Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.06.2020, Az. AK 14/20

3. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1432

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Gegenstand

Untersuchungshaft wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung: Kriterien für die formale Eingliederung einer Ehefrau eines IS-Kämpfers in die Organisation des "Islamischen Staates"


Tenor

Die Untersuchungshaft hat [X.].

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den [X.] findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem [X.] übertragen.

Gründe

[X.]

1

[X.] ist am 3. Dezember 2019 vorläufig festgenommen worden und befindet si[X.]h seit dem 4. Dezember 2019 - zunä[X.]hst aufgrund Haftbefehls des [X.] vom 27. November 2019 (4 [X.] 41/19) - ununterbro[X.]hen in Untersu[X.]hungshaft.

2

Gegenstand des ursprüngli[X.]hen Haftbefehls war der Vorwurf, die Angeklagte habe si[X.]h seit dem 8. Dezember 2014 als Mitglied an der [X.]" ([X.]) beteiligt, deren Zwe[X.]ke und deren Tätigkeit darauf geri[X.]htet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Tots[X.]hlag (§ 212 StGB) oder Kriegsverbre[X.]hen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 [X.]) zu begehen. Das [X.] hat am 22. Mai 2020 einen erweiterten Haftbefehl vom 19. Mai 2020 verkündet und dessen Invollzugsetzung bes[X.]hlossen (5 StS 1/20). Zufolge dieses Haftbefehls ist die Angeklagte zwis[X.]hen Mitte/Ende Dezember 2014 und Mitte/[X.] 2015 der Mitglieds[X.]haft in einer terroristis[X.]hen [X.] im Ausland in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Ausübung der tatsä[X.]hli[X.]hen Gewalt über eine Kriegswaffe, na[X.]h § 129a Abs. 1 Nr. 1 (i.d.F. v. 22. Dezember 2003), § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 (i.d.F. v. 22. August 2002), §§ 52, 53 StGB, § 22a Abs. 1 Nr. 6 Bu[X.]hst. a) KrWaffKG [X.]. Teil B Nr. 29 Bu[X.]hst. [X.] und [X.] der Anlage zu § 1 Abs. 1 KrWaffKG dringend verdä[X.]htig.

3

Der Generalstaatsanwalt in [X.] hat mit Anklages[X.]hrift vom 3. April 2020 wegen der dem erweiterten Haftbefehl zugrundeliegenden Tatvorwürfe Anklage zum [X.] erhoben.

4

Der 5. Strafsenat des [X.] hat mit Bes[X.]hluss vom 19. Mai 2020 die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Mit weiterem Bes[X.]hluss vom glei[X.]hen Tage hat er die Fortdauer der Untersu[X.]hungshaft für erforderli[X.]h gehalten und die Akten dem Senat zur besonderen Haftprüfung vorgelegt. Der Beginn der Hauptverhandlung ist für den 3. Juli 2020 vorgesehen.

I[X.]

5

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersu[X.]hungshaft über se[X.]hs Monate hinaus liegen vor.

6

1. [X.] ist der ihr in dem Haftbefehl des Oberlandesgeri[X.]hts vom 19. Mai 2020 zur Last gelegten Taten dringend verdä[X.]htig.

7

a) Na[X.]h dem bisherigen Ermittlungsstand ist insoweit im Sinne eines dringenden Tatverda[X.]hts von folgendem Sa[X.]hverhalt auszugehen:

8

aa) Der [X.] ist eine Organisation mit militant-fundamentalistis[X.]her islamis[X.]her Ausri[X.]htung, die es si[X.]h ursprüngli[X.]h zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen [X.] und die historis[X.]he Region "ash-Sham" - die heutigen [X.] [X.], [X.] und [X.] sowie [X.] - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden "Gottesstaat" unter Geltung der Sharia zu erri[X.]hten und dazu die s[X.]hiitis[X.]h dominierte Regierung im [X.] und das Regime des syris[X.]hen Präsidenten [X.] zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der si[X.]h ihren Ansprü[X.]hen entgegenstellt, als "Feind des Islam" begreift; die Tötung sol[X.]her "Feinde" oder ihre Eins[X.]hü[X.]hterung dur[X.]h Gewaltakte sieht der [X.] als legitimes Mittel des Kampfes an.

