Bundessozialgericht, Urteil vom 03.05.2018, Az. B 11 AL 3/17 R

11. Senat | REWIS RS 2018, 9710

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Gegenstand

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts - Verstoß gegen formelles Recht - fehlende Anhörung bei der Aufhebung der Arbeitslosengeldbewilligung - Kausalitätsprüfung - Wiedereinsetzung in die Widerspruchsfrist


Leitsatz

Im Verfahren auf Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts verpflichtet nicht bereits eine fehlende Anhörung im Ausgangsverfahren zur Rücknahme eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheids.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 16. Dezember 2016 aufgehoben und die Berufung des [X.] gegen den Gerichtsbescheid des [X.] vom 14. September 2015 zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Rücknahme von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens.

2

Die Beklagte bewilligte dem Kläger [X.] ab 1.8.2011. Nachdem er die Beklagte darüber informiert hatte, dass er ab 11.11.2011 eine Tätigkeit als [X.] bei der Firma [X.] mit einer voraussichtlichen wöchentlichen Arbeitszeit von weniger als 15 Stunden aufgenommen habe (Veränderungsmitteilung vom 14.12.2011), berechnete die Beklagte das [X.] für den Zeitraum ab 1.11.2011 mit einer vorläufigen Anrechnung von Nebeneinkommen für November iHv 3,50 [X.]/Tag und ab Dezember iHv 7,83 [X.]/Tag neu ([X.] vom 14.12.2011 und 21.12.2011). Der Arbeitgeber legte [X.] für Oktober 2011 am 28.12.2011 (Arbeitszeiten in der 40. [X.] <[X.]>: am 4.10.2011, 5.10.2011 und 6.10.2011 jeweils 8 Stunden, also insgesamt 24 Stunden), für November 2011 am 20.12.2011 (Arbeitszeiten in der 45. [X.]: am 8.11.2011, 9.11.2011 und 10.11.2011 jeweils 7,5 Stunden, also insgesamt 22,5 Stunden) und für Dezember 2011 am 6.2.2012 (Arbeitszeiten in der 51. [X.]: 19.12.2011, 21.12.2011 und 22.12.2011 im Umfang von 6,0 Stunden, 6,5 Stunden und 3,5 Stunden, also insgesamt 16 Stunden) vor.

3

Die Beklagte hob die Bewilligung von [X.] für den Zeitraum vom 4.10.2011 bis 23.10.2011 auf, weil der Kläger ab 4.10.2011 wöchentlich 15 Stunden und mehr tätig und damit nicht mehr arbeitslos gewesen sei. Wegen seiner erneuten persönlichen Arbeitslosmeldung erst am 24.10.2011 habe auch danach kein Anspruch auf [X.] bestanden. Das überzahlte [X.] iHv 976 [X.] sowie die Beiträge zur Kranken- und zur Pflegeversicherung iHv 251,65 [X.] bzw 31,66 [X.] seien zu erstatten (Bescheid vom [X.]). [X.]it der gleichen Begründung hob die Beklagte die Bewilligung von [X.] für die Zeiträume vom 8.11.2011 bis 13.12.2011 und vom 19.12.2011 bis 8.1.2012 jeweils ab dem Beginn der Beschäftigung in der jeweiligen [X.] bis zu den erneuten Vorsprachen des [X.] bei ihr am 14.12.2011 und [X.] auf und verlangte die Erstattung des in den streitigen Zeiträumen erbrachten [X.] sowie der Beiträge zur Kranken- bzw Pflegeversicherung (Bescheide vom [X.] und 7.3.2012). Für den Zeitraum vom 8.11.2011 bis 13.12.2011 umfasste die geltend gemachte Erstattung [X.] iHv 1574,51 [X.] sowie Beiträge zur Krankenversicherung iHv 488,50 [X.] und Beiträge zur Pflegeversicherung iHv 61,46 [X.]. Bezogen auf die Aufhebung der [X.]-Bewilligung für den Zeitraum vom 19.12.2011 bis 8.1.2012 verlangte die Beklagte die Erstattung von [X.] iHv 913,54 [X.], von Beiträgen zur Krankenversicherung iHv 251,65 [X.] und von Beiträgen zur Pflegeversicherung iHv 31,66 [X.].

