass § 24 Abs 2 [X.] nicht auf § 276 [X.] Bezug nimmt und der Verschuldensmaßstab der Sozialrechtsnorm nicht zwingend mit demjenigen des Zivilrechts übereinstimmen muss.

(2) Dass entgegen der Ansicht der Beklagten und einzelner Landessozialgerichte ([X.] Nordrhein-Westfalen Urteil vom [X.] - L 16 R 49/08 - Juris; [X.] Niedersachsen-Bremen Urteil vom [X.] - L 2 R 327/15 - Juris; Sächsisches [X.] Urteil vom [X.] [X.]R 228/11 - Juris) sowie der in der Literatur (Segebrecht in jurisP[X.]-[X.], 3. Aufl 2016, § 24 Rd[X.]0; [X.] in [X.]/[X.]/Waltermann, [X.]ommentar zum Sozialrecht, 5. Aufl 2017, § 24 Rd[X.] 8; Wagner in BeckO[X.] [X.], Stand 1.9.2018, § 24 Rd[X.]2; [X.] in [X.]/[X.], [X.], Stand April 2018, [X.] § 24 Rd[X.]1; [X.] in [X.]asseler [X.]ommentar, Stand Juli 2017, § 24 [X.] Rd[X.] 46; [X.]/[X.], Risiken des Arbeitgebers in der Betriebsprüfung, 2016, Rd[X.]83 f, ähnlich [X.] in [X.], [X.]ommentar zum [X.], 3. Aufl 2018, § 24 Rd[X.]3) - zum Teil ohne nähere Begründung - vertretenen Meinung nicht auf einen aus § 276 [X.] abzuleitenden, im Privat- und öffentlichen Recht allgemein geltenden Verschuldensgrundsatz (vgl [X.] in [X.] [X.]ommentar zum [X.], 7. Aufl 2016, § 276 Rd[X.], [X.] in [X.], [X.], Stand März 2014, § 276 Rd[X.]1) zurückzugreifen ist, wird durch die Gesetzessystematik bestätigt. Danach ist für die Bestimmung des Verschuldensmaßstabs in § 24 Abs 2 [X.] ebenso wie nach § 14 Abs 2 [X.] und § 25 Abs 1 S 2 [X.] auf bedingten Vorsatz abzustellen.

Das [X.] normiert unterschiedliche Rechtsverhältnisse und knüpft dabei an jeweils eigenständige [X.] an. § 28r [X.] regelt die Schadensersatzpflicht der Einzugsstelle oder des Rentenversicherungsträgers gegenüber (anderen) Sozialversicherungsträgern im Fall einer schuldhaften Pflichtverletzung und ordnet insoweit eine Haftung für vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten an (vgl [X.] vom 7.11.1996 - 12 R[X.] 9/96 - [X.] 3-2400 § 28r [X.] S 5 f; BT-Drucks 11/2221 [X.] f zu § 28r). Für den das Rechtsverhältnis der Beschäftigten zu ihren Arbeitgebern kennzeichnenden Beitragsabzug bestimmt § 28g [X.], dass nur der ohne Verschulden des Arbeitgebers unterbliebene Abzug des Arbeitnehmeranteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag vom Arbeitsentgelt auch später als bei den drei nächsten Lohn- und Gehaltszahlungen nachgeholt werden kann, es sei denn, der Beschäftigte ist ua seinen Pflichten nach § 28o Abs 1 [X.] vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen. § 24 Abs 2 [X.] betrifft hingegen die rückwirkende Beitragsfestsetzung durch die Einzugsstelle oder den Sozialversicherungsträger und damit (ua) deren Verhältnis zum Arbeitgeber als zahlungspflichtiger Schuldner rückständiger Beiträge. Für die rückwirkende Erhebung von Beiträgen bei Arbeitgebern gelten neben § 24 Abs 2 [X.] auch die Regelungen des § 25 Abs 1 S 2 [X.] über die Verjährung vorsätzlich vorenthaltener Beiträge und des § 14 Abs 2 [X.] über das bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen zugrunde zu legende Arbeitsentgelt. Beide Vorschriften setzen zumindest bedingten Vorsatz voraus ([X.] vom 9.11.2011 - [X.] R 18/09 R - [X.], 254 = [X.]-2400 § 14 [X.]3, Rd[X.]6, 25 ff; [X.] vom [X.] - [X.] [X.]R 14/99 R - [X.] 3-2400 § 25 [X.] S 35 f; [X.] vom 16.12.2015 - [X.] R 11/14 R - [X.], 209 = [X.]-2400 § 28p [X.], Rd[X.]4). § 24 Abs 2 [X.] bildet zusammen mit § 14 Abs 2 und § 25 Abs 1 S 2 [X.] einen einheitlichen [X.] mit der Folge eines einheitlichen Haftungsmaßstabs.