9

Die Führung der [X.], die si[X.]h mit dem Ausrufen des "Kalifats" im Juni 2014 von [X.]IG in [X.] umbenannte - wodur[X.]h sie von der territorialen Selbstbes[X.]hränkung Abstand nahm - hatte seit 2010 [X.] inne. [X.] war von seinem Spre[X.]her zum "Kalifen" erklärt worden, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Dem "Kalifen" unterstehen ein Stellvertreter sowie "Minister" als Verantwortli[X.]he für einzelne Berei[X.]he, so ein "[X.]" und ein "Propagandaminister". Zur Führungsebene gehören außerdem beratende "[X.]". Veröffentli[X.]hungen werden in der Medienabteilung "[X.]" produziert und über die Medienstelle "[X.]’tisam" verbreitet, die dazu einen eigenen Twitter-Kanal und ein [X.] nutzt. Das au[X.]h von Kampfeinheiten verwendete Symbol der [X.] besteht aus dem "Prophetensiegel" (einem weißen Oval mit der Ins[X.]hrift: "[X.] - [X.] - [X.]") auf s[X.]hwarzem Grund, übers[X.]hrieben mit dem islamis[X.]hen Glaubensbekenntnis. Die mehreren Tausend Kämpfer sind dem "[X.]" unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Die von ihr besetzten Gebiete teilte die [X.] ein und ri[X.]htete einen [X.] ein; diese Maßnahmen zielten auf das S[X.]haffen totalitärer staatli[X.]her Strukturen. Angehörige der syris[X.]hen Armee, aber au[X.]h von in Gegners[X.]haft zum [X.] stehenden Oppositionsgruppen, ausländis[X.]he Journalisten und Mitarbeiter von Ni[X.]htregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrs[X.]haftsberei[X.]h des [X.] in Frage stellen, sahen si[X.]h Verhaftung, Folter und Hinri[X.]htung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfa[X.]h vom [X.]IG bzw. [X.] zu Zwe[X.]ken der Eins[X.]hü[X.]hterung veröffentli[X.]ht. Darüber hinaus begeht die [X.] immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb ihres Ma[X.]htberei[X.]hs Terrorans[X.]hläge. So hat sie für Ans[X.]hläge in [X.], etwa in Frankrei[X.]h, [X.] und Deuts[X.]hland, die Verantwortung übernommen.

bb) [X.] ist muslimis[X.]hen Glaubens und war spätestens seit April 2014 Anhängerin des salafistis[X.]hen Islam. Um ihre Überzeugung zum Ausdru[X.]k zu bringen, veröffentli[X.]hte sie im April 2014 auf ihrem Fa[X.]ebook-A[X.][X.]ount "         " unter anderem Bilder von [X.] bin Laden. Entspre[X.]hend ihrer islamistis[X.]hen Gesinnung ents[X.]hloss si[X.]h die Angeklagte zu einem ni[X.]ht näher feststellbaren Zeitpunkt in der zweiten Hälfte des Jahres 2014, na[X.]h [X.] zu reisen, um si[X.]h dort der Organisation anzus[X.]hließen. Na[X.]hdem [X.], mit dem sie zum damaligen Zeitpunkt als dessen "Zweitfrau" na[X.]h islamis[X.]hem Ritus verheiratet war, si[X.]h jedenfalls zu diesem Zeitpunkt no[X.]h ni[X.]ht dem [X.] hatte ans[X.]hließen wollen, ließ si[X.]h die Angeklagte einseitig und gegen den Willen des [X.]von diesem dur[X.]h einen Islamgelehrten s[X.]heiden. Um den 8./9. Dezember 2014 begab si[X.]h die Angeklagte in Umsetzung ihres Ents[X.]hlusses und mit Unterstützung des Netzwerkes um die gesondert verfolgten "   W.   ",    [X.]    und    S.       zusammen mit dem ihr zwis[X.]henzeitli[X.]h na[X.]h islamis[X.]hem Ritus neu angetrauten Ehemann    [X.]über die [X.] na[X.]h [X.]. Dort angekommen s[X.]hlossen si[X.]h beide dem [X.] als Mitglieder an bzw. wurden von diesem aufgenommen. [X.] begab si[X.]h am Tage na[X.]h ihrer Ankunft für knapp zwei Monate in ein vom [X.] geführtes Frauenhaus. In diesem erhielt die Angeklagte Unterkunft und Verpflegung. Regelmäßig ers[X.]hien ein Betreuer der Frauen und fragte na[X.]h, ob diese etwas benötigten. [X.] nutzte dort ihr Handy und hatte Zugang zum [X.]. Zudem wurde die Angeklagte in dieser Zeit operiert und in einem Krankenhaus des [X.] gepflegt.

