Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.12.2013, Az. B 9 V 53/13 B

9. Senat | REWIS RS 2013, 70

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Rechtsfrage - Bewertung menschlichen Verhaltens - Sozialadäquanz - Verfahrensmangel - Untersuchungsmaxime - Übergehen eines Beweisantrags - Zeitpunkt der Stellung des Antrags


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 2. September 2013 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Mit Beschluss vom [X.] hat das [X.] [X.] ([X.]) einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) verneint, weil kein Angriff iS des § 1 Abs 1 OEG vorliege. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat die Klägerin beim [X.] (BSG) Beschwerde eingelegt, die sie mit dem Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung sowie von [X.] begründet 160 Abs 2 [X.] und 3 SGG).

2

Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 [X.] SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine bestimmte Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl [X.] § 160 [X.]7; [X.], 158 = [X.] 1500 § 160a [X.]1; [X.] § 160a [X.] 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.

3

Trotz Fehlens einer klaren Formulierung ist dem Vorbringen der Klägerin zwar zu entnehmen, dass der Frage, ob unter Kindern die Jagd bzw Verfolgung mit einem brennenden Gegenstand als sozialadäquates Verhalten einzustufen ist, grundsätzliche Bedeutung zukommt. Insoweit hat die Klägerin allerdings bereits keine bestimmte Rechtsfrage aufgezeigt, da die von ihr aufgeworfene Frage die Bewertung tatsächlicher Umstände bzw menschlichen Verhaltens betrifft und sich nicht allein mit juristischen Methoden beantworten lässt. Zudem hat es die Klägerin versäumt, auf die Klärungsbedürftigkeit der im Ansatz erkennbaren rechtlichen Thematik von Umfang und Grenzen der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) näher einzugehen. Es fehlt bereits die erforderliche Auseinandersetzung mit vorhandener höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl BSG [X.] 3-1500 § 146 [X.] 2).

4

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie vorliegend - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des [X.] die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl [X.] § 160a [X.]4, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des [X.] - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl [X.] § 160a [X.]4, 36). Gemäß § 160 Abs 2 [X.] 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 S 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

5

Soweit die Klägerin rügt, das [X.] habe entgegen ihrem Antrag in der Klageschrift vom 2.10.2012 ihre Eltern nicht als Zeugen vernommen, hat sie die behauptete Verletzung des § 103 SGG nicht hinreichend dargetan. Insoweit hat sie bereits die Einschränkungen des § 160 Abs 2 [X.] 3 Halbs 2 SGG nicht berücksichtigt, wonach der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden kann, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dies hat die Klägerin bereits nicht hinreichend dargestellt, denn sie hat nicht einmal behauptet, einen berücksichtigungsfähigen Beweisantrag gestellt und bis zuletzt aufrechterhalten zu haben (vgl BSG [X.] 4-1500 § 160 [X.] Rd[X.] 5; BSG [X.] 4-1500 § 160 [X.]3 Rd[X.]1).

6

Hierzu reicht der Hinweis auf einen gegenüber dem Sozialgericht ("Klageschrift") gestellten Antrag schon grundsätzlich nicht aus, denn es geht im Beschwerdeverfahren allein um einen möglichen Mangel des Verfahrens des [X.]. Zudem ist nach dem Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 [X.] 3 SGG das Übergehen eines Beweisantrags nur dann ein Verfahrensmangel, wenn das [X.] vor seiner Entscheidung darauf hingewiesen wurde, dass der Beteiligte die Amtsermittlungspflicht des Gerichts (§ 103 SGG) noch nicht als erfüllt ansieht (vgl ua [X.] § 160 [X.] 67; BSG [X.] 3-1500 § 160 [X.] 9, 20, 31 sowie [X.] [X.] 3-1500 § 160 [X.] 6; [X.]/[X.], Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX Rd[X.]30). Dem Beweisantrag soll eine Warnfunktion zukommen, die er nicht erfüllt, wenn er zwar in einem früheren Verfahrensstadium schriftsätzlich gestellt wurde, im Entscheidungszeitpunkt selbst aber nicht mehr erkennbar weiterverfolgt wird. Das Übergehen eines Beweisantrags iS des § 160 Abs 2 [X.] 3 Halbs 2 SGG liegt daher zumindest bei [X.] vertretenen Beteiligten nur dann vor, wenn der Beweisantrag in der abschließenden mündlichen Verhandlung oder bei einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung schriftsätzlich zu einem Zeitpunkt gestellt bzw wiederholt wurde, in dem feststand, dass das [X.] von sich aus keine Ermittlungen mehr durchführen würde. Wenn ein [X.] vertretener Beteiligter, ohne den Beweisantrag zu wiederholen, sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt oder die Gelegenheit zur Anhörung gemäß § 153 Abs 4 [X.] SGG verstreichen lässt, muss er sich so behandeln lassen, als sei sein Beweisantrag erledigt (BSG [X.] 3-1500 § 160 [X.] 20, 31; BSG [X.] 4-1500 § 160 [X.]1, 12, 13).

7

Soweit die Klägerin eine Verletzung des Grundsatzes der Gewährung rechtlichen Gehörs geltend macht, hat sie einen Verstoß gegen § 62 SGG, der den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art 103 Abs 1 GG für das sozialgerichtliche Verfahren konkretisiert, nicht hinreichend dargelegt. Weder hat sie vorgetragen, dass sie durch die Entscheidung des [X.] überrascht worden sei, noch, dass sie sich zu Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen nicht oder nicht ausreichend habe äußern können. Ebenso wenig hat sie dargetan, dass das [X.] ihr Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in seine Erwägungen miteinbezogen habe. Sie hat vielmehr eine Verletzung des rechtlichen Gehörs allein mit der Begründung behauptet, das [X.] habe seine Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 SGG) verletzt und zu ihrem (der Klägerin) Nachteil entschieden. Das reicht nicht aus (vgl dazu BSG [X.] 3-1500 § 160 [X.] 22).

8

Im Übrigen rügt die Klägerin die Beweiswürdigung des [X.] (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG). Damit kann sie nach der Regelung des § 160 Abs 2 [X.] 3 Halbs 2 SGG von vornherein keine Revisionszulassung erreichen.

9

Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung [X.] (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Meta

B 9 V 53/13 B

19.12.2013

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: V

vorgehend SG Braunschweig, 21. März 2013, Az: S 42 VE 27/12, Urteil

§ 1 Abs 1 OEG, § 160a SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 103 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.12.2013, Az. B 9 V 53/13 B (REWIS RS 2013, 70)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 70

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