Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 26.09.2017, Az. 1 ABR 57/15

1. Senat | REWIS RS 2017, 4785

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Gegenstand

Mitbestimmung bei der Festlegung von sog. Ausgleichszeiträumen/Schwankungsbreiten - Zuständigkeit in Fällen sog. gespaltener Arbeitgeberstellung


Leitsatz

1. Die Beachtung der Grundsätze des Einigungsstellenverfahrens sind erst zu prüfen, soweit die Einigungsstelle eine der Mitbestimmung unterliegende Angelegenheit materiell ausgestaltet, nicht aber, wenn sie sich für unzuständig erklärt.

2. Die Festlegung eines Ausgleichszeitraums der regelmäßigen durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit sowie der Schwankungsbreite eines Arbeitszeitkontos betreffen die Lage der Arbeitszeit iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG und stehen mit dieser in einem untrennbaren Zusammenhang. Diese einheitliche mitbestimmungspflichtige Angelegenheit kann nicht aufgespalten werden, auch wenn sie weitergehende vergütungsrechtliche Folgen haben kann.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers wird der Beschluss des [X.] vom 6. Juli 2015 - 8 [X.] - aufgehoben.

Auf die Beschwerde des Arbeitgebers wird der Beschluss des [X.] vom 22. Januar 2014 - 16 [X.] - abgeändert und der Antrag des Betriebsrats abgewiesen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über das Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung und Ausgestaltung von [X.] für Arbeitszeiten gestellter Arbeitnehmer.

2

Der antragstellende Betriebsrat ist für den Betrieb des zu 2. beteiligten Arbeitgebers gewählt. Dieser ist ein eingetragener Verein, der seine Beschäftigten auf der Grundlage eines Personalgestellungsvertrags im [X.] der [X.] ([X.]) einsetzt. Der Arbeitgeber ist nicht tarifgebunden, wendet aber den Tarifvertrag für den [X.] vom 14. Juni 2007 idF vom 7. Mai 2012 (im Folgenden TV-KAH) an. Nach § 6 Abs. 1 TV-KAH beträgt die regelmäßige Arbeitszeit ausschließlich der Pausen durchschnittlich 38,5 Stunden wöchentlich, wobei nach Abs. 2 dieser Tarifvorschrift für die Berechnung des Durchschnitts ein Zeitraum von bis zu einem Jahr zugrunde zu legen ist.

3

Der Einsatz der gestellten Arbeitnehmer erfolgt nach [X.], die das [X.] mit dem bei ihm gebildeten Betriebsrat vereinbart. Gleichwohl verlangte der antragstellende Betriebsrat vom Arbeitgeber den Abschluss einer Betriebsvereinbarung mit dem Regelungsgegenstand „[X.] nach § 6 Abs. 2 TV-KAH sowie zulässige Plus- und Minusstunden“. Die von den Betriebsparteien errichtete Einigungsstelle erklärte sich mit [X.] vom 29. August 2013 für unzuständig, weil die beanspruchte Mitbestimmung dem Betriebsrat des [X.]s obliege.

4

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, der [X.] der Einigungsstelle sei bereits aufgrund erheblicher Verfahrensfehler aufzuheben. Überdies betreffe die Festlegung von [X.] iSd. Tarifvertrags und maximalen Schwankungen auf einem zu führenden Arbeitszeitkonto nicht nur die Lage der betrieblichen Arbeitszeit gestellter Arbeitnehmer, sondern auch einen Entlohnungsgrundsatz iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.]. Sie bestimme über den Zeitraum, innerhalb dessen zuschlagspflichtige Arbeitszeit anfiele. Hierbei habe der Betriebsrat des [X.]s mitzubestimmen.

5

Der Betriebsrat hat beantragt

        

festzustellen, dass der [X.] der Einigungsstelle „Ausgleichszeiträume nach § 6 Abs. 2 TV-KAH sowie zulässige Plus- und Minusstunden“ vom 29. August 2013 respektive 3. September 2013 unwirksam ist.

6

Der Arbeitgeber hat Antragsabweisung beantragt.

7

Die Vorinstanzen haben dem Antrag stattgegeben. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt der Arbeitgeber die Abweisung des Antrags.

8

B. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist begründet. Dem Betriebsrat steht das geltend gemachte Mitbestimmungsrecht nicht zu. Das hat das [X.] verkannt.