   [X.]begab si[X.]h unmittelbar na[X.]h der Ankunft in [X.] auf eine, wie es die Angeklagte formulierte, "[X.]" und lernte bei "Gelehrten". Tatsä[X.]hli[X.]h wurde    [X.]dort ni[X.]ht nur religiös ges[X.]hult, sondern erhielt au[X.]h eine umfassende militäris[X.]he Ausbildung in Waffenkunde sowie im Umgang mit Sprengstoff. Sein Ausbildungsprogramm sah vor, dass er na[X.]h einigen Wo[X.]hen der S[X.]hulung für eine Phase von (wiederholt) zwei Wo[X.]hen an Kämpfen teilnehmen sollte. Aufgrund der Tatsa[X.]he, dass    [X.]mehrere Spra[X.]hen spra[X.]h, u.a. russis[X.]h, englis[X.]h, albanis[X.]h und türkis[X.]h, sollte er indes ni[X.]ht dauerhaft in Kämpfen eingesetzt, sondern in den Führungskader des [X.] aufgenommen werden. All dies war der Angeklagten bekannt.

Na[X.]hdem    [X.]seine Ausbildung beendet hatte, zog die Angeklagte mit ihm in eine gemeinsame Wohnung. Diese wurde ihnen vom [X.] zur Verfügung gestellt. [X.] führte den gemeinsamen Haushalt. Darüber hinaus erhielten beide eine monatli[X.]he Zahlung vom [X.] in unbekannter Höhe, die einerseits aus dem Lohn für    [X.]bestand und darüber hinaus einen Zus[X.]hlag für die Angeklagte enthielt. [X.] forderte    [X.]ausdrü[X.]kli[X.]h dazu auf, er solle kämpfen gehen. Tatsä[X.]hli[X.]h nahm er im Juni/Juli 2015 als Kämpfer des [X.] an kriegeris[X.]hen Auseinandersetzungen um die Stadt Kobane teil.

[X.] war, spätestens na[X.]h ihrer Ankunft in [X.], eventuell aber bereits vor ihrer Ausreise dorthin in Deuts[X.]hland, Mitglied des sogenannten "S[X.]hwesternnetzwerks", dessen Aufgabe es war, Frauen im Sinne der Ziele des [X.] zu indoktrinieren und auf ihre künftige Rolle als Braut eines "Jihadi" vorzubereiten. In dieser Eigens[X.]haft organisierte die Angeklagte sodann von [X.] aus die Ausreise von Frauen na[X.]h [X.] und vermittelte in einem Fall au[X.]h eine islamis[X.]he Ehes[X.]hließung, nämli[X.]h die einer Bekannten mit dem Namen "    ". Darüber hinaus gab sie Informationen über die Situation in das Herrs[X.]haftsgebiet des [X.] eingereister Frauen an Mitglieder des Frauennetzwerks weiter, wel[X.]hem neben der Frau von "   W.   " die Frauen mehrerer führender Islamisten in Deuts[X.]hland angehörten.

Gegenüber Kommunikationspartnern in Deuts[X.]hland lobte die Angeklagte die Situation im Gebiet des [X.] und warb für eine Ausreise in das Gebiet der terroristis[X.]hen Organisation.

