Bundessozialgericht, Urteil vom 23.02.2017, Az. B 4 AS 57/15 R

4. Senat | REWIS RS 2017, 15072

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Grundsicherung für Arbeitsuchende - Ablehnung der Überprüfung bzw Rücknahme eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides für die Vergangenheit im Zugunstenverfahren wegen Versäumung der auf ein Jahr verkürzten Ausschlussfrist - Anwendung des § 44 Abs 4 SGB 10 bei vorangegangener Aufrechnung der Erstattungsforderung)


Leitsatz

Die für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts geltende Ausschlussfrist schließt die Überprüfung eines länger zurückliegenden Aufhebungsbescheids auch dann aus, wenn ein enger rechtlicher und zeitlicher Zusammenhang mit einer vorangegangenen Einbehaltung von Sozialleistungen besteht.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 13. November 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Rücknahme eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens.

2

Der erwerbsfähige, arbeitsuchende und hilfebedürftige Kläger bildete in dem streitigen Zeitraum vom 1.1. bis [X.] mit seiner Ehefrau und deren 1988, 1991, 1993 sowie 1995 geborenen Kindern eine Bedarfsgemeinschaft. Der Beklagte bewilligte ihm und den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft [X.] II-Leistungen in Höhe von 1222,49 Euro monatlich unter Berücksichtigung nur des Kindergeldes als Einkommen und Unterkunftskosten in Höhe von insgesamt 455,49 Euro (Bescheid vom 30.11.2004). Allerdings erzielte die Ehefrau seit Oktober 2004 aus einer Beschäftigung einen jeweils am 20. des Folgemonats ausgezahlten Arbeitslohn in Höhe von 800 Euro brutto bzw 509,18 [X.]. Mit dem Änderungsbescheid vom 7.12.2004 rechnete der Beklagte das Einkommen der Ehefrau des [X.] an und bewilligte der Bedarfsgemeinschaft für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis [X.] nur noch 863,01 Euro monatlich.

3

Ab Januar 2005 erzielte die Ehefrau des [X.] zwar weiterhin ein Einkommen in Höhe von 800 Euro brutto, aber ein höheres Nettoeinkommen (517,20 Euro). Der letzte Zufluss von Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung erfolgte im April 2005. Mit dem als "Aufhebungs- und Erstattungsbescheid" bezeichneten Bescheid vom [X.] hob der Beklagte die [X.] betreffend den Kläger für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis [X.] in Höhe von 24,88 Euro teilweise auf und forderte diesen Betrag zurück, weil in der Einkommensbescheinigung der Ehefrau des [X.] vom [X.] ein höheres Nettoeinkommen nachgewiesen worden sei. In der Begründung des Bescheides ist weiter ausgeführt: "Der Betrag wird gegen Ihre Ansprüche auf Geldleistungen in voller Höhe aufgerechnet (§ 51 [X.]). Sie brauchen infolge der Aufrechnung den Betrag nicht zu überweisen. Falls von Ihnen noch zusätzliche Zahlungen bzw. später noch Zahlungen zu leisten sind, wird sich die Regionaldirektion mit Ihnen noch in Verbindung setzen." Mit dem weiteren Änderungsbescheid vom [X.] bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft für den Zeitraum vom 1.1. bis [X.] geringere [X.] II-Leistungen in Höhe von 856,79 Euro und für Mai 2005 wiederum in Höhe von 1222,49 Euro. Die bisher in diesem Zusammenhang ergangenen Entscheidungen hob der Beklagte auf (Bescheid vom [X.]). Den Erstattungsbetrag in Höhe von 24,88 Euro, der sich in der Summe aus der Differenz der Bewilligungsentscheidung vom 7.12.2004 und derjenigen vom [X.] ergab, hatte der Beklagte bereits vor Erlass des Bescheides vom [X.] in dem Zeitraum von Januar bis April 2005 mit monatlichen Teilbeträgen einbehalten.

4

Den Antrag des [X.] vom 30.9.2014, den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom [X.] und die dazu bereits ergangenen Änderungsbescheide aufzuheben, lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom 2.4.2015). Zur Begründung seiner Entscheidung führte er aus, der zu überprüfende Bescheid regele die Bewilligung von [X.] II-Leistungen in dem Zeitraum von Januar bis April 2005, für den eine Nachzahlung gesetzlich ausgeschlossen sei. Wenn ein Überprüfungsantrag - wie hier - schlechterdings keine Auswirkungen haben könne, dürfe auf eine Sachprüfung verzichtet werden.

