Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.05.2021, Az. 5 AZR 420/20

5. Senat | REWIS RS 2021, 5732

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Annahmeverzug - unterlassener Zwischenverdienst - Böswilligkeit


Tenor

1. Die Revision der Klägerin und die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 12. August 2020 - 2 Sa 331/20 - werden zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass Zinsen aus 2.566,27 Euro erst seit dem 3. September 2019 und Zinsen aus 240,91 Euro erst seit dem 3. Dezember 2019 zu zahlen sind.

2. Von den Kosten des Revisionsverfahrens haben die Klägerin 91 % und die Beklagte 9 % zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsentgelt sowie weiteres tarifliches Urlaubsgeld und restliche tarifliche Jahresleistung.

2

Die Klägerin ist seit 2008 bei der [X.], einem Unternehmen des [X.], als kaufmännische Arbeitnehmerin für den Bereich Financial Services - Accounts [X.] beschäftigt und hat zuletzt - einschließlich einer Leistungszulage - 4.835,00 Euro brutto monatlich verdient. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden [X.] die Tarifverträge für die chemische Industrie in ihrer jeweiligen Fassung Anwendung.

3

Die Klägerin war seit dem 1. Oktober 2018 einem sog. [X.] zugeordnet, den die Beklagte wegen der beabsichtigten Ausgliederung und Veräußerung bestimmter Geschäftsgebiete nach Maßgabe einer Gesamtbetriebsvereinbarung vom 18. September 2018 gebildet hatte. Anfang März 2019 verkaufte die Beklagte den [X.] an einen Investor, wobei der abschließende Vollzug des Kaufvertrags (sog. Closing) mit Ablauf des 31. Juli 2019 erfolgen sollte.

4

Mit Schreiben vom 17. Mai 2019 unterrichtete die Beklagte die Klägerin über den anstehenden Betriebsteilübergang und einen damit einhergehenden Übergang ihres Arbeitsverhältnisses nach § 613a BGB. Die Klägerin widersprach dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses. Daraufhin wies sie die Beklagte mit Schreiben vom 15. Juli 2019 darauf hin, mit der Erwerberin des [X.]s sei vereinbart, dass im Falle eines Widerspruchs gegen den Betriebsübergang die bei der Erwerberin entstehende Vakanz für einen [X.]raum von zwölf Monaten im Wege der Arbeitnehmerüberlassung kompensiert werden soll. Sie bot daher der Klägerin an, vom 1. August 2019 bis zum 31. Juli 2020 zu ansonsten unveränderten Bedingungen mit ihrer bisherigen Tätigkeit als Leiharbeitnehmerin bei der Erwerberin zu arbeiten. Das lehnte die Klägerin ab. Mit Schreiben vom 29. Juli 2019 informierte die Beklagte die Klägerin darüber, sie wegen des Teilbetriebsübergangs ab dem 1. August 2019 nicht mehr beschäftigen und keinen Zugang zu den Betriebsstätten ermöglichen zu können. Weil sie das Angebot einer zumutbaren und gleichwertigen Beschäftigung abgelehnt habe, werde die Klägerin ab dem 1. August 2019 keine Gehaltszahlungen mehr erhalten. Sollte sich ihre Einschätzung ändern, möge sie sich kurzfristig mit der [X.] in Verbindung setzen.

5

Vom 30. Juli bis zum 9. August 2019 war die Klägerin arbeitsunfähig krank, anschließend nahm sie vom 12. bis zum 16. August 2019 einen von der [X.] gewährten Urlaub. Am 19. August 2019 erschien sie im Betrieb der [X.], wurde jedoch von der für sie zuständigen HR-Managerin nach Hause geschickt. Für die [X.] ab August 2019 stellte die Beklagte wie angekündigt die Gehaltszahlung ein, von der tariflichen Jahresleistung zahlte sie anteilig 7/12, tarifliches Urlaubsgeld gewährte sie für 20 Urlaubstage.

6

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29. August 2019 zum 31. Januar 2020. In dem von der Klägerin angestrengten Kündigungsschutzverfahren schlossen die Parteien am 21. Januar 2020 einen gerichtlichen Teilvergleich, in welchem sich die Beklagte ua. dazu verpflichtete, die Klägerin „zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen ab dem 1. Februar 2020 als Senior Referent Cost Accounting“ zu beschäftigen.

