Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 22.07.2014, Az. 1 ABR 96/12

1. Senat | REWIS RS 2014, 3902

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Gegenstand

Mitbestimmung bei Fälligkeit - Gesetzesvorbehalt


Leitsatz

In der Pflegebranche sperrt die gesetzliche Fälligkeitsregelung des § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Fragen der Zeit der Auszahlung der Arbeitsentgelte nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG für das den Pflegekräften zu zahlende Mindestentgelt.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des [X.] vom 15. August 2012 - 4 [X.] 958/12 - aufgehoben.

Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des [X.] vom 29. Februar 2012 - 56 BV 17912/11 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass § 3 des Spruchs der Einigungsstelle vom 11. November 2011 über eine Betriebsvereinbarung über Art und Zeitpunkt der Auszahlung des Entgelts unwirksam ist.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer durch Spruch der Einigungsstelle beschlossenen Regelung über den Auszahlungstermin für die Vergütung.

2

Die Arbeitgeberin betreibt in [X.] eine Pflegeeinrichtung, für die der beteiligte Betriebsrat gewählt ist. Sie zahlt den dort beschäftigten Arbeitnehmern eine Vergütung, die höher ist als das in der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche ([X.] vom 15. Juli 2010 - PflegeArbbV - BAnz. 2010 Nr. 110 S. 2571) festgelegte Mindestentgelt. Durch Einigungsstellenspruch vom 11. November 2011 kam es zu einer „Betriebsvereinbarung über den Zeitpunkt und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte“. Darin ist - neben dem Geltungsbereich (§ 1), der Art der Zahlung (§ 2) und dem Inkrafttreten (§ 4) - bestimmt:

        

§ 3 Auszahlungstermin für Vergütung

        

Die Arbeitgeberin überweist den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen jeweils zum ersten des Folgemonats, die aus festen Bestandteilen bestehende monatliche Vergütung auf ein vom Arbeitnehmer mitzuteilendes Konto bei einem Geldinstitut. Im Laufe eines Monats verdiente variable Vergütungsbestandteile insbesondere Zeitzuschläge werden jeweils am ersten des übernächsten Monats auf dieses Konto überwiesen.“

3

Mit einem am 24. November 2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Arbeitgeberin den Einigungsstellenspruch angefochten und geltend gemacht, die Festlegung des [X.] für die Vergütung sei unwirksam. Die Einigungsstelle habe insoweit ihre Regelungskompetenz überschritten. Die gesetzliche Fälligkeitsbestimmung für das Mindestentgelt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV schließe ein dahingehendes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus.

4

Die Arbeitgeberin hat beantragt

        

festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 11. November 2011 über eine Betriebsvereinbarung über den Zeitpunkt und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte nichtig ist;

        

hilfsweise

        

festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 11. November 2011 über eine Betriebsvereinbarung über den Zeitpunkt und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte unwirksam ist.

5

Der Betriebsrat hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Er hat gemeint, § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV sei unwirksam; dem Verordnungsgeber fehle es insoweit an einer Regelungskompetenz. Ungeachtet dessen gelte die PflegeArbbV nicht für Betriebe, in denen eine über dem Mindestentgelt liegende Vergütung bezahlt werde. Auch sei die durch den Spruch der Einigungsstelle geregelte Fälligkeit für die Arbeitnehmer günstiger.

6

Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Das [X.] hat die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihr Begehren weiter.

7

B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Die Vorinstanzen haben ihre als ein Feststellungsbegehren zu verstehenden Anträge zu Unrecht abgewiesen.

8

I. Die Anträge sind zulässig.

9

1. Mit den auf Feststellung der Nichtigkeit und hilfsweise der Unwirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle vom 11. November 2011 gerichteten Anträgen hat die Arbeitgeberin von Anfang an nur ein Antragsziel verfolgt. Aus der zur Antragsauslegung heranzuziehenden Antragsbegründung und ihrem sonstigen Vorbringen ergibt sich, dass sie sich allein gegen § 3 des Spruchs der Einigungsstelle wendet. Das hat ihr Verfahrensbevollmächtigter im Termin zur Anhörung vor dem Senat ebenso klargestellt wie den Umstand, dass mit dem Feststellungsbegehren der Nichtigkeit keine über die Teilanfechtung des Spruchs hinausgehende Rechtsfolge erstrebt wird.

