Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.01.2006, Az. 4 StR 222/05

4. Strafsenat | REWIS RS 2006, 5518

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 [X.] vom 19. Januar 2006 in der Strafsache gegen wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung- 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 19. Januar 2006, an der teilgenommen haben: Vorsitzende [X.]in am [X.] [X.], [X.] am [X.] Maatz, Prof. Dr. [X.], [X.]innen am [X.] [X.], [X.]als beisitzende [X.], Staatsanwalt

als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des [X.] vom 20. Dezember 2004 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landge-richts zurückverwiesen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Verurteilten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. 1 Die Verfahrensrüge ist, wie der [X.] in seiner [X.] zutreffend ausgeführt hat, jedenfalls unbegründet, so dass es auf die Frage ihrer Zulässigkeit nicht ankommt. Das Rechtsmittel hat jedoch mit der Sachrüge Erfolg. 2 [X.] 1. [X.] war vom [X.] Magdeburg mit Urteil vom 26. November 1992 wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden. Nach den Urteilsfeststellungen verfolgte er am 3 - 4 - 19. Januar 1992 eine ihm flüchtig bekannte junge Frau in den Hausflur ihres Elternhauses, stach in Tötungsabsicht mit einem Springmesser auf sie ein und würgte sie, weil er sich in seiner Hoffnung auf ein sexuelles Abenteuer, zu der ihm sein späteres Opfer allerdings keine Veranlassung gegeben hatte, ge-täuscht sah; erst als die Eltern zu Hilfe eilten, ließ er von seinem Opfer ab, das durch die Tat schwere körperliche und seelische Beeinträchtigungen davontrug. Zur Tatzeit lag eine alkoholbedingte Enthemmung (1,4 › BAK) beim [X.] vor. Erst knapp zwei Monate vor Begehung dieser Tat war der Verurteilte nach längerer Strafverbüßung unter Aussetzung eines Strafrestes zur Bewäh-rung haftentlassen worden. Er war am 11. August 1984 vom Bezirksgericht [X.] wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt worden, die auf der Grundlage des [X.] in eine Jugendstrafe von zehn Jahren umgewandelt worden war. Gegenstand dieser Verurteilung war ein Tatgesche-hen vom Januar 1984, in dessen Verlauf der Verurteilte in alkoholisiertem Zu-stand nachts mit einem [X.] gewaltsam in die Wohnung der Schwägerin seiner damaligen Verlobten eindrang, um mit ihr den Geschlechts-verkehr auszuführen, obwohl diese ein solches Ansinnen früher abgelehnt [X.]; als die Frau erwachte und eine Anzeige ankündigte, erschlug er sie mit zahl-reichen wuchtigen Hammerschlägen. Bei Entdeckung der Tat zwei Tage später hockte der zweijährige [X.] der Getöteten, der im [X.] geschlafen hatte, blutverschmiert und unterkühlt neben dem Leichnam der Mutter. 4 [X.] hat sowohl die wegen der [X.] verhängte Strafe als auch die Reststrafe aus der Verurteilung durch das Bezirksgericht [X.] bis zum 23. März 2002 ([X.]) vollständig verbüßt, nachdem [X.] mehrmals abgelehnt worden waren. Auch danach verblieb er in der [X.] - 5 - zugsanstalt [X.], zunächst auf Grund von [X.] nach den Vorschriften des Gesetzes über die Unterbringung besonders rück-fallgefährdeter Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ([X.]) des [X.] vom 6. März 2002, sodann auf Grund des gemäß § 275 a Abs. 5 StPO ergangenen Unterbrin-gungsbefehls des [X.] vom 28. Juli 2004. 2. Zu den persönlichen Verhältnissen hat das [X.] Folgendes festgestellt: 6 [X.] ist als Einzelkind in geordneten Verhältnissen aufgewach-sen. Seine Eltern verwöhnten ihn nach Kräften und bestärkten ihn darin, seine Interessen grundsätzlich als berechtigt anzusehen und durchzusetzen. Mit 17 Jahren zog er gegen den Willen seiner Eltern mit seiner Verlobten zusammen und wohnte in deren Elternhaus. Zu dieser [X.] nahm er häufig übermäßig [X.] zu sich, obwohl er wusste, dass er unter Alkoholeinfluss aggressiv wurde. Dies führte zu Auseinandersetzungen mit seiner Verlobten. Im November 1983 brach er nach einem solchen Streit nachts mit einem Schraubendreher in die Wohnräume der von ihm dann im Januar 1984 Getöteten ein, um mit dieser den Geschlechtsverkehr durchzuführen. Die Frau verwies ihn der Wohnung. 