Bundespatentgericht, Beschluss vom 26.04.2018, Az. 11 W (pat) 1/15

11. Senat | REWIS RS 2018, 9961

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Patenteinspruchsbeschwerdeverfahren – "Verfahren, Steuergerät und Speichermedium zur Steuerung einer Harnstoffinjektion" – zur Zulässigkeit des Einspruchs – fehlende hinreichende Substantiierung des Einspruchsgrundes der mangelnden Ausführbarkeit – "wunschhaft gewählte Formulierung" des Patentanspruchs


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das Patent 10 2012 201 128

hat der 11. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 26. April 2018 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.]. [X.] sowie [X.], [X.] und Dipl.-Ing. Gruber

beschlossen:

Die Beschwerde der Einsprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Auf die am 26. Januar 2012 beim [X.] eingereichte Patentanmeldung ist die Erteilung des Patents 10 2012 201 128 mit der Bezeichnung

2

3

4

5

am 17. Januar 2013 veröffentlicht worden.

6

Gegen das Patent ist Einspruch erhoben worden, worauf die [X.] des [X.]s das Patent durch Beschluss vom 30. September 2014 aufrechterhalten hat.

7

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der [X.]. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne, sei nicht neu und beruhe auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Darüber hinaus erhebt sie pauschal den Einwand der unzulässigen Erweiterung.

8

Zur Stützung ihres Vorbringens hat sie mit dem [X.] auf folgende Druckschriften verwiesen:

9

[X.] [X.] 10 2004 031 624 A1

D2 EP 0 697 062 B1

D3 WO 99/54601 A1

D4 [X.] 197 36 384 A1

D5 EP 0 953 739 B1

D6 EP 2 316 558 A1

D7 [X.] 197 43 337 C1

[X.] [X.] 198 14 386 A1

[X.]0 SCHÜTTE, T.: Ablagerungs- und Alterungsverhalten wässriger Harnstofflösung bei selektiver katalytischer Reduktion von Stickoxidemissionen. Dissertation. [X.] Universität Lüneburg, 2010.

[X.] [X.] 10 2007 059 474 B4

[X.]2 [X.] 10 2008 002 327 B4

[X.] [X.] 197 36 384 A1

[X.]4 [X.] 199 13 462 A1

[X.] [X.] 10 2008 018 063 A1

[X.] [X.] 100 47 594 A1

[X.]7 [X.] 10 2010 062 302 A1

[X.]8 [X.] 10 2009 044 546 A1

[X.]9 [X.] 10 2009 053 520 A1

D20 EP 2 375 023 B1

D21 EP 1 837 500 A1

D22 EP 2 021 101 B1

D23 EP 2 368 623 A1

D24 GB 2 403 165 A

Im Beschwerdeverfahren hat die Einsprechende noch auf weitere Druckschriften [X.] bis D31 verwiesen.

Die Beschwerdeführerin und Einsprechende beantragt,

den Beschluss der [X.] des [X.]s vom 30. September 2014 aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

[X.] und Beschwerdegegnerin beantragt,

die Beschwerde der [X.] zurückzuweisen.

Der erteilte Anspruch 1 lautet in einer gegliederten Fassung:

M 1.1 Ein Verfahren zum Steuern der Einbringung von Harnstoff in einen [X.] stromaufwärts eines SCR-Katalysators eines Kraftfahrzeugs, wobei das Verfahren wenigstens die folgenden Schritte umfaßt:

M 1.2 Setzen eines Soll-Pegels eines Gehaltes von wäßriger Harnstofflösung in dem [X.] (S1)

M 1.3 direkt nach einem Kaltstart des Kraftfahrzeuges

M 1.4 und bevor eine Abgastemperatur in dem [X.] ausreichend hoch ist, um die wäßrige Harnstofflösung zu verdampfen;

M 1.5 Berechnen eines Ist-Pegel des Gehaltes von wäßriger Harnstofflösung in dem [X.] (S3);

M 1.6 und Zuführen von wäßriger Harnstofflösung in den [X.] (S5),

M 1.7 wenn der Ist-Pegel niedriger ist als der Soll-Pegel.

Der erteilte Anspruch 9 lautet:

„Ein Steuergerät für eine Harnstoffeinspritzvorrichtung, wobei das Steuergerät ausgebildet ist, das Verfahren von einem der vorhergehenden Ansprüche durchzuführen.“

Der erteilte Anspruch 10 lautet:

„Ein computerlesbares Speichermedium mit Programmcode, der, von einer Steuereinheit eines Steuergerätes für eine Harnstoffeinspritzvorrichtung ausgeführt, das Verfahren von einem der Ansprüche 1 bis 8 durchführt.“

Zu den Unteransprüchen 2 bis 8 wird auf die Patentschrift und wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Einspruch ist unzulässig, weil er innerhalb der Einspruchsfrist nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise substantiiert und mit Gründen versehen worden ist.