2. Gegen die so verstandene Teilanfechtung des Spruchs der Einigungsstelle vom 11. November 2011 bestehen keine Bedenken. Sie bezieht sich auf eine eigenständige Teilregelung. Das Feststellungsbegehren ist die zutreffende Verfahrensart. Ein Spruch der betrieblichen Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Die Betriebsparteien streiten im Fall seiner Anfechtung um das (Nicht-)Bestehen eines betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses iSv. § 256 Abs. 1 ZPO. Die begehrte gerichtliche Entscheidung hat feststellende, nicht rechtsgestaltende Wirkung. Dementsprechend ist die Feststellung der (Teil-)Unwirksamkeit des Spruchs zu beantragen und nicht seine Aufhebung (vgl. [X.] 13. März 2012 - 1 [X.] - Rn. 10, [X.]E 141, 42).

II. Der Antrag ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen begründet. § 3 des Spruchs der Einigungsstelle vom 11. November 2011 ist unwirksam. Die mit der Regelung getroffene Fälligkeitsbestimmung auch für Pflegekräfte iSv. § 1 Abs. 3 PflegeArbbV verstößt gegen § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. [X.]. Das führt zu ihrer gesamten Unwirksamkeit.

1. § 3 des Spruchs der Einigungsstelle betrifft eine nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 [X.] mitbestimmungspflichtige Angelegenheit. Die Regelung legt Termine für die Überweisung der „aus festen Bestandteilen bestehenden monatlichen Vergütung“ (Satz 1) und der „im Laufe eines Monats verdienten variablen Vergütungsbestandteile insbesondere Zeitzuschlägen“ (Satz 2) fest. Es handelt sich um eine Fälligkeitsbestimmung. Fälligkeit bezeichnet bei (Arbeits-)Vergütung den Zeitpunkt, wann diese zu entrichten ist (vgl. § 614 BGB). Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 [X.] erfasst die Regelung des Zeitpunkts, zu dem die Arbeitsvergütung zu zahlen ist (vgl. [X.] 25. April 1989 - 1 [X.] - zu [X.] der Gründe, [X.]E 62, 1).

2. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats wird aber vorliegend durch den Gesetzesvorbehalt in § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. [X.] ausgeschlossen, soweit es um die Festlegung eines Zeitpunkts für die Überweisung desjenigen Arbeitsentgelts geht, das Mindestentgelt iSv. § 2 Abs. 1 PflegeArbbV ist.

a) Nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. [X.] hat der Betriebsrat ua. nicht nach § 87 Abs. 1 [X.] mitzubestimmen, soweit die betreffende Angelegenheit gesetzlich geregelt ist. Das beruht auf der Erwägung, dass für die Erreichung des Mitbestimmungszwecks kein Raum mehr verbleibt, wenn eine den Arbeitgeber bindende und abschließende gesetzliche Vorschrift vorliegt. Wird der [X.] durch diese inhaltlich und abschließend geregelt, fehlt es an einer Ausgestaltungsmöglichkeit durch die Betriebsparteien. Verbleibt dem Arbeitgeber dagegen trotz der bestehenden normativen Regelung ein Gestaltungsspielraum, ist ein darauf bezogenes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats eröffnet ([X.] 11. Dezember 2012 - 1 [X.] - Rn. 19, [X.]E 144, 109).

b) Gesetz im Sinne des § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. [X.] ist jedes förmliche oder materielle Gesetz, soweit es sich um eine zwingende Regelung handelt. Eine zwingende Regelung liegt auch dann vor, wenn von einer bestehenden gesetzlichen Regelung nur nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden kann. In diesem Fall kann davon ausgegangen werden, dass mit dieser Regelung den berechtigten Interessen und dem Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer Rechnung getragen worden ist. Für einen weiteren Schutz durch Mitbestimmungsrechte besteht dann kein Bedürfnis mehr ([X.] 28. Mai 2002 - 1 [X.] - zu [X.] 2 c cc der Gründe, [X.]E 101, 203).

c) Hiernach schränkt § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 [X.] ein.

aa) Die am 1. August 2010 in [X.] getretene [X.] ist ein Gesetz im materiellen Sinn. Sie bindet die Arbeitgeberin unmittelbar, enthält eine zwingende Anordnung und ist daher geeignet, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. [X.] einzuschränken (vgl. zu einer Verordnung der [X.] [X.] 7. Februar 2012 - 1 [X.] - Rn. 24, [X.]E 140, 343).

bb) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV wird das in § 2 PflegeArbbV festgelegte Mindestentgelt für die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit zum 15. des Monats fällig, der auf den Monat folgt, für den das Mindestentgelt zu zahlen ist. Es handelt sich um eine abschließende gesetzliche Regelung ohne Gestaltungsspielraum für die Betriebsparteien.

cc) § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV ist nicht mangels Kompetenz des Verordnungsgebers zur Regelung des Fälligkeitszeitpunkts für das Mindestentgelt unwirksam.

