Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24.04.2013, Az. VII B 202/12

7. Senat | REWIS RS 2013, 6364

STRAFRECHT STEUERRECHT TELEKOMMUNIKATION STRAFVERFAHREN ÜBERWACHUNG BUNDESFINANZHOF (BFH) BEWEISVERWERTUNGSVERBOT

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Gegenstand

Verwertungsverbot sog. Zufallserkenntnisse im Besteuerungsverfahren - Die Entscheidung wurde nachträglich zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt; sie war seit dem 19.06.2013 als NV-Entscheidung abrufbar


Leitsatz

Aus einer im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen angeordneten Telefonüberwachung gewonnene Erkenntnisse, die sich auf einen nicht in § 100a StPO aufgeführten Straftatbestand beziehen, dürfen von den Finanzbehörden im Besteuerungsverfahren nicht verwendet werden .

Tatbestand

I.

1

[X.]er im [X.]treitfall vom Finanzgericht ([X.]) vernommene Zeuge [X.] wurde im August 2011 vom Amtsgericht (AG) wegen gewerbsmäßiger [X.]teuerhehlerei verurteilt. [X.]er Verurteilung lag (u.a.) der Verkauf von insgesamt 190 [X.]tangen unverzollter und unversteuerter Zigaretten im August und [X.]eptember 2007 durch [X.] an [X.] zugrunde. Für die insoweit entstandene Abgabenschuld (Zoll, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer) nahm der Beklagte und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt --[X.]--) den Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) als Haftenden gemäß § 71 der Abgabenordnung ([X.]) mit der Begründung in Anspruch, dieser habe das Kaufgeschäft vermittelt und damit den Tatbestand der [X.]teuerhehlerei des § 374 Abs. 1 [X.] erfüllt.

2

Auf die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hob das [X.] den angefochtenen [X.]teuerhaftungsbescheid auf. Eine Beteiligung des [X.] am Verkauf der Zigaretten habe sich nicht feststellen lassen. Zum einen habe das AG in dem [X.]trafurteil lediglich den Verkauf der Zigaretten durch [X.] an [X.], nicht jedoch eine Beteiligung des [X.] daran festgestellt. Zum anderen habe der Zeuge [X.] zwar in seiner Vernehmung eingeräumt, zweimal unverzollte und unversteuerte Zigaretten an [X.] verkauft zu haben, jedoch behauptet, der Kläger habe damit nichts zu tun gehabt. [X.]ie Protokolle über eine im Jahr 2007 durchgeführte Telefonüberwachung ([X.]), auf die das [X.] seine Behauptung der Beteiligung des [X.] am Kaufgeschäft stütze, seien nicht verwertbar. § 100a der [X.]trafprozessordnung ([X.]tPO) habe in seiner Fassung des Jahres 2007 ([X.]tPO a.F.), als für den [X.]treitfall Erkenntnisse durch die Telefonüberwachung gewonnen worden seien, [X.]teuerstraftaten der [X.] nicht erfasst. Einige dieser [X.]trafvorschriften seien erst durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung ... ([X.]) vom 21. [X.]ezember 2007 ([X.], 3198) mit Wirkung ab dem 1. Januar 2008 in § 100a [X.]tPO eingefügt worden. Aus der durch das Jahressteuergesetz 2008 (J[X.]tG 2008) vom 20. [X.]ezember 2007 ([X.], 3150) in die [X.] aufgenommenen Vorschrift des § 393 Abs. 3 lasse sich nichts anderes herleiten, da diese rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnene Erkenntnisse voraussetze und daher keine Erkenntnisse aus Zeiträumen erfasse, in denen für seinerzeit noch nicht in § 100a [X.]tPO aufgeführte [X.]teuerstraftaten ein Verwertungsverbot bestanden habe.

3

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.], welche es auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie des [X.] (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) stützt. [X.]as [X.] hält es für klärungsbedürftig, ob die Finanzbehörde vor dem Inkrafttreten der Neufassung des § 100a [X.]tPO gewonnene Ermittlungsergebnisse in noch nicht abgeschlossenen Besteuerungsverfahren verwenden dürfe. Nach Ansicht des [X.] hat das [X.] diese Frage zu Unrecht verneint und deshalb die Protokolle über die Telefonüberwachung [X.] nicht als Beweismittel zugelassen.

Entscheidungsgründe

II.

4

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

5

1. Die für den Streitfall maßgebenden Rechtsfragen der Verwertung von Erkenntnissen aus einer Telefonüberwachung im Besteuerungsverfahren sind nicht klärungsbedürftig, sondern lassen sich anhand der Vorschriften der [X.] und der [X.] sowie der einschlägigen Rechtsprechung des [X.] ([X.]) eindeutig beantworten.

6

Erkenntnisse, die dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, zu denen durch eine Telefonüberwachung gewonnene Erkenntnisse gehören, dürfen nach § 393 Abs. 3 Satz 2 [X.] von der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren verwendet werden, soweit sie diese rechtmäßig im Rahmen eigener strafrechtlicher Ermittlung gewonnen hat oder soweit nach den Vorschriften der [X.] den Finanzbehörden Auskunft erteilt werden darf.