4

Die Anträge des [X.] und 18.6.2012 auf Rücknahme der Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom [X.] und 7.3.2012 lehnte die Beklagte ab (Bescheide vom [X.]; Widerspruchsbescheide vom [X.]). Das [X.] hat die Klagen abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 14.9.2015).

5

Nach Vernehmung des Inhabers der früheren [X.] als Zeugen hat das L[X.] den Gerichtsbescheid des [X.] aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide vom [X.] in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom [X.] verpflichtet, die Bescheide vom [X.] und 7.3.2012 zurückzunehmen (Urteil vom 16.12.2016). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, in den streitigen Zeiträumen habe kein Anspruch auf [X.] bestanden, weil der Kläger jeweils mehr als 15 Stunden gearbeitet habe und seine Arbeitslosigkeit bis zu den erneuten Vorsprachen bei der [X.] entfallen sei. Die Beklagte sei zu einer Aufhebung der Bewilligung von [X.] - jeweils ab Eintritt und für die Dauer der Änderung - berechtigt gewesen, weil der Kläger unter Berücksichtigung der Angaben im [X.]erkblatt 1 für Arbeitslose, dessen Erhalt und Kenntnisnahme er mit seiner Unterschrift bestätigt habe, hinreichend deutlich belehrt worden sei. An sich sei Folge der Aufhebung, dass er das in diesen Zeiträumen bezogene, von der [X.] zutreffend ermittelte [X.] einschließlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu erstatten habe. Es bestehe aber eine Rücknahmeverpflichtung der [X.] wegen der fehlenden Anhörung vor Erlass der streitigen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide, die mangels Widerspruchs- oder Klageverfahren auch nicht nachgeholt worden sei. Die fehlende Anhörung mache die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom [X.] und 7.3.2012 nicht nur formell rechtswidrig, sondern bedinge auch die rechtliche Wertung, dass die Bewilligung von Sozialleistungen zu Unrecht aufgehoben und Erstattungspflichten zu Unrecht festgestellt worden seien. Dies könne aus § 42 Satz 2 [X.]B X abgeleitet werden. Während § 42 Satz 1 [X.]B X für die Aufhebung eines formell rechtswidrigen Verwaltungsaktes generell eine besonders ausgestaltete Kausalität zwischen der formellen Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes und dem Ergebnis der Verwaltungsentscheidung verlange, gelte dies nach § 42 Satz 2 [X.]B X gerade dann nicht, wenn - wie vorliegend - die erforderliche Anhörung unterblieben oder nicht wirksam nachgeholt worden sei. Diese Bestimmung habe auch für Entscheidungen nach den §§ 44 und 45 [X.]B X Bedeutung.

6

[X.]it ihrer vom L[X.] zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B X. Das B[X.] habe bereits entschieden, dass eine fehlende Anhörung nicht zur Rücknahme nach § 44 [X.]B X verpflichte. Zudem könne die unterlassene Anhörung im Zugunstenverfahren nachgeholt werden, was vorliegend geschehen sei.

7

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des [X.] vom 16. Dezember 2016 aufzuheben und die Berufung des [X.] gegen den Gerichtsbescheid des [X.] vom 14. September 2015 zurückzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet und das Urteil des [X.] ist aufzuheben. Zu Unrecht hat das [X.] den Gerichtsbescheid des [X.] aufgehoben und der [X.]lage stattgegeben. Die angefochtenen, im Überprüfungsverfahren nach § 44 [X.]B X ergangenen Bescheide sind rechtmäßig, weil der [X.]läger keinen Anspruch auf Rücknahme der bindenden Aufhebungs- und [X.] hat.