7

Im Wege mehrfacher Klageerweiterungen im Kündigungsschutzprozess hat die Klägerin Vergütung für den [X.]raum August 2019 bis Januar 2020 verlangt. Sie hat gemeint, nicht böswillig Zwischenverdienst unterlassen zu haben. Die angebotene Tätigkeit als Leiharbeitnehmerin sei ihr nicht zumutbar gewesen. Neben der Vergütung wegen Annahmeverzugs stünden ihr Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den [X.]raum ihrer Erkrankung und Urlaubsentgelt für den von der [X.] gewährten Urlaub im August 2019 zu. Ferner könne sie das tarifliche Urlaubsgeld und die tarifliche Jahresleistung jeweils in voller Höhe beanspruchen.

8

Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 31.323,86 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach bestimmter Staffelung zu zahlen.

9

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, die Klägerin habe böswillig anderweitigen Zwischenverdienst unterlassen. Mangels Arbeitswilligkeit könne sie auch keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und kein Urlaubsentgelt beanspruchen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage - soweit sie in die Revisionsinstanz gelangt ist - abgewiesen. Das [X.] hat auf die Berufung der Klägerin dieser Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsentgelt und ein weiteres Zwölftel der tariflichen Jahresleistung - insgesamt 2.807,18 Euro brutto nebst Zinsen - zugesprochen und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision hält die Klägerin an ihren weitergehenden Anträgen fest, während die Beklagte mit ihrer Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehrt.

Entscheidungsgründe

Die Revisionen beider Parteien haben in der Sache keinen Erfolg. Die Klage ist nur in dem vom [X.] ausgeurteilten Umfang begründet. Lediglich der Beginn der Verzinsungspflicht ist wegen § 193 [X.] zu korrigieren.

I. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs nach § 615 Satz 1 iVm. § 611a Abs. 2 [X.], weil sie sich nach § 615 Satz 2 [X.] den Wert desjenigen anrechnen lassen muss, was zu erwerben sie böswillig unterlassen hat. Dies hat das [X.] zu Recht erkannt.

1. Die [X.] hat die Klägerin ab dem 1. August 2019 nicht mehr beschäftigt und befand sich daher im Streitzeitraum im Annahmeverzug (§§ 293 ff. [X.]). Ein Angebot der Arbeitsleistung war entbehrlich. Aufgrund des Schreibens vom 29. Juli 2019 war offenkundig, dass die [X.] die geschuldete Leistung nicht (mehr) annehmen wollte und wegen des Teilbetriebsübergangs - jedenfalls in der bisherigen Weise - auch gar nicht annehmen konnte (zur Entbehrlichkeit des [X.]. etwa [X.] 18. September 2019 - 5 [X.] - Rn. 19 [X.], [X.]E 168, 25). Das hat der spätere Verlauf bestätigt. Als die Klägerin nach Krankheit und Urlaub im Betrieb erschien, wurde sie nach Hause geschickt. Insoweit streiten die Parteien auch nur darüber, ob die Klägerin im Annahmeverzugszeitraum böswillig anderweitigen Verdienst unterlassen hat.

2. Nach § 615 Satz 2 [X.] muss sich der Arbeitnehmer den Wert desjenigen anrechnen lassen, was zu erwerben er böswillig unterlässt, wobei die Anrechnung bereits die Entstehung des Annahmeverzugsanspruchs hindert und nicht nur zu einer Aufrechnungslage führt (st. Rspr., zuletzt [X.] 23. Februar 2021 - 5 [X.] - Rn. 12 [X.]).

a) Ein Arbeitnehmer unterlässt böswillig iSd. § 615 Satz 2 [X.] anderweitigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach [X.] (§ 242 [X.]) zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert (st. Rspr., zuletzt [X.] 23. Februar 2021 - 5 [X.] - Rn. 14 [X.]). Maßgebend sind dabei die gesamten Umstände des Einzelfalls. Die Unzumutbarkeit der anderweitigen Arbeit kann sich unter verschiedenen Gesichtspunkten ergeben, so kann sie etwa ihren Grund in der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen haben. Erforderlich für die Beurteilung der Böswilligkeit ist stets eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falls vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen. Dabei schließt die Beschäftigungsmöglichkeit bei dem Arbeitgeber, der sich mit der Annahme der geschuldeten Dienste des Arbeitnehmers in Verzug befindet, eine Anrechnung nicht grundsätzlich aus ([X.] 17. November 2011 - 5 [X.] - Rn. 17 [X.], [X.]E 140, 42). Dasselbe gilt beim Betriebsübergang für eine Erwerbsmöglichkeit beim neuen Betriebsinhaber, selbst wenn der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses wirksam widersprochen hat (vgl. [X.] 19. März 1998 - 8 [X.] - zu II 2 a der Gründe, [X.]E 88, 196; MüKo[X.]/[X.] 8. Aufl. [X.] § 615 Rn. 85; [X.]/Preis 21. Aufl. [X.] § 615 Rn. 100; [X.]/[X.] [2019] [X.] § 615 Rn. 178).