Nach § 59 Abs. 1 Satz 4 und 5 [X.] müssen die den Einspruch rechtfertigenden Tatsachen innerhalb der Einspruchsfrist im Einzelnen angegeben werden. Die Begründung eines Einspruchs genügt diesen gesetzlichen Anforderungen nach ausreichender Substantiierung nur dann, wenn die für die Beurteilung des behaupteten [X.] maßgeblichen Umstände so vollständig dargelegt sind, dass der technische Zusammenhang zwischen dem Gegenstand des Patents und dem diesem entgegengehaltenen Stand der Technik ersichtlich ist, so dass Patentinhaber und das Patentamt bzw. das Patentgericht daraus zweckdienliche und abschließende Folgerungen in Bezug auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines [X.] ziehen können (vgl. [X.] [X.] 1972, 173 – Sortiergerät; [X.] 1993, 439 – Tetraploide Kamille). Insbesondere genügt eine Einspruchsbegründung den gesetzlichen Anforderungen dann nicht, wenn sie sich nur mit Teilaspekten der patentierten Lehre befasst (vgl. [X.] [X.] 1988, 250 – [X.]). Werden die Textstellen der [X.], aus denen sich die einzelnen Merkmale des Anspruchs ergeben sollen, nicht angegeben, so hat die Einsprechende nicht ausreichend dargetan, dass die Voraussetzungen eines der in § 21 [X.] genannten Widerrufsgründe vorliegen (vgl. [X.] [X.] 1988, 289 – Messdatenregistrierung).

Als Widerrufsgründe macht die Einsprechende in ihrem [X.] geltend, das Patent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne, und dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht patentfähig sei. In Ermangelung einer Offenlegungsschrift und der kurzen Fristen werde pauschal der Einwand der unzulässigen Erweiterung erhoben.

a) Der [X.] der mangelnden Ausführbarkeit ist nicht hinreichend substantiiert.

Die Einsprechende trägt zur mangelnden Ausführbarkeit vor, dass der Anspruch 1 die wunschhaft gewählte Formulierung,

„Setzen eines Soll-Pegels eines Gehalts von wässriger Harnstofflösung in dem [X.], …

Berechnen eines Ist-Pegel des Gehalts von wässriger Harnstofflösung in dem [X.]…“

enthalte, die keinen Hinweis darauf erkenne ließe, wie dies realisiert werden solle. So sei auch in der gesamten Beschreibung außer in Absatz [0006] „ein gewünschter Harnstoffgehalt (Soll-Pegel)“ kein Hinweis zu finden, wie diese wunschhafte Formulierung realisiert werden solle, noch sei beispielsweise definiert, wie diese umzusetzen wäre. Weiter führt die Einsprechende aus, ein Pegel sei gemäß [X.] „ein Messgerät zur Feststellung des Wasserstandes in Flüssen, Kanälen und anderen Gerinnen, in Seen und im Meer“. Im erweiterten Sinne bezeichne „Pegel“ auch „die Messstelle als Ganzes“. Diese Definition führe, so die Einsprechende, ohne Spekulationen anzustellen nicht weiter.

Mit dieser Argumentation setzt sich die Einsprechende jedoch nicht mit dem Gegenstand der Erfindung auseinander, sondern stützt ihr Vorbringen lediglich auf die Behauptung, der Anspruch 1 enthielte eine „wunschhafte Formulierung“, wobei sie die Merkmale M 1.2 und M 1.5 zitiert. Worin die gerügte „wunschhafte Formulierung“ besteht, ob Teile der zitierten Merkmale wunschhaft formuliert sind, wie das Setzen, das Berechnen, einer der beiden beschriebenen Pegel, der Gehalt der wässrigen Harnstofflösung oder evtl. die Merkmale in ihrer Gesamtheit, lässt die Beschwerdeführerin offen. Wenn aber offen ist, worin die wunschhafte Formulierung besteht, geht zwangsläufig auch das Argument der [X.] fehl, dass in der gesamten Beschreibung kein Hinweis zu finden sei, wie diese wunschhafte Formulierung realisiert werden solle oder umzusetzen wäre. Auch die Angabe, dass unter Pegel ein Wasserstand zu verstehen sei, ist lediglich eine Behauptung. Mit keinem Wort lässt sich die Einsprechende darüber aus, warum der Fachmann mit diesem Verständnis des Begriffs „Pegel“ an der Ausführung der Erfindung gehindert ist. Ein Vortrag, ob und wie die Beschreibung einen Pegel definiert und das beanspruchte Verfahren daher nicht ausführbar ist, fehlt.

Die Einsprechende trägt somit keine Argumente vor, sondern stellt es in das Belieben des Patentinhabers und des Patentamts bzw. des Patentgerichts, was unter einer wunschhaften Formulierung oder einem Pegel zu verstehen ist. Voraussetzung für eine ausreichende Substantiierung ist jedoch, dass daraus zweckdienliche und abschließende Folgerungen in Bezug auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen des [X.] der mangelnden Ausführbarkeit zu ziehen sind.

Im vorliegenden Fall ist die Begründung der [X.] nicht ausreichend. Denn wenn es in das Belieben der [X.] bzw. des Senats gestellt ist, worin die gerügte „wunschhafte Formulierung“ besteht, so kann aus dieser Beliebigkeit heraus keine abschließende Folgerung getroffen werden.

b) Der [X.] der mangelnden Patentfähigkeit ist nicht hinreichend substantiiert.