1. Gegenstand des Verfahrens sind - neben den Entscheidungen der Vorinstanzen - die Bescheide vom [X.] in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom [X.], mit denen es die Beklagte abgelehnt hat, die Bescheide vom [X.] zurückzunehmen. Zutreffend verfolgt der [X.]läger sein Begehren im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Die Anfechtungsklage zielt auf die Aufhebung der Überprüfungsbescheide vom [X.] in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom [X.], die Verpflichtungsklage auf die Rücknahme der Aufhebungs- und [X.].

2. a) Rechtsgrundlage für den vom [X.]läger geltend gemachten Anspruch auf Rücknahme der Aufhebungs- und [X.] vom [X.] ist § 44 Abs 1 [X.]B X. Nach dessen Abs 1 Satz 1 ist ein unanfechtbar gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder - hier nicht von Interesse - Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Zwar sind Gegenstand der Überprüfung hier Bescheide, mit denen die Beklagte als rechtswidrig erkannte Bewilligungsbescheide nach § 330 Abs 3 [X.]B III iVm § 48 Abs 1 Satz 2 [X.]B X aufgehoben hat und zugleich die Erstattung von bereits erbrachten Sozialleistungen nach § 50 [X.]B X gefordert hat. Nach seinem Regelungszweck erfasst § 44 Abs 1 [X.]B X jedoch nicht nur Fallgestaltungen, in denen dem Betroffenen ein rechtlicher Nachteil durch ein unrechtmäßiges Vorenthalten einer Sozialleistung entstanden ist, sondern auch solche, in denen der Bürger - wie vorliegend - zunächst Sozialleistungen erhalten hat, die Leistungsbewilligung nachträglich jedoch aufgehoben worden ist (B[X.] vom 12.12.1996 - 11 [X.] - [X.] 3-1300 § 44 [X.] 19; B[X.] vom 28.5.1997 - 14/10 [X.] 25/95 - [X.] 3-1300 § 44 [X.] 21 S 40; B[X.] vom 13.2.2014 - B 4 AS 19/13 R - B[X.]E 115, 121 = [X.] 4-1300 § 44 [X.] 29, Rd[X.] 14).

Die Bescheide vom [X.] waren nicht rechtswidrig iS von § 44 Abs 1 [X.]B X. Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte berechtigt war, die Bewilligung von [X.] wegen einer nach Erlass des Bescheides eingetretenen wesentlichen Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 [X.]B X aufzuheben (hierzu b). Auch die subjektiven Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 [X.] 2 und 4 [X.]B X für eine Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit (Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit) lagen vor (hierzu c). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts führt auch die unterbliebene vorherige Anhörung des [X.] vor Erlass der streitigen Bescheide nicht zu einer Rücknahmeverpflichtung im Überprüfungsverfahren (hierzu d).

b) Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung, hier des [X.] bewilligenden Bescheides, setzt nach § 48 Abs 1 Satz 1 [X.]B X voraus, dass eine wesentliche, dh rechtserhebliche, Änderung in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen im Vergleich zu denjenigen eingetreten ist, die bei seinem Erlass maßgebend waren (B[X.] vom 27.2.1996 - 10 [X.] 27/93 - [X.] 3-1300 § 48 [X.] 47 S 102 f). Dies ist hier der Fall. Bereits mit dem [X.] am 4.10.2011, 8.11.2011 und 19.12.2011 war der Anspruch des [X.] auf [X.] wegen Wegfalls der Beschäftigungslosigkeit entfallen.