(3) Gestützt wird diese Auslegung durch teleologische Aspekte. Es entspricht nicht der Zielsetzung des Gesetzgebers, für das Verschulden bereits Fahrlässigkeit ausreichen zu lassen. Säumniszuschläge sanktionieren eine verspätete Beitragszahlung. Durch sie soll - ähnlich einem Zwangsgeld - einerseits Druck auf den Zahlungspflichtigen ausgeübt werden, fällige Beiträge rechtzeitig zu zahlen (vgl [X.] vom 2.11.2015 - [X.] R 35/14 R - Juris Rd[X.]1 mwN; [X.] vom [X.] [X.]R 3/11 R - [X.], 268 = [X.]-2400 § 24 [X.], Rd[X.]5; [X.] vom 17.5.2001 - [X.] [X.]R 32/00 R - [X.], 146, 152 = [X.] 3-2400 § 24 [X.]), und es den Sozialversicherungsträgern andererseits ermöglicht werden, ihren Leistungsaufgaben fristgerecht nachzukommen ([X.] vom 12.2.2004 - [X.] RJ 28/03 R - [X.], 150 = [X.]-2400 § 24 [X.] Rd[X.]1). Die mit der Erhebung von Säumniszuschlägen angestrebte Drucksituation bleibt aber unspezifisch und ist nicht zur Durchsetzung der rechtzeitigen Zahlung im Einzelfall geeignet, wenn der Zahlungspflichtige keinen hinreichenden Anhaltspunkt für seine [X.] hat. Unter Berücksichtigung des bei der Festsetzung von Säumniszuschlägen zu beachtenden verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips (vgl [X.] vom [X.] [X.]R 3/11 R - [X.], 268 = [X.]-2400 § 24 [X.], Rd[X.]1; zum [X.] gemäß §§ 233a, 238 AO vgl [X.] Beschluss vom [X.] - [X.]/18 - [X.]E 260, 431) kann der Zweck der Säumniszuschläge, die rechtzeitige Zahlung der Beiträge durchzusetzen, rechtmäßig nur erreicht werden, wenn der betroffene Arbeitgeber seine Zahlungspflicht zumindest für möglich hält und billigend in [X.]auf nimmt.

Das gilt umso mehr, als die Ausnahmeregelung des § 24 Abs 2 [X.] unbillige Härten vermeiden soll ([X.] vom [X.] - [X.] R 67/09 R - [X.]-2400 § 24 [X.] Rd[X.]2 mwN), die entstehen würden, wenn Säumniszuschläge auch für [X.]en vor der Festsetzung von Sozialversicherungsbeiträgen erhoben werden müssten, obwohl der [X.]ner unverschuldet keine [X.]enntnis von seiner Zahlungspflicht hatte. Für die Härtefallregelung bliebe aber kaum ein denkbarer Anwendungsbereich, wenn bereits fahrlässiges Verhalten, insbesondere durch die unterbliebene Einleitung eines Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a [X.] oder fehlende Herbeiführung einer Entscheidung der Einzugsstelle nach § 28h [X.], die unverschuldete Unkenntnis ausschließen würde. Das fakultativ ausgestaltete Statusfeststellungsverfahren würde entgegen dem Gesetzeswortlaut des § 7a Abs 1 [X.] [X.] faktisch obligatorisch.

