Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 08.11.2016, Az. 1 BvR 935/14

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2016, 2808

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen länderübergreifende Beauftragung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (§ 276 Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB V ) - Anforderungen an die Substantiierung der Verfassungsbeschwerde (§§ 23 Abs 1 S 2, 92 BVerfGG) bzgl der Rüge einer Verletzung des Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 GG) - hier: mangelnde Aktivlegitimation eines Krankenhauses bzgl der allgemeinen Persönlichkeitsrechte ihrer Patienten - teils unzureichende Substantiierung


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

1. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob für die Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme des [X.] (Medizinischer Dienst) zur Prüfung der Not[X.]digkeit einer stationären Behandlung eines Patienten aus einem [X.]land, der bei einer Betriebskrankenkasse mit Sitz in diesem [X.]land versichert ist, der Medizinische Dienst dieses [X.]landes ausschließlich zuständig ist oder von der Krankenkasse nach ihrer Wahl auch der Medizinische Dienst in einem anderen [X.]land, also länderübergreifend beauftragt werden darf.

2

2. Die Beschwerdeführerin - ein Krankenhaus in [X.] - hat vor den Sozialgerichten erfolglos gegen eine Verurteilung zur Herausgabe der Behandlungsunterlagen eines Patienten an den Medizinischen Dienst in [X.] mit der Argumentation geklagt, dass für alle Prüfaufgaben, die dem Medizinischen Dienst durch den Gesetzgeber in § 275 Sozialgesetzbuch [X.] ([X.]) zugewiesen seien, kraft bundesgesetzlicher Vorgabe allein eine verbandliche beziehungsweise föderale Zuständigkeit des [X.] entsprechend seiner föderalen Einrichtung auf Länderebene bestehe.

3

Das [X.] hat eine örtliche Begrenzung der Prüfungskompetenz des [X.] auf der Grundlage der in den §§ 275, 276 [X.] enthaltenen Regelungen über Aufgaben und Zuständigkeit des [X.] mit angegriffenem Urteil vom 17. Dezember 2013 verneint.

4

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 [X.] in Verbindung mit dem Rechtsstaats- und [X.] sowie aus Art. 3 Abs. 1 [X.].

5

Art. 2 Abs. 1 [X.] gewährleiste der Beschwerdeführerin als zugelassener Krankenhausträgerin den Schutz ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit; dieser umfasse nicht nur den Betrieb des Krankenhauses, sondern auch dessen bestimmungsgemäßes Wirken im Rahmen der Gesetze. Den Patienten der Beschwerdeführerin stehe das Grundrecht auf Achtung ihrer Intim- und Privatsphäre und auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 [X.]) zu. Die Beschwerdeführerin sei verpflichtet, diese Rechte ihrer Patienten zu respektieren und bei dem Umgang mit deren Daten zu beachten.

6

Mit seiner Auslegung des § 276 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 [X.], wonach die Krankenkassen den Medizinischen Dienst länderübergreifend beauftragen könnten, verkenne das [X.] die Bedeutung der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 [X.] in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem [X.]. Verfassungsrechtlich sei durch Art. 83 [X.] eine landesbezogene Aufgabenwahrnehmung der Medizinischen Dienste aufgrund der landesbezogenen Organisation vorgegeben.

7

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Grundrechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]), weil die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. [X.] 90, 22 <26>; 96, 245 <250>; 108, 129 <136>; stRspr).

8

1. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, sie sei in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt, die das bestimmungsgemäße Wirken im Rahmen der Gesetze garantiere, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Die Beschwerdeführerin beruft sich insoweit auf eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ihrer Patienten (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 [X.]). Damit rügt sie in der Sache die Verletzung der Rechte anderer.

9

Die Verfassungsbeschwerde ist für den Beschwerdeführer ein Rechtsbehelf zur Verteidigung eigener subjektiver Rechte (vgl. [X.] 15, 298 <301>; 43, 142 <147>). Zur Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gehört auch die schlüssige Behauptung des Beschwerdeführers, dass er selbst, gegenwärtig und unmittelbar durch die öffentliche Gewalt in seinen grundrechtlich geschützten Positionen verletzt sei (vgl. [X.] 53, 30 <48>; 79, 1 <14 f.>; 102, 197 <206 f.>; 123, 267 <329>). Die Beschwerdeführerin macht insoweit hinsichtlich des vordergründig gerügten Art. 2 Abs. 1 [X.] in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 [X.] im Ergebnis nicht eigene Grundrechte, sondern solche ihrer Patienten geltend.

2. Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde auch im Hinblick auf die Rüge einer Verletzung des Art. 3 Abs. 1 [X.], da sie nicht entsprechend den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] substantiiert und schlüssig die Möglichkeit der Verletzung spezifischen Verfassungsrechts aufzeigt. Nach diesen Vorschriften ist ein Beschwerdeführer gehalten, innerhalb der Beschwerdefrist die Grundrechtsverletzung durch Bezeichnung des angeblich verletzten Rechts und des die Verletzung enthaltenden Vorgangs substantiiert und schlüssig vorzutragen. Dabei hat er auch darzulegen, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. [X.] 99, 84 <87>; 108, 370 <386>).