Nach § 118 Abs 1 [X.] 1 [X.]B III in der hier anzuwendenden, bis zum [X.] geltenden Normfassung des [X.] am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 ([X.] 2848; im Folgenden § 118 [X.]B III aF) haben Arbeitnehmer nur dann Anspruch auf [X.], wenn sie ua arbeitslos sind. Die hierfür erforderliche Beschäftigungslosigkeit liegt bei Arbeitnehmern vor, die nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, wobei die Ausübung einer weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung unschädlich ist; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt (§ 119 Abs 1 [X.] 1, Abs 3 Satz 1 [X.]B III in der Normfassung des [X.] am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 <[X.] 2848>). [X.]it Bezug auf die bis zum 31.12.2004 geltende und inhaltsgleiche Vorgängerregelung des § 118 Abs 2 [X.]B III aF hat der Senat entschieden und hält hieran fest, dass für die Beurteilung der [X.]urzzeitigkeit einer Beschäftigung vorrangig auf die (vertraglichen) Vereinbarungen und eine vorausschauende (prognostische) Betrachtungsweise abzustellen ist, die an die Verhältnisse zu Beginn der Beschäftigung oder deren Änderung anknüpft. Zu berücksichtigen sind die [X.]erkmale und Umstände, wie sie bei [X.] oder bei Änderung der Beschäftigung vorlagen (B[X.] vom 13.7.2006 - B 7a [X.] 16/05 R - [X.] 4-4300 § 122 [X.] 5 Rd[X.] 10; B[X.] vom 29.10.2008 - B 11 [X.] 44/07 R - [X.] 4-4300 § 118 [X.] 3 Rd[X.] 16 f).

Ausgehend von diesen [X.]aßstäben ist das [X.] ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass eine Arbeitslosigkeit des [X.] mit dem ersten Tag der jeweiligen Beschäftigungen vom 4.10.2011 bis zum 6.10.2011, vom 8.11.2011 bis zum 10.11.2011 und vom 19.12.2011 bis zum 22.12.2011 entfallen war. Nach dessen tatsächlichen, nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen (§ 163 [X.]G) zur Tätigkeit des [X.] bei der Firma [X.] waren die mündlichen Vereinbarungen von vornherein nicht auf eine Begrenzung der Wochenarbeitszeit auf unter 15 Stunden angelegt. Vielmehr war bereits mit dem Beginn der Tätigkeit ein - zeitlich nicht auf lediglich kurzzeitige Beschäftigungen begrenzter - Einsatz des [X.]läger bei einem Bedarf an Arbeitskräften vorgesehen (vgl zur Beschäftigung auf Abruf: B[X.] vom 29.10.2008 - B 11 [X.] 44/07 R - [X.] 4-4300 § 118 [X.] 3, Rd[X.] 16 f, 21). Da der [X.]läger immer jeweils drei Wochentage hintereinander bzw - in dem Zeitraum vom 19.12.2011 bis 22.12.2011 (51. [X.]W) - nur mit eintägiger Unterbrechung beschäftigt war, kann dahingestellt bleiben, ob bei der Prüfung des Umfangs der Beschäftigung auf die [X.]alender- oder [X.] abzustellen ist (vgl hierzu B[X.] vom 13.7.2006 - B 7a [X.] 16/05 R - [X.] 4-4300 § 122 [X.] 5 Rd[X.] 10; Söhngen in [X.], [X.]B III, § 138 Rd[X.] 66 mwN, Stand November 2013). Wie sich die [X.] innerhalb der Woche verteilen, ist grundsätzlich unerheblich (Baldschun in Gagel, [X.]B II/[X.]B III, § 138 [X.]B III Rd[X.] 74, Stand Dezember 2016).

Die Aufhebung der [X.]-Bewilligung war auch für die Zeiträume nach Beendigung der jeweils mehrtägigen Beschäftigungen bis zu den erneuten Vorsprachen des [X.] bei der Beklagten am 24.10.2011, 14.12.2011 und [X.], die als Arbeitslosmeldungen zu werten waren, rechtmäßig. Auch insofern lag eine wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 [X.]B X vor, weil es an der Anspruchsvoraussetzung der Arbeitslosmeldung (§ 118 Abs 1 [X.] 2 [X.]B III aF) fehlte. Nach § 122 Abs 2 [X.] 2 [X.]B III idF des [X.] am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 ([X.] 2848) erlischt die Wirkung der Arbeitslosmeldung mit der Aufnahme der Beschäftigung, wenn der Arbeitslose diese der [X.] nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Dies war hier jeweils mit dem ersten [X.] der Fall. Trotz einer persönlichen Arbeitslosmeldung des [X.] nach der [X.] am 19.12.2011 bei der Beklagten am 20.12.2011 war die Wirkung der Arbeitslosmeldung - wie von der Beklagten angenommen - bis zum [X.], dem Tag vor einer weiteren Arbeitslosmeldung am [X.], erloschen. Insofern hatte der [X.]läger am 21.12.2011 und 22.12.2011 erneut gearbeitet, ohne dies der Beklagten mitzuteilen.