b) Bei der Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe „Zumutbarkeit“ und „Böswilligkeit“ kommt dem [X.] ein Beurteilungsspielraum zu, der vom Revisionsgericht nur beschränkt daraufhin überprüfbar ist, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob bei der Unterordnung des festgestellten Sachverhalts unter diesen Rechtsbegriff Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt worden sind, bei der gebotenen Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt wurden oder das Ergebnis in sich widersprüchlich ist ([X.] 22. März 2017 - 5 [X.] - Rn. 20; 7. November 2002 - 2 [X.]/00 - zu [X.] 2 b aa der Gründe - jeweils [X.]). Dieser eingeschränkten [X.] hält die angefochtene Entscheidung stand. Das [X.] geht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats von den zutreffenden Maßstäben aus und wendet sie rechtsfehlerfrei auf den Streitfall an.

aa) Die von der [X.]n angebotene, auf zwölf Monate befristete anderweitigen Beschäftigung war als solche der Klägerin an sich zumutbar. Es sollten sich weder die Art der Tätigkeit, noch der Arbeitsort, noch die von der Klägerin bezogene Vergütung ändern. Sie hätte nicht vorübergehend in ein „klassisches“ [X.] wechseln müssen, sondern lediglich ihre bisherige Arbeitsleistung zu den bisherigen Konditionen für einen Dritten erbringen müssen. Dabei wäre sie zwar, soweit es die Erbringung der Arbeitsleistung betrifft, (auch) dessen Direktionsrecht unterworfen gewesen. Die Klägerin hat aber keine Bedenken gegen die Person der Erwerberin geltend gemacht. Es ist nicht ersichtlich, welche konkreten und unzumutbaren Nachteile mit dem „gespaltenen Direktionsrecht“ für die Klägerin verbunden gewesen wären. Soweit ihre Revision in diesem Zusammenhang „vertragsrechtliche Umstände“ bemüht, verkennt sie, dass § 615 Satz 2 [X.] nicht Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag regelt, sondern die nach anderen Maßstäben zu beurteilende Obliegenheit, aus Rücksichtnahme gegenüber dem Arbeitgeber einen zumutbaren [X.] zu erzielen.

bb) Ohne revisible Rechtsfehler hat das [X.] eine Unzumutbarkeit der angebotenen anderweitigen Beschäftigung aus betriebsverfassungsrechtlichen Gründen verneint. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit der [X.]n sollte zum [X.]punkt des Angebots vorübergehender anderweitiger Beschäftigung nicht beendet werden, sie hätte dem Betrieb der [X.]n weiterhin angehört. Auch ihre Revision zeigt nicht auf, welche konkreten und unzumutbaren „betriebsverfassungsrechtlichen Nachteile“ der Klägerin bei der auf zwölf Monate befristeten Ausübung ihrer bisherigen Tätigkeit bei der Erwerberin entstanden wären.

cc) Die Unzumutbarkeit der angebotenen Tätigkeit würde im Streitfall auch dann nicht anzunehmen sein, wenn der [X.]n - entgegen ihrem Tatsachenvortrag - die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung gefehlt hätte.

Die Klägerin hat zwar das behauptete Vorliegen einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung, die die [X.] in Kopie zur Akte gereicht hat, im Prozess mit Nichtwissen bestritten. Sie hat sich aber weder zum maßgeblichen [X.]punkt des Angebots der [X.]n noch im Verlauf des Verfahrens darauf berufen, die angebotene anderweitige Beschäftigung sei ihr gerade wegen der fehlenden Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung unzumutbar gewesen (zu einem solchen Erfordernis bei fehlender Mitbestimmung des Betriebsrats zur angebotenen anderweitigen Beschäftigung sh. [X.] 23. Februar 2021 - 5 [X.] - Rn. 16).

