Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.01.2013, Az. VII B 67/12

7. Senat | REWIS RS 2013, 9168

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Generalbevollmächtigter kann als Verfügungsberechtigter Haftungsschuldner sein


Leitsatz

1. NV: Verfügungsberechtigter nach § 35 AO und damit Haftungsschuldner nach § 69 AO kann auch sein, wem eine Generalvollmacht erteilt worden ist .   

2. NV: Die haftungsrechtliche Inanspruchnahme setzt voraus, dass der Bevollmächtigte nach außen aufgetreten ist .   

3. NV: Ein Auftreten nach außen liegt vor, wenn der mit Handlungsvollmacht ausgestattete Verfügungsberechtigte Verträge unterzeichnet oder für den Vollmachtgeber in Einspruchsverfahren- und Klageverfahren auftritt .

Tatbestand

1

I. Die [X.]lägerin und Beschwerdeführerin ([X.]lägerin) war Alleingesellschafterin der nach [X.] Recht gegründeten Firma [X.]. ([X.].), die die Vermietung von Personen- und Lastkraftwagen sowie den An- und Verkauf von [X.]raftfahrzeugen betrieb. Vom Direktor dieser [X.]., der für sie die Geschäftsanteile treuhänderisch verwaltete, wurde ihr zusammen mit [X.] eine Handlungsvollmacht zur Führung einer [X.] Zweigniederlassung erteilt. Danach waren sowohl [X.] als auch die [X.]lägerin einzelvertretungsberechtigt. Die Handlungsvollmacht ermächtigte dazu, alle Geschäfte und Rechtshandlungen vorzunehmen, die der Betrieb der Niederlassung der [X.]. gewöhnlich mit sich bringt. Der [X.] war auch ermächtigt, Prozesse zu führen und Zahlungen in Empfang zu nehmen. Die [X.]lägerin unterzeichnete den [X.] für die [X.]. Zudem besaß sie neben [X.] eine Verfügungsberechtigung hinsichtlich der bei einer [X.] Bank eröffneten betrieblichen [X.]onten. Im Februar und März 2007 wurde der [X.]lägerin "als Prokuristin" jeweils ein Bruttogehalt in Höhe von 3.500 € überwiesen. Sozialabgaben wurden nicht entrichtet. Im Gegensatz zu anderen Beschäftigten der [X.]. war die [X.]lägerin zu keinem Zeitpunkt bei der [X.] gemeldet. Da die [X.]. keine Steuererklärungen abgab, schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) die Besteuerungsgrundlagen und wies die dagegen eingelegten Einsprüche zurück. Sowohl im Einspruchsverfahren als auch bei der sich anschließenden [X.]lageerhebung wurde die [X.]. von der [X.]lägerin vertreten.

2

Aufgrund rückständiger Steuerschulden der [X.]. nahm das [X.] die [X.]lägerin mit Haftungsbescheid vom 16. März 2009 als Haftungsschuldnerin in Anspruch. Der weitere Bevollmächtigte [X.] hatte am 12. Februar 2008 die eidesstattliche Versicherung abgegeben und wurde haftungsrechtlich nicht in Anspruch genommen. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. In der Einspruchsentscheidung wies das [X.] im Rahmen der Begründung des betätigten [X.]s darauf hin, dass grundsätzlich für beide Bevollmächtigten eine Gesamtschuldnerschaft in Betracht komme und nur die [X.]lägerin im Zeitpunkt des Erlasses des [X.] auch wirtschaftlich in der Lage gewesen sei, die Steuerschulden im [X.] zu tilgen.