c) Auch die subjektiven Voraussetzungen für eine Rücknahme der Bewilligungsentscheidung für die Vergangenheit lagen hier vor (vgl B[X.] vom 28.5.1997 - 14/10 [X.] 25/95 - [X.] 3-1300 § 44 [X.] 21 zur Rücknahmepflicht hinsichtlich eines allein unter Verstoß gegen [X.] ergangenen, bestandskräftig gewordenen Aufhebungs- und [X.]s). Nach § 330 Abs 3 [X.]B III iVm § 48 Abs 1 Satz 2 [X.]B X ist der Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit einer der Tatbestände des § 48 Abs 1 Satz 2 [X.] 1 bis 4 [X.]B X gegeben ist. Dies ist hier der Fall. Das [X.] ist ohne erkennbaren Rechtsverstoß davon ausgegangen, dass der [X.]läger seiner sich aus § 60 Abs 1 Satz 1 [X.] 2 [X.]B I ergebenden Pflicht zur [X.]itteilung der [X.] nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs 1 Satz 2 [X.] 2 [X.]B X) bzw eine Unkenntnis des [X.] vom Wegfall seines [X.]-Anspruchs jedenfalls auf grober Fahrlässigkeit beruhte (§ 48 Abs 1 Satz 2 [X.] 4 [X.]B X). Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das [X.] den revisionsrechtlich nur in engen Grenzen überprüfbaren Entscheidungsspielraum bei der Feststellung der groben Fahrlässigkeit überschritten hat (vgl nur B[X.] vom 13.7.2006 - B 7a [X.] 16/05 R - [X.] 4-4300 § 122 [X.] 5 Rd[X.] 14).

d) Das Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die unterbliebene Anhörung des [X.] vor Erlass der hier zur Überprüfung gestellten Aufhebungs- und [X.] vom [X.] zu einem Anspruch auf Rücknahme führt. Zwar liegt ein Fehler in der Rechtsanwendung iS des § 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B X vor, weil die Beklagte dem [X.]läger vor Erlass dieser Bescheide nicht nach § 24 [X.]B X angehört hat. Auch betont das Berufungsgericht zu Recht die besondere Bedeutung der Anhörung für das Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. Deren Fehlen räumt dem Betroffenen aber keine dem materiellen Recht zuzuordnende Position ein, die für sich genommen einen Anspruch auf die Durchbrechung der Bindungswirkung im Überprüfungsverfahren rechtfertigt (B[X.] vom 28.5.1997 - 14/10 [X.] 25/95 - [X.] 3-1300 § 44 [X.] 21 S 43; B[X.] vom 19.2.2009 - B 10 [X.]G 2/07 R - [X.] 4-5870 § 1 [X.] 2 Rd[X.] 13; [X.] in [X.] [X.]ommentar, § 44 [X.]B X Rd[X.] 41, Stand [X.]ärz 2018; [X.]erten in [X.]/[X.], [X.]B X, [X.] § 44 Rd[X.] 48, Stand April 2018; aA Baumeister in [X.]Voelzke, jurisP[X.]-[X.]B X, § 44 Rd[X.] 75, Stand Dezember 2017).