5

Das [X.] hat die Klage mit dem Antrag des [X.], "den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 21.04.2005 idF des [X.] vom 26.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.04.2015, [X.] aufzuheben", abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klage sei als reine Anfechtungsklage zulässig, aber nicht begründet. Zwar liege ein zulässiger Überprüfungsantrag vor, weil ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid konkret benannt werde. Auch sei der Bescheid vom [X.] evident rechtswidrig, weil er nicht hinreichend bestimmt sei und tatsächlich höhere Unterkunftskosten zu berücksichtigen seien. Einer inhaltlichen Überprüfung stehe aber § 40 Abs 1 S 2 [X.] II iVm § 44 Abs 4 [X.] X entgegen. Der Kläger habe keine Sozialleistungen erstattet; vielmehr seien ihm auf der Grundlage des streitigen Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom [X.] von Januar bis April 2005 monatlich um 6,22 Euro verringerte Leistungen ausgezahlt worden als diese mit dem Bescheid vom 7.12.2004 bewilligt worden seien. Da durch die Aufhebung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom [X.] allein bereits einbehaltene Sozialleistungen ausgekehrt werden sollten, liege dies im unmittelbaren Anwendungsbereich der Regelung.

6

Mit seiner Sprungrevision rügt der Kläger eine Verletzung des § 44 Abs 4 [X.] X. Die Regelung finde auf Aufhebungs- und Erstattungsbescheide generell keine Anwendung. Dies habe das B[X.] bereits in seiner Entscheidung vom 12.12.1996 (11 [X.]) klargestellt. Derjenige, der eine Forderung bereits erfüllt habe, dürfe nicht schlechter gestellt werden als derjenige, der noch keine Zahlungen geleistet habe. Es sei gleichgültig, ob die Forderung durch eigene Zahlung des Leistungsberechtigten oder "durch Aufrechnung mit den laufenden Leistungsansprüchen" erfolgt sei.

7

Der Kläger hat [X.] sinngemäß beantragt,
das Urteil des [X.] vom 13. November 2015 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Februar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2015 zu verpflichten, den Bescheid vom 21. April 2005 zurückzunehmen.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Nach seinem Vortrag komme es für die Anwendung des § 44 Abs 4 [X.] X allein darauf an, welcher Leistungszeitraum überprüft werde. Nicht entscheidend sei, ob es sich bei der zur Überprüfung gestellten Entscheidung um eine Bewilligung oder Aufhebung von [X.] II-Leistungen handele.

Entscheidungsgründe

Der [X.] konnte trotz fehlender Vertretung des [X.] im Termin vom 23.2.2017 (einseitig) mündlich verhandeln und entscheiden, weil er in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 165 S 1, § 153 Abs 1, § 110 Abs 1 S 2 [X.]G).

Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das [X.] ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom [X.] hat. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes im Überprüfungsverfahren steht unter dem Vorbehalt, dass Sozialleistungen noch zu erbringen sind. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, weil die Rücknahme des Bescheides vom [X.] - auch bei unterstellter Rechtswidrigkeit - keine leistungsrechtlichen Auswirkungen mehr haben könnte.

1. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.4.2015, mit dem es der [X.] abgelehnt hat, den vom Kläger mit seinem Überprüfungsantrag vom [X.] in Bezug genommenen Bescheid vom [X.] zurückzunehmen. Ungeachtet der Bezeichnung des Bescheides vom [X.] als "Aufhebungs- und Erstattungsbescheid" sind dessen Inhalte und ist damit zugleich der Gegenstand des streitigen Überprüfungsverfahrens durch Auslegung zu ermitteln. In Anwendung der für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) kommt es auf den objektiven Sinngehalt ihrer Erklärung an, dh darauf, wie der Empfänger die Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls objektiv verstehen musste (stRspr; statt vieler B[X.] vom 10.7.2012 - [X.] R 85/11 R - [X.] 4-2600 § 96a [X.] Rd[X.] 25). Die Auslegung im Einzelfall erfolgt unter Beachtung des "[X.]" eines verständigen Beteiligten, der die tatsächlichen Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (B[X.] vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - B[X.]E 67, 104, 110 = [X.] 3-1300 § 32 [X.]; B[X.] vom 6.4.2011 - [X.] [X.]/10 R - B[X.]E 108, 86 = [X.] 4-1500 § 54 [X.], Rd[X.]8; zur Befugnis des [X.], das Vorliegen und den Inhalt von Verwaltungsakten selbstständig und damit auch abweichend von den Vorinstanzen auszulegen, vgl nur B[X.] vom [X.] KR 19/09 R - juris Rd[X.]).

