Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.02.2010, Az. II ZB 8/09

2. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 9165

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Gegenstand

Berufungseinlegung durch einen mit einem Berufsverbot belegten Rechtsanwalt


Leitsatz

Wegen des eindeutigen, einer Auslegung nicht zugänglichen Wortlauts des § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO und des darin zum Ausdruck kommenden Willens des Gesetzgebers, aus Gründen der Rechtssicherheit Rechtshandlungen eines Rechtsanwalts auch dann als wirksam zu behandeln, wenn der Rechtsanwalt damit einem ihm gegenüber verhängten Berufsverbot zuwider handelt, muss - ungeachtet der damit verbundenen, den Rechtsanwalt unbillig begünstigenden Rechtsfolgen - auch die fristgerechte Einlegung der Berufung durch einen sich selbst vertretenden Rechtsanwalt, der in Kenntnis des gegen ihn verhängten Berufsverbots und unter Verstoß gegen § 155 Abs. 2 i.V.m. § 155 Abs. 4 letzter Halbsatz BRAO, als fristwahrende, wirksame Berufung behandelt werden .

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss der Zivilkammer 51 des [X.] vom 26. Februar 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

[X.]: 4.641,96 €

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Ausschlusses des [X.] aus dem beklagten Verein und einigen damit verbundenen Folgen.

2

Das Amtsgericht hat am 7. Mai 2008 die Klage des damals zur Rechtsanwaltschaft zugelassenen, sich selbst vertretenden [X.] auf Feststellung der Unwirksamkeit des Ausschlusses durch Versäumnisurteil abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger fristgerecht Einspruch eingelegt und die Klage um einige Folgeansprüche erweitert. Mit Urteil vom 1. Oktober 2008 hat das Amtsgericht das Versäumnisurteil aufrechterhalten und die weitergehende Klage abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger mit beim Berufungsgericht am 24. Oktober 2008 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2008 eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt, die ihm bis zum 22. Januar 2009 bewilligt wurde. Mit am 14. Januar 2009 bei dem Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz bestellte sich Rechtsanwältin [X.] für den Kläger und begründete die Berufung. Am 6. Februar 2009 teilten die [X.] des Beklagten mit, dass der Kläger seit dem 21. Juni 2008 mit einem Berufsverbot belegt sei.

3

Das Berufungsgericht hat mit [X.]uss vom 26. Februar 2009 die Berufung des [X.] gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen, weil sie nicht fristgerecht eingelegt worden sei. Die bei Gericht am 24. Oktober 2008 eingegangene Berufungsschrift habe die Frist nicht gewahrt, weil der Kläger wegen des [X.] die Berufung nicht wirksam habe einlegen können.

4

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

5

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

6

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Dem steht nicht entgegen, dass die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO nicht erreicht ist ([X.], [X.]. v. 21. Mai 2003 - VIII ZB 133/02, NJW-RR 2003, 1580 m.w.Nachw.).

7

Die statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative ZPO). Die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe die Berufungsfrist des § 517 i.V.m. § 519 ZPO versäumt, verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren ([X.]Z 151, 221, 227 m.w.Nachw.).

8

2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg, so dass die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen ist (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Berufungsfrist durch die am 24. Oktober 2008 von dem Kläger eingelegte Berufung gewahrt worden. Dies folgt aus § 155 Abs. 5 Satz 1 [X.]. Danach wird die Wirksamkeit von Rechtshandlungen des Rechtsanwalts, die dieser unter Verstoß gegen das gegen ihn verhängte Berufsverbot vornimmt, durch das bestehende Verbot nicht berührt. Dies gilt bis zu seiner Zurückweisung nach § 156 Abs. 2 [X.].

9

a) § 155 Abs. 5 [X.] greift vorliegend ein. Der Prozess war durch die Verhängung des [X.] nicht gemäß § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen.

aa) Der Kläger durfte das erst[X.] Verfahren betreiben. Ein Rechtsanwalt, gegen den ein Berufsverbot verhängt ist, behält die Eigenschaft als Rechtsanwalt und auch seine Zulassung wird durch die vorläufige Maßnahme nicht berührt ([X.]Z 111, 104, 106). Er ist aber gemäß § 155 Abs. 2 [X.] nicht mehr befugt, den Beruf auszuüben. Eine Ausnahme hiervon enthält für den vorliegenden Fall, in dem der Rechtsanwalt eine eigene Angelegenheit vertritt, § 155 Abs. 4 [X.]. Danach ist der Rechtsanwalt im Verfahren ohne Anwaltszwang, also im hier erstinstanzlich vor dem Amtsgericht geführten Verfahren, weiterhin zur Wahrnehmung u.a. seiner eigenen Angelegenheiten befugt.