Bereits aus der Formulierung "und soweit deshalb" in § 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B X lässt sich ableiten, dass ein [X.]ausalzusammenhang zwischen der Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Verwaltungsaktes und dem Nichterbringen einer an sich zustehenden Sozialleistung bestehen muss. Ein solcher [X.]ausalzusammenhang lässt sich nur anhand der materiellen Rechtslage beurteilen. § 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B X ist daher nach ständiger Rechtsprechung des B[X.], an welcher der Senat festhält, dahin zu verstehen, dass die vorenthaltenen Sozialleistungen materiell zu Unrecht nicht erbracht worden sind (B[X.] vom 22.3.1989 - 7 [X.]/87 - [X.] 1300 § 44 [X.] 38 S 108; B[X.] vom 28.5.1997 - 14/10 [X.] 25/95 - [X.] 3-1300 § 44 [X.] 21 S 43 f; B[X.] vom 24.4.2014 - B 13 R 3/13 R - [X.] 4-1300 § 44 [X.] 30 Rd[X.] 28). Dies ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte des § 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B X. Im Gesetzgebungsverfahren zu § 42 [X.]B X des Entwurfs eines [X.] ([X.]B) - Verwaltungsverfahren - vom 4.8.1978 (BT-Drucks 8/2034), der als § 44 Abs 1 [X.]B X Gesetz geworden ist, hat der [X.] ausdrücklich das Wort "soweit" eingefügt (vgl BT-Drucks 8/4022 [X.], 82 zu § 42 RegEntwurf). Damit wollte er hervorheben, dass es nicht Sinn und Zweck des [X.] sein kann, dem Antragsteller mehr zu gewähren, als ihm nach materiellem Recht an Sozialleistungen zusteht (B[X.] vom 22.3.1989 - 7 [X.]/87 - [X.] 1300 § 44 [X.] 38 S 108). Entsprechend kann auch bei der - vorliegend erforderlichen - entsprechenden Anwendung des § 44 Abs 1 [X.]B X auf Aufhebungs- und [X.] nicht allein die formelle Rechtswidrigkeit der zugrunde liegenden Verwaltungsentscheidung wegen einer unterbliebenen Anhörung dazu führen, dass eine zu Unrecht erbrachte und vom Sozialleistungsträger zurückgeforderte Sozialleistung behalten werden darf.

Dass dem Betroffenen allein aufgrund einer unterbliebenen Anhörung kein unbedingtes Recht zum Behaltendürfen einer an sich nicht zustehenden Sozialleistung eingeräumt wird, lässt sich auch weiteren verfahrensrechtlichen Grundsätzen entnehmen. So kann die Behörde eine unterbliebene Anhörung im Widerspruchsverfahren (vgl hierzu B[X.] vom [X.] - 5a R[X.]n 2/83 - [X.] 1200 § 34 [X.] 18) und nach § 41 Abs 2 [X.]B X noch während des Gerichtsverfahrens in einem formalisierten Verfahren nachholen. Entsprechend kann das Gericht nach § 114 Abs 2 Satz 2 [X.]G auf Antrag eines Beteiligten die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern aussetzen, soweit dies im Sinne einer Verfahrenskonzentration sachdienlich ist (vgl hierzu und zu den Anforderungen an ein formalisiertes Verfahren nur B[X.] vom [X.] AS 47/15 R - B[X.]E 122, 25 = [X.] 4-1500 § 114 [X.] 2, Rd[X.] 19). Wie der [X.] des B[X.] zudem bereits betont hat, regeln die §§ 41, 42 [X.]B X die Folgen von Verfahrensfehlern bei Erlass eines Verwaltungsaktes und befreien die Behörde unter bestimmten Voraussetzungen von der Pflicht, trotz dieser Verfahrensfehler ein neues fehlerfreies Verwaltungsverfahren durchzuführen. Die §§ 41, 42 [X.]B X enthalten aber keine den Vertrauensschutz der Bürger betreffenden Regelungen dazu, dass eine Verwaltungsbehörde einen Verwaltungsakt, der mangels Anhörung rechtswidrig ist, nicht aufheben und durch einen neuen ersetzen darf (B[X.] vom 6.10.1994 - [X.] 1/91 - B[X.]E 75, 159, 163 = [X.] 3-1300 § 41 [X.] 7 S 12). Die Verwaltung kann vielmehr - dies betont die Beklagte zu Recht - in Bezug auf einen bereits durch einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid geregelten Sachverhalt einen die [X.] berücksichtigenden ersetzenden Verwaltungsakt mit im Wesentlichen demselben Regelungsgegenstand auch während des Gerichtsverfahrens erlassen, soweit die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 [X.]B X gewahrt ist.