Als Regelungsinhalt des Bescheides vom [X.] sieht der [X.] allein eine teilweise Aufhebung der bereits bewilligten [X.]B II-Leistungen für die Monate Januar bis April 2005. Aus der Bezugnahme des [X.]n auf die geänderten [X.] der Ehefrau in der Begründung des Bescheides vom [X.] ergibt sich, dass der [X.]B II-Bewilligungsbescheid vom 30.11.2004 idF des erstmals das Einkommen der Ehefrau berücksichtigenden Bescheides vom 7.12.2004 für die Monate Januar bis April 2005 teilweise rückwirkend wegen eines höheren Nettoeinkommens aufgehoben werden sollte. Bestätigt wird dies durch die am gleichen Tag erfolgte erneute Bewilligung von [X.]B II-Leistungen für die Monate Januar bis April 2005 nur noch in Höhe von 856,79 Euro monatlich anstelle des im Ausgangsbescheid vom 7.12.2004 noch festgelegten monatlichen Betrags in Höhe von 863,01 Euro. Auch diesen Bescheid vom [X.] hatte der Kläger in seinen Überprüfungsantrag vom [X.] aufgenommen, indem er eine erneute Überprüfung auch der zu dem so bezeichneten Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom [X.] bereits ergangenen Änderungsbescheide begehrte.

Soweit der [X.] in dem Bescheid vom [X.] formuliert hat, dass zu Unrecht gezahlte Leistungen von dem Kläger zu erstatten seien, liegt hierin keine Erstattungsforderung im Sinne einer weiteren eigenständigen Regelung. Nach § 31 [X.]B X ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Nach seinen Ausführungen in dem Bescheid vom [X.] fordert der [X.] keine Erstattung; vielmehr hat er zum Ausdruck gebracht, dass der aus seiner Sicht für den Zeitraum vom 1.1. bis [X.] zu Unrecht erbrachte Betrag nicht überwiesen werden müsse, weil dieser bereits "aufgerechnet" worden sei. In tatsächlicher Hinsicht war für den Kläger erkennbar, dass der [X.] den überzahlten Betrag von 24,88 Euro bereits vor Erlass des [X.] vom [X.] in den Monaten Januar bis April 2005 einbehalten hatte.

Vor diesem Hintergrund sieht der [X.] in den weiteren Formulierungen im Begründungsteil des Bescheides vom [X.] auch keine Aufrechnungserklärung iS des § 51 [X.]B I, sondern Informationen zu einer bereits vor Erlass des [X.] durchgeführten Einbehaltung von bewilligten [X.]B II-Leistungen wegen der Erzielung höheren Einkommens durch die Ehefrau des [X.] in dem Zeitraum von Januar bis April 2005, allerdings auf unklarer rechtlicher Grundlage.

[X.] für das Begehren des [X.] ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Die Anfechtungsklage zielt auf die Aufhebung des Bescheides vom [X.] idF des Widerspruchsbescheides vom 2.4.2015, die Verpflichtungsklage auf die Rücknahme des zur Überprüfung gestellten Bescheides vom [X.]. Dessen Rücknahme hätte - seine vom Kläger geltend gemachte Rechtswidrigkeit vorausgesetzt - zur Folge, dass die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung vom 30.11.2004 in der geänderten Fassung des Bescheides vom 7.12.2004 in vollem Umfang wiederhergestellt würde und der Kläger hieraus die Erbringung der einbehaltenen [X.]B II-Leistungen verlangen könnte. Unerheblich ist, dass er im Verfahren vor dem [X.] nicht ausdrücklich beantragt hat, den [X.]n zu verpflichten, den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom [X.] zurückzunehmen. Denn das Gericht entscheidet über die erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein (§ 123 [X.]G).