(1) Gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG kann die Exekutive durch ein Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmendes Gesetz ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Widerspricht die Verordnung dem - gegebenenfalls durch Auslegung zu ermittelnden - Inhalt und Zweck der Ermächtigung, hat dies ihre Unwirksamkeit zur Folge. Ob eine Rechtsverordnung durch ihre Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist, beurteilt grundsätzlich das zuständige Fachgericht im Rahmen einer Inzidenterkontrolle. Das Verwerfungsmonopol des [X.] nach Art. 100 Abs. 1 GG gilt für Rechtsverordnungen nicht ([X.] 26. September 2012 - 4 [X.] - Rn. 21 mwN).

(2) Die verordnungsrechtliche Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV ist von einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Im Bereich der Pflegebranche (vgl. § 10 [X.]) kann der Verordnungsgeber nach § 11 Abs. 1 [X.] bestimmen, dass die von einer nach § 12 [X.] errichteten [X.] vorgeschlagenen Arbeitsbedingungen nach § 5 Nr. 1 und Nr. 2 [X.] auf alle Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die unter den Geltungsbereich einer Empfehlung nach § 12 Abs. 4 [X.] fallen, Anwendung finden. § 5 Nr. 1 [X.] benennt als Arbeitsbedingungen Mindestentgeltsätze, die nach Art der Tätigkeit, Qualifikation der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und Regionen differieren können, einschließlich der Überstundensätze. Die Norm umfasst aber - wie ihre Auslegung ergibt - auch Regelungen zur Fälligkeit des Mindestentgelts (vgl. [X.]/[X.]/[X.]/[X.] Arbeitnehmerentsendegesetz [X.]gesetz 3. Aufl. § 5 [X.] Rn. 19).

(a) Der Wortlaut des § 5 Nr. 1 [X.] gebietet kein Verständnis, dass [X.] ([X.]en sind. Er schließt ein solches Verständnis aber auch nicht aus.

(b) Systematische Erwägungen vermitteln kein eindeutiges Bild. Immerhin ist aber nach § 13 iVm. § 9 Satz 3 [X.] die Möglichkeit eröffnet, in einer Rechtsverordnung iSv. § 11 [X.] Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anspruchs auf das Mindestentgelt zu regeln, wobei die Frist mindestens sechs Monate betragen muss. Häufigster Fall des Fristbeginns für Ausschlussfristen ist die Fälligkeit des Anspruchs ([X.]/Preis 14. Aufl. §§ 194-218 BGB Rn. 52). Wenn der Verordnungsgeber einerseits Mindestentgeltsätze einschließlich der Überstundensätze und andererseits Ausschlussfristen für solche Ansprüche regeln kann, spricht dies eher für die Annahme, dass er auch zur Regelung über die Fälligkeit der Ansprüche befugt sein soll.

(c) Die Gesetzeshistorie spricht nicht gegen ein solches Normenverständnis. Die Gesetzentwürfe der Bundesregierung zum [X.] in seiner ursprünglichen Fassung vom 26. Februar 1996 ([X.]; hierzu [X.]. 13/2414) und in seiner Neufassung vom 20. April 2009 ([X.]I S. 799; hierzu [X.]. 16/10486) verhalten sich in ihren Begründungen nicht zu der Frage, ob [X.] zu den [X.] zählen. Nach der Begründung eines nachfolgenden Gesetzentwurfs zu dem mit Art. 6 Nr. 4 Tarifautonomiestärkungsgesetz de lege ferenda dem § 5 Nr. 1 [X.] anzufügenden Satz 2, wonach die ([X.]en auch Regelungen zur Fälligkeit entsprechender Ansprüche einschließlich hierzu vereinbarter Ausnahmen und deren Voraussetzungen umfassen, soll es sich insoweit um eine Klarstellung handeln (vgl. [X.]. 18/1558 S. 61).