(4) Das hier gefundene Auslegungsergebnis widerspricht nicht der Rechtsprechung des 13. [X.]s. Danach steht zwar der unverschuldeten Unkenntnis von der Zahlungspflicht sowohl fahrlässiges als auch vorsätzliches Verhalten iS des § 276 [X.] entgegen ([X.] vom [X.] - [X.] R 67/09 R - [X.]-2400 § 24 [X.] Rd[X.]3). Allerdings betreffen sowohl diese Entscheidung als auch die darin in Bezug genommenen Urteile vom 17.4.2008 ([X.] R 123/07 R - [X.], 215 = [X.]-2400 § 25 [X.]), vom [X.] ([X.] R 48/06 R - [X.], 227 = [X.]-2600 § 186 [X.]) und vom 12.2.2004 ([X.] RJ 28/03 R - [X.], 150 = [X.]-2400 § 24 [X.]) die analoge Anwendung des § 24 Abs 2 [X.] auf den Sonderfall der Nachversicherung nach §§ 8, 181 ff [X.] durch die [X.] und einzelne Bundesländer als Träger öffentlicher Verwaltung. Diese Rechtsprechung ist auf die nach einer Statuszuordnung als abhängige Beschäftigung vom Arbeitgeber wegen rückwirkend festgesetzter Beiträge erhobenen Säumniszuschläge nicht übertragbar. Mangels Identität der Rechtsfrage in der hier zu entscheidenden Sache und einer früheren Entscheidung des 13. [X.]s liegt eine Abweichung iS des § 41 Abs 2 SGG als Voraussetzung einer Anfrage beim 13. [X.] nicht vor (vgl [X.] vom 16.12.2014 - [X.] V 6/13 R - [X.]-7945 § 3 [X.] Rd[X.]2). Für angefochtene Statuszuordnungen nebst festgesetzter Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge ist nach der Geschäftsverteilung des [X.] allein der erkennende [X.] zuständig.

c) Ist eine juristische Person des Privatrechts - wie die hier klagende GmbH - [X.]nerin, kommt es zunächst auf die [X.]enntnis oder unverschuldete Unkenntnis zumindest eines Mitglieds eines Organs von der Beitragspflicht an. Wissen und Verschulden eines vertretungsberechtigten [X.] ist als dasjenige des Organs anzusehen und damit auch der juristischen Person zuzurechnen (vgl [X.] vom 16.12.2015 - [X.] R 11/14 R - [X.], 209 = [X.]-2400 § 28p [X.], Rd[X.]6 mwN). Das gleiche gilt nach dem Rechtsgedanken der §§ 166, 278 [X.] für andere zum Vertreter der juristischen Person bestellte natürliche Personen, sofern sie eigenverantwortlich mit der sozialversicherungsrechtlichen Bewertung einer Tätigkeit für die juristische Person und der Erfüllung ihrer Zahlungspflicht betraut sind (vgl [X.] Urteil vom 28.2.2012 - VI ZR 9/11 - Juris Rd[X.]3 f). Auch die [X.]enntnis und das Verschulden weiterer im Rahmen einer betrieblichen Hierarchie verantwortlicher Personen kann der betroffenen juristischen Person zuzurechnen sein, wenn keine Organisationsstrukturen geschaffen wurden, um entsprechende Informationen aufzunehmen und intern weiterzugeben (vgl [X.] vom 16.12.2015 - [X.] R 11/14 R - [X.], 209 = [X.]-2400 § 28p [X.], Rd[X.]6 mwN).

d) Säumniszuschläge sind für die Vergangenheit ab [X.]enntnis oder verschuldeter Unkenntnis zu erheben. § 24 Abs 2 [X.] sieht eine Exkulpation des Zahlungspflichtigen nur vor, "soweit" er eine unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht glaubhaft macht. Damit kann eine unverschuldete Unkenntnis auch lediglich hinsichtlich eines Teils der [X.] - auch in zeitlicher Hinsicht - bestehen. Säumniszuschläge sind deshalb nur für die [X.] nach der Fälligkeit der geschuldeten Beiträge zu erheben, in der keine unverschuldete Unkenntnis (mehr) vorliegt, der [X.]ner also positive [X.]enntnis von seiner Zahlungspflicht oder seine Unkenntnis verschuldet hat.

e) Ob die [X.]lägerin auf der Grundlage dieser Maßstäbe Säumniszuschläge zu zahlen hat, kann der [X.] nicht abschließend entscheiden. Das [X.] hat zwar festgestellt, dass einen Geschäftsführer der [X.]lägerin jedenfalls im [X.]punkt der Fälligkeit der Beiträge kein Verschulden traf. Es fehlt aber an Feststellungen dazu, ob dieser Geschäftsführer auch nicht zu einem späteren [X.]punkt [X.]enntnis von der Zahlungspflicht erlangte oder diese billigend in [X.]auf nahm.

