Bundespatentgericht, Beschluss vom 04.02.2010, Az. 23 W (pat) 40/08

23. Senat | REWIS RS 2010, 9665

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Gegenstand

Patenteinspruchsbeschwerdeverfahren – "Navigationsverfahren und Navigationssystem für Kraftfahrzeuge" – zur Zulässigkeit des Einspruchs - Begründung weist auf eine Druckschrift hin


Tenor

In der Einspruchsbeschwerdesache

betreffend das Patent 199 34 862

hat der 23. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 4. Februar 2010 unter Mitwirkung des Richters [X.] als Vorsitzendem sowie der Richterin [X.] und der Richter [X.] und Maile

beschlossen:

1. Der Beschluss der [X.] vom 31. Mai 2006 wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I.

1

Das Patent 199 34 862 (Streitpatent) wurde am 24. Juli 1999 mit der Bezeichnung „Navigationsverfahren und Navigationssystem für Kraftfahrzeuge“ beim [X.] angemeldet und mit Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse [X.] vom 18. September 2000 erteilt. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 1. März 2001.

2

Im Prüfungsverfahren ist zum Stand der Technik die Druckschrift

3

(1) Prospekt der Firma [X.]: „[X.]: [X.]“, 5/1997

4

berücksichtigt worden.

5

Gegen das Patent haben die

6

I…& Co KG (Einsprechende 1)

7

mit Schriftsatz vom 31. Mai 2001, beim [X.] per Telefax eingegangen am selben Tag, und die

8

B… AG (Einsprechende 2)

9

mit Schriftsatz vom 29. Mai 2001, beim [X.] per Telefax eingegangen am 1. Juni 2001, Einspruch erhoben. Beide Einsprechende haben beantragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen und hierzu den [X.] der mangelnden Patentfähigkeit, nämlich der mangelnden Neuheit und der fehlenden erfinderischen Tätigkeit geltend gemacht.

Zum Stand der Technik hat die Einsprechende 1 ([X.]) im Lauf des [X.] u. a. auf die Druckschrift

[X.] ([X.])  [X.] 5 568 390

verwiesen.

[X.] ([X.]) hat zur Begründung ihres Einspruchs innerhalb der Einspruchsfrist auf die Druckschriften

[X.] ([X.]) „Betriebsanleitung zum Bordmonitor mit Navigation und TV“, [X.], mit Angabe „deutsch 05/99“ im [X.], und

[X.] ([X.]) Pressemitteilung „[X.] Navigationssystem von [X.]“, [X.] Deutschland, mit Datum 16. April 1999,

hingewiesen. In ihrem Einspruchsschriftsatz führt sie aus, die Bedienungsanleitung gemäß der Druckschrift [X.] ([X.]) weise das Druckdatum „V/99“ auf und sei seit Mai 1999 an Käufer des Bordmonitors abgegeben worden. Hierfür bietet sie hilfsweise Zeugenbeweis an.

Das Dokument gemäß der [X.]([X.]) sei am 16. April 1999 veröffentlicht worden und seit 26. Juli 1999 im [X.] abrufbar. Hierzu hat sie als Anlage zu diesem Dokument einen Ausdruck aus einer Veröffentlichungsliste eingereicht, die ebenfalls aus dem [X.] stammt.

Nach Ablauf der Einspruchsfrist hat die Einsprechende 2 auf weiteren Stand der Technik verwiesen. Dieser wurde jedoch im vorliegenden Einspruchsbeschwerdeverfahren nicht aufgegriffen, so dass diesbezüglich auf den Akteninhalt verwiesen wird.

[X.] hat den Darlegungen der beiden [X.] widersprochen und im Einspruchsverfahren beantragt, das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten, hilfsweise das Patent mit einem eingeschränkten Anspruchssatz beschränkt aufrechtzuerhalten.

Mit Beschluss vom 31. Mai 2006 hat die [X.] über die beiden Einsprüche entschieden und das Patent in vollem Umfang aufrechterhalten. In ihrer Begründung führt die [X.] aus, der Einspruch der [X.] 1 sei zulässig, führe jedoch nicht zum Erfolg, da sowohl das Navigationsverfahren nach dem erteilten Anspruch 1 als auch das Navigationssystem nach dem nebengeordneten Anspruch 6 patentfähig seien.

[X.] sei hingegen unzulässig. Nach Auffassung der [X.] hat die Einsprechende 2 in ihrem Einspruchsschriftsatz eine offenkundige Vorbenutzung des Bordmonitors gemäß der Druckschrift [X.] ([X.]) geltend gemacht. Die Einsprechende habe jedoch nicht dargelegt, dass und an [X.] der Bordmonitor vor dem Anmeldetag des Streitpatents tatsächlich verkauft worden sei. Somit habe die Einsprechende 2 nicht angegeben, wie die Bedienungsanleitung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei. Damit sei die geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen substantiiert.

