Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.04.2012, Az. VIII ZB 111/11

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 6995

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZB 111/11
vom

24. April 2012

in dem Rechtsstreit

-
2
-
Der VIII. Zivilsenat des [X.] hat am 24. April 2012 durch den Vorsitzenden [X.], [X.] Frellesen, die Richterinnen [X.] und
Dr.
[X.] sowie [X.] Bünger

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der 5.
Zivilkammer des [X.] vom 28. November 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zu-rückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Beklagten mit Urteil vom 27. September 2011 unter teilweiser Aufrechterhaltung eines zuvor ergangenen Versäumnisurteils zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung in Höhe von insgesamt 13.871,06

nebst Zinsen verurteilt. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des [X.] am 4. Oktober 2011 zugestellt worden. Gegen dieses Urteil hat der [X.]vertreter mit am 4.
November 2011 beim [X.] eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Die Zulassung des Beklagtenvertreters zur Rechtsanwaltschaft ist von der [X.] bereits mit [X.] vom 22. Juli 2010 -
zugestellt am 31. Juli 2010
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unter Anordnung des 1
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Sofortvollzugs der Widerrufsverfügung widerrufen worden. Der Widerruf ist nicht bestandskräftig.
Das [X.] hat nach entsprechendem Hinweis mit Beschluss vom 28.
November 2011 die Berufung des Beklagten mit der Begründung als unzu-lässig verworfen, das Rechtsmittel sei nicht durch einen Rechtsanwalt eingelegt worden. Gegen diesen am 30. November 2011 zugestellten Beschluss hat der Beklagte mit am 30. Dezember 2011 beim [X.] eingegangenem Anwaltsschriftsatz frist-
und formgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt und [X.] innerhalb der verlängerten Frist begründet.

