Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.02.2013, Az. I ZB 79/11

1. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 8392

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Gegenstand

Zwangsvollstreckung wegen Zuwiderhandlung gegen ein Unterlassungsgebot: Einlegung einer Anschlussbeschwerde beim erstinstanzlichen Gericht; Reichweite eines wettbewerbsrechtlichen Werbeverbots


Leitsatz

1. Eine Anschlussbeschwerde kann auch nach Vorlage der Beschwerde an das Beschwerdegericht beim erstinstanzlichen Gericht eingelegt werden.

2. Ein ausschließlich die konkrete Verletzungshandlung aufgreifendes Verbot ist nicht zwangsläufig auf identische oder nahezu identische Handlungen beschränkt, sondern kann auch kerngleiche Verletzungsformen erfassen. Die Zuordnung einer Handlung zum Kernbereich des Verbots scheidet allerdings aus, wenn sie nicht Gegenstand der Prüfung im Erkenntnisverfahren gewesen ist.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin werden der Beschluss des 2. Zivilsenats des [X.] vom 23. September 2011 und die Kostenentscheidung des Beschlusses vom 26. August 2011 aufgehoben.

Die Anschlussbeschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss der 39. Kammer für Handelssachen des [X.] vom 3. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Gläubigerin zu 1/4 und der Schuldnerin zu 3/4 zur Last.

Die Kosten der Rechtsbeschwerde trägt die Gläubigerin.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 7.000 €.

Gründe

1

I. Das [X.] (Urteil vom 26. März 2009 - 2 U 87/08) hat der Schuldnerin unter Androhung von [X.] verboten, im Zuge einer geschäftlichen Handlung wie folgt zu werben:

1. a) …

b) Seit 1980 Fachkompetenz in einem führenden internationalen Unternehmen.

c) In den ersten zehn Jahren mit einem Gesamtumsatz von 129 Millionen DM.

2

Die Gläubigerin hat beantragt, gegen die Schuldnerin Ordnungsmittel zu verhängen. Ihren Antrag hat sie darauf gestützt, dass die Schuldnerin durch drei Werbeaussagen gegen das Unterlassungsgebot nach Ziffer 1 b des Urteils verstoßen habe. Einen Verstoß gegen das Verbot nach Ziffer 1 c der Urteilsformel hat die Gläubigerin in der Werbung der Beklagten im [X.] mit folgender Angabe gesehen:

129.000.000,00 DM Umsatz wurden von der vormaligen [X.]unter gleicher Geschäftsführung wie heute in den Jahren 1981 bis 1991 erzielt.

3

Das [X.] hat wegen Verstoßes gegen das Unterlassungsgebot nach Ziffer 1 b der Urteilsformel gegen die Schuldnerin ein Ordnungsgeld von 21.000 € verhängt und den weitergehenden Vollstreckungsantrag (Verstoß gegen Ziffer 1 c der Urteilsformel) zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat die Schuldnerin Beschwerde eingelegt. Das [X.] hat der Beschwerde am 9. August 2011 nicht abgeholfen und sie dem [X.] vorgelegt, das die Beschwerde am 26. August 2011 zurückgewiesen hat. Zuvor, und zwar am 23. August 2011, hat die Gläubigerin beim [X.] [X.] eingelegt, die am 30. August 2011 beim [X.] eingegangen ist. Dieses hat der [X.] stattgegeben und gegen die Schuldnerin mit Beschluss vom 23. September 2011 ein weiteres Ordnungsgeld von 7.000 € verhängt.

4

Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Schuldnerin ihr Begehren weiter, den [X.] wegen eines Verstoßes gegen Ziffer 1 c des Unterlassungsgebots zurückzuweisen.

5

II. Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch sonst zulässig (§ 575 ZPO). In der Sache hat sie ebenfalls Erfolg.

6

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

7

Die [X.] sei zulässig. Sie habe auch noch nach Vorlage der Beschwerde am 9. August 2011 an das Beschwerdegericht bis zu dessen Entscheidung beim [X.] eingelegt werden können. Über die [X.] sei durch gesonderten Beschluss zu entscheiden, weil zum Zeitpunkt des Eingangs der [X.] beim [X.] bereits über die Beschwerde entschieden worden sei. Die [X.] sei begründet. Der [X.] betreffe einen im Verhältnis zu Ziffer 1 c der Urteilsformel kerngleichen Verstoß.

8

2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Beschwerdegericht ist zwar zu Recht von der Zulässigkeit der [X.] ausgegangen (dazu [X.]). In der Sache ist die [X.] allerdings unbegründet (dazu [X.] b).

9

a) Die Gläubigerin hat die [X.] trotz Vorlage der Beschwerde der Schuldnerin an das Beschwerdegericht am 9. August 2011 wirksam am 23. August 2011 beim [X.] eingelegt.

aa) In Rechtsprechung und Literatur ist die Frage umstritten, ob eine [X.] nach § 567 Abs. 3 Satz 1 ZPO noch wirksam beim Gericht, dessen Entscheidung mit der Beschwerde angefochten worden ist, eingelegt werden kann, wenn es die Beschwerde bereits dem Beschwerdegericht vorgelegt hat (§ 572 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ZPO). Teilweise wird angenommen, nach Abgabe der Beschwerde an das Beschwerdegericht könne eine [X.] wirksam nur beim Beschwerdegericht eingelegt werden (vgl. [X.], [X.], 1027; [X.]/Lauterbach/[X.], ZPO, 71. Aufl., § 567 Rn. 22; [X.] ZPO/[X.], § 567 Rn. 36; [X.], ZPO, 21. Aufl., § 577a Rn. 6; [X.]/[X.]/[X.], ZPO, 33. Aufl., § 567 Rn. 21). Nach der Gegenansicht, der sich auch das Beschwerdegericht angeschlossen hat, kann die [X.] noch nach Vorlage der Beschwerde an das Beschwerdegericht beim erstinstanzlichen Gericht eingelegt werden. Das erstinstanzliche Gericht soll in einem derartigen Fall nur gehindert sein, eine weitere Abhilfeentscheidung zu treffen (vgl. [X.].ZPO/[X.], 4. Aufl., § 567 Rn. 44; Prütting/Gehrlein/[X.], ZPO, 4. Aufl., § 567 Rn. 16; [X.]/Schütze/Jänich, ZPO, 3. Aufl., § 567 Rn. 28; so wohl auch [X.]/[X.], ZPO, 29. Aufl., § 567 Rn. 59). Dem ist zuzustimmen.

bb) Anders als bei der Anschlussberufung und revision (§ 524 Abs. 1, § 554 Abs. 1 ZPO) enthalten die [X.] keine Bestimmung, bei welchem Gericht die [X.] einzulegen ist. Ohne eine ausdrückliche gesetzliche Regelung ist für die Beurteilung dieser Frage die für die Beschwerde geltende Bestimmung des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO heranzuziehen. Danach kann die [X.] bis zur Entscheidung über die Beschwerde sowohl beim Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, als auch beim Beschwerdegericht eingelegt werden. Für die gegenteilige Ansicht findet sich kein Anhalt im Gesetz. Er ergibt sich auch nicht aus der Akzessorietät der Anschließung. Zwar verliert die [X.] ihre Wirkung, wenn die Beschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird (§ 567 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Das betrifft aber ausschließlich die Abhängigkeit der [X.] vom Rechtsmittel des Gegners und nicht die Frage, nach welchen Verfahrensvorschriften sich die Einlegung der [X.] richtet. Gründe der Verfahrensökonomie rechtfertigen es ebenfalls nicht, nach der [X.] gemäß § 572 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ZPO die Einlegung der [X.] beim Beschwerdegericht zu verlangen. Dem steht das Interesse des Rechtsmittelgegners entgegen, klar und eindeutig erkennen zu können, bei welchem Gericht er die [X.] einlegen kann. Das wäre aber regelmäßig nicht gewährleistet, wenn die [X.] nach Abgabe der Sache an das Beschwerdegericht nur noch bei diesem Gericht eingelegt werden könnte, weil die [X.] nicht weiß, wann das erstinstanzliche Gericht über die Abhilfe entscheidet. Sie müsste deshalb die [X.] grundsätzlich beim Beschwerdegericht einlegen, das das erstinstanzliche Gericht unverzüglich über die eingegangene [X.] unterrichten und die Sache dorthin abgeben müsste, damit das erstinstanzliche Gericht die [X.] bei seiner Abhilfeentscheidung berücksichtigen könnte, wenn die Sache dort noch anhängig ist. Eine Verfahrensvereinfachung wäre damit nicht erreicht.

b) Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg, soweit sie sich dagegen wendet, dass das Beschwerdegericht wegen Verstoßes gegen Ziffer 1 c des [X.]s ein Ordnungsgeld festgesetzt hat.

aa) Das Beschwerdegericht ist im rechtlichen Ansatz allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass die Verhängung eines Ordnungsgelds wegen eines Verstoßes gegen das gerichtliche Unterlassungsgebot eine identische Handlung oder eine kerngleiche Abwandlung voraussetzt.

