Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.01.2023, Az. VI ZR 1234/20

6. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 750

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ZIVIL- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT STRASSENVERKEHR BUNDESGERICHTSHOF (BGH) SCHADENSERSATZ HAFTUNG HAFTPFLICHTVERSICHERUNG

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Gegenstand

Haftung des Halters eines Elektrorollers bei Explosion der ausgebauten Batterie während des Ladevorgangs


Leitsatz

Zur Reichweite der Haftung des Halters eines Elektrorollers nach § 7 Abs. 1 StVG, wenn dessen ausgebaute Batterie während des Aufladens explodiert.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen den Beschluss des 9. Zivilsenats des [X.] vom 2. September 2020 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsrechtszuges trägt die Klägerin.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der klagende [X.] nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer aus übergegangenem Recht auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Ein Versicherungsnehmer der Beklagten brachte seinen Elektroroller (Kleinkraftrad Marke Freeliner Lyric A720) zur Inspektion in Werkstatträume, die bei der Klägerin versichert waren. Dort entnahm ein Mitarbeiter der Werkstatt die Batterie des [X.] und begann sie aufzuladen. Als der Mitarbeiter bemerkte, dass sich die Batterie stark erhitzte, trennte er sie vom Stromnetz und legte sie zur Abkühlung auf den Boden der Werkstatt. Kurz darauf explodierte die Batterie und setzte das Gebäude in Brand.

3

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe

I.

4

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Explosion sei nicht im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG bei dem Betrieb des [X.] eingetreten. Der Betrieb des Fahrzeugs ende regelmäßig dann, wenn es an einen Ort außerhalb des allgemeinen Verkehrs gebracht worden sei, weshalb sich bei Schädigungen im Zusammenhang mit Wartungsarbeiten im Regelfall keine Verkehrsgefahren realisierten. Durch das Verbringen des Rollers in die Werkstatt habe die Gefährdung des allgemeinen Verkehrs geendet. Die Entnahme der Batterie verdeutliche geradezu sinnfällig, dass das Fahrzeug außer Betrieb gesetzt gewesen sei. Komme es an einem sich zur Reparatur in einer Werkstatt befindlichen Fahrzeug zu einem Schaden, ohne dass dabei eine durch einen vorherigen Betriebsvorgang entstandene Gefahrenlage fort- bzw. nachwirke, fehle es an dem für eine Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG erforderlichen Zusammenhang mit der [X.]. Es komme hinzu, dass das in [X.] geratene Teil ausgebaut gewesen sei.

5

Unabhängig davon habe die Klägerin nicht bewiesen, dass das Schadensereignis dem bei der [X.] haftpflichtversicherten Halter des [X.] im Sinne haftungsbegründender Kausalität zuzurechnen sei. Die Beklagte habe bestritten, dass der Schaden durch eine fehlerhafte Batterie verursacht worden sei, und die Möglichkeit einer Schadhaftigkeit des verwendeten Ladegeräts aufgezeigt. Schließlich scheitere eine Haftung der [X.] auch an der Ausnahmebestimmung des § 8 Nr. 1 StVG. Es sei nämlich davon auszugehen, dass das Fahrzeug bauartbedingt keine höhere Geschwindigkeit als 20 km/h habe erreichen können.

II.

6

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet.

7

1. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Batterie nicht im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG bei dem Betrieb des [X.] explodierte.

8

a) Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StVG ist, dass eines der dort genannten Rechtsgüter "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs" verletzt bzw. beschädigt worden ist. Dieses [X.] ist entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, das heißt, wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das [X.] durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist. Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, das heißt, die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (vgl. Senatsurteile vom 20. Oktober 2020 - [X.], [X.], 597 Rn. 7; - [X.], [X.], 87 Rn. 7; - [X.], NJW 2021, 1157 Rn. 7 [X.], [X.], 386; jeweils mwN).

9

b) Zwar ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts der Umstand, dass sich der Elektroroller und die Batterie zur Inspektion in einer Werkstatt befanden, für die Frage der Haftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG unerheblich. Denn dass Dritte durch den Defekt einer Betriebseinrichtung eines Kraftfahrzeuges an ihren Rechtsgütern einen Schaden erleiden, gehört zu den spezifischen Auswirkungen derjenigen Gefahren, für die die Haftungsvorschrift des § 7 StVG den Verkehr schadlos halten will. Dabei macht es rechtlich keinen Unterschied, ob der [X.] unabhängig vom Fahrbetrieb selbst vor, während oder nach einer Fahrt eintritt. Wollte man die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG auf [X.] begrenzen, die durch den Fahrbetrieb selbst und dessen Nachwirkungen verursacht worden sind, liefe die Haftung in all den Fällen leer, in denen unabhängig von einem Betriebsvorgang allein ein technischer Defekt einer Betriebseinrichtung für den Schaden eines [X.] ursächlich geworden ist. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist das [X.] jedoch auch in diesen Fällen durch das Kraftfahrzeug selbst und die von ihm ausgehenden Gefahren entscheidend (mit)geprägt worden. Hierzu reicht es aus, dass der [X.] oder dessen Übergreifen in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht (vgl. die nach Verkündung des Berufungsurteils ergangenen Senatsurteile vom 20. Oktober 2020 - [X.], [X.], 597 Rn. 8 [schwer beschädigtes und nicht fahrbereites Fahrzeug in [X.]]; - [X.], [X.], 87 Rn. 8 ff. [in Werkstattgebäude zur Reparatur aufgebockter LKW]; - [X.], NJW 2021, 1157 Rn. 13 ff. [zur [X.] in Werkstattgebäude abgestellter LKW]).

c) Allerdings ist nicht festgestellt - und die Revision zeigt dazu auch keinen übergangenen Vortrag auf -, dass die Erhitzung und die nachfolgende Explosion der Batterie bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG standen. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Batterie bereits aus dem Elektroroller ausgebaut und hatte zu diesem keine Verbindung mehr. Bei dieser Sachlage besteht kein Unterschied zu der Situation, in der eine zuvor nicht im Elektroroller befindliche Batterie dort eingebaut werden soll und zu diesem Zweck vorher aufgeladen wird. In diesen Fällen ist die Batterie nicht mehr bzw. noch nicht Teil der Betriebseinrichtung.

Weiter ist nicht festgestellt - und die Revision zeigt auch dazu keinen übergangenen Vortrag auf -, dass die Explosion der Batterie in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang stand (vgl. dazu Senatsurteil vom 26. März 2019 - [X.], NJW 2019, 2227 Rn. 9). Allein der Umstand, dass sich die Batterie zuvor im Elektroroller befand und in diesem entladen wurde, begründet nicht den erforderlichen Zurechnungszusammenhang.

2. Es bedarf daher keiner Klärung, ob die von der Revision angegriffenen Erwägungen des Berufungsgerichts zur möglichen Verursachung des [X.]es durch ein schadhaftes Ladegerät und zur bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit des [X.] revisionsrechtlicher Prüfung standhalten würden.

[X.]     

      

von [X.]     

      

Klein 

      

[X.]     

      

Linder     

      

Meta

VI ZR 1234/20

24.01.2023

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Celle, 2. September 2020, Az: 9 U 47/20

§ 7 Abs 1 StVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.01.2023, Az. VI ZR 1234/20 (REWIS RS 2023, 750)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 750 NJW 2023, 2279 REWIS RS 2023, 750

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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