II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des [X.] Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].
1. Die Rechtsbeschwerde des Beklagten, die sich gegen die Verwerfung der Berufung als unzulässig richtet, ist nach §
574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, §
522 Abs.
1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil eine Ent-scheidung des [X.] zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gefordert ist (§
574 Abs.
2 Nr.
2 Alt.
2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt die verfassungsrechtlich verbürgten Ansprüche des [X.] auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art.
2 Abs.
1 GG i.V.m. dem Rechts-staatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat verkannt, dass der Beklagtenvertreter durch den sofort vollziehbaren Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht die nach § 519 Abs. 4, §
78 2
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4
5
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4
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Abs.
1 Satz 1 ZPO erforderliche Postulationsfähigkeit, also die Fähigkeit, im eigenen Namen rechtswirksam prozessual zu handeln ([X.]/Vollkommer, ZPO, 29.
Aufl., Vor §
50 Rn.
16), eingebüßt hat. Es hätte daher das frist-
und formgerecht eingelegte Rechtsmittel nicht gemäß § 522 Abs. 1 ZPO mit der [X.] als unzulässig verwerfen dürfen, die Berufung sei nicht durch einen Rechtsanwalt eingelegt worden.
a) Der Beklagtenvertreter ist noch als Rechtsanwalt zugelassen, weil die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erst dann erlischt, wenn der Widerruf seiner Zulassung bestandskräftig geworden ist (§ 13 [X.]). Allerdings hat die Anord-nung des Sofortvollzugs des [X.]s gemäß § 14 Abs.
4 [X.] zur Folge, dass die für die Verhängung eines vorläufigen Berufs-
oder Vertre-tungsverbots (§ 150 [X.]) geltenden Bestimmungen der § 155 Abs.
2, 4 und 5, § 156 Abs. 2 [X.] entsprechend anzuwenden sind. Dies bedeutet, dass der Beklagtenvertreter mit Wirkung vom 31. Juli 2010 nicht mehr befugt war, seine Rechtsanwaltstätigkeit auszuüben (§
155 Abs. 2 [X.]). Es war ihm daher auch verwehrt, für den Beklagten Berufung zum [X.] einzulegen.
b) Jedoch ist die von ihm gleichwohl vorgenommene Berufungseinlegung als
wirksam zu behandeln.
Dies folgt aus §
155 Abs. 5 Satz 1, § 14 Abs.
4 [X.]. Darin hat der Ge-setzgeber bestimmt, dass verbotswidrig vorgenommene Rechtshandlungen zur Wahrung der Rechtssicherheit als wirksam zu gelten haben, es sei denn, es ist (zuvor) eine Zurückweisung des Rechtsanwalts nach § 156 Abs. 2 [X.] er-folgt. Die genannte Regelung ist im Interesse der Rechtssicherheit in die [X.] aufgenommen worden ([X.]. 461/57, S.
108
-
Erläuterung zu § 169 Abs. 5 [X.]-E) und will den Rechtsverkehr mit einem Rechtsanwalt generell von der Prüfung freihalten, ob gegen ihn ein Berufs-
oder 6
7
8
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5
-
Vertretungsverbot besteht ([X.], Beschlüsse vom 22. Februar 2010 -
II
ZB 8/09, [X.], 777 Rn.
14 [X.]; vom 29.
März 1990 -
III
ZB 39/89, [X.]Z 111, 104, 106; [X.], NJW-RR 1995, 626 f.). Angesichts des eindeuti-gen Wortlauts des § 155 Abs. 5 Satz 1 [X.] und des darin zum Ausdruck kommenden Willens des Gesetzgebers, aus Gründen der Rechtssicherheit Rechtshandlungen eines mit einem vorläufigen Berufsverbot belegten Rechts-anwalts ohne Einschränkung als wirksam zu behandeln, bleibt die Postulations-fähigkeit eines verbotswidrig handelnden Anwalts auch dann unberührt, wenn er sich bewusst über das [X.] hinwegsetzt ([X.], Beschluss vom 22.
Februar 2010 -
II
ZB 8/09, aaO Rn.
13 ff.). Erst mit einer Zurückweisung nach §
156 Abs. 2 [X.] endet -
für die Zukunft
-
die Postulationsfähigkeit ei-nes Rechtsanwalts, der sich über ein vorläufiges Berufsverbot (oder über einen sofort vollziehbaren [X.] -
vgl. § 14 Abs. 4 [X.]) hinwegsetzt (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Februar 2010 -
II
ZB 8/09, aaO Rn. 16; [X.], aaO; [X.]/[X.], [X.], 8. Aufl., § 156 Rn. 7, 10 mwN). Eine Zurückweisung nach § 156 Abs. 2 [X.] ist vor Einlegung der Berufung nicht erfolgt.
3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus an-deren Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO). Zwar ist die Berufung nicht fristgerecht begründet worden. Dem Beklagten ist jedoch vom Berufungsgericht gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist von Amts wegen [X.] in den vorigen Stand zu gewähren.
a) Das Berufungsgericht hat das Rechtsmittel vor Ablauf der Begrün-dungsfrist mit Beschluss vom 28. November 2011 rechtsfehlerhaft als unzuläs-sig verworfen. Mit einem am 5. Dezember 2011 und damit vor Ablauf der [X.]sfrist beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der [X.] -
unter Darlegung erheblicher Gründe im Sinne von §
520 9
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-
Abs.
2 Satz 3 ZPO
-