Nach der Rechtsprechung des [X.] können bereits bei der Fassung eines Unterlassungsantrags und der darauf beruhenden Urteilsformel im Interesse eines hinreichenden Rechtsschutzes gewisse Verallgemeinerungen zulässig sein, sofern darin das Charakteristische der Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt. Denn der dem Gläubiger aufgrund einer in der Vergangenheit liegenden Verletzungshandlung und der sich daraus ergebenden Wiederholungsgefahr zustehende Unterlassungsanspruch ist nicht auf ein der Verletzungshandlung in jeder Hinsicht entsprechendes Verhalten beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf kerngleiche Verletzungshandlungen. Begehrt der Gläubiger einen Titel, der auch kerngleiche Verletzungshandlungen erfassen soll, ist er aber nicht gehalten, einen von der konkreten Verletzungshandlung losgelösten abstrakten Antrag zu stellen. Vielmehr kann er sich - und vielfach wird sich dies auch empfehlen (vgl. [X.], [X.]rechtliche Ansprüche und Verfahren, 10. Aufl., [X.]. 51 Rn. 4 ff.) - die konkrete Verletzungshandlung in seinen Antrag aufnehmen; mit einem solchen Antrag ist im Allgemeinen kein Verzicht auf die Unterlassung kerngleicher Verletzungshandlungen verbunden, in denen das Charakteristische der ursprünglichen Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt. Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Auslegung des Klageantrags ergibt, dass in der Wahl der konkreten Verletzungshandlung als Unterlassungsbegehren eine bewusste Beschränkung liegt. Ob ein beanstandetes Verhalten danach unter den [X.] fällt, hat das für die Vollstreckung nach § 890 ZPO zuständige Prozessgericht als Vollstreckungsorgan durch Auslegung der Urteilsformel und der Gründe der Entscheidung, gegebenenfalls auch unter Heranziehung der Klagebegründung, zu beurteilen.

bb) Nach diesen Maßstäben ist die Annahme des [X.], das beanstandete Verhalten verstoße gegen das Verbot nach Ziffer 1 c der Urteilsformel, nicht frei von Rechtsfehlern.

[X.] ist verboten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des [X.] mit der Angabe: "In den ersten zehn Jahren mit einem Gesamtumsatz von 129.000.000,00 DM" zu werben. Die Verurteilung ist auf einen Verstoß gegen das [X.] gestützt. Die Umsatzangabe im angegebenen Zeitraum von zehn Jahren hat das Prozessgericht als falsch angesehen, weil die Schuldnerin zum Zeitpunkt der Werbung noch keine zehn Jahre existierte.

Gegen das Unterlassungsgebot verstößt die nunmehr beanstandete Werbeaussage der Schuldnerin nicht. Die Schuldnerin hat dort die Umsatzangabe auf eine vormalige Gewerbegruppe des Geschäftsführers der Schuldnerin bezogen. Angaben zu dieser Unternehmensgruppe werden von Ziffer 1 c des Unterlassungstenors nicht erfasst. Sie sind keine kerngleichen Abwandlungen dieses Unterlassungsgebots. Dessen Reichweite ist auf [X.] der Schuldnerin selbst beschränkt. Das folgt aus der Begründung des Verbots, die allein auf das Bestehen der Schuldnerin für einen kürzeren als einen zehnjährigen Zeitraum abstellt.

An diesem Ergebnis ändert auch die Annahme des [X.] nichts, durch die Angabe, die Gegenstand des [X.]s ist, werde der Eindruck einer Unternehmenskontinuität vermittelt und die Leistung der früheren Unternehmensgruppe für die Schuldnerin vereinnahmt. Auch bei einem solchen - naheliegenden - Verständnis der Werbeangabe erkennt der Verkehr, dass es sich nicht um Umsätze der Schuldnerin, sondern einer anderen Unternehmensgruppe handelt, mag die Schuldnerin deren Erfolg aufgrund einer Kontinuität in der Führungsebene oder einer Rechtsnachfolge auch für sich vereinnahmen. Die Zuordnung einer derartigen Angabe zum Kernbereich des Verbots scheidet - entgegen der Annahme des [X.] - schon deshalb aus, weil die Frage, ob die vormalige Unternehmensgruppe im Zeitraum von 1981 bis 1991 die angegebenen Umsätze erzielt und die Schuldnerin diesen Unternehmenserfolg für sich vereinnahmen kann, nicht Gegenstand der Prüfung im Erkenntnisverfahren gewesen ist.

III. [X.] beruht auf § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO.

Bornkamm                      Pokrant                       Büscher

                     Koch                        [X.]

Meta

I ZB 79/11

06.02.2013

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Stuttgart, 23. September 2011, Az: 2 W 40/11

§ 567 Abs 3 ZPO, § 890 ZPO, § 3 UWG, § 5 UWG, § 8 UWG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.02.2013, Az. I ZB 79/11 (REWIS RS 2013, 8392)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8392

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