Außerdem hätte sie keine Nachteile erleiden können. Denn selbst wenn für den vorgesehenen [X.]raum von zwölf Monaten entsprechend § 10 Abs. 1 [X.] ein befristetes Arbeitsverhältnis mit der Entleiherin begründet worden wäre, hätte dies nicht zur Unwirksamkeit des gesamten Arbeitsvertrags geführt und damit den Fortbestand ihres ([X.] mit der [X.]n nicht berührt (vgl. dazu im Einzelnen [X.] in [X.]/[X.] [X.] 5. Aufl. § 9 Rn. 47 ff. [X.]). Zumindest hätte die Klägerin - hielte man dies für erforderlich - eine Festhaltenserklärung abgeben können, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 [X.].

dd) Ob die Klägerin, wie sie meint, schon ab August 2019 mit der im [X.] ab Februar 2020 vereinbarten Tätigkeit hätte betraut werden können, ist unbeachtlich. Denn § 615 Satz 2 [X.] betrifft nicht den arbeitsvertraglichen [X.], sondern die Obliegenheit, aus Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 [X.]) vorübergehend eine nicht vertragsgerechte Arbeit zu verrichten und dadurch einen zumutbaren anderweitigen Verdienst zu erzielen (vgl. [X.] 23. Februar 2021 - 5 [X.] - Rn. 17).

Im Übrigen kann aus § 615 Satz 2 [X.] nicht abgeleitet werden, der Arbeitnehmer dürfe auf jeden Fall ein zumutbares Angebot abwarten (so zum inhaltsgleichen § 11 Nr. 2 KSchG [X.] 22. März 2017 - 5 [X.] - Rn. 27). Von der Klägerin hätte deshalb erwartet werden können, dass sie das Angebot der [X.]n zumindest unter dem Vorbehalt einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit annimmt. Sie ist in dieser Hinsicht jedoch untätig geblieben, hat sich nicht auf zum damaligen [X.]punkt im Intranet der [X.]n ausgeschriebene Stellen beworben, sondern lediglich im späteren Kündigungsschutzprozess ihre unveränderte Weiterbeschäftigung beantragt. Bewerbungen auf ausgeschriebene freie Stellen oder eine Beschäftigungsklage hätte sie aber auch bei Annahme des Angebots der [X.]n unter Vorbehalt in Angriff nehmen können.

ee) Auch die Annahme des [X.]s, das Unterlassen von [X.] sei der Klägerin vorwerfbar, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie kannte die anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit und deren Konditionen und ist vorsätzlich untätig geblieben.

II. Die Klägerin hat für die [X.] vom 1. bis zum 9. August 2019 Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in der vom [X.] ausgeurteilten Höhe von 1.450,50 Euro brutto, § 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 EFZG.

1. Dass die Klägerin in diesem [X.]raum tatsächlich arbeitsunfähig krank war, stellt die [X.] nicht in Abrede. Entgegen ihrer Auffassung scheitert der Anspruch nicht an dem Grundsatz der Monokausalität. Danach besteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung grundsätzlich nur, wenn die Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung ist, der erkrankte Arbeitnehmer also ohne die Arbeitsunfähigkeit einen Vergütungsanspruch gehabt hätte (st. Rspr., vgl. zuletzt [X.] 23. Februar 2021 - 5 [X.] - Rn. 23 [X.]). Zwar hätte die Klägerin, wäre sie nicht infolge Krankheit arbeitsunfähig gewesen, wegen § 615 Satz 2 [X.] keinen Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs gehabt. Diese hypothetische Betrachtungsweise greift jedoch zu kurz. Ist der Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank, trifft ihn für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit keine Obliegenheit zur anderweitigen Arbeit ([X.] 24. März 2004 - 5 [X.] 355/03 - zu [X.] a der Gründe; [X.] ArbR-HdB/[X.] 18. Aufl. § 98 Rn. 22; im Ergebnis ebenso MüKo[X.]/Müller-Glöge 8. Aufl. EFZG § 3 Rn. 19; [X.]/[X.] 21. Aufl. EFZG § 3 Rn. 21) mit der Folge, dass in dieser [X.] ein [X.] Unterlassen anderweiten Erwerbs iSv. § 615 Satz 2 [X.] grundsätzlich ausscheidet und § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EFZG dem Arbