Bundespatentgericht, Beschluss vom 08.11.2010, Az. 9 W (pat) 410/05

9. Senat | REWIS RS 2010, 1658

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Gegenstand

Patenteinspruchsverfahren - "Schaltvorrichtung für Kraftfahrzeuggetriebe" – zur Zulässigkeit des Einspruchs – Stützung auf offenkundige Vorbenutzung


Tenor

In der Einspruchssache

betreffend das Patent 103 49 969

…   

hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 8. November 2010 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] [X.] sowie [X.], [X.] und [X.]. Höchst

beschlossen:

Der Einspruch wird als unzulässig verworfen.

Gründe

I.

1

Das [X.] hat nach Prüfung das am 24. Oktober 2003 angemeldete Patent mit der Bezeichnung

2

"Schaltvorrichtung zur Übertragung von [X.]n an ein Kraftfahrzeuggetriebe"

3

erteilt. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 23. Juni 2005. Gegen das Patent hat die [X.] fristgerecht Einspruch erhoben. Zur Begründung ihres Einspruchs verweist sie pauschal auf die „auf der Patentschrift erwähnten Schriften“ und zusätzlich auf die folgenden Entgegenhaltungen:

4

 - E1: EP 0 875 698 B1

5

 - [X.]: [X.] 31 862 [X.].

6

Weiter macht sie offenkundige Vorbenutzung für ein Gebergerät geltend, das vor dem Anmeldetag des Streitpatents von ihr ausgeliefert worden sei. Zum Nachweis liegen dem [X.] folgende Unterlagen bei:

7

- Rechnung Nr. 950186566 der Fa. [X.] vom 11.02.2002 an die [X.] über 2 Stück „Gebergerät“, Material-Nr. 433 140 005 0

8

- Rechnung Nr. 9502251054 der Fa. [X.] vom 29.06.2002 an die [X.] über 15 Stück „Gebergerät“, Material-Nr. 433 140 005 0

9

- W…-Zeichnung Nr. 433 140 005 0 mit der Bezeichnung „Gebergerät“

- Ausschnittvergrößerung aus der [X.] aus W…-Zeichnung Nr. 433 140 005 0 mit handschriftlichen Bauteilbezeichnungen.

Die Einsprechende meint, der Patentanspruch 1 des Streitpatents weise „keinen erfinderischen Schritt“ gegenüber dem Stand der Technik auf und besitze gegenüber der [X.] „keine ausreichende Erfindungshöhe“, vgl. [X.] Abs. 5 und S. 3 Abs. 2 des [X.]es.

Das angeblich [X.] enthalte „die dem Streitpatent entsprechenden Teile, nämlich [X.], Adapter, [X.], Mikroschalter, Wählhebel, Kulisse und Gehäuse“ und erfülle die streitpatentgemäße Aufgabenstellung. Der einzige Unterschied dieses Gebergeräts zum Streitpatent liege darin, dass anstelle eines von oben zu [X.] bei der Vorveröffentlichung zwei seitlich zu betätigende Schalter vorgesehen seien, vgl. S. 4 Abs. 2 und 3 des [X.]es.

Die Einsprechende beantragt,

das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt,

den Einspruch als unzulässig zu verwerfen.

Die Patentinhaberin meint, der Einspruch sei nicht ausreichend substantiiert und deshalb unzulässig. Die Ausführungen im [X.] hinsichtlich der [X.] stellten einen Bezug nur zu einem Teil der streitpatentgemäßen Schaltvorrichtung her. Jedoch befasse sich der [X.] nicht mit dem Kerngedanken des Streitpatents, wonach der Adapter eine Verbindungsstelle zwischen Wählhebel und [X.] bilde. Den Angaben zur angeblichen Vorbenutzung sei nicht zu entnehmen, wann genau und durch welche Handlung sie offenkundig geworden sein solle. Insgesamt sei die Patentinhaberin aufgrund des [X.]es nicht in der Lage zu erkennen, aus welchen tatsächlichen Gründen die Einsprechende das Patent für nicht rechtsbeständig halte.

In einem richterlichen Hinweis, der den Beteiligten per E-Mail am 3. November 2010 übermittelt wurde, hat der Senat ausführlich auf Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einspruchs hingewiesen.

Im Prüfungsverfahren vor der Patenterteilung sind noch folgende Druckschriften in Betracht gezogen worden:

 - D[X.]00 25 357 [X.]

 - [X.] 297 15 582 U1

 - [X.] 53 45 836 A.

Der Patentanspruch 1 des Streitpatents lautet:

1) zur Übertragung von [X.]n an ein Kraftfahrzeuggetriebe, mit:

2) und/oder einem Rahmen,

4), der [X.] an das Getriebe überträgt,

3), der eine Griffmöglichkeit für die Hand des Kraftfahrzeugfahrers bildet,

5a),

1) zum Einbau in ein Kraftfahrzeug vorgesehen ist und vor oder nach dem Einbau der Schaltvorrichtung (1) eine Schaltkulisse über den Wählhebel (4) geschoben wird,

dadurch gekennzeichnet , dass ein am Wählhebel (4) montierter Adapter (7) mit integriertem Schalter (5a) vorgesehen ist, der eine Verbindungsstelle zwischen Wählhebel (4) und [X.] (3) bildet, wobei der [X.] (3) auf dem Adapter (7) montierbar ist.