Während ihres Aufenthaltes im Gebiet des [X.] und als dessen Mitglied übte die Angeklagte in zwei Fällen im Zeitraum zwis[X.]hen Ende Januar 2015 bis zum 28. April 2015 in [X.], wie ihr bekannt war, ohne die erforderli[X.]he Genehmigung die tatsä[X.]hli[X.]he Gewalt über ein Sturmgewehr "Kalas[X.]hnikow" [X.] sowie ein Sturmgewehr "Kalas[X.]hnikow" [X.] und eine Handgranate aus, wobei sie das Sturmgewehr "Kalas[X.]hnikow" [X.] bei mindestens einer Gelegenheit au[X.]h öffentli[X.]h in einem Park in [X.] mit si[X.]h führte. Zu dieser Gelegenheit hob sie den re[X.]hten Zeigefinger als Geste einer Salafistin zum Zwe[X.]ke der Symbolisierung ihres Glaubens an Gott. Ihr kam es dabei au[X.]h darauf an, als Mitglied des [X.] dessen Herrs[X.]haftsanspru[X.]h na[X.]h außen wahrnehmbar zu symbolisieren und zu festigen. Zu der anderen Gelegenheit übte sie die tatsä[X.]hli[X.]he Gewalt über die vorgenannten Kriegswaffen - "Kalas[X.]hnikow" [X.] und eine Handgranate - aus, die in einem ges[X.]hlossenen Raum unter einer Fahne des [X.] ausgestellt waren. [X.] übersandte der S[X.]hwester des    [X.], [X.].   , am 28. April 2015 entspre[X.]hende Li[X.]htbilder; deren Übertragung erfolgte dur[X.]h die Angeklagte zu dem Zwe[X.]k, ihre Mitglieds[X.]haft zum [X.] und dessen Herrs[X.]haftsanspru[X.]h zu symbolisieren bzw. zu demonstrieren.

Mit einer Vielzahl von Textna[X.]hri[X.]hten versu[X.]hte die Angeklagte zudem, [X.].   zur Ausreise in das Herrs[X.]haftsgebiet des [X.] zu bewegen. Unter einem der am 28. April 2015 an sie übersandten vorbes[X.]hriebenen Li[X.]htbilder s[X.]hrieb die Angeklagte beispielsweise: "I[X.]h warte hier auf di[X.]h Habibti i".

Später übersiedelte die Angeklagte mit ihren beiden im Januar 2016 sowie im Februar 2017 geborenen Kindern na[X.]h [X.], wo sie im Jahr 2018 einen bislang ni[X.]ht identifizierten [X.] heiratete und am 9. April 2019 Zwillinge gebar. Kurze Zeit später begab sie si[X.]h in die [X.], wo sie si[X.]h seit September 2019 in einem Abs[X.]hiebezentrum in [X.] aufhielt. Von dort aus wurde sie am 3. Dezember 2019 na[X.]h Deuts[X.]hland abges[X.]hoben.

b) Der dringende Tatverda[X.]ht beruht im Hinbli[X.]k auf die terroristis[X.]he [X.] [X.] auf den diesbezügli[X.]hen Guta[X.]hten des Sa[X.]hverständigen Dr. St.     sowie entspre[X.]henden Auswerteberi[X.]hten des Bundeskriminalamts.

Dass si[X.]h die Angeklagte zunä[X.]hst freiwillig und im Wissen um die Existenz des [X.] in dessen Herrs[X.]haftsberei[X.]h begab, folgt aus ihren eigenen Einlassungen.

In Bezug auf die der Angeklagten zur Last gelegten Tathandlungen ergibt si[X.]h der dringende Tatverda[X.]ht im Wesentli[X.]hen aus den Angaben der Zeugen A.  und [X.][X.],     [X.]    , [X.]und [X.].  sowie Di.    und [X.].  , ebenso wie aus den in Bezug genommenen Kommunikationsvorgängen und Li[X.]htbildern. Jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt folgt die Betätigung der Angeklagten im Zusammenhang mit dem "S[X.]hwesternnetzwerk" vor allem aus den Inhalten des Chatverkehrs mit [X.].  . Soweit im Übrigen seitens der Angeklagten die Aussagebereits[X.]haft und Glaubwürdigkeit des Zeugen [X.]in Zweifel gezogen wird, muss deren abs[X.]hließende Überprüfung und Bewertung der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.