In ihrem [X.] macht die Beschwerdeführerin geltend, der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents sei mangels Neuheit und mangels erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig.

ba) Zur Neuheit verweist die Einsprechende auf die Druckschriften [X.] bis [X.], die, so ihr Vortrag, jeweils sämtliche Merkmale der Ansprüche 1, 9 und 10 des Streitpatents offenbarten.

Jedoch führt die Einsprechende zu jeder der Druckschriften [X.] bis [X.] nicht zu dem Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents aus, sondern zu einem anderen Gegenstand, einer Zugabemengensteuerungseinrichtung. Auf die Merkmale M 1.1 bis M 1.7 des Anspruchs 1 geht die Einsprechende in keiner der Ausführungen zu den Druckschriften [X.] bis [X.] ein.

bb) Hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit führt die Einsprechende im [X.] die Druckschriften [X.]0 bis [X.]4 an.

Nach ihrer Auffassung ergebe sich der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents aus der technischen Lehre der Druckschriften [X.]0, [X.]2, [X.] oder [X.]4 jeweils in Verbindung mit fachmännischem Handeln oder auch aus einer Zusammenschau der Druckschriften [X.]0 mit [X.] oder der Druckschrift [X.]2 mit jeweils einer der Druckschriften [X.]0, [X.] oder [X.]4.

Jedoch beschränkt sich die Einsprechende in sämtlichen Vorbringen darauf zu behaupten, dass der Fachmann der die jeweils angeführten Druckschriften kenne, zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelange. Dabei geht sie in keiner Weise auf die Merkmale des Anspruchs 1 des Streitpatents ein, sondern verweist lediglich pauschal auf Textstellen oder Figuren der [X.]. Eine Begründung, warum der Fachmann ausgehend von den in den [X.] offenbarten Merkmalen in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents gelangen könnte, wird nicht angeführt.

Insoweit erfüllt das Vorbringen der [X.] nicht die Voraussetzung dafür, dass es ohne weitere eigene Ermittlungen nachprüfbar sein muss, denn es bleibt letztlich dem Patentamt und dem Patentinhaber überlassen, sich den technischen Zusammenhang zwischen der genannten Entgegenhaltung und dem Gegenstand des angegriffenen Patents selbst zu erschließen (vgl. z. B. B[X.]E 35, 263 ff. = B[X.]E 36, 53, 55 ff.; B[X.]E 49, 202, 205 f. – Türantrieb).

c) Der [X.] der unzulässigen Erweiterung ist innerhalb der Einspruchsfrist nicht hinreichend substantiiert.

Die Einsprechende trägt im [X.] vor, dass sie in Ermangelung einer Offenlegungsschrift und der kurzen Fristen pauschal den Einwand der unzulässigen Erweiterung erhebe. Ausführungen, worin sie die unzulässige Erweiterung begründet sieht, hat sie mit Schriftsatz vom 23. April 2013 eingereicht.

Zum [X.] der unzulässigen Erweiterung hat sie somit erst nach Ablauf der Einspruchsfrist am 17. April 2013 substantiiert vorgetragen. Alle nach Ablauf der Einspruchsfrist dargelegten Argumente sind jedoch unbeachtlich. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist ist nach § 123 (1), 2 [X.] explizit ausgeschlossen.

Somit fehlt es an einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden hinreichend substantiierten Darstellung aller geltend gemachten Widerrufsgründe innerhalb der Einspruchsfrist. Eine Überprüfung, ob die von der [X.] behaupteten Widerrufsgründe vorliegen oder nicht, ist auf Grund der Angaben in dem [X.] nicht möglich, sondern bedarf weitergehender Ermittlungen.

Meta

11 W (pat) 1/15

26.04.2018

Bundespatentgericht 11. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 26.04.2018, Az. 11 W (pat) 1/15 (REWIS RS 2018, 9961)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 9961

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

8 W (pat) 21/10 (Bundespatentgericht)

Patentbeschwerdeverfahren – „Hydrodynamischer Drehmomentwandler mit einer Aufnahme am Wandlergehäuse“ – zur Zulässigkeit des Einspruchs


11 W (pat) 3/21 (Bundespatentgericht)

Patentbeschwerdesache –"Winkelförmiges Stützbein" – Zulässigkeit eines Einspruchs – Erforderlichkeit einer substantiierten Begründung


15 W (pat) 9/17 (Bundespatentgericht)

Patenteinspruchsbeschwerdeverfahren – "Orthopädische Vorrichtung zur Korrektur von Zehenfehlstellungen" – zur Zulässigkeit des Einspruchs - Widerrufsgrund …


9 W (pat) 410/05 (Bundespatentgericht)

Patenteinspruchsverfahren - "Schaltvorrichtung für Kraftfahrzeuggetriebe" – zur Zulässigkeit des Einspruchs – Stützung auf offenkundige Vorbenutzung


11 W (pat) 28/09 (Bundespatentgericht)

Patentbeschwerdeverfahren – „Strecke zum Doublieren und Verstrecken von Faserbändern“ – zu den Anforderungen an eine …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.