bb) Das von dem Kläger nach Verhängung des [X.] bis zur Urteilszustellung zulässigerweise weiterbetriebene amtsgerichtliche Verfahren ist nicht gemäß § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen worden. Diese Vorschrift findet im Parteiprozess - selbst bei [X.] - keine Anwendung ([X.], [X.]. v. 18. September 1991 - [X.], [X.], 48, 49; Musielak/Musielak, ZPO 7. Aufl. § 244 Rdn. 1 m.w.Nachw.). Unterliegt - wie hier - nur das zweit- [X.] Verfahren dem Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1 ZPO), greift § 244 ZPO, der ansonsten auch für den sich selbst vertretenden Rechtsanwalt (§ 78 Abs. 6 ZPO) gilt ([X.]Z 111, 104, 107; [X.], Urt. v. 7. März 2002 - [X.], [X.], 2107; Musielak aaO m.w.Nachw.) nur, wenn bei [X.] bereits Berufung eingelegt worden war ([X.], Urt. v. 18. September 1991 aaO).

b) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht der Berufungseinlegung durch den Kläger die fristwahrende Wirksamkeit abgesprochen.

aa) Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, dass sich der Kläger wegen des im Berufungsverfahren bestehenden Anwaltszwangs (§ 78 Abs. 1 ZPO) nicht mehr selbst vertreten konnte (§ 155 Abs. 4 letzter Halbsatz [X.]). Es hat jedoch übersehen, dass die Berufungseinlegung gemäß § 155 Abs. 5 Satz 1 [X.] gleichwohl als wirksam und damit fristwahrend zu behandeln ist.

Nach dem Willen des Gesetzgebers soll zur Wahrung der Rechtssicherheit der Rechtsverkehr generell nicht mit der Prüfung belastet werden, ob gegen den Rechtsanwalt ein Berufs- oder Vertretungsverbot besteht ([X.]Z 111, 104, 106; [X.], NJW-RR 1995, 626, 627; [X.] in [X.]/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht § 155 Rdn. 8 unter Hinweis auf die amtliche Begründung; [X.]/[X.], [X.] 7. Aufl. § 155 Rdn. 9; [X.]/[X.], [X.] 3. Aufl. § 155 Rdn. 7). Die Wirksamkeit der von dem Rechtsanwalt oder der gegen ihn vorgenommenen Rechtshandlungen ist deshalb auch unabhängig davon, ob der Teilnehmer an dieser Rechtshandlung - damit auch der unter Verstoß gegen das Berufsverbot handelnde Rechtsanwalt selbst - bösgläubig ist ([X.]/[X.] aaO Rdn. 10 m.w.Nachw.).

bb) Der Senat verkennt nicht, dass diese Verabsolutierung des Schutzes der Rechtssicherheit bösgläubige Teilnehmer am Rechtsverkehr, insbesondere - wie hier - den Rechtsanwalt, der unter Verstoß gegen das ihm bekannte Berufsverbot tätig wird und damit einen erneuten [X.] verwirklicht (§ 156 Abs. 1 [X.]), unangemessen begünstigt. Ebenso wie gutgläubige Teilnehmer am Rechtsverkehr, die an eine für sie nachteilige Rechtshandlung ihres mit einem Berufsverbot belegten [X.]s (z.B. [X.]) gebunden werden, benachteiligt werden (kritisch insoweit deshalb auch [X.] aaO Rdn. 2, 9 m.w.Nachw.; die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme in einem solchen Fall ablehnend: [X.], NJW 1997, 672, 673).

Der Senat sieht sich jedoch - trotz des seiner Ansicht nach bedenklichen Ergebnisses in einem Fall wie dem vorliegenden - angesichts des eindeutigen, einer Auslegung nicht zugänglichen Wortlauts des § 155 Abs. 5 Satz 1 [X.] an den Willen des Gesetzgebers gebunden, berufsverbotswidrige Rechtshandlungen stets zur Wahrung der Rechtssicherheit bis zur Zurückweisung des Rechtsanwalts als wirksam zu behandeln.

[X.]                                 Strohn                                 Caliebe

                     Reichart                               [X.]

Meta

II ZB 8/09

22.02.2010

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Berlin, 26. Februar 2009, Az: 51 S 249/08, Beschluss

§ 155 Abs 2 BRAO, § 155 Abs 4 BRAO, § 155 Abs 5 S 1 BRAO, § 78 ZPO, § 244 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.02.2010, Az. II ZB 8/09 (REWIS RS 2010, 9165)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9165

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