Von Amts wegen in jedem Verfahrensstadium zu beachtende [X.] stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Für die von dem Kläger begehrte Rücknahme des Bescheides vom [X.] fehlt es nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis. Die Erledigung eines Verwaltungsaktes iS des § 39 Abs 2 [X.]B X tritt erst ein, wenn dieser nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist (B[X.] vom 14.3.2013 - [X.] R 5/11 R - [X.] 4-1200 § 51 [X.] Rd[X.] 20 mwN). Der Kläger kann (weiterhin) geltend machen, dass der Bescheid vom [X.] eine rechtsgestaltende Wirkung hat, weil mit ihm ein möglicher rechtlicher Grund für die weitere Einbehaltung bereits bewilligter Leistungen fortbesteht (vgl B[X.] vom [X.] - 10 [X.] 32/93 - B[X.]E 74, 267 = [X.] 3-1200 § 45 [X.] zur Verjährung von bescheidmäßig festgestellten Ansprüchen auf Sozialleistungen erst nach der insofern erforderlichen Verjährungseinrede mit Ermessenausübung seitens des Sozialleistungsträgers).

2. Die Revision ist unbegründet, weil das [X.] die Klage des [X.] im Ergebnis zu Recht abgewiesen hat (§ 170 Abs 1 S 2 [X.]G).

a) Zwar liegt entsprechend den Ausführungen des [X.] ein hinreichend konkretisierter Überprüfungsantrag iS des § 44 [X.]B X zugrunde.

Nach § 40 Abs 1 S 1 [X.]B II iVm § 44 Abs 1 S 1 [X.]B X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Erfolgt die Überprüfung aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus, bestimmt jedoch zugleich auch den Umfang des [X.] im Hinblick darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist. Insofern hat der [X.] bereits entschieden, dass sich der Verwaltung aufgrund oder aus Anlass des Antrags im Einzelfall objektiv erschließen muss, aus welchem Grund - Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage - nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll (vgl hierzu im Einzelnen B[X.] vom 13.2.2014 - [X.] AS 22/13 R - B[X.]E 115, 126 = [X.] 4-1300 § 44 [X.], Rd[X.]3 ff mwN; zuletzt B[X.] vom 12.10.2016 - [X.] [X.]/15 R - Rd[X.]3, zur Veröffentlichung in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 40 [X.]0 vorgesehen; vgl zu den Grenzen der Überprüfung [X.] belastender Verwaltungsakte: [X.]/[X.], [X.]b 2012, 685 ff).

Hier waren der Inhalt und der Umfang des [X.] für den [X.]n (noch) erkennbar, weil der Kläger den zu überprüfenden Bescheid konkret mit Datum sowie hinsichtlich des erfassten Zeitraums bezeichnet hat. Er hat eine fehlerhafte Rechtsanwendung behauptet und mit seinem Widerspruch vorgetragen, dass aus dem Bescheid vom [X.] schon nicht hervorgehe, in welcher Höhe und von wem der [X.] die Erstattung der Beträge verlange.

b) [X.]) Der Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.4.2015 ist jedoch rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Rücknahme des Bescheides vom [X.] im Überprüfungsverfahren. [X.] der vom [X.] angenommenen Rechtswidrigkeit dieses Bescheides ist das erstinstanzliche Gericht zu Recht davon ausgegangen, dass eine Rücknahmeentscheidung schon deshalb nicht mehr zu treffen ist, weil eine Erbringung des einbehaltenen Betrags in Höhe von 24,88 Euro nicht mehr möglich ist.

Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den besonderen Teilen des [X.] längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 40 Abs 1 S 1 [X.]B II iVm § 44 Abs 4 S 1 [X.]B X). Nach § 40 Abs 1 S 2 [X.]B II idF der Neufassung des [X.] vom 13.5.2011 ([X.]) gilt abweichend von § 40 Abs 1 S 1 [X.]B X die Regelung des § 44 Abs 4 S 1 [X.]B X zur rückwirkenden Erbringung von Sozialleistungen mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein solcher von einem Jahr gilt. Nach gefestigter Rechtsprechung des B[X.] hat die Verwaltung schon eine Rücknahmeentscheidung nach § 44 Abs 1 [X.]B X nicht mehr zu treffen, wenn die rechtsverbindliche, grundsätzlich zurückzunehmende Entscheidung keine Wirkungen mehr entfalten kann, also ausschließlich Leistungen für Zeiten betrifft, die außerhalb der durch den Rücknahmeantrag bestimmten Verfallsfrist liegen. Die Unanwendbarkeit der Vollzugsregelung des § 44 Abs 4 [X.]B X (B[X.] vom 4.2.1987 - 5a [X.] - B[X.]E 61, 154, 156 f = [X.] 1300 § 48 [X.]), also die nicht mehr vorhandene Möglichkeit einer rückwirkenden Erbringung von Sozialleistungen, steht dann auch einer isolierten Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheides nach § 44 Abs 1 [X.]B X entgegen (B[X.] vom 6.3.1991 - 9b [X.] - B[X.]E 68, 180, 181 = [X.] 3-1300 § 44 [X.] S 2 "[X.]"; B[X.] vom 13.2.2014 - [X.] AS 19/13 R - B[X.]E 115, 121 = [X.] 4-1300 § 44 [X.], Rd[X.]6; vgl aber auch B[X.] vom [X.] - B 7 AL 44/01 R - [X.] 3-4100 § 119 [X.] = juris Rd[X.] 26 mwN zur dennoch erforderlichen Überprüfung eines Sperrzeitbescheides trotz nicht mehr möglicher Erbringung von Arbeitslosenhilfe wegen dessen Bedeutung für eine spätere Erlöschensregelung). Die Rücknahme steht unter dem Vorbehalt, dass Sozialleistungen nach § 44 Abs 4 [X.]B X noch zu erbringen sind (B[X.] vom 28.2.2013 - [X.] [X.] 4/12 R - NZS 2013, 518). Der [X.] hat bereits entschieden, dass dies in gleicher Weise bei der Verkürzung der rückwirkenden Leistungserbringung auf einen Zeitraum bis zu einem Jahr nach § 40 Abs 1 S 2 [X.]B X gilt, wenn der Antrag auf Rücknahme - wie vorliegend der Überprüfungsantrag vom [X.] - nach dem [X.] gestellt worden ist (Urteil des [X.]s vom 12.10.2016 - [X.] [X.]/15 R - Rd[X.]6, zur Veröffentlichung in B[X.]E und [X.] vorgesehen; vgl zum Asylbewerberleistungsrecht bereits: B[X.] vom [X.] [X.] R - B[X.]E 114, 20 = [X.] 4-3520 § 9 [X.], Rd[X.]0 ff). Die Übergangsregelung des § 77 Abs 13 [X.]B II, nach der § 40 Abs 1 S 2 [X.]B II nicht anwendbar ist auf Anträge nach § 44 [X.]B X, die vor dem 1.4.2011 gestellt worden sind, führt zu keinem anderen Ergebnis.

bb) Eine Fallgestaltung, in der die Nichterbringung von Sozialleistungen durch einen - ggf rechtswidrigen - Verwaltungsakt erfolgte, ist hier anzunehmen.

Die Regelung des § 40 Abs 1 S 2 [X.]B II iVm § 44 Abs 4 [X.]B X ist auf die Rücknahmeregelung des § 44 Abs 1 [X.]B X bezogen. Ihre Anwendbarkeit setzt daher voraus, dass infolge einer unrichtigen Entscheidung iS eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes Sozialleistungen nicht erbracht worden sind (B[X.] vom [X.] - 4a [X.] - B[X.]E 62, 10, 13 = [X.] 2200 § 1254 [X.]; B[X.] vom 6.3.1991 - 9b [X.] - B[X.]E 68, 180, 181 = [X.] 3-1300 § 44 [X.] S 3 = juris Rd[X.]3; B[X.] vom 22.10.1996 - 13 RJ 17/96 - B[X.]E 79, 177, 179 = [X.] 3-1200 § 45 [X.]). Dem [X.] kann die Vollzugsregelung daher nicht entgegengehalten werden, wenn eine Einbehaltung von Sozialleistungen ohne Rechtsgrundlage im Sinne eines (rechtswidrigen) Verwaltungsaktes erfolgt (B[X.] vom [X.] - 10 [X.] 32/93 - B[X.]E 74, 267, 268 = [X.] 3-1200 § 45 [X.] S 11 zur Ablehnung einer analogen Anwendung des § 44 Abs 4 [X.]B X als allgemeinen Rechtsgrundsatz außerhalb des [X.]; aA wohl [X.] in [X.]/[X.], [X.]B X, § 44 [X.]B X, [X.], Stand August 2016, der eine Anwendbarkeit des § 44 Abs 4 [X.]B X auf sonstiges st[X.]tliches Handeln bejaht).