eine Verlängerung der Begründungsfrist um einen Monat beantragt und die Berufungsbegründung innerhalb der beantragten Fristverlän-gerung nachgereicht. Auch bei Einreichung dieser Schriftsätze hatte der [X.] seine Postulationsfähigkeit (§ 14 Abs. 4, §
155 Abs.
5 Satz
1 [X.]) nicht eingebüßt. Zwar war dem Beklagtenvertreter vor Eingang dieser Schriftsätze der Verwerfungsbeschluss vom 28. November 2011 zugegangen. Der Regelungsgehalt dieses Beschlusses beschränkt sich jedoch auf eine Ver-werfung der Berufung des
Beklagten und enthält nicht zugleich eine Zurückwei-sung des Beklagtenvertreters nach §
156 Abs.
2 [X.]. Es kann dahin stehen, ob eine Zurückweisung nach §
156 Abs.
2 [X.] beim schriftlichen Verkehr mit dem Gericht überhaupt in Betracht kommt (streitig; zum [X.] vgl. [X.]/[X.], aaO Rn.
9 mwN; [X.] in [X.]/Wolf/Göcken, Anwaltli-ches Berufsrecht, Stand 2010, §
156 [X.] Rn. 8). Denn das Berufungsgericht hat sich ausschließlich mit der aus seiner Sicht fehlenden Postulationsfähigkeit des Beklagtenvertreters befasst und dementsprechend die Berufung des [X.] durch einen gegen die [X.] gerichteten Beschluss als unzulässig [X.]. Von seinem Rechtsstandpunkt aus hatte das Berufungsgericht keine Veranlassung, eine Zurückweisung des Beklagtenvertreters gemäß §
156 Abs.
2 [X.] in Erwägung zu ziehen. Dementsprechend hat es seinen Be-schluss vom 28. November 2011, anders als dies nach § 156 Abs. 2 [X.], der letztlich eine Erweiterung des § 79 Abs. 3 ZPO darstellt (zum letztgenannten Gesichtspunkt vgl. etwa [X.], aaO Rn. 7), erforderlich wäre, nicht (zugleich) gegen den Beklagtenvertreter gerichtet.
b) Der Beklagte hat damit seine Berufung vor Ablauf der beantragten Fristverlängerung ordnungsgemäß begründet. Dass die beantragte Fristverlän-gerung nicht bewilligt worden ist, gereicht ihm nicht zum Verschulden. Ein Pro-zessbevollmächtigter einer [X.] darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass ei-nem unter Darlegung eines erheblichen Grundes im Sinne des §
520 Abs.
2 11
-
7
-
Satz 3 ZPO gestellten ersten Verlängerungsantrag stattgegeben wird (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschlüsse vom 10.
März 2009 -
VIII
ZB 55/06, NJW-RR 2009, 933 Rn.
12; vom 18. August 2009 -
VIII
ZB 62/08, juris Rn. 11; jeweils mwN). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Berufungsgericht noch vor Ablauf der Begründungsfrist die Berufung rechtsfehlerhaft als unzulässig verworfen hat. Dem Beklagten ist auch nicht als Verschulden anzulasten, dass sein Pro-zessbevollmächtigter Ausführungen zum Fortbestand seiner Postulationsfähig-keit gemäß § 155 Abs. 5 Satz 1 [X.] nicht binnen der ihm vom Berufungsge-richt gesetzten Frist zur Stellungnahme (22. November 2011), sondern erst mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2011 gemacht und dadurch die fehlerhafte Ent-scheidung des Berufungsgerichts mitverursacht hat. Dabei kann dahin stehen, ob ein verspäteter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit eines vom Gericht beab-sichtigten Vorgehens überhaupt als schuldhaftes Verhalten im Sinne des §
85 Abs. 2 ZPO zu werten ist (vgl. hierzu allgemein [X.]/Vollkommer, aaO, §
85 Rn.
13b mwN). Denn ein mögliches Fehlverhalten eines Rechtsanwalts, dessen Zulassung -
wie hier -
mit sofortiger Wirkung widerrufen worden ist und der [X.] aus berufsrechtlichen Gründen nicht mehr als Rechtsanwalt auftreten darf (§
14 Abs.
4, §
155 Abs. 2 [X.]), kann der von ihm vertretenen [X.] generell nicht gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden ([X.] 123, 364 ff. = NJW 2007, 3226 Rn. 17 ff.; zustimmend [X.], Beschluss vom 22. April 2008 -
X
ZB 18/07, NJW-RR 2008, 1290 Rn. 8, 9, der sich mit einer erloschenen, aber noch nicht im Anwaltsverzeichnis gelöschten Zulassung zu befassen hatte; vgl. auch [X.]/Vollkommer, aaO, § 85 Rn.
25 i.V.m. §
86 Rn. 5).
c) Bei Eingang der Berufungsbegründung am 5. Januar 2012 war weder die [X.] noch die Frist zur Nachholung der versäumten [X.] abgelaufen. Beide Fristen betragen einen Monat (§
234 Abs.
1 Satz 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs.
1 ZPO) und sind mit Zugang des [X.] vom 28. Dezember 2011 über die Versagung der beantragten [X.]
-
8
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gerung in Gang gesetzt worden (§
234 Abs. 2 ZPO). Da die Berufungsbegrün-dung innerhalb der laufenden [X.] nachgeholt worden ist, ist dem Beklagten vom Berufungsgericht nach §
236 Abs. 2 Satz 2 Halbs.
2 ZPO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
[X.]
[X.]
[X.]

Dr. [X.]
Dr. Bünger
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 27.09.2011 -
6 C 45/11 -
LG [X.], Entscheidung vom 28.11.2011 -
5 [X.]/11 -

Meta

VIII ZB 111/11

24.04.2012

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.04.2012, Az. VIII ZB 111/11 (REWIS RS 2012, 6995)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6995

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VIII ZB 111/11

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