Rügt ein Beschwerdeführer die Verletzung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 [X.]), so muss er Vergleichsgruppen bilden und vortragen, dass es sich bei den von ihm gebildeten Vergleichsgruppen um im Wesentlichen gleiche Sachverhalte handelt (vgl. [X.] 130, 151 <175>). Es muss plausibel dargelegt werden, wer in Bezug auf [X.] in welcher Weise benachteiligt wird. Die Verfassungsbeschwerde muss erkennen lassen, worin konkret ein individueller Nachteil liegt. Richtet sich der Angriff gegen eine Regelung, muss vorgetragen werden, zwischen welchen konkreten Vergleichsgruppen eine auch individuell nachteilig wirkende Ungleichbehandlung bestehen soll (vgl. [X.] 131, 66 <82>).

Diesen Anforderungen wird die Verfassungsbeschwerde nicht gerecht. Aus dem Vortrag der Beschwerdeführerin ergibt sich keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Prüfverfahren durch den Einsatz überörtlicher Medizinischer Dienste. Ein konkreter individueller Nachteil für die Beschwerdeführerin ist nicht erkennbar.

3. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet. Das angegriffene Urteil des [X.]s verletzt die Beschwerdeführerin nicht in ihren Grundrechten.

Das [X.] hat § 276 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 [X.] nach den allgemein anerkannten Auslegungsmethoden (vgl. [X.] 82, 6 <11>) ausgelegt. Es hat in nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass weder Wortlaut noch Systematik, Entstehungsgeschichte und Zielsetzung der gesetzlichen Regelungen Anhaltspunkte für die Annahme böten, dass die dem Medizinischen Dienst zugewiesenen Aufgaben ausschließlich nach räumlichen Wirkungskreisen wahrzunehmen seien. Das [X.] mache lediglich Vorgaben für die zwar grundsätzlich landesbezogene Organisationsstruktur des [X.] und für seine Finanzierung, schränke ansonsten aber die örtliche Zuständigkeit des [X.] nicht ein, sondern ermögliche an verschiedenen Stellen länderübergreifende Regelungen (vgl. § 281 Abs. 1 Satz 4 [X.]).

Die von der Beschwerdeführerin begehrte einschränkende Auslegung des § 276 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 [X.] ist auch verfassungsrechtlich nicht geboten.

Art. 83 [X.] ordnet zwar an, dass die Länder die [X.]gesetze als eigene Angelegenheit ausführen, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zulässt. Der Spielraum des [X.]gesetzgebers bei der Regelung der Ausführung der [X.]gesetze durch die Länder muss sich in den Grenzen der Art. 83 ff. [X.] halten (vgl. [X.] 137, 108 <148>). Für die Sozialversicherung besteht indessen eine Sonderregelung in Art. 87 Abs. 2 [X.] (vgl. [X.] 63, 1 <36>; 119, 331 <370>). Art. 87 Abs. 2 [X.] räumt ihm für die Organisation und das Verfahren der Krankenversicherung einen großen Spielraum ein. Vom körperschaftlichen Status der Sozialversicherungsträger abgesehen, macht das Grundgesetz dem [X.]gesetzgeber keine inhaltlichen Vorgaben zur organisatorischen Ausgestaltung der Sozialversicherung (vgl. [X.] 113, 167 <201>; ähnlich [X.] 89, 365 <377>). Die Organisationsbefugnis des [X.] berechtigt ihn auch, Verbindungen zwischen Sozialversicherungsträgern herzustellen oder länderüberschreitende Leistungsbeziehungen zu regeln (vgl. [X.] 113, 167 <201 f.>). Ein Verbot bundesgesetzlicher Regelung länderübergreifenden Zusammenwirkens in der Krankenversicherung besteht mithin nicht.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 935/14

08.11.2016

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BSG, 17. Dezember 2013, Az: B 1 KR 52/12 R, Urteil

Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 83 GG, Art 87 Abs 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 275 SGB 5, § 276 Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB 5

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 08.11.2016, Az. 1 BvR 935/14 (REWIS RS 2016, 2808)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 2808

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 BvR 1134/15 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Zur Beitragspflicht für Abfindungen einer berufsständischen Versorgungseinrichtung gem § 229 Abs 1 S 1 …


1 BvR 1877/15 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Unzureichende Substantiierung der Verfassungsbeschwerde bzgl eines Anspruchs auf implantologische Leistungen (§ 28 Abs 2 …


1 BvR 478/15 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Beitragspflicht zur Krankenversicherung der Rentner für Leistungen einer Pensionskasse in der Rechtsform eines Versicherungsvereins …


1 BvR 172/22 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde bzgl der fachgerichtlichen Auslegung des § 31 Abs 3a SGB V (RIS: …


1 BvR 909/22 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Parallelentscheidung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.