Bundespatentgericht, Urteil vom 14.12.2010, Az. 4 Ni 24/09

4. Senat | REWIS RS 2010, 447

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Gegenstand

Patentnichtigkeitsklageverfahren – Unzulässigkeit der Nichtigkeitsklage wegen entgegenstehender Rechtskraft


Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das Patent 195 16 780

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 14. Dezember 2010 durch [X.], [X.]. [X.], [X.], [X.] und die Richterin [X.]. Prasch

für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung hinsichtlich der Kosten in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagten sind eingetragene Inhaber des am 11. Mai 1995 angemeldeten [X.] Patents 195 16 780 (Streitpatent). Es betrifft eine hydrodynamische Düse für die Reinigung von Rohren und Kanälen und umfasst 16 Ansprüche, die vorliegend alle angegriffen sind. Wegen des Wortlauts der Patentansprüche wird auf die [X.] 16 780 C1 Bezug genommen.

2

Die Ansprüche 1, 5, 8, 13, 15 und 16 des [X.] waren bereits Gegenstand einer Nichtigkeitsklage, die von der Firma [X.], Inhaber [X.], gegen die Beklagten erhoben worden war. Diese Klage wurde mit rechtskräftigem Urteil vom 22. April 2008 als unbegründet abgewiesen (Az. [X.]).

3

Mit dem Datum des 13. Juni 2007 wurde für die Klägerin dem Handelsregister eine Liste der Gesellschafter (§ 40 GmbHG) vorgelegt, auf der die beiden Geschäftsführer [X.] und L… jeweils mit einer Stammeinlage von [X.] angegeben wurden; unter dem Datum des 2. Februar 2010 wurde wiederum eine Liste der Gesellschafter beim Handelsregister eingereicht, auf der nach der Einziehung des [X.] durch Beschluss vom 31. Juli 2009 nur noch [X.] als alleiniger Gesellschafter mit einer Stammeinlage von [X.] geführt wird.

4

Die Klägerin behauptet, das Streitpatent sei insgesamt wegen fehlender Patentfähigkeit für nichtig zu erklären. Zur Begründung bietet sie Zeugenbeweis für eine behauptete offenkundige Vorbenutzung an und bezieht sich auf folgende Druckschriften und Dokumente:

5

[X.] [X.] [X.]

6

[X.] WO 85/ 05295 [X.]

7

[X.] [X.] 634 B

8

NK5 [X.] 400 011

9

NK6 [X.] 805 209

[X.] EP 0 742 053 B1

[X.] [X.] 1 587 194

[X.] [X.] 1 682 070

NK10 [X.] 3 807 714

[X.] [X.] 1 426 919

NK14 Foto der sogenannten „APS“-Düse

[X.] Foto der sogenannten „APS“-Düse

NK16 Werbeblatt „[X.]B-Düsen [X.]“ vom Februar 1992

NK17 Preisliste aus dem Jahr 1992

NK18 Rechnung v. 19. April 1994, u. a. über eine „APS“-Düse

NK19 Rechnung v. 19. April 1994, u. a. über eine „APS“-Düse

Die Klägerin beantragt,

das [X.] Patent 195 16 780 in vollem Umfang für nichtig zu erklären,

hilfsweise, das [X.] Patent 195 16 780 wegen des Verbots des Doppelschutzes aus Art. II § 8 Abs. 1 [X.] für unwirksam zu erklären,

weiter hilfsweise, festzustellen, dass das [X.] Patent 195 16 780 wegen des Verbots des Doppelschutzes aus Art. II § 8 Abs. 1 [X.] unwirksam ist.

Die Beklagten beantragen,

 die Klage sowie die beiden von der Klägerin gestellten Hilfsanträge abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist wegen entgegenstehender Rechtskraft unzulässig, soweit die Patentansprüche 1, 5, 8, 13, 15 und 16 angegriffen sind; hinsichtlich der übrigen Patentansprüche ist die Klage unbegründet.

Die Hilfsanträge sind unzulässig.

[X.]

Der Zulässigkeit der Klage, soweit sie auf die Nichtigerklärung der Ansprüche 1, 5, 8, 13, 15 und 16 des [X.] gerichtet ist, steht die Rechtskraft des Urteils vom 22. April 2008 in dem Verfahren 4 Ni 25/07 entgegen. In dem seinerzeitigen Urteil wurde die auf Vernichtung der genannten Patentansprüche gerichtete und auf fehlende Patentfähigkeit i. S. v § 22 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 4 [X.] gestützte Klage rechtskräftig als unbegründet abgewiesen. Die Rechtskraft dieses Urteils steht einer erneuten Entscheidung über diese Patentansprüche entgegen, § 99 Abs. 1 [X.], § 325 ZPO.