Das aus dem [X.] stammende Dokument gemäß der Druckschrift [X.] ([X.]) gehöre nicht zum Stand der Technik, denn es sei erst nach dem Anmeldetag des Streitpatents veröffentlicht worden, wie sich aus dem von der [X.] 2 beigefügten [X.]ausdruck ergebe. Zudem sei bei im [X.] aufgefundenen Dokumenten stets unklar, wann sie in das [X.] eingestellt worden seien und ob ihre ursprüngliche technische Lehre mit der aktuellen identisch sei.

Gegen diesen am 14. Juni 2006 bei ihr eingegangenen Beschluss hat die Einsprechende 2 mit Schriftsatz vom 23. Juni 2006 Beschwerde erhoben, die am 28. Juni 2006 beim [X.] eingegangen ist.

In der mündlichen Verhandlung vom 4. Februar 2010 stellte die Beschwerdeführerin den Antrag,

den Beschuss der [X.] vom 31. Mai 2006 aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

[X.] stellte den Antrag,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der erteilte und unverändert verteidigte Anspruch 1 des Streitpatents lautet:

„Navigationsverfahren im Kraftfahrzeug zur Navigation von einem momentanen Standort zu einem Zielort, wobei auf eine Notfall-Benutzeranforderung hin ein dem momentanen Standort [X.] aus einer Datenbasis im Fahrzeug bestimmt, als Zielort festgelegt und eine Route vom momentanen Standort zum [X.] berechnet wird.“

Der erteilte und unverändert verteidigte nebengeordnete [X.] 6 des Streitpatents lautet:

„Navigationssystem (100) im Kraftfahrzeug zur Navigation von einem momentanen Standort zu einem Zielort, wobei ein Speicher (22) mit einer Datenbasis im Fahrzeug für [X.]e und eine Einrichtung (26) zum Bestimmen eines dem momentanen Standort nächstgelegenen [X.]es aus der Datenbasis vorgesehen ist.“

Hinsichtlich der [X.] sowie hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde der [X.] 2 hat nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 4. Februar 2010 Erfolg, denn sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zum Widerruf des Patents.

1. [X.] ist zulässig. Er ist frist- und formgerecht erhoben und genügt auch inhaltlich den hinsichtlich der Zulässigkeit zu stellenden Forderungen.

Die Beschwerdeführerin hat zu dem von ihr geltend gemachten [X.] der mangelnden Patentfähigkeit innerhalb der Einspruchsfrist auf die Bedienungsanleitung nach der [X.] ([X.]) als druckschriftlichem Stand der Technik hingewiesen und angegeben, diese Druckschrift sei im Mai 1999 und damit vor dem Anmeldetag des Streitpatents veröffentlicht worden, wie der Hinweis „deutsch V/99“ auf S. 3 dieser Bedienungsanleitung zeige, vgl. den Einspruchsschriftsatz der Beschwerdeführerin vom 29. Mai 2001, [X.], Abschnitt „II. Begründung“, 2. Abs. .

Zur öffentlichen Zugänglichkeit dieser Schrift hat sie außerdem ausgeführt, diese Bedienungsanleitung werde seit Mai 1999 an Käufer des Bordmonitors abgegeben, wozu sie hilfsweise Zeugenbeweis angeboten hat, vgl. hierzu im genannten Einspruchsschriftsatz [X.] unten.

Abgesehen davon, dass die Beschwerdeführerin in ihrem Einspruch somit keine offenkundige Vorbenutzung des Bordmonitors geltend gemacht, sondern dessen Bedienungsanleitung als druckschriftlichen Stand der Technik in das Verfahren eingeführt hat, hat sie in ihrer Einspruchsbegründung unter Hinweis auf das [X.] dieser Druckschrift auch dargelegt, dass diese Druckschrift vor dem Anmeldetag des Streitpatents der Öffentlichkeit zugänglich gewesen sei. Mit diesen Darlegungen hat sie den Erfordernissen an eine Einspruchsbegründung genügt; wird der entsprechende [X.]punkt in Zweifel gezogen, betrifft dies nicht die Zulässigkeit, sondern die Begründetheit des Einspruchs, vgl. [X.] [X.], 8. Auflage, § 59, Rdn.: 105 sowie analog hierzu [X.] [X.] 2010, 28, Leitsatz 1, 2a) bis 2c) - „[X.]“.

Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin in ihrem Einspruchsschriftsatz auch die Tatsachen im Einzelnen angegeben, die den von ihr geltend gemachten [X.] der mangelnden Patentfähigkeit rechtfertigen sollen, und dabei den erforderlichen Zusammenhang zwischen sämtlichen Merkmalen des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Streitpatents und dem Stand der Technik hergestellt, vgl. [X.] [X.], 8. Auflage, § 59 Rdn. 93 und 94.

[X.] ist daher hinreichend substantiiert.

