Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.06.2005, Az. XII ZR 177/03

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2005, 3220

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[X.]BESCHLUSS [X.]/03
vom 8. Juni 2005 in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja [X.]: ja [X.]R: ja

BGB §§ 1004 Abs. 1 Satz 2, 1896, 1901, 1904; ZPO § 91 a a) Verlangt der Betreuer in Übereinstimmung mit dem behandelnden Arzt, daß die künstliche Ernährung des betreuten einwilligungsunfähigen Patienten eingestellt wird, so kann das Pflegeheim diesem Verlangen jedenfalls nicht den Heimvertrag entgegensetzen. Auch die Gewissensfreiheit des [X.] rechtfertigt für sich genommen die Fortsetzung der künstlichen Er-nährung in einem solchen Fall nicht (im Anschluß an [X.] 154, 205). b) Hat sich der Rechtsstreit durch den Tod des Patienten erledigt, rechtfertigt der Umstand, daß die strafrechtlichen Grenzen einer Sterbehilfe im weiteren Sinn ("Hilfe zum Sterben") bislang nicht hinreichend geklärt erscheinen, eine gegenseitige Kostenaufhebung nach § 91 a ZPO. [X.], Beschluß vom 8. Juni 2005 - [X.]/03 - [X.] - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 8. Juni 2005 durch die Vorsitzende Richterin [X.] und [X.], [X.], Prof. Dr. Wagenitz und [X.] beschlossen: Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe: [X.] Der ursprüngliche Kläger (im folgenden: der Kläger) hatte, vertreten durch seinen Vater als Betreuer, von der [X.] verlangt, seine künstliche Ernährung einzustellen, um ihn sterben zu lassen. Der Kläger litt seit einem Suizidversuch am 19. Juli 1998 an einem apal-lischen Syndrom im Sinne eines [X.]. Er befand sich seit dem 10. Sep-tember 1998 aufgrund eines von seinem Betreuer für ihn abgeschlossenen [X.] im [X.] der [X.]. Dort wurde er von dem nieder-gelassenen Arzt Dr. S. behandelt und vom Pflegepersonal der [X.] mittels einer - bereits vor der Aufnahme in das Heim eingebrachten - PEG-Sonde künstlich ernährt. Am 14. Dezember 2001 ordnete Dr. S. im Einvernehmen mit dem [X.] an, die künstliche Ernährung einzustellen und die Zuführung von [X.] über die Magensonde zu reduzieren. Über die Magensonde seien nur noch 500 ml kalorienfreie Flüssigkeit pro Tag zuzuführen, denen im einzelnen be-- 3 - zeichnete Medikamente beizufügen seien. Dem Kläger solle ein Vernebler vor den Mund gebracht werden. Es sollten eine intensive Mundpflege durchgeführt und ein Schmerzpflaster aufgeklebt werden. Die Beklagte lehnte die Durchführung dieser Anordnung, bei deren Be-folgung der Kläger binnen (maximal) acht bis zehn Tagen an einer Nierenvergif-tung sterben würde, u.a. mit der Begründung ab, ihre Pflegekräfte weigerten sich, der ärztlichen Anordnung nachzukommen. Mit seiner Klage hatte der Kläger von der [X.] begehrt, seine künstliche Ernährung in jeglicher Form zu unterlassen; außerdem hatte er von der [X.] verlangt, die Anordnung des Dr. S. sowie sämtliche weiteren, ihn betreffenden palliativmedizinischen Anordnungen des verantwortlich behan-delnden Arztes, insbesondere zur Durstverhinderung und im Rahmen der Schmerztherapie, durchzuführen. Landgericht und [X.] wiesen die Klage ab (Urteile veröffentlicht in NJW-RR 2003, 221 und NJW 2003, 1744). Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgte der Kläger sein erstinstanz-liches Begehren weiter. Der Kläger ist am 26. März 2004 verstorben. Die Parteien haben den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt und wechselseitig [X.] gestellt.