3

Auch die [X.]lage blieb erfolglos. Das Finanzgericht ([X.]) urteilte, die [X.]lägerin habe als Verfügungsberechtigte nach § 35 der Abgabenordnung [X.]) die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters zu erfüllen gehabt. Aufgrund der umfassenden Handlungsvollmacht und der Tatsache, dass ihr die Geschäftsanteile an der [X.] zuzurechnen seien, ergebe sich, dass sie als Verfügungsberechtigte anzusehen sei. Dass es daneben noch einen zweiten Verfügungsberechtigten in Gestalt des [X.] gegeben habe, sei insofern ohne Bedeutung. Das ihm zustehende [X.] habe das [X.] zutreffend ausgeübt. Soweit die [X.]lägerin ihre Tätigkeit auf Botengänge und im Rahmen eines Minijobs darstelle, sei dies offensichtlich unzutreffend, denn sie sei bei der [X.] nicht gemeldet gewesen und habe für die Gesellschaft Einspruch und [X.]lage erhoben. Die von ihr angebotenen Zeugen könnten zu ihrer internen Stellung nichts aussagen. Nur auf die internen Verhältnisse zwischen ihr und [X.] sowie dem Direktor der [X.]. komme es an. Wie oft die [X.]lägerin im Büro gewesen sei, sei unerheblich. Auch komme es nicht darauf an, ob die [X.]lägerin nur auf Anweisung von [X.] tätig geworden sei. Aufgrund ihrer umfassenden Handlungsvollmacht und ihrer wirtschaftlichen Stellung als Alleingesellschafterin gehöre sie zum Personenkreis des § 35 AO.

4

Mit ihrer Beschwerde begehrt die [X.]lägerin die Zulassung der Revision wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). [X.] habe es das [X.] unterlassen, die von der [X.]lägerin benannten Zeugen zu vernehmen, ob sie als Verfügungsberechtigte i.S. des § 35 AO anzusehen sei. Dabei komme es maßgeblich auf ihre Rolle im Verhältnis zu [X.] an. [X.]. sei Beweis durch Vernehmung des [X.] angeboten worden zu der Tatsache, dass die [X.]lägerin allein auf Anweisung des [X.] tätig geworden sei, der allein die Geschäfte geführt und alle wesentlichen Entscheidungen getroffen habe, dass sich ihre Tätigkeit auf ca. 8 Stunden pro Woche und auf gelegentliche Botengänge sowie auf die technische Abwicklung der P[X.]W-Mietverträge beschränkt habe, dass sie als [X.] entlohnt worden sei, dass sie keine Gespräche mit den Beratern der [X.]. geführt habe und ihr die Generalvollmacht, von der sie ohne vorherige Anweisung durch die Geschäftsleitung der [X.]. keinen Gebrauch gemacht habe, aufgrund eines gesteigerten Vertrauensverhältnisses erteilt worden sei. Mit der Einschätzung, der gesamte Sachvortrag der [X.]lägerin sei unzutreffend, habe das [X.] das Beweisergebnis in unzulässiger Weise vorweggenommen. Darüber hinaus habe das [X.] die von der [X.]lägerin erhaltenen Gehaltszahlungen und das Erlöschen der Generalvollmacht bereits Ende 2006 nicht hinreichend durch Zeugenvernehmungen aufgeklärt.         

5

Das [X.] ist der Beschwerde entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der von der [X.]lägerin gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Das [X.] konnte ohne die Vernehmung der von der [X.]lägerin benannten Zeugen entscheiden.

7

1. Nach § 35 [X.] hat derjenige, der im eigenen oder fremden Namen auftritt, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters, soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann. Dabei reicht die rechtliche Verfügungsbefugnis aus, die z.B. durch Rechtsgeschäft im Rahmen einer Bevollmächtigung eingeräumt werden kann. Das Innenverhältnis zum [X.] ist grundsätzlich unbeachtlich. Selbst ein ausdrückliches internes Verbot, steuerliche Pflichten zu erfüllen, kann den Verfügungsberechtigten nicht aus seiner Pflichtenstellung entlassen [X.]/Rüsken, [X.], 11. Aufl., § 35 Rz 6). Nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) kann eine Verfügungsberechtigung i.S. des § 35 [X.] auch durch die Erteilung einer Generalvollmacht erteilt werden (zum Auftreten als Generalbevollmächtigter eines ausländischen Unternehmens vgl. Senatsurteil vom 11. März 1986 VII R 124/81, [X.]/NV 1987, 69). Tritt der Verfügungsberechtigte als Generalbevollmächtigter auf, kommt es nicht darauf an, welcher Aufgabenbereich ihm von seinem Geschäftsherrn zugewiesen worden ist, denn § 35 [X.] stellt nur auf das rechtliche und tatsächliche [X.]önnen des Verfügungsberechtigten ab ([X.]-Urteil vom 24. April 1991 I R 56/89, [X.]/NV 1992, 76). Hinsichtlich des zu fordernden Auftretens nach außen, ist es als ausreichend zu erachten, dass der Verfügungsberechtigte gegenüber irgendjemanden --auch nur gegenüber einer begrenzten Öffentlichkeit-- auftritt [X.]/Rüsken, a.a.[X.], § 35 Rz 7).  