7

Die seitens der Beschwerde formulierte und für klärungsbedürftig gehaltene Frage, "ob die Finanzbehörde Erkenntnisse, die sie [vor dem Inkrafttreten des [X.] und des [X.] 2008] rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat, in noch nicht abgeschlossenen Fällen im Besteuerungsverfahren verwenden darf", stellt sich im Streitfall nicht, denn die Erkenntnisse aus den [X.], die das [X.] im Streitfall als Beweismittel verwenden will, stammen nicht --wie es der 1. Alternative des § 393 Abs. 3 Satz 2 [X.] entspräche-- aus eigenen strafrechtlichen Ermittlungen, sondern beruhen --wie sich aus dem angefochtenen [X.] ergibt-- auf vom AG auf Antrag der Staatsanwaltschaft angeordneten Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation gemäß § 100a Abs. 1 Nr. 2 [X.] a.F., denen nach den in der Akte befindlichen [X.] der Verdacht auf [X.] zugrunde lag.

8

Gemäß der 2. Alternative des § 393 Abs. 3 Satz 2 [X.] dürfen daher die Erkenntnisse aus den [X.] im Besteuerungsverfahren gegen den Kläger nur verwendet werden, soweit nach den Vorschriften der [X.] den Finanzbehörden Auskunft erteilt werden darf. Wie auch das [X.] in seiner Beschwerdebegründung ausführt, sind insoweit § 474 Abs. 2 und § 477 Abs. 2 Satz 2 [X.] einschlägig. Auskünfte aus Strafverfahren an die Finanzbehörden zur Feststellung eines Haftungsanspruchs wegen einer begangenen Steuerhehlerei (§ 71 [X.]) sind zwar gemäß § 474 Abs. 2 Nr. 1 und 2 [X.] i.V.m. § 116 [X.] grundsätzlich zulässig, unterliegen aber den besonderen Voraussetzungen einer Informationsübermittlung gemäß § 477 [X.] ([X.]/[X.], Strafprozessordnung, 55. Aufl., § 477 Rz 1; [X.], Strafprozessordnung, 4. Aufl., § 477 Rz 1).

9

Nach § 477 Abs. 2 Satz 2 [X.] dürfen aufgrund einer nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässigen Maßnahme erlangte personenbezogene Daten ohne Einwilligung des Betroffenen zu Beweiszwecken in anderen Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach der [X.] hätte angeordnet werden dürfen. Die Voraussetzungen einer Informationsübermittlung nach dieser Vorschrift sind im Streitfall nicht gegeben. Zwar erscheint es zweifelhaft, ob die Auskunftserteilung im Streitfall bereits deshalb unzulässig ist, weil die Erkenntnisse aus den [X.] nicht zu Beweiszwecken in einem anderen Strafverfahren, sondern zum Nachweis der Haftungsvoraussetzungen in einem Besteuerungsverfahren verwendet werden sollen, denn § 393 Abs. 3 [X.], der im Besteuerungsverfahren gerade der Verwertung der dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegender Erkenntnisse aus dem Strafverfahren dienen soll, liefe dann weitgehend leer.

Jedenfalls steht aber § 477 Abs. 2 Satz 2 [X.] der Verwertung sog. Zufallserkenntnisse aus einer Telefonüberwachung zu Beweiszwecken entgegen, wenn sich diese Erkenntnisse nicht auf die sog. Katalogtaten des § 100a [X.] beziehen ([X.], a.a.[X.], § 477 Rz 5). Daher könnten im Streitfall die aus der Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse nicht in einem gegen den Kläger geführten Strafverfahren wegen Steuerhehlerei verwendet werden, weil dieser Straftatbestand in § 100a [X.] nicht aufgeführt ist. Die Verwertung solcher sich nicht auf Katalogtaten beziehenden Zufallserkenntnisse für Zwecke des Besteuerungsverfahrens unterliegt keinen geringeren Anforderungen. Insoweit ist zwar nach dem [X.]-Urteil vom 27. November 2008  3 StR 342/08 ([X.]St 53, 64) auf die aktuelle Rechtslage, d.h. auf § 100a [X.] in seiner derzeitigen Fassung und nicht in der [X.] geltenden Fassung abzustellen. Auch nach der aktuellen Fassung des § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c [X.] sind jedoch Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation nur beim Verdacht auf Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 2 [X.], also beim Verdacht gewerbs- oder bandenmäßiger Begehung zulässig. Dass ein derartiger Verdacht gegen den Kläger besteht, ist weder seitens des [X.] vorgetragen noch ersichtlich. Das [X.] hat den Steuerhaftungsbescheid auf den Tatbestand der Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 1 [X.] gestützt.

Für die Zulässigkeit einer Informationsübermittlung zu präventiven Zwecken gemäß § 477 Abs. 2 Satz 3 [X.] bestehen ebenfalls keine Anhaltspunkte.

2. Aus alledem folgt, dass das [X.] im Streitfall die Verwertung der [X.] als Beweismittel zu Recht abgelehnt hat, das Urteil beruht nicht auf einem Verfahrensmangel.

Meta

VII B 202/12

24.04.2013

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend FG Düsseldorf, 15. Oktober 2012, Az: 4 K 1476/12 VTa, Z, EU, Urteil

§ 71 AO, § 374 AO, § 393 Abs 3 AO, § 100a StPO, § 474 Abs 2 StPO, § 477 Abs 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24.04.2013, Az. VII B 202/12 (REWIS RS 2013, 6364)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6364

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

4 K 121/17

203 VAs 389/21

Zitiert

3 StR 342/08

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