Gelangt das [X.] zu der Feststellung, dass dieser Geschäftsführer der [X.]lägerin durchgehend unverschuldet keine [X.]enntnis von der Zahlungspflicht hatte, keine weiteren Geschäftsführer bestellt waren oder - falls doch - diese ebenso durchgehend kein Verschulden traf, hat es zu klären, ob der als Zeuge gehörte Disponent oder eine andere Person für die Beurteilung der Zahlungspflicht zumindest mitverantwortlich war. Nach den festgestellten Angaben des gehörten [X.] ging dessen Funktion als Mitgesellschafter der [X.]lägerin über diejenige eines einfachen [X.] hinaus. Das [X.] hat daher zu ermitteln, ob er oder weitere im Unternehmen der [X.]lägerin tätige Personen eigenverantwortlich mit der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. betraut waren oder ihre [X.]enntnis vom Bestehen oder jedenfalls der Möglichkeit der Zahlungspflicht intern hätten weitergeben müssen. Das [X.] hat den [X.]enntnisstand der als maßgeblich ermittelten Personen festzustellen, gegebenenfalls deren Verschulden im zeitlichen Verlauf zu prüfen und bei entsprechenden Anhaltspunkten ein Organisationsverschulden der [X.]lägerin zu klären.

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren hat das [X.] insbesondere die vom [X.] bekundete [X.]enntnis vom Urteil des [X.]s vom [X.] (vgl [X.] [X.]R 21/07 R - Juris) zu beachten. Zwar ist das [X.] zutreffend davon ausgegangen, dass nach der Veröffentlichung der Entscheidungsgründe eines einschlägigen Urteils ein sicheres Wissen um die Zahlungspflicht nicht ohne Weiteres unterstellt werden kann (vgl [X.] vom 16.12.2015 - [X.] R 11/14 R - [X.], 209 = [X.]-2400 § 28p [X.] 6, Rd[X.]8; [X.] vom 4.9.2018 - [X.] R 4/17 R - Juris Rd[X.]8), sondern im Einzelfall zu prüfen ist, und berechtigte Zweifel an der Versicherungsfreiheit für die [X.]enntnis von der Zahlungspflicht nicht ausreichen (vgl [X.] vom 13.8.1996 - 12 R[X.] 76/94 - [X.] 3-2400 § 25 [X.], Juris Rd[X.]5). Es kann aber im Rahmen bedingten Vorsatzes vorwerfbar sein, wenn ein Arbeitgeber bei Unklarheiten hinsichtlich der versicherungs- und beitragsrechtlichen Beurteilung einer Erwerbstätigkeit darauf verzichtet, die Entscheidung einer fachkundigen Stelle herbeizuführen (vgl [X.] vom 9.11.2011 - [X.] R 18/09 R - [X.], 254 = [X.]-2400 § 14 [X.]3, Rd[X.] 33; [X.] vom [X.] - [X.] [X.]R 20/14 R - [X.]-2400 § 7 [X.]9, Rd[X.] 35). Allerdings darf nicht das gesamte Risiko der Einordnung komplexer sozialversicherungsrechtlicher Wertungsfragen den Arbeitgebern überantwortet werden (vgl [X.] vom 18.11.2015 - [X.] R 7/14 R - Juris Rd[X.]7), so dass sich [X.] verbieten. Es bedarf deshalb der individuellen Überprüfung des bedingten Vorsatzes unter sorgfältiger Beweiswürdigung im Einzelfall (vgl [X.] vom 4.9.2018 - [X.] [X.]R 11/17 R - Juris Rd[X.]6, zur Veröffentlichung in [X.]E und [X.] vorgesehen).

f) Für die unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht trägt die [X.]lägerin die objektive Beweislast. § 24 Abs 2 [X.] ist als Ausnahme von der Erhebung von Säumniszuschlägen ausgestaltet, so dass derjenige beweispflichtig ist, der sich auf die rechtsbegründenden Tatsachen der Ausnahme beruft (vgl [X.] vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R - [X.]E 102, 111 = [X.]-2700 § 8 [X.]9, Rd[X.] 30 ff). Dabei genügt der abgesenkte Beweisgrad der Glaubhaftmachung.

3. Die [X.]ostenentscheidung bleibt der Entscheidung durch das [X.] vorbehalten.

4. Der Streitwert für das Revisionsverfahren ist gemäß § 197a Abs 1 [X.] Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 [X.], § 52 Abs 1 und 3 [X.], § 47 Abs 1 [X.] G[X.]G in Höhe der noch streitigen Forderung festzusetzen.

Meta

B 12 R 15/18 R

12.12.2018

Bundessozialgericht 12. Senat

Urteil

Sachgebiet: R

vorgehend SG Münster, 24. Juni 2014, Az: S 14 R 294/12, Urteil

§ 24 Abs 1 S 1 SGB 4 vom 21.12.2000, § 24 Abs 2 SGB 4 vom 21.12.2000, § 28e SGB 4, § 276 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 12.12.2018, Az. B 12 R 15/18 R (REWIS RS 2018, 561)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 561

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 StR 331/17

IX B 21/18

VI ZR 9/11

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