8

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte konnte sich das [X.] mit den Feststellungen begnügen, dass der [X.]lägerin eine umfassende Handlungsvollmacht zur Führung einer [X.] Zweigniederlassung erteilt worden war, nach der sie neben dem ebenfalls Bevollmächtigten [X.] einzelvertretungsberechtigt gewesen ist, und sie eine wirtschaftliche Stellung als Alleingesellschafterin innehatte. Das Auftreten nach außen, d.h. die Teilnahme am Rechtsverkehr, hat das [X.] durch die Hinweise auf die Unterzeichnung des Mietvertrags durch die [X.]lägerin und auf ihr Auftreten im Einspruchs- sowie dem sich anschließenden [X.]lageverfahren für die Gesellschaft noch im [X.] hinreichend belegt. Aus der maßgeblichen materiell-rechtlichen Sicht musste sich dem [X.] die Notwendigkeit einer Beweiserhebung durch Vernehmung der von der [X.]lägerin benannten Zeugen nicht aufdrängen. Die von der Beschwerde angeführten Beweisthemen beziehen sich im Wesentlichen auf das Innenverhältnis der [X.]lägerin zu [X.] und auf dessen Auftreten nach innen und nach außen. Wie bereits ausgeführt, ist das Innenverhältnis jedoch für die Annahme der Verfügungsbefugnis und die haftungsrechtliche Inanspruchnahme unbeachtlich. Dass die [X.]lägerin tatsächlich mit Generalvollmacht nach außen für die Ltd. aufgetreten ist, stellt die Beschwerde dabei nicht in Frage; sie verweist sogar auf die Unterzeichnung des Mietvertrags, die Vornahme von Überweisungen und die Entgegennahme von [X.]autionen.

9

2. Auch einer Beweiserhebung zur [X.]lärung des angeblichen Widerrufs der der [X.]lägerin erteilten Handlungsvollmacht bedurfte es nach der materiellen Rechtsauffassung des [X.] nicht, so dass in deren Unterlassung kein die Revision rechtfertigender Verfahrensfehler liegen kann. Denn aufgrund einer Reihe von Indizien --umfassendes Tätigwerden der [X.]lägerin nach 2006, insbesondere im Rechtsmittelverfahren für die Ltd., Bezug eines beträchtlichen Monatsgehalts, kein Einbehalt von [X.] ist es zu der (nachvollziehbaren) Erkenntnis gelangt, dass das [X.] keine Rechtswirksamkeit entfaltete.

3. Auch hinsichtlich der Überprüfung des vom [X.] ausgeübten Entschließungs- und Auswahlermessens liegt der behauptete Verfahrensmangel unzureichender Sachaufklärung nicht vor. Nach den Feststellungen des [X.] hatte [X.] bereits am 12. Februar 2008 die eidesstattliche Versicherung abgegeben. In der Einspruchsentscheidung hat das [X.] auf diesen Umstand ausdrücklich hingewiesen und ausgeführt, der Haftungsanspruch könne zurzeit nur gegenüber der [X.]lägerin durchgesetzt werden, was eine spätere Inanspruchnahme des [X.] jedoch nicht ausschließe. Bei dieser Sachlage musste das [X.] in Bezug auf die Betätigung des Auswahlermessens durch das [X.] keine weitere Sachaufklärung betreiben. Auf die Vernehmung der von der [X.]lägerin benannten Zeugen konnte es daher verzichten und zu der Schlussfolgerung gelangen, die Entscheidung des [X.] lasse keine Ermessensfehler erkennen.

Meta

VII B 67/12

09.01.2013

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend FG Köln, 1. März 2012, Az: 10 K 299/10, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 76 Abs 1 S 1 FGO, § 35 AO, § 69 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.01.2013, Az. VII B 67/12 (REWIS RS 2013, 9168)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 9168

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Wird zitiert von

1 StR 586/12

1 StR 586/12

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