Zwar beruhte die unterbliebene Auszahlung der bindend bewilligten [X.]B II-Leistungen in dem streitigen Zeitraum von Januar bis April 2005 zunächst nicht auf einem Verwaltungsakt, sondern auf einem sonstigen (hoheitlichen) Handeln des [X.]n. Die verminderte tatsächliche Auszahlung des [X.]B II-Anspruchs in dem Zeitraum vom 1.1.2005 bis [X.] war nicht durch einen vorangegangenen Aufhebungsbescheid bewirkt. Dennoch ist § 40 Abs 1 S 2 [X.]B II iVm § 44 Abs 4 [X.]B X auch in der vorliegenden Konstellation anwendbar, weil ein enger rechtlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen der tatsächlichen Nichterbringung bereits bewilligter [X.]B II-Leistungen und dem zur Überprüfung gestellten Bescheid vom [X.] besteht. Dieser Zusammenhang rechtfertigt es, im konkreten Fall von einer Nichterbringung von Sozialleistungen auf der Grundlage eines ggf rechtswidrigen Verwaltungsaktes auszugehen.

Der enge rechtliche und zeitliche Zusammenhang zwischen der Nichterbringung bereits bewilligter Sozialleistungen und dem Bescheid vom [X.] ergibt sich zunächst aus der vom [X.]n in der Begründung dieses zeitnah erlassenen Bescheides hergestellten Verbindung zwischen der Aufhebungsentscheidung und der nicht mehr geforderten Erstattung überzahlter Leistungen infolge einer bereits erfolgten "Aufrechnung". Zwar kann in den diesbezüglichen Erklärungen des [X.]n keine Aufrechnungsverfügung iS des § 31 [X.]B X gesehen werden. Eine Aufrechnung nach § 51 [X.]B I zielt nur auf zukünftig rechtsgestaltende Wirkungen, weil nur der künftige Auszahlungsanspruch hinsichtlich der bereits in einem Bewilligungsbescheid festgelegten Art und Weise seiner Erfüllung modifiziert und zum Erlöschen gebracht wird (vgl zur "objektiven Verrechnungslage" B[X.] vom 26.9.1991 - 4/1 RA 33/90 - B[X.]E 69, 238, 242 = [X.] 3-1200 § 52 [X.] = juris Rd[X.] 26; B[X.] vom 31.10.2012 - [X.] R 13/12 R - juris, Rd[X.] f; B[X.] vom 14.3.2013 - [X.] R 5/11 R - [X.] 4-1200 § 51 [X.] Rd[X.]). Derartige zukünftige Auswirkungen sollten von dem Bescheid vom [X.] jedoch nicht ausgehen.

Bei einer Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont könnte in dem Bescheid vom [X.] eine Aufhebung nach vorläufiger teilweiser Zahlungseinstellung gesehen werden. Hierzu bestimmt § 40 Abs 2 [X.] [X.]B II idF der Neufassung des [X.] vom 13.5.2011 ([X.]) iVm § 331 Abs 1 S 1 [X.]B III, dass die [X.] die Zahlung einer laufenden Leistung ohne Erteilung eines Bescheides vorläufig einstellen kann, wenn sie Kenntnis von Tatsachen erhält, die kraft Gesetzes zum Ruhen oder zum Wegfall des Anspruchs führen und wenn der Bescheid, aus dem sich der Anspruch ergibt, deshalb mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben ist. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen kann der Sozialleistungsträger die Zahlung nach dieser Regelung ohne Erteilung eines Bescheides vorläufig einstellen. Die vorläufig eingestellte laufende Leistung ist unverzüglich nachzuzahlen, soweit der Bescheid, aus dem sich der Anspruch ergibt, zwei Monate nach der vorläufigen Einstellung der Zahlung nicht mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben worden ist (§ 40 Abs 2 [X.] [X.]B II iVm § 331 Abs 2 [X.]B III). Es kann offenbleiben, ob die Voraussetzungen dieser von dem [X.]n nicht in Bezug genommenen Regelungen zur vorläufigen Zahlungseinstellung vorliegen. Die Einbehaltungen der monatlichen Beträge in den Monaten Januar bis April 2005 und die teilweise rückwirkende Aufhebung der Bewilligungsentscheidung stehen jedenfalls auch aus diesem Grund in einem engen rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhang. Für den Kläger war deutlich erkennbar, dass der [X.] mit dem Bescheid vom [X.] nachträglich einen Rechtsgrund für die (weitere) Einbehaltung des aus seiner Sicht überzahlten Betrags schaffen wollte.