7 Nach der Haftentlassung im November 1991 fand der Verurteilte [X.] bei seinen Eltern und knüpfte Kontakte zu seinen früheren Bekannten, wobei er allerdings wiederum vermehrt dem Alkohol zusprach. Zur [X.] unter-hält der Verurteilte intensive und auch intime Beziehungen zu einer transsexuel-len Person, die wegen eines Kapitaldelikts bis zum Jahre 2011 Strafhaft zu ver-büßen hat. Dieses Verhältnis sieht er als Lebensgemeinschaft an. 8 - 6 - 3. Das [X.] hat die Voraussetzungen des § 66 b Abs. 2 StGB be-jaht. Als "neue Tatsache" im Sinne dieser Bestimmung hat es eine während des Strafvollzuges wegen der [X.] zutage getretene Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, histrionischen und dissozialen Anteilen des Verurteilten gewer-tet, die ihren Ausdruck in wiederholten verbal-aggressiven Angriffen und Dro-hungen gegen Bedienstete der Vollzugsanstalt gefunden habe; dies lasse den Schluss zu, dass dem Verurteilten ein Umgang mit Provokations- und Abwei-sungssituationen, wie sie sich schon bei alltäglichen Konflikten ergeben können, in sozial adäquater Weise nicht möglich sei. Im Rahmen seiner Gesamtwürdi-gung ist es, beraten durch die psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. B. und Prof. Dr. S. , vor dem Hintergrund der bei der [X.] hervor-getretenen Gefährlichkeit des Verurteilten zu der Einschätzung gelangt, dass dieser in Freiheit mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen würde, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt wür-den. 9 I[X.] Das Urteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. 10 1. Das [X.] hat die formellen Eingangsvoraussetzungen des § 66 b Abs. 2 StGB zutreffend bejaht. [X.] ist durch das Urteil vom 26. November 1992 wegen eines Verbrechens gegen das Leben zu einer Frei-heitsstrafe verurteilt worden, die die erforderliche Mindesthöhe von fünf Jahren übersteigt. 11 - 7 - 2. Entgegen der Ansicht der Revision bestehen gegen die Verfassungs-mäßigkeit des § 66 b Abs. 2 StGB weder im Hinblick auf das [X.] nach Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. [X.] 109, 133, 167) noch unter dem Ge-sichtspunkt des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebots aus Art. 2 Abs. 2 GG i.V.m Art. 20 Abs. 3 GG durchgreifende Bedenken (vgl. [X.], Urteil vom 25. November 2005 - 2 StR 272/05 - zum Abdruck in [X.]St bestimmt; [X.] vom 12. Januar 2006 - 4 [X.]). 12 Die Anwendbarkeit des § 66 b Abs. 2 StGB wird auch nicht dadurch ge-hindert, dass gegen den Verurteilten zum [X.]punkt der Aburteilung der Anlass-tat die Maßregel der Sicherungsverwahrung - selbst bei Vorliegen der Voraus-setzungen des § 66 StGB - nicht hätte angeordnet werden dürfen, weil dieser die Tat im Beitrittsgebiet, wo er auch ansässig war, begangen hatte (Art. 1 a EGStGB in der Fassung des [X.] vom 31. August 1990 - BGBl. [X.] 889, 954), da diese Vorschrift gerade unabhängig vom Vorliegen der [X.] Voraussetzungen des § 66 StGB Anwendung findet (vgl. [X.], [X.] vom 12. Januar 2006 - 4 [X.]). 13 3. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet jedoch, dass das [X.] als "neue Tatsachen" im Sinne des § 66 b StGB (nur) die schwer-wiegende Persönlichkeitsstörung des Verurteilten angesehen hat. Damit hat es auf die Bewertung der Persönlichkeitsauffälligkeiten des Verurteilten abgestellt, nicht auf die dieser Bewertung zu Grunde liegenden Anknüpfungstatsachen. Für die Beurteilung der Frage, ob "neue Tatsachen" gegeben sind, ist aber nicht die neue oder möglicherweise sogar erstmalige Bewertung von Tatsachen maßgeblich. Entscheidend ist vielmehr, ob die dieser Bewertung zu Grunde lie-genden Anknüpfungstatsachen im [X.]punkt der Aburteilung der [X.] be-14 - 8 - reits vorlagen und ob diese dem damaligen Tatrichter bekannt oder für ihn er-kennbar waren (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Januar 2006 - 4 [X.]). Zwar hat das [X.] dargelegt, dass während des Strafvollzugs wegen der [X.] bei dem Verurteilten Verhaltensweisen und Auffälligkeiten zutage getreten sind, auf welche sich die Diagnose einer schweren dissozialen Persönlichkeitsstörung stützt, und dass diese eine gewisse [X.] überschreiten. Während der früheren Verbüßungszeit war das Voll-zugsverhalten des Verurteilten im wesentlichen angepasst; wenn es [X.] gab, reagierte er positiv auf Aussprachen mit [X.]n; außerdem brachte er in deliktsbezogenen Gesprächen zum Ausdruck, dass er sich der Schwere und Verwerflichkeit seiner begangenen Straftat bewusst sei. Dies änderte sich bald nach der [X.]