I[X.] Gemäß § 91 a ZPO hat der [X.] nur noch über die Kosten des [X.] zu befinden. Diese Entscheidung hat zwar den bisherigen Sach- und - 4 - Streitstand zu berücksichtigen. Sie erfolgt aber zugleich auch nach billigem Er-messen. Der [X.] kann sich deshalb auf eine summarische Prüfung der Er-folgsaussichten der Klage beschränken und darauf verzichten, alle für den Aus-gang des Rechtsstreits bedeutsamen Rechtsfragen zu überprüfen ([X.] 67, 343, 345; [X.] NJW 1993, 1060, 1061; [X.]/Vollkommer ZPO 25. Aufl. § 91 a [X.]. 24). Nach dem Ergebnis dieser summarischen Prüfung waren die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufzuheben. 1. Entgegen der Auffassung des [X.]s war das Unterlas-sungsbegehren des [X.] nicht schon deshalb unbegründet, weil der mit der [X.] geschlossene Heimvertrag einem solchen Verlangen entgegenstand oder weil die Beklagte sich auf "ein aus ihren verfassungsmäßigen Rechten abzuleitendes Verweigerungsrecht" berufen konnte. a) Die mit Hilfe einer Magensonde durchgeführte künstliche Ernährung ist ein Eingriff in die körperliche Integrität, der deshalb der Einwilligung des [X.] bedarf (vgl. [X.]sbeschluß [X.] 154, 205 = FamRZ 2003, 748, 750). Eine gegen den erklärten Willen des Patienten durchgeführte künstliche Ernäh-rung ist folglich eine rechtswidrige Handlung, deren Unterlassung der Patient analog § 1004 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB verlangen kann. Dies gilt auch dann, wenn die begehrte Unterlassung - wie hier - zum To-de des Patienten führen würde. Das Recht des Patienten zur Bestimmung über seinen Körper macht Zwangsbehandlungen, auch wenn sie lebenserhaltend wirken, unzulässig ([X.]sbeschluß [X.]O 751). b) Die künstliche Ernährung des [X.] widersprach dem vom Betreuer als wirklicher oder mutmaßlicher Wille des [X.] geäußerten Willen. [X.]) Der Vater des [X.] war in den [X.], für die er zum Betreuer des [X.] bestellt worden war, dessen gesetzlicher Vertreter - 5 - (§ 1902 BGB). Zu den ihm übertragenen [X.], die u.a. die "Sorge für die Gesundheit und die Vertretung gegenüber Dritten" umfaßten, gehörte auch die Entscheidung, ob und inwieweit in die körperliche Integrität des [X.] eingegriffen werden darf. Der Betreuer hat dem Willen des [X.] in ei-gener rechtlicher Verantwortung und nach Maßgabe des § 1901 BGB Geltung zu verschaffen ([X.]sbeschluß [X.]O 750). Seine Anordnung, die weitere künst-liche Ernährung des [X.] zu unterlassen, war deshalb gegenüber der [X.] und ihrem Pflegepersonal bindend. Eine eigene Prüfungskompetenz, ob und inwieweit die getroffene Entscheidung der von § 1901 Abs. 2 bis 4 BGB normierten Pflichtenbindung gerecht wird, stand der [X.] nicht zu; sie ist insoweit - wie jeder andere Dritte auch - auf die Möglichkeit beschränkt, beim Vormundschaftsgericht eine Überprüfung des Betreuerhandelns mit dem Ziel aufsichtsrechtlicher Maßnahmen nach § 1908 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 1837 Abs. 1 bis 3, § 1836 BGB anzuregen. bb) Die Weigerung des Betreuers, in eine weitere künstliche Ernährung des [X.] durch die Beklagte einzuwilligen, bedurfte im vorliegenden Fall auch keiner vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung. Wie der [X.] ([X.]O 754) dargelegt hat, ist das Vormundschaftsgericht nur dann zu einer Entscheidung berufen, wenn der einen einwilligungsunfähi-gen Patienten behandelnde Arzt eine lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahme für medizinisch geboten oder vertretbar erachtet und sie deshalb "anbietet" und der Betreuer sich diesem Angebot verweigert. Ein solcher, die Kontrollzuständigkeit des Vormundschaftsgerichts auslösender Konflikt bestand hier nicht. Der Betreuer und der behandelnde Arzt hatten sich übereinstimmend gegen eine weitere künstliche Ernährung des [X.] entschieden. Das Behar-ren der [X.], die künstliche Ernährung entgegen der ärztlichen Anordnung - 6 - fortzusetzen, begründete keine dem Widerstreit von ärztlicher Empfehlung und Betreueranordnung vergleichbare Konfliktsituation. c) Der mit dem Kläger geschlossene Heimvertrag berechtigt die [X.] nicht, die künstliche Ernährung des [X.] gegen seinen - durch seinen Betreuer verbindlich geäußerten - Willen fortzusetzen. Das vom Betreuer wahr-genommene Recht des [X.] zur Bestimmung über den eigenen Körper ist einem antizipierten Verzicht nicht zugänglich (Kohte AcP 185 (1985) 105, 137 f.; [X.]/[X.] Medizinrecht 5. Aufl. [X.]. 197; [X.]/[X.] in [X.]/[X.] Handbuch des [X.]. § 71 [X.]. 1, § 81 [X.]. 7). Eine einmal erteilte Einwilligung in einen Eingriff in die körperliche Integrität kann bis zu dessen Vornahme jederzeit widerrufen werden ([X.] Urteil vom 18. März 1980 - [X.]