Wegen der Einzelheiten der den dringenden Tatverda[X.]ht begründenden Umstände wird auf die eingehenden Ausführungen in dem Haftbefehl vom 19. Mai 2020 und die Anklages[X.]hrift vom 3. April 2020 nebst [X.] Bezug genommen.

[X.]) Dana[X.]h hat si[X.]h die Angeklagte mit hoher Wahrs[X.]heinli[X.]hkeit in drei Fällen als Mitglied an einer terroristis[X.]hen [X.] im Ausland beteiligt, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit der Ausübung der tatsä[X.]hli[X.]hen Gewalt über eine Kriegswaffe (§ 129a Abs. 1 Nr. 1 (i.d.F. v. 22. Dezember 2003), § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 (i.d.F. v. 22. August 2002), §§ 52, 53 StGB, § 22a Abs. 1 Nr. 6 Bu[X.]hst. a) KrWaffKG [X.]. Teil B Nr. 29 Bu[X.]hst. [X.] und [X.] der Anlage zu § 1 Abs. 1 KrWaffKG).

Die mitglieds[X.]haftli[X.]he Beteiligung setzt eine gewisse formale Eingliederung des [X.] in die Organisation voraus. Sie kommt nur in Betra[X.]ht, wenn der Täter die [X.] von innen und ni[X.]ht ledigli[X.]h von außen her fördert. Insoweit bedarf es zwar keiner förmli[X.]hen Beitrittserklärung oder einer förmli[X.]hen Mitglieds[X.]haft. Notwendig ist aber, dass der Täter eine Stellung innerhalb der [X.] einnimmt, die ihn als zum Kreis der Mitglieder gehörend kennzei[X.]hnet und von den Ni[X.]htmitgliedern unters[X.]heidbar ma[X.]ht. Dafür rei[X.]ht allein die Tätigkeit für die [X.], mag sie au[X.]h besonders intensiv sein, ni[X.]ht aus; denn ein Außenstehender wird ni[X.]ht allein dur[X.]h die Förderung der [X.] zu deren Mitglied. Die Mitglieds[X.]haft setzt ihrer Natur na[X.]h eine Beziehung voraus, die einer [X.] ni[X.]ht aufgedrängt werden kann, sondern ihre Zustimmung erfordert. Ein auf ledigli[X.]h einseitigem Willensents[X.]hluss beruhendes Unterordnen und Tätigwerden genügt ni[X.]ht, selbst wenn der Betreffende bestrebt ist, die [X.] und ihre kriminellen Ziele zu fördern. Die Annahme einer mitglieds[X.]haftli[X.]hen Beteiligung s[X.]heidet daher aus, wenn die Unterstützungshandlungen ni[X.]ht von einem einvernehmli[X.]hen Willen zu einer fortdauernden Teilnahme am [X.] getragen sind (siehe etwa [X.], Urteil vom 14. August 2009 - 3 [X.], [X.]St 54, 69 Rn. 128 mwN; Bes[X.]hlüsse vom 13. September 2011 - StB 12/11, [X.], 372 f.; vom 13. Juni 2019 - AK 27/19, juris Rn. 20).