Eine Nichtigkeitsklage kann grundsätzlich, solange das Streitpatent in [X.] befindlich ist, von jedermann erhoben werden und liegt insoweit auch im öffentlichen Interesse. Daher setzt die Ausgestaltung der Patentnichtigkeitsklage als Popularklage einem Ausschluss eventueller Kläger aus in ihrer Person liegenden Gründen enge Grenzen. Insbesondere kann der sich selbst auf dem Gebiet des [X.] gewerblich betätigenden Klägerin ein eigenes Interesse an der Überprüfung der Schutzfähigkeit des [X.] nicht ohne weiteres abgesprochen werden.

Hier steht jedoch das Sachurteil im Verfahren 4 Ni 25/07 einer Entscheidung über die dort behandelten Patentansprüche entgegen. Sofern und soweit eine entgegenstehende Rechtskraft zwischen den Parteien zu beachten ist, schließt sie eine erneute, auf denselben [X.] gestützte Klage im Umfang des im früheren Verfahren gestellten Antrags gegen dasselbe Patent selbst dann aus, wenn neues Material – wie vorliegend insbesondere die Patentschrift [X.] 1 426 919 ([X.]) - genannt wird (vgl. [X.]/[X.], [X.], 10. Aufl., § 22, [X.]. 95; [X.]/[X.], [X.], 8. Aufl., § 21 [X.]. 117; Busse/[X.] [X.], 6. Aufl., § 84 [X.]. 40, 44; [X.]., Patentnichtigkeitsverfahren, 4. Aufl., [X.]. 284). Die fehlende Patentfähigkeit gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 [X.] ist als einheitlicher [X.] für die in den §§ 1 bis 5 [X.] genannten [X.] ausgestaltet (vgl. [X.]/[X.], a. a. [X.], § 21 [X.]. 13; [X.]/[X.], a. a. [X.], § 21 [X.]. 27; Busse/[X.], a. a. [X.], § 21 [X.]. 31; [X.], Patentnichtigkeitsverfahren, [X.]. 25 m. w. N.) und daher beruht auch die nunmehr erstmals erfolgte Geltendmachung der gegenüber der Druckschrift [X.] fehlenden Neuheit des [X.] auf demselben [X.].

Auch wenn die [X.] grundsätzlich nur zwischen den Parteien des früheren Verfahrens oder deren Rechtsnachfolgern eintritt und die jetzige Klägerin eine von der im Verfahren 4 Ni 25/07 klagenden natürlichen Person verschiedene juristische Person ist, führt dies hier zur teilweisen Unzulässigkeit der Klage. Die Klägerin muss sich nämlich die in der Person des seinerzeitigen [X.] begründeten Einwendungen entgegen halten lassen. S… als Inhaber der seinerzeit klagenden Einzelfirma ist nicht nur einer der Geschäftsführer der Klägerin, sondern inzwischen zugleich deren alleiniger Gesellschafter. Dabei ist es ohne Belang, dass neben ihm noch ein weiterer Geschäftsführer für die Klägerin bestellt ist, denn die Folgen des rechtlichen Handelns der GmbH treffen grundsätzlich nicht den Geschäftsführer als Vertreter (§ 35 Abs. 1 GmbHG), sondern die Gesellschaft und damit auch deren alleinigen Gesellschafter. Im Ergebnis bildet die klagende GmbH hier die rechtliche Gestalt, mit der sich ihr Alleingesellschafter am Geschäftsleben beteiligt (vgl. [X.], [X.], 900 - Entwässerungsanlage). Gesellschaft und Gesellschafter sind trotz der Trennung der Rechtspersönlichkeiten und trotz aller Unterschiede in einem solchen Fall bei wirtschaftlicher Betrachtung als eine Person anzusehen (vgl. [X.] a. a. [X.]). Eine den Alleingesellschafter treffende [X.] gemäß § 99 Abs. 1 [X.] i. V. m. § 325 Abs. 1 ZPO wäre obsolet, könnte sie ohne weiteres durch die von ihm allein bestimmte Gesellschaft umgangen werden. Eine solche Umgehungsmöglichkeit aufgrund einer bloßen formalen Personenverschiedenheit liefe der Rechtssicherheit zuwider. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob der Klage gesetzliche Hindernisse entgegenstehen oder - wie im Fall der Entscheidung [X.]-Entwässerungsanlage - rechtsgeschäftliche Abreden. Denn auch wenn die Patentinhaber während der Laufzeit ihres Patents jederzeit mit der Möglichkeit einer Nichtigkeitsklage zu rechnen haben, können sie doch darauf vertrauen, sich nicht nochmals mit einem bestimmten Kläger im Rahmen desselben [X.]es auseinan[X.]etzen zu müssen. Auch den Interessen der Allgemeinheit wäre mit einer anderen Betrachtungsweise nicht gedient, da der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen auch eine Befriedungsfunktion zukommt und die Beseitigung der Rechtskraft nur in gesetzlich beson[X.] geregelten Ausnahmefällen möglich ist (vgl. [X.]/[X.], ZPO, 31. Aufl., § 322 [X.]. 49 m. w. N.).