Hinsichtlich des Wortlauts der erteilten [X.] 2 bis 11 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

II.

Die Zuständigkeit des [X.] ist durch § 147 Abs. 3 Satz 1 [X.] a. F. begründet.

Der Einspruch ist form- und fristgerecht erhoben. Die zwischenzeitlich vollzogene Änderung der Gesellschaftsform der Einsprechenden stellt keinen Einsprechendenwechsel dar, sondern einen zulässigen Formwechsel nach dem [X.]. Der Einspruch erweist sich nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung als unzulässig.

1. Gemäß [X.] § 59 Abs. 1 Satz 4 und 5 müssen die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, im Einzelnen innerhalb der dreimonatigen Einspruchsfrist angegeben werden. Dieser Tatsachenvortrag ist dann ausreichend substantiiert, wenn er die Patentinhaberin und das [X.] bzw. das im vorliegenden Fall noch zuständige [X.] in die Lage versetzt, daraus abschließende Folgerungen in Bezug auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines [X.]es ziehen zu können (st. Rspr. vgl. [X.] [X.] 1987, 203, 204 -Streichgarn-; [X.] [X.] 1993, 439, 440 -Tetraploide Kamille-; [X.] [X.] 1998, 201, 202 -Tabakdose-; [X.] [X.] 2003, 241 [X.] Fahrzeuggetriebe-). Diesen Anforderungen wird das innerhalb der Einspruchsfrist eingegangene Vorbringen nicht gerecht.

2.a) Der [X.] datiert vom 20. Juni 2005. Er ist beim [X.] eingegangen am 23. September 2005, dem letzten Tag der Einspruchsfrist. Die darin enthaltenen Angaben sind somit die einzigen innerhalb der gesetzlichen Einspruchsfrist vorgetragenen Tatsachen, die bei der Prüfung des Einspruchs auf dessen Zulässigkeit berücksichtigt werden können.

2.b) In dem [X.] macht die Einsprechende den [X.] der mangelnden Patentfähigkeit (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) geltend und zwar in sinngemäßer Auslegung ihres Vortrags wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit (§ 4 [X.]). Sie versäumt allerdings, die Tatsachen, die den Einspruch diesbezüglich rechtfertigen sollen, im Einzelnen anzugeben (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 4 [X.]); denn sie stellt den erforderlichen Zusammenhang zwischen sämtlichen Merkmalen des Patentanspruchs 1 des Streitpatents und dem Stand der Technik nicht her, (vgl. [X.] vom 10.12.1987, [X.]. [X.] -Epoxidation- m. w. Nachw.). Wird im [X.] ein bestimmtes Merkmal nicht berücksichtigt, so muss zumindest dargelegt werden, warum dieses Merkmal aus Sicht der Einsprechenden bei der Lehre des angegriffenen Patentes keine Rolle spielt, vgl. B[X.], [X.] v. 28.05.2001 - 10 W (pat) 77/00 sowie Busse ([X.][X.]), [X.], 6. Auflage, § 59 Rdn. 69.

Die im [X.] abschließend enthaltenen Textstellen, in denen sich die Einsprechende mit der mangelnden erfinderischen Tätigkeit befasst, lauten wörtlich ([X.] letzter Absatz bis S. 3 erster Absatz):

Auf diejenigen streitgegenständlichen Merkmale, die im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 enthalten sind und wonach die Schaltvorrichtung ein Gehäuse und/oder einen Rahmen enthält, zum Einbau in ein Kraftfahrzeug vorgesehen ist und vor oder nach dem Einbau der Schaltvorrichtung eine Schaltkulisse über den Wählhebel geschoben wird, ist weder in den vorstehend zitierten Textstellen noch in dem übrigen Teil des [X.]es Bezug genommen. Daher ist ein nachvollziehbarer Zusammenhang zwischen diesen Merkmalen des Streitgegenstandes und dem Gegenstand der [X.] nicht hergestellt worden.

Die Einsprechende hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, diese Merkmale seien nicht erfindungswesentlich. Denn das Gehäuse und/oder der Rahmen stünden in keinem funktionalen Zusammenhang mit der Schaltvorrichtung, die Verwendung der Schaltvorrichtung zum Einbau in ein Kraftfahrzeug sei selbstverständlich und durch den Hinweis auf [X.]. 7 der [X.] begründet, eine Schaltkulisse sei gerichtsbekannt und deren Überschieben vor oder nach dem Einbau der Schaltvorrichtung beschränke diese nicht. Dass diese Auffassung der Grund für die fehlende Befassung mit den in Rede stehenden Anspruchsmerkmalen war, ist aus der Einspruchsschrift für den Senat nicht einmal im Ansatz erkennbar. Insbesondere auch deshalb nicht, weil unbestritten aus keiner Textstelle des gesamten [X.]es hervorgeht, dass oder warum die Einsprechende die nicht behandelten Merkmale für nicht erfindungswesentlich erachtet und deshalb von weiteren Ausführungen hierzu absieht.