cc) Sind die vorläufig einbehaltenen [X.]B II-Leistungen demnach wegen des streitigen Bescheides vom [X.] nicht - nachträglich - ausgezahlt worden, sind Sozialleistungen auf der Grundlage einer ggf unrichtigen Verwaltungsentscheidung iS von § 44 Abs 1 [X.]B X und § 44 Abs 4 [X.]B X zu Unrecht nicht erbracht worden. Schon eine Rücknahmeentscheidung ist daher nicht mehr zu treffen (vgl zur - hier nicht - vorliegenden Konstellation der Einschränkung einer Überprüfbarkeit rechtswidriger Verwaltungsakte ohne unmittelbaren Bezug zur Nichterbringung von Sozialleistungen - dies umfasst auch Aufhebungs- und Erstattungsbescheide - mit Wirkung zum 1.1.2017 durch das [X.] zur Änderung des [X.] - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom [X.] ; vgl auch die Begründung des [X.] in BT-Drucks 18/8909 [X.] mit Bezug auf die Entscheidungen des B[X.] vom 12.12.1996 - 11 [X.] - [X.] 3-1300 § 44 [X.]9 und 13.2.2014 - [X.] AS 19/13 R - B[X.]E 115, 121 = [X.] 4-1300 § 44 [X.]).

Gegen die durch § 40 Abs 1 S 2 [X.]B II bewirkte Beschränkung rückwirkender Leistungserbringung bei Aufhebung eines rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 44 Abs 1 oder Abs 2 [X.]B X bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG verlangt nur die Erbringung von Leistungen, die zur gegenwärtigen Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind ([X.] Beschluss vom [X.] - 1 BvL 1/09 ua - [X.]E 125, 175, 223, 225 = [X.] 4-4200 § 20 [X.]2 Rd[X.]35, 140). Die rückwirkende Erbringung (höherer) existenzsichernder Leistungen ist verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten. Es lässt sich dem Grundgesetz keine allgemeine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt entnehmen, rechtswidrig belastende und rechtswidrig begünstigende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer formellen Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben oder abzuändern (zur Verfassungsmäßigkeit der Vierjahresfrist des § 44 Abs 4 S 1 [X.]B X: B[X.] vom [X.] - 1 RA 31/85 - B[X.]E 60, 158, 161 = [X.] 1300 § 44 [X.] 23; zur Jahresfrist bereits Urteil des [X.] vom 12.10.2016 - [X.] [X.]/15 R - zur Veröffentlichung in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 40 [X.]0 vorgesehen; s auch Aubel in [X.]/[X.], jurisPK-[X.]B II, 4. Aufl 2015, § 40 1. Überarbeitung Rd[X.]4).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 4 AS 57/15 R

23.02.2017

Bundessozialgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Cottbus, 13. November 2015, Az: S 31 AS 1649/15, Urteil

§ 40 Abs 1 S 1 SGB 2, § 40 Abs 1 S 2 SGB 2 vom 13.05.2011, § 44 Abs 1 S 1 SGB 10, § 44 Abs 4 S 1 SGB 10, § 40 Abs 2 Nr 4 SGB 2, § 331 Abs 1 S 1 SGB 3

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 23.02.2017, Az. B 4 AS 57/15 R (REWIS RS 2017, 15072)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 15072

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvL 1/09

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