. Zwar zeigte er sich anfangs noch kooperativ und einsichtig, dann aber traten massive Verhaltensauffälligkei-ten auf. Er war leicht reizbar, zeigte eine geringe Frustrationstoleranz und ließ seiner Impulsivität freien Lauf. Wiederholt kam es zu verbal-aggressiven Angrif-fen auf [X.], die er nicht nur beleidigte, sondern auch massiv - teils mit dem Tode - bedrohte. Dreimal wurde er wegen derartiger Attacken zu Geldstrafen verurteilt. Dennoch war der Verurteilte nicht bereit, sein Verhalten zu ändern. Schließlich wurde der Justizvollzug so organisiert, dass nach Mög-lichkeit nur bestimmte Bedienstete, die mit dem Verurteilten umzugehen wuss-ten, eingesetzt wurden. Selbst dadurch war allerdings keine nachhaltige Besse-rung der Verhaltensauffälligkeiten zu erzielen. Das [X.] hat in diesen massiven Verhaltensauffälligkeiten aber ausdrücklich keine neuen Tatsachen im Sinne des § 66 b StGB gesehen, sondern ausschließlich erwogen, ob die Persönlichkeitsstörung des Verurteilten erheblich und ob sie dem [X.] bekannt oder für dieses erkennbar war. Der [X.] kann nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass das Urteil auch im Ergebnis auf diesem [X.] - fenden Prüfungsmaßstab beruht. Dies gilt umso mehr, als das [X.] die vom Verurteilten gezeigten Verhaltensauffälligkeiten - von seinem Ansatz her nachvollziehbar - weitgehend in pauschaler, zusammenfassender Form be-schreibt. Um dem Revisionsgericht eine rechtliche Überprüfung der vom [X.] vorgenommenen Gewichtung zu ermöglichen, bedarf es jedoch einer ins einzelne gehenden Darstellung des vom Tatrichter als neue erhebliche Tatsa-chen gewerteten Vollzugsverhaltens. 4. Die Frage, ob neben der in § 66 b Abs. 2 StGB erforderlichen Gefähr-lichkeit zusätzlich ein Hang des Verurteilten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB festgestellt werden muss (was wegen der unterschiedlichen Fassung der Absätze 1 und 2 des § 66 b StGB zweifelhaft erscheinen könnte), braucht der [X.] nicht zu entscheiden. Im Übrigen liegt hier nach den bisherigen getroffe-nen Feststellungen des [X.]s ein Hang des Verurteilten zur Begehung erheblicher Straftaten jedenfalls nahe. 16 5. Für die erneute Verhandlung weist der [X.] auf Folgendes hin: 17 a) Verbal-aggressive Angriffe während des Vollzugs der Freiheitsstrafe (vgl. Art. 1 a Satz 2 EGStGB n.F.) stellen wegen des mit der nachträglichen Si-cherungsverwahrung verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in das Freiheits-recht des Verurteilten aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur dann erhebli-che neue Tatsachen dar, wenn sie für sich genommen oder in ihrer Gesamtheit auf eine Bereitschaft des Verurteilten hinweisen, schwere Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder die sexuelle Selbstbe-stimmung anderer zu begehen (vgl. [X.], Urteil vom 25. November 2005 - 2 StR 272/05; Beschluss vom 12. Januar 2006 - 4 [X.]). Ob dies hier zu-trifft, wird der neue Tatrichter vor dem Hintergrund der [X.] we-18 - 10 - gen eines wiederholten schwerwiegenden Aggressionsdelikts (zum symptoma-tischen Zusammenhang zwischen [X.] und neuer Tatsache vgl. [X.]s-beschluss vom 9. November 2005 - 4 [X.] - zum Abdruck in [X.]St be-stimmt = NJW 2006, 384 f.), der Persönlichkeit des Verurteilten (einschließlich diagnostizierter Persönlichkeitsstörungen) sowie der besonderen [X.] zu beurteilen haben. b) Bei der Gefährlichkeitsprognose wird der neu entscheidende Tatrichter auch zu prüfen haben, ob und inwieweit die beim Verurteilten bestehende schwerwiegende Persönlichkeitsstörung, die ursächlich für die aggressiven Verhaltensweisen im Vollzug ist, bisher therapeutisch aufgearbeitet werden konnte. 19 Tepperwien Maatz [X.] [X.] Sost-Scheible

Meta

4 StR 222/05

19.01.2006

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.01.2006, Az. 4 StR 222/05 (REWIS RS 2006, 5518)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 5518

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