2. Das Patent betrifft ein Navigationsverfahren und ein Navigationssystem für Kraftfahrzeuge.

Um den Fahrer eines Fahrzeuges von einem aktuellen Standort zu einem gewünschten Zielort zu leiten, berechnen Navigationssysteme aus den in einem Datenspeicher abgelegten Karteninformationen eine Fahrtroute vom momentanen Standort des Fahrzeugs zum Zielort. Hierzu gibt der Fahrer vor Antritt der Fahrt den Zielort im Rahmen einer manuellen Eingabeprozedur ein, bei der der entsprechende Name des [X.] in der Regel Buchstabe für Buchstabe eingegeben wird.

Diese umständliche und zeitraubende Vorgehensweise ist insbesondere in Notfallsituationen nachteilig, [X.]n es bspw. darum geht, möglichst rasch die Route zum nächstgelegenen Krankenhaus zu bestimmen. Da zunächst erst das nächstgelegene Krankenhaus ermittelt und dann dessen Name oder Anschrift in das System eingegeben werden muss, verstreicht wertvolle [X.]. Außerdem führt der mit Notfallsituationen verbundene Stress häufig dazu, dass dem Benutzer bei der Eingabe Fehler unterlaufen und er dadurch weitere [X.] verliert.

Dementsprechend liegt dem Streitpatent als technisches Problem die Aufgabe zugrunde, ein verbessertes Verfahren und eine verbesserte Vorrichtung der oben genannten Art zur Verfügung zu stellen, welche die oben genannten Nachteile beseitigen und einen Benutzer in mit erhöhtem Stress einhergehenden Notfallsituationen besonders einfach unterstützen, vgl. das [X.]. 2, 2. Abs..

 

Diese Aufgabe wird hinsichtlich des Verfahrens durch die Merkmale nach dem erteilten Anspruch 1 gelöst, demzufolge bei einem Navigationsverfahren auf eine Notfall-Benutzeranforderung hin aus einer Datenbasis ein dem momentanen Standort [X.] bestimmt und als Zielort festgelegt sowie eine Route vom momentanen Standort dorthin berechnet wird.

Hinsichtlich der Vorrichtung wird die Aufgabe gemäß dem nebengeordneten erteilten Anspruch 6 durch ein Navigationssystem zur Navigation von einem momentanen Standort zu einem Zielort gelöst, bei dem ein Speicher mit einer Datenbasis für [X.]e und eine Einrichtung zum Bestimmen eines dem momentanen Standort nächstgelegenen [X.]s aus der Datenbasis vorgesehen ist.

3. Die Zulässigkeit der erteilten Ansprüche ist im vorliegenden Einspruchsbeschwerdeverfahren nicht zu überprüfen, denn sie war nicht Gegenstand des [X.], vgl. [X.] GRUR 1995, 333, 3. Leitsatz - „Aluminium- Trihydroxid“.

4. Der Einspruch führt zum Widerruf des Patents, denn sowohl das Navigationsverfahren nach dem erteilten Anspruch 1 als auch das Navigationssystem nach dem nebengeordneten Anspruch 6 erweisen sich nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung als nicht patentfähig, da beide nicht neu sind.

Als Fachmann ist hier ein berufserfahrener Diplom-Informatiker oder Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik jeweils mit Spezialkenntnissen auf dem Gebiet der Telematik anzusehen, der mit der Weiterentwicklung von Navigationssystemen für Kraftfahrzeuge betraut ist.

Die im Einspruchsverfahren von der [X.] 1 genannte Druckschrift [X.] ([X.]) offenbart ein Navigationsverfahren und ein Navigationssystem im Kraftfahrzeug zur Navigation von einem momentanen Standort zu einem Zielort

Die Daten zu den verschiedenen Zielorten müssen dabei zwangsläufig in einer Datenbasis gespeichert sein, denn nur dann kann das System auf entsprechende Daten zugreifen und Routen zu den jeweils nächstliegenden Zielorten berechnen.

Damit offenbart die Druckschrift [X.] ([X.]) ein Navigationsverfahren gemäß der Lehre des erteilten Anspruchs 1 und ein Navigationssystem gemäß der Lehre des erteilten Anspruchs 6. Das Navigationsverfahren nach Anspruch 1 ist damit ebenso wie das Navigationssystem nach Anspruch 6 nicht neu; beide Ansprüche sind somit nicht rechtsbeständig.

5. Mit dem Patentanspruch 1 und dem Patentanspruch 6 fallen auch die direkt oder indirekt auf diese rückbezogenen [X.], vgl. [X.] GRUR 2007, 862 Leitsatz - „[X.]“.

6. Bei der dargelegten Sachlage war der Beschluss der [X.] des [X.] vom 31. Mai 2006 aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Meta

23 W (pat) 40/08

04.02.2010

Bundespatentgericht 23. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 04.02.2010, Az. 23 W (pat) 40/08 (REWIS RS 2010, 9665)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9665

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