In den vorstehend zitierten Textstellen fehlt zudem jede Bezugnahme auf das im kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs 1 enthaltene Merkmal, wonach der Adapter eine Verbindungsstelle zwischen Wählhebel und [X.] bildet. Zweifellos ist dieses Merkmal wesentlich für die Erfindung, denn insbesondere dadurch werden die in den Absätzen 10 und 40 der Streitpatentschrift beschriebenen Vorteile des Streitgegenstandes erreicht. Die verbindende Funktion des streitpatentgemäßen Adapters insoweit außer Acht lassend, sieht der [X.] den Zusammenhang zwischen dem Stand der Technik gemäß [X.] und dem Streitgegenstand allein dadurch gegeben, dass aus [X.] „

Die [X.] ([X.] 31 862 [X.]) ist im [X.] lediglich zum [X.] des Streitpatents angezogen worden. Sie ist daher nicht geeignet, den vorstehend festgestellten Mangel zu beheben.

2.c) In dem [X.] macht die Einsprechende weiter den [X.] der mangelnden Patentfähigkeit (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) wegen offenkundiger Vorbenutzung (§ 3 Abs. 1 [X.]) geltend. Sie versäumt allerdings auch hier, die Tatsachen, die den Einspruch diesbezüglich rechtfertigen sollen, im Einzelnen anzugeben (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 4 [X.]). Insbesondere sind die Angaben der Umstände zur angeblichen Vorbenutzung des [X.]s unzureichend, um überprüfen und feststellen zu können, ob es der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, [X.] BLPMZ 1998, 201-202 -Tabakdose-. Nähere Angaben zur Offenkundigkeit sind nur dann entbehrlich, wenn sich aus den angegebenen Umständen implizit ergibt, dass die Vorbenutzung für beliebige Dritte zugänglich war, vgl. [X.] 8. Aufl. [X.] § 59 Rdn. 124 sowie Busse ([X.][X.]), [X.], 6. Auflage, § 59 Rdn. 92.

Die im Hinblick auf die angebliche Vorbenutzung in dem [X.] abschließend enthaltenen Textstellen lauten wörtlich wie folgt (S. 3 letzter Abs. bis S. 4 zweiter Absatz):

Nach Auffassung der Einsprechenden ergibt sich die Offenkundigkeit der Vorbenutzung implizit aus der Lieferung laut den beiden vorgelegten Rechnungen. In der mündlichen Verhandlung macht sie geltend, dass ggf. vorhandene Vorbehalte regelmäßig auf den Rechnungen der Einsprechenden vermerkt würden, z. B. durch einen entsprechenden Hinweis, die gelieferten Teile nicht im öffentlichen Straßenverkehr einzusetzen. Aus der Tatsache, dass ein solcher Vermerk in den beiden vorgelegten Rechnungen nicht enthalten sei, ergebe sich die [X.] der Lieferung. Außerdem seien derartige [X.] nach ihrer neueren Kenntnis sogar hunderttausendfach ausgeliefert worden.

Dem Senat ist die Praxis der Einsprechenden hinsichtlich der Anbringung von [X.] nicht bekannt und diesbezüglich lässt sich auch dem [X.] nichts entnehmen. Gleiches gilt für eine angeblich hunderttausendfache Lieferung. Der Senat entnimmt den beiden Rechnungen nur, dass 2 [X.] im Februar 2002 und noch mal 15 [X.] im Juni 2002 geliefert worden sein sollen. Geht man davon aus, dass Lieferungen in der Größenordnung von hunderttausend Stück eine Serienlieferung im Bereich der Kraftfahrzeugherstellung bzw. –zulieferung implizieren könnten, so gilt dies für die innerhalb der Einspruchsfrist angegebene Stückzahl von 17 [X.]n eben gerade nicht. Im Gegenteil, diese geringe Stückzahl vermittelt eher den Eindruck, dass zunächst 2 Probeexemplare und anschließend 15 [X.] für eine Applikation oder eine Prototypenentwicklung geliefert worden seien. Ohne erläuternde Angaben, bspw. zur Rechnungserstellungspraxis bei vorbehaltloser Lieferung oder zur Deklaration der [X.] als von beliebigen Dritten zu bestellende Katalogware, und allein mit dem Tatsachenvortrag im [X.] sieht sich der Senat jedenfalls außerstande, ohne eigene Ermittlungen überprüfen und feststellen zu können, ob die behauptete Lieferung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist.

Auch insoweit ist die vorliegende Einspruchsbegründung nicht ausreichend substantiiert, denn die Angabe der Umstände zur Vorbenutzung des [X.]s ist unzureichend und eine Offenkundigkeit der Vorbenutzung ergibt sich aus den angegebenen Umständen auch nicht implizit.

Damit war der Einspruch insgesamt als unzulässig zu verwerfen.

Meta

9 W (pat) 410/05

08.11.2010

Bundespatentgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 08.11.2010, Az. 9 W (pat) 410/05 (REWIS RS 2010, 1658)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1658

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