9

I. Der Antrag ist zulässig.

1. Der Antrag des Betriebsrats bedarf der Auslegung.

a) Er ist seinem Wortlaut nach auf die Feststellung der Unwirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs gerichtet. Ein solcher Antrag wäre aber unzulässig, weil er kein nach § 256 Abs. 1 ZPO feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zum Gegenstand hätte. Beschlüsse der Einigungsstelle, mit denen diese ihre Zuständigkeit bejaht oder verneint, begründen als Entscheidungen über eine Rechtsfrage kein Rechtsverhältnis zwischen den Betriebsparteien. Sie stellen keine die Einigung der Betriebsparteien ersetzende und diese bindende Regelung iSd. § 87 Abs. 2 [X.] dar. Die Zuständigkeit der Einigungsstelle ist abhängig vom Bestehen eines Mitbestimmungsrechts. Nur hierüber können die Gerichte mit Bindungswirkung entscheiden (st. Rspr., zB [X.] 23. Februar 2016 - 1 ABR 18/14 - Rn. 13 mwN).

b) Eine Betriebspartei kann allerdings mit einer auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts gerichteten Feststellung ihr Verfahrensziel erreichen. Dazu ist der Antrag unter Heranziehung des jeweiligen Vorbringens möglichst so auszulegen, dass er die vom Antragsteller erstrebte Sachentscheidung zulässt ([X.] 23. Februar 2016 - 1 ABR 18/14 - Rn. 15 mwN). Vorliegend lässt sich den Ausführungen des Betriebsrats entnehmen, dass er ein Mitbestimmungsrecht zum vereinbarten Regelungsgegenstand der Einigungsstelle in Anspruch nimmt. Danach verlangt er die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts bei der Festlegung des [X.] nach § 6 Abs. 2 TV-KAH und der innerhalb des [X.] zulässigen Plus- und Minusstunden.

2. Mit diesem Inhalt ist der Antrag hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Dem steht nicht entgegen, dass die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts auch für „zulässige Plus- und Minusstunden“ begehrt wird. Zwar lassen sich diese Begrifflichkeiten der Vorschrift des § 6 Abs. 2 TV-KAH nicht zuordnen. Das Vorbringen des Betriebsrats macht aber hinreichend deutlich, dass damit die festzulegende Schwankungsbreite der zu leistenden Arbeitsstunden innerhalb des [X.] nach § 6 Abs. 2 TV-KAH gemeint ist. Dies hat der Arbeitgeber auch so verstanden.

II. An dem Verfahren sind keine weiteren Personen oder Stellen iSd. § 83 Abs. 3 ArbGG zu beteiligen. Die betriebsverfassungsrechtliche Stellung der Betriebsparteien des [X.]s ist nicht betroffen. Der antragstellende Betriebsrat erstrebt keine Mitwirkung an Entscheidungen der Arbeitgeberin des Einsatzbetriebs.

III. Der Antrag ist unbegründet. In der fraglichen Angelegenheit hat der Betriebsrat nicht mitzubestimmen.

1. Zu Unrecht hat das [X.] die Einhaltung der Grundsätze des Einigungsstellenverfahrens einer gesonderten Prüfung unterzogen. Deren Beachtung ist für die gerichtliche Feststellung eines Rechtsverhältnisses und damit für die Beantwortung einer Rechtsfrage irrelevant. Verfahrensfehler der Einigungsstelle sind erst zu prüfen, soweit sie eine der Mitbestimmung unterliegende Angelegenheit materiell ausgestaltet, nicht aber, wenn sie sich für unzuständig erklärt.

2. Anders als der Arbeitgeber meint, ist ein Mitbestimmungsrecht nicht nach dem Eingangshalbsatz des § 87 Abs. 1 [X.] ausgeschlossen. Die betreffende Angelegenheit ist weder gesetzlich noch tarifvertraglich abschließend geregelt. § 3 Satz 2 [X.] enthält keine abschließende Regelung, sondern beschreibt lediglich den Rahmen, innerhalb dessen werktägliche Arbeitszeit verlängert werden kann. Der Tarifvorbehalt des § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. [X.] und ein damit einhergehender Ausschluss des Mitbestimmungsrechts verlangt die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers iSv. § 3 Abs. 1 TVG ([X.] 18. Oktober 2011 - 1 [X.] - Rn. 21, [X.]E 139, 332). Nicht ausreichend ist es, wenn der Arbeitgeber tarifliche Regelungen lediglich aufgrund vertraglicher Vereinbarungen anwendet.