/78 - NJW 1980, 1903; [X.]/Wagner BGB 4. Aufl. § 823 [X.]. 673); ebenso kann der Fortsetzung einer Dauerbehandlung jederzeit widersprochen werden. Selbst wenn, wie das [X.] meint, die Parteien mit dem Heimvertrag das Recht des [X.] auf [X.] einschränken oder doch die Grenzen dieses Rechts bindend festle-gen wollten, konnten sie eine solche Einschränkung oder Bindung jedenfalls rechtswirksam nicht vereinbaren. Der Widerruf einer mit dem Abschluß des [X.] erteilten Einwilligung des [X.] in seine künstliche Ernährung wurde durch den Heimvertrag folglich nicht gehindert. Ohne Belang ist auch, ob sich die Beklagte in dem Heimvertrag zu einer auch die künstliche Ernährung des [X.] umfassenden Versorgung verpflichtet hatte. Denn eine solche [X.] begründete jedenfalls keine Rechtspflicht des [X.], die von der [X.] geschuldete Leistung anzunehmen; erst recht schuf sie keine Befug-nis der [X.], die Annahme dieser Leistung gegen den Willen des [X.] zu erzwingen. - 7 - d) Entgegen der Auffassung des [X.]s stand der [X.] gegenüber dem Unterlassungsbegehren des [X.] auch kein Verweigerungs-recht zu, das sich aus den in Art. 1, 2 und 4 GG verbürgten Rechten der [X.] oder ihrer Pflegekräfte ableiten ließe. Zwar sind die Pflegekräfte der [X.] auch in ihrer beruflichen Tätigkeit Träger der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Das bedeutet jedoch nicht, daß damit auch ihre ethischen oder medizinischen Vorstellungen vom Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 GG umfaßt sind oder mit dem verlangten Unterlassen in diesen Schutzbereich eingegriffen würde (vgl. Hufen in einer nicht veröffentlichten gutachtlichen Stellungnahme zu der angefochtenen Entscheidung; zum Maßstab für einen Eingriff in die [X.] vgl. etwa [X.]E 30, 1, 26). Ein Verstoß gegen Art. 2 GG ist nicht ersichtlich; insbesondere fand das Selbstbestimmungsrecht der Pflegekräfte am entgegenstehenden Willen des [X.] bzw. des für ihn handelnden Betreuers - also an den "Rechten anderer" (Art. 2 Abs. 1 GG) - ihre Grenze. Die Frage, ob das Verlangen des [X.] die Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) des Pfle-gepersonals berührte, kann letztlich dahinstehen. Soweit das Strafrecht die künstliche Ernährung eines willensunfähigen Patienten gebietet (vgl. dazu un-ter 2.), bedarf es eines Rückgriffs auf Art. 4 Abs. 1 GG nicht; niemand darf zu unerlaubten Handlungen gezwungen werden. Im übrigen verleiht die Gewis-sensfreiheit dem Pflegepersonal aber kein Recht, sich durch aktives Handeln über das Selbstbestimmungsrecht des durch seinen Betreuer vertretenen [X.] hinwegzusetzen und seinerseits in dessen Recht auf körperliche Unver-sehrtheit einzugreifen (Hufen NJW 2001, 849, 853). Darin liegt auch der [X.] des § 12 Abs. 1 Schwangerschaftskonfliktgesetz, auf den sich das [X.] zu Unrecht beruft: Danach ist zwar niemand verpflichtet, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken. Die Vorschrift berechtigt aber auch niemanden, durch [X.] in die Rechte Dritter ein-zugreifen, um Abtreibungen zu verhindern. - 8 - 2. Das [X.] hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht geprüft, ob möglicherweise strafrechtliche Verbote die Beklagte bzw. de-ren Organe oder Personal hinderten, dem [X.] des [X.] nachzukommen. Die strafrechtlichen Grenzen einer Sterbehilfe im weiteren Sinn ("Hilfe zum Sterben", vgl. im einzelnen [X.]St 40, 257), auf die das kläge-rische Verlangen zielt, erscheinen dem [X.] bislang nicht hinreichend geklärt (zum [X.] etwa: Zwischenbericht der Enquete-Kommission des [X.]en Bundestags, Ethik und Recht der modernen Medizin. Patientenver-fügungen, BT-Drucks. 15/3700 S. 37 ff., 45). Sie sind jedoch für die Entschei-dung des vorliegenden Falles von Bedeutung; denn die Beklagte kann nicht zivilrechtlich zu einem Verhalten verurteilt werden, mit dem die Organe und [X.] der [X.] Gefahr laufen, sich zu den Geboten des Strafrechts in Widerspruch zu setzen. Das vorliegende Verfahren bietet - im Hinblick auf die hier allein zu treffende Kostenentscheidung - keinen geeigneten Rahmen, die Frage nach diesen Grenzen abschließend zu beantworten. Der Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits war danach letztlich ungewiß. Dem trägt die [X.] Kostenlast Rechnung. Hahne [X.] [X.] Wagenitz [X.]

Meta

XII ZR 177/03

08.06.2005

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.06.2005, Az. XII ZR 177/03 (REWIS RS 2005, 3220)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 3220

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