3. Der Senat hatte keine Veranlassung zu prüfen, ob der [X.]läger einen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Widerspruchsfrist zu den Aufhebungs- und [X.]n vom [X.] nach § 41 Abs 3 [X.]B X hatte. Hiernach gilt die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet, wenn einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung fehlt oder die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsaktes unterblieben ist ("Fiktion mangelnden Verschuldens"). Eine solche Wiedereinsetzung muss der Betroffene regelmäßig innerhalb der Jahresfrist beantragen ([X.] in [X.]/[X.], VwVfG, 18. Aufl 2017, § 45 Rd[X.] 53; [X.] vom 31.7.2012 - 4 A 5000/10 ua - [X.]E 144, 1) und glaubhaft machen, dass die rechtzeitige Anfechtung wegen einer fehlenden Begründung oder Anhörung unterblieben ist ([X.] in [X.]/[X.], [X.]B X, [X.] § 41 Rd[X.] 36, Stand August 2017). Der anwaltlich vertretene [X.]läger hat jedoch ausdrücklich nur eine Überprüfung der Bescheide vom [X.] gemäß § 44 [X.]B X beantragt und auch nicht geltend bzw glaubhaft gemacht, dass er die Widerspruchsfrist aus den genannten Gründen versäumt habe (vgl zur Glaubhaftmachung einer [X.]ausalität zwischen unterbliebener Anhörung und Fristversäumnis: [X.] [X.], [X.]B X, § 41 Rd[X.] 42 f, Stand September 2005; Schütze in von [X.]/Schütze, [X.]B X, 8. Aufl 2014, § 41 Rd[X.] 25; vgl auch [X.] vom [X.] - 1 BvR 1061/00 - DVBl 2001, 1747 f).

4. Auch bezogen auf die Erstattungsforderungen der Beklagten ergeben sich - wie das [X.] zu Recht ausgeführt hat - keine Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit. Rechtsgrundlage für die mit der Aufhebung des [X.] verbundenen Erstattungsverwaltungsakte ist § 50 [X.]B X iVm § 335 Abs 1 und 5 [X.]B III. Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben wird, sind nach § 50 Abs 1 Satz 1 [X.]B X bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. [X.] von der Beklagten Beiträge zur gesetzlichen [X.]rankenversicherung und [X.] Pflegeversicherung für den Bezieher von [X.] gezahlt, hat dieser die Beiträge zu ersetzen, soweit die Entscheidung über die Leistung rückwirkend aufgehoben und die Leistung zurückgefordert worden ist 335 Abs 1 und 5 [X.]B III). Da die Beklagte - wie dargelegt - zur rückwirkenden Aufhebung des [X.] berechtigt war, ergeben sich die von ihr in den Bescheiden vom [X.] festgesetzten Beträge.

Die [X.]ostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 11 AL 3/17 R

03.05.2018

Bundessozialgericht 11. Senat

Urteil

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Stuttgart, 14. September 2015, Az: S 23 AL 5093/12, Gerichtsbescheid

§ 119 Abs 1 Nr 1 SGB 3 vom 23.12.2003, § 24 SGB 10, § 41 Abs 3 SGB 10, § 42 SGB 10, § 44 Abs 1 S 1 SGB 10

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 03.05.2018, Az. B 11 AL 3/17 R (REWIS RS 2018, 9710)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 9710

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Unklare Angaben über Befristung der Erwerbsminderung


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