(d) Unter dem Gesichtspunkt der unionsrechtskonformen Auslegung von § 5 Nr. 1 [X.] ist ein Verständnis dahingehend, dass hiervon [X.] erfasst sind, weder geboten noch ausgeschlossen. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/71/[X.] und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Entsenderichtlinie) nennt als zu garantierende Aspekte der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen „Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze; dies gilt nicht für die zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme“. Art. 3 Abs. 7 der Entsenderichtlinie enthält weitere Regelungen zum Mindestlohn. Bestimmungen zur Fälligkeit sind nicht aufgeführt.

(e) Sinn und Zweck des [X.]es geben aber vor, den Fälligkeitszeitpunkt für das Mindestentgelt als eine ([X.] iSv. § 5 Nr. 1 [X.] anzusehen. Dessen Ziele sind nach § 1 Satz 1 [X.] die Schaffung und Durchsetzung angemessener [X.] für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie die Gewährleistung fairer und funktionierender [X.]bedingungen. Unter anderem durch Rechtsverordnung sollen für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen adäquate [X.] geschaffen werden, was gleichermaßen für die Regelung innerstaatlicher wie grenzüberschreitender Sachverhalte gilt ( [X.]. 16/10486 S. 1 und 11). Die Verwirklichung dieser Ziele soll - neben der Wahrung der Ordnungs- und Befriedungsfunktion der Tarifautonomie - zugleich den Erhalt sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung gewährleisten ( [X.]. 16/10486 S. 11). Zur wirksamen Verfolgung beider Ziele gehört die Festlegung der Fälligkeit von [X.]. Würde diese nicht reguliert, käme es zum einen zu dem Arbeitnehmerschutzzweck zuwiderlaufenden Differenzierungen. Zum anderen könnte sich ein Arbeitgeber [X.]vorteile verschaffen, indem er die Zahlung von [X.] einschließlich der Überstundensätze später vornimmt als seine Konkurrenten. Lohnkosten für die Beschäftigten - zumal im personalkostenintensiven Dienstleistungsbereich - sind ein erheblicher Teil der wettbewerbsrelevanten Unternehmenskosten (vgl. [X.]/Schlachter [X.] § 1 Rn. 1 und - für die Pflegebranche - § 10 Rn. 1). Die Intention einerseits von arbeitsmarktpolitischen Wirkungen und andererseits eines Ausgleichs von [X.] durch die verbindliche Festlegung von Mindeststandards bedingt es daher, unter [X.]. § 5 Nr. 1 [X.] auch die Fälligkeit der dort näher festgelegten [X.] zu verstehen.

dd) Der Betrieb der Arbeitgeberin unterfällt der [X.].

(1) Dem steht nicht entgegen, dass die Arbeitgeberin den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern ein über dem Mindestentgelt nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV liegendes Entgelt zahlt. Wie die Auslegung der PflegeArbbV ergibt, bestimmt sich ihr Geltungsbereich ausschließlich territorial, betrieblich-fachlich und persönlich und nicht in Abhängigkeit von der Einhaltung der in ihr festgelegten Arbeitsbedingungen.

(a) § 1 PflegeArbbV regelt ausweislich seiner Überschrift den Geltungsbereich der Verordnung, während § 2 PflegeArbbV eine Rechtsfolge - das Mindestentgelt - festlegt. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass § 1 PflegeArbbV den Geltungsbereich der Verordnung nicht abschließend bestimmt.

(b) Der Regelungssystematik von §§ 1 und 2 PflegeArbbV entsprechen §§ 10 und 11 [X.]. § 10 [X.] legt den Anwendungsbereich des Abschnitts für die Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche fest, während § 11 [X.] bestimmt, welche Arbeitsbedingungen in einer Rechtsverordnung geregelt werden können.

(c) Auch Sinn und Zweck der [X.] gebieten eine Erstreckung auf Arbeitgeber, die eine über dem Mindestentgelt liegende Vergütung zahlen. Eine gegenteilige Sichtweise liefe den mit dem [X.] und der [X.] verfolgten Zielen einer Gewährleistung von Arbeitnehmerschutzstandards und der Sicherung eines fairen [X.] zuwider. Durch einheitliche Regelungen für das Mindestentgelt - auch im Hinblick auf Verzicht, Verwirkung und Verfall gemäß §§ 13 und 9 [X.] - werden die Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer bis zu dieser Höhe gleich behandelt und geschützt. Ein Arbeitgeber wird hierdurch gehindert, sich [X.]vorteile zu verschaffen, indem er aufgrund einer vertraglich vereinbarten, ggf. nur geringfügig das Mindestentgelt überschreitenden Vergütung diese Arbeitsbedingungen insgesamt unterschreitet.