I[X.]

Hinsichtlich des Antrags auf Nichtigerklärung der Ansprüche 2 bis 4, 6 bis 7, 9 bis 12 und 14 des [X.] ist die Klage zulässig, aber unbegründet.

Die Klage ist insoweit ohne weiteres zulässig, da diese Patentansprüche nicht Gegenstand des Verfahrens 4 Ni 25/07 waren und daher von der Rechtskraft des seinerzeitigen Urteils nicht erfasst werden (vgl. [X.]/[X.], a. a. [X.], § 22 [X.]. 95 a. E).

Bei diesen Patentansprüchen handelt es sich ausschließlich um [X.], die unmittelbar oder mittelbar auf Anspruch 1 rückbezogen sind. Alle diese Ansprüche enthalten bestimmte Ausgestaltungen des [X.] nach Anspruch 1 und sind mit diesem per se bestandsfähig, da sie ihn durch weitere Merkmale einschränken und als engere Ausgestaltung von ihm mitgetragen werden. Einer sachlichen Prüfung bedarf es demzufolge nicht, zumal auch die Klägerin in der mündlichen Verhandlung einräumte, die Ansprüche 2 bis 4, 6 bis 7, 9 bis 12 und 14 würden bei [X.] des Anspruchs 1 von diesem mit getragen.

II[X.]

Beide Hilfsanträge sind unzulässig, weshalb die Frage, ob - und wenn ja, inwieweit - eine zur Wirkungslosigkeit führende Übereinstimmung vorliegen könnte, keiner Erörterung bedarf.

Die Unzulässigkeit der Hilfsanträge ergibt sich aus dem Mangel einer rechtlichen Grundlage für die beantragten Entscheidungen.

1. Eine „Unwirksamkeitserklärung“ durch das Gericht aufgrund der Regelung in Art. II § 8 Abs. 1 [X.] (erster Hilfsantrag) ist im [X.] nicht möglich. Eine Geltendmachung der Wirkungslosigkeit in diesem Verfahren scheitert bereits am numerus clausus der Nichtigkeitsgründe gemäß §§ 21, 22 [X.] (vgl. Busse/[X.], a. a. [X.], Art. II § 8 [X.], [X.]. 12). Im Übrigen ist eine Beurteilung dieser Frage nur mit Blick auf einen Verletzungsgegenstand sinnvoll (vgl. Busse/[X.], a. a. [X.], [X.]. 3).

2. Für die Feststellung der Wirkungslosigkeit eines [X.] Patents gegenüber einem [X.] Patent gemäß Art. II § 8 Abs. 1 [X.] (zweiter Hilfsantrag) besteht nach der ersatzlosen Streichung der Vorschrift über das Verfahren zur Feststellung der Wirkungslosigkeit eines mit einem [X.] Patent übereinstimmenden [X.] Patents gemäß Art. II § 8 Abs. 3 [X.] mit Wirkung vom 1. Juni 1992 (Art. 15 Abs. 2, Art. 6 Nr. 5, 2. G[X.]) keine Rechtsgrundlage mehr.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 [X.] i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 [X.] i. V. m. § 709 ZPO.

Meta

4 Ni 24/09

14.12.2010

Bundespatentgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: Ni

§ 325 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Urteil vom 14.12.2010, Az. 4 Ni 24/09 (REWIS RS 2010, 447)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 447


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. X ZR 23/11

Bundesgerichtshof, X ZR 23/11, 29.11.2011.


Az. 4 Ni 24/09

Bundespatentgericht, 4 Ni 24/09, 21.08.2012.

Bundespatentgericht, 4 Ni 24/09, 14.12.2010.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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30 W (pat) 803/18

X ZR 23/11

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