3. Die Festlegung des [X.] für die Einhaltung der [X.] sowie der Umfang der Schwankungsbreite eines [X.] sind zwar nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 [X.] mitbestimmungspflichtig. Der antragstellende Betriebsrat ist jedoch nicht Träger des Mitbestimmungsrechts.

a) Nach dieser Vorschrift hat ein Betriebsrat mitzubestimmen bei Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage. Das Mitbestimmungsrecht dient dazu, die Interessen der Arbeitnehmer an der Lage der Arbeitszeit und damit zugleich ihrer freien Zeit für die Gestaltung ihres Privatlebens zur Geltung zu bringen ([X.] 17. November 2015 - 1 [X.] - Rn. 24, [X.]E 153, 225).

b) Bestimmt sich das zeitliche Maß der vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitszeit nach einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit und ist für die Berechnung des Durchschnitts ein bestimmter Zeitraum vorgegeben, bedarf es neben der Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit zugleich der Festlegung des [X.], auf den bezogen die jeweilige [X.] zu verteilen und zu erreichen ist. Dazu ist von den Betriebsparteien ein Zeitrahmen zu definieren, innerhalb dessen Unter- oder Überschreitungen einer fiktiv nach dem Durchschnittswert fortgeschriebenen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit aufgrund der tatsächlich erbrachten Arbeitsstunden auszugleichen sind. Weiterhin kann die maximale Schwankungsbreite eines danach zu führenden [X.] festgelegt werden. Mit diesen Regelungen können die Betriebsparteien die Lage der betrieblichen Arbeitszeit entsprechend den Interessen des Arbeitgebers und denen der Arbeitnehmer gestalten. Sowohl die Bestimmung eines [X.] als auch die der Schwankungsbreite des [X.] betreffen die Lage und die Verteilung der Arbeitszeit iSd. gesetzlichen Mitbestimmungstatbestands. Sie stehen daher in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und deren Verteilung auf die einzelnen Wochentage ([X.] 30. Mai 2006 - 1 ABR 21/05 - Rn. 21). Hierbei handelt es sich um eine einheitliche mitbestimmungspflichtige Angelegenheit. Diese kann nicht - wie der Betriebsrat meint - aufgespalten werden in eine solche zur Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit und in eine solche zur Festlegung von [X.] und arbeitstäglichen Schwankungsbreiten. Entgegen der Auffassung des [X.]s folgt eine „Aufspaltung“ der einheitlichen Mitbestimmungsangelegenheit nicht aus einer Vergütungspflicht des Arbeitgebers für zuschlagspflichtige Arbeitszeitlagen. Auch wenn die jeweilige Lage der Arbeitszeit aufgrund arbeits- oder tarifvertraglicher Regelungen weitergehende vergütungsrechtliche Folgen haben kann, handelt es sich nicht um eine Angelegenheit der betrieblichen Lohngestaltung iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] ([X.] 1. Juli 2003 - 1 [X.] - zu [X.] 1 c der Gründe, [X.]E 107, 9).

c) Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 [X.] steht vorliegend dem Betriebsrat des [X.]s als Einsatzbetrieb und nicht dem antragstellenden Betriebsrat zu. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bestimmt sich die Zuständigkeit für die Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten in Bezug auf gestellte Arbeitnehmer nach dem Gegenstand des Mitbestimmungsrechts und der darauf bezogenen Entscheidungsmacht des jeweiligen Arbeitgebers. In Fragen der Arbeitszeit ist Gegenstand des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 [X.] das Interesse der Arbeitnehmer an der Lage ihrer Arbeitszeit, die zugleich die ihrer freien Zeit bestimmt. Soweit Arbeitnehmer einem „Drittbetrieb“ gestellt werden und in dessen Betriebsorganisation zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung eingegliedert werden, begründet dieser Normzweck die Zuständigkeit des dortigen Betriebsrats. In einem solchen Fall einer sog. gespaltenen Arbeitgeberstellung steht dem Arbeitgeber des Einsatzbetriebs das Weisungsrecht in Bezug auf die gestellten Arbeitnehmer zu. Aufgrund dessen ist er befugt, innerhalb seiner Betriebsorganisation anstelle des [X.] Beginn und Ende der Arbeitszeit auch für die gestellten Arbeitnehmer festzulegen ([X.] 18. Juli 2017 - 1 [X.] - Rn. 23). An dieser Entscheidung kann ein Betriebsrat, der für den [X.] und damit einen anderen Betrieb gebildet ist, nicht beteiligt werden. Anderes mag zwar gelten, soweit sich der gestellende Arbeitgeber im Gestellungsvertrag konkrete Weisungsrechte hinsichtlich des zeitlichen Einsatzes der gestellten Arbeitnehmer vorbehalten hat (vgl. [X.] 19. Juni 2001 - 1 [X.]. 31, [X.]E 98, 60). Auf eine solche Angelegenheit beruft sich der antragstellende Betriebsrat aber nicht.

        

    Schmidt    

        

    Treber    

        

    Heinkel    

        

        

        

    Fasbender    

        

    Klebe    

                 

Meta

1 ABR 57/15

26.09.2017

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Hamburg, 22. Januar 2014, Az: 16 BV 24/13, Beschluss

§ 87 Abs 1 Nr 2 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 26.09.2017, Az. 1 ABR 57/15 (REWIS RS 2017, 4785)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 4785

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