(d) Die Annahme des [X.]s, die Geltung der [X.] auch für Pflegekräfte, deren vereinbartes Entgelt das Mindestentgelt iSv. § 2 Abs. 1 PflegeArbbV übersteige, bedinge die fiktive Aufspaltung eines einheitlichen Gehaltsanspruchs, zwingt nicht zu einer Beschränkung des persönlichen oder betrieblichen Geltungsbereichs der Verordnung. Hierbei handelt es sich allenfalls um einen Umstand, den die Betriebsparteien bei der Festlegung eines von § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV abweichenden Fälligkeitszeitpunktes für die das Mindestentgelt nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV übersteigende vertragliche Vergütung zu beachten hätten. Ungeachtet dessen ist es - zumal im Bereich gesetzlicher [X.] - nichts Ungewöhnliches, dass unterschiedliche Anspruchsgrundlagen und Regelungsregime bestehen. Hat etwa ein Arbeitnehmer einen über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden Urlaubsanspruch, können gesetzlicher und übergesetzlicher Urlaubsanspruch unterschiedlichen Regelungssystemen unterliegen.

(2) Die von der Arbeitgeberin in [X.] betriebene Einrichtung unterfällt dem territorialen Geltungsbereich nach § 1 Abs. 1 PflegeArbbV, wonach die Verordnung für das Gebiet der [X.] gilt. Der betrieblich-fachliche Geltungsbereich ist gleichfalls eröffnet. Die Arbeitgeberin betreibt einen Pflegebetrieb iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 PflegeArbbV, für den nach § 1 Abs. 2 Satz 1 PflegeArbbV die Verordnung gilt. Davon ist das [X.] - ebenso wie die Einigungsstelle ausweislich der Begründung ihres Spruchs - ausgegangen; die Beteiligten sind dem nicht entgegengetreten. Persönlich gilt die Verordnung für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die überwiegend pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 SGB XI erbringen, vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 [X.] Die Beteiligten haben nicht in Abrede gestellt, dass die Arbeitgeberin Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt, die überwiegend grundpflegerische Verrichtungen ausüben.

ee) § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV ist eine zwingende gesetzliche Bestimmung iSv. § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. [X.]. Eine von § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV abweichende Regelung zugunsten der Arbeitnehmer ist zwar nach §§ 13, 8 Abs. 1 [X.] möglich. Entgegen der Auffassung des Betriebsrats kann der Arbeitgeber durch die Einigungsstelle aber nicht gezwungen werden, Regelungen hinzunehmen, die für die Arbeitnehmer günstiger sind als die gesetzlichen (st. Rspr. [X.] 28. Mai 2002 - 1 [X.] - zu [X.] 2 c cc der Gründe, [X.]E 101, 203).

3. § 3 des Spruchs der Einigungsstelle verstößt damit insoweit gegen den Gesetzesvorbehalt nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. [X.], als auch für das den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer iSv. § 1 Abs. 3 PflegeArbbV nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV zu zahlende Mindestentgelt eine von § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV abweichende Fälligkeit festgelegt ist. Das darin liegende Überschreiten der Grenzen des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 4 [X.] bedingt die (Gesamt-)Unwirksamkeit der kollektiven Fälligkeitsbestimmung. Eine teilweise Aufrechterhaltung des [X.] für die über dem Mindestentgelt liegende Vergütung bzw. für die Vergütung der nicht der [X.] Beschäftigten enthielte keine in sich geschlossene Regelung. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Einigungsstelle nach ihrem eigenen Regelungsplan eine so verstandene Fälligkeit bestimmen wollte; ausweislich der Begründung des Spruchs hat sie zwei Fälligkeitszeitpunkte als „unpraktikabel“ angesehen.

        

    Schmidt    

        

    Koch    

        

    K. Schmidt    

        

        

        

    Hromadka    

        

   [X.]    

                 

Meta

1 ABR 96/12

22.07.2014

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Berlin, 29. Februar 2012, Az: 56 BV 17912/11, Beschluss

§ 1 PflegeArbbV, § 2 PflegeArbbV, § 3 PflegeArbbV, § 87 Abs 1 Halbs 1 BetrVG, § 87 Abs 1 Nr 4 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 22.07.2014, Az. 1 ABR 96/12 (REWIS RS 2014, 3902)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3902

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Wird zitiert von

5 TaBV 17/16

2 Ca 678/15 L

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