Daran gemessen ist aufgrund der bislang vorliegenden Erkenntnisse entgegen dem Vorbringen in dem S[X.]hriftsatz vom 5. Juni 2020, mit dem die Angeklagte die Aufhebung oder Außervollzugsetzung des Haftbefehls erstrebt, davon auszugehen, dass si[X.]h die Angeklagte in den [X.] eingliederte. Auf eine sol[X.]he Eingliederung in die Organisation lässt mit Bli[X.]k auf die vorgenannte Unterbringung in dem Frauenhaus bereits der Umstand s[X.]hließen, dass dort na[X.]h den eigenen Angaben der Angeklagten Handy- und [X.]nutzung mögli[X.]h waren. Weiterhin wird der gezogene S[X.]hluss erhebli[X.]h dadur[X.]h gestützt, dass die Angeklagte selbst zu mehreren Gelegenheiten Zugriff auf vers[X.]hiedene Waffen hatte und si[X.]h im Rahmen des "S[X.]hwesternnetzwerks" für die Belange der Organisation engagierte, insbesondere hinsi[X.]htli[X.]h der Ehes[X.]hließung der "    " und der potentiellen Einreise der S[X.]hwester des    [X.]in das Gebiet der Organisation. Außerdem heiratete sie aufgrund ihres eigenen Ents[X.]hlusses no[X.]h in Deuts[X.]hland na[X.]h islamis[X.]hem Ritus einen zukünftigen [X.]-Kämpfer, mit dem sie in das von der Organisation kontrollierte Gebiet einreiste und ans[X.]hließend in einer Unterkunft lebte, die ihnen von der [X.] zur Verfügung gestellt wurde. Überdies wurde die Angeklagte ebenso wie ihr Ehemann vom [X.] alimentiert. Dur[X.]h die Zahlungen trug der [X.] selbst Sorge für den Lebensunterhalt der Angeklagten, ebenso bereits zuvor dadur[X.]h, dass er ihr na[X.]h der Einreise eine Unterkunft in einem von der Organisation verwalteten Frauenhaus und stationäre medizinis[X.]he Versorgung zur Verfügung stellte.

In Anbetra[X.]ht dieser Gesamtumstände stellen si[X.]h au[X.]h die Tätigkeiten der Angeklagten im Zusammenleben mit ihrem Ehemann, insbesondere das Führen des Haushalts während der Zeiträume, in denen dieser als Kämpfer ortsabwesend war, ni[X.]ht ledigli[X.]h als bloße alltägli[X.]he Verri[X.]htungen ohne Organisationsbezug dar (vgl. [X.], Bes[X.]hluss vom 15. Mai 2019 - AK 22/19, NJW 2019, 2552 Rn. 24 ff.).

Deuts[X.]hes Strafre[X.]ht ist anwendbar. Dies folgt entweder unmittelbar aus § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 2 StGB (vgl. [X.], Bes[X.]hluss vom 31. Juli 2009 - StB 34/09, [X.]R StGB § 129b Anwendbarkeit 1) oder aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB, weil die Angeklagte Deuts[X.]he ist und das Gebiet, in dem sie si[X.]h als Mitglied des [X.] beteiligte, effektiv keiner staatli[X.]hen Strafgewalt unterlag. Im Übrigen ist der Ans[X.]hluss an eine terroristis[X.]he Organisation gemäß Art. 1 und 3 des syris[X.]hen Anti-Terror-Gesetzes Nr. 19 vom 28. Juni 2012, das die zuvor geltenden Vors[X.]hriften über die Strafbarkeit einer Mitglieds[X.]haft in einer terroristis[X.]hen [X.] na[X.]h Art. 304 bis 306 des syris[X.]hen Strafgesetzbu[X.]hs ersetzt hat, au[X.]h in [X.] mit Strafe bedroht. Glei[X.]hes gilt hinsi[X.]htli[X.]h der Verstöße gegen das [X.] im Hinbli[X.]k auf §§ 39, 41 des syris[X.]hen [X.] [X.] vom 24. September 2001.

Die na[X.]h § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderli[X.]he Ermä[X.]htigung zur strafre[X.]htli[X.]hen Verfolgung von Mitgliedern des [X.] liegt vor.

2. Es bestehen die Haftgründe der Flu[X.]htgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 [X.]) und der S[X.]hwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 [X.]).

[X.] hat im Fall ihrer Verurteilung mit einer empfindli[X.]hen Freiheitsstrafe zu re[X.]hnen. Dem davon ausgehenden erhebli[X.]hen Flu[X.]htanreiz stehen au[X.]h unter Berü[X.]ksi[X.]htigung der mehrmonatigen Inhaftierung der Angeklagten in der [X.] keine hinrei[X.]henden flu[X.]hthemmenden Umstände entgegen. [X.] verfügt zwar über [X.] Kontakte in Deuts[X.]hland. Diese sind aber ni[X.]ht geeignet, sie von einer Flu[X.]ht abzuhalten. Ihre familiäre Bindung - au[X.]h zu ihren vier Kindern - ist fragil. Im Rahmen der Telekommunikationsüberwa[X.]hung haben si[X.]h Hinweise darauf ergeben, dass die Angeklagte erwägt, ni[X.]ht in Deuts[X.]hland zu verbleiben. Sie verfügt über vielfältige Kontakte, die sie in die Lage versetzen, geeignete Orte zu finden, um si[X.]h der Strafverfolgung zu entziehen. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass si[X.]h die Angeklagte, sollte sie in Freiheit gelangen, ni[X.]ht dem Strafverfahren stellen wird.

Die genannten Umstände begründen die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne weitere Inhaftierung der Angeklagten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersu[X.]hungshaft au[X.]h bei der gebotenen restriktiven Auslegung der Vors[X.]hrift (vgl. [X.]/[X.], [X.], 63. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) auf den Haftgrund des § 112 Abs. 3 [X.] zu stützen ist.

Weniger eins[X.]hneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 [X.] sind aus den genannten Gründen ni[X.]ht erfolgverspre[X.]hend.

3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersu[X.]hungshaft über se[X.]hs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 [X.]) sind gegeben. Die besondere S[X.]hwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil no[X.]h ni[X.]ht zugelassen.

Der Generalstaatsanwalt in [X.] hat bereits vier Monate na[X.]h der Festnahme der Angeklagten Anklage zum [X.] erhoben. Während dieses Zeitraums ist neben der Dur[X.]hführung der erforderli[X.]hen Ermittlungen - es wurden umfangrei[X.]he Chat-Protokolle aus dem von der Generalstaatsanwalts[X.]haft Berlin (173 Js 4/15) gegen den mutmaßli[X.]h verstorbenen früheren Ehemann der Angeklagten,    [X.], geführten Verfahren ausgewertet und weitere Zeugen vernommen - ein mittlerweile vorgelegtes Guta[X.]hten zur Frage der strafre[X.]htli[X.]hen Verantwortli[X.]hkeit der Angeklagten in Auftrag gegeben worden, in dessen Rahmen die Angeklagte bereits am 26. März 2020 von einem forensis[X.]h-psy[X.]hiatris[X.]hen Sa[X.]hverständigen exploriert worden ist. Der Vorsitzende des mit der Sa[X.]he befassten Strafsenats beim Oberlandesgeri[X.]ht hat die Zustellung der Anklages[X.]hrift unter dem 9. April 2020 veranlasst und zunä[X.]hst eine dem Umfang der Sa[X.]he angemessene Erklärungsfrist von drei Wo[X.]hen gesetzt. Auf Ersu[X.]hen der Pfli[X.]htverteidigerin ist diese Frist bis zum 18. Mai 2020 verlängert worden; eine Stellungnahme ist glei[X.]hwohl erst am 22. Mai 2020 abgegeben worden, na[X.]hdem die Eröffnung des Hauptverfahrens dur[X.]h das Oberlandesgeri[X.]ht bereits am 19. Mai 2020 bes[X.]hlossen worden war. Ausweisli[X.]h der dortigen [X.] sind bislang 22 Hauptverhandlungstermine, beginnend mit dem 3. Juli 2020, bestimmt.

4. S[X.]hließli[X.]h steht die Untersu[X.]hungshaft na[X.]h Abwägung zwis[X.]hen dem Freiheitsgrundre[X.]ht der Angeklagten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits ni[X.]ht zu der Bedeutung der Sa[X.]he und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 [X.]).

S[X.]häfer                      [X.]

Meta

AK 14/20

30.06.2020

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

§ 129a Abs 1 Nr 1 StGB, § 129b Abs 1 S 1 StGB, § 129b Abs 1 S 2 StGB, § 112 StPO, § 117 StPO, § 120 StPO, § 121 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.06.2020, Az. AK 14/20 (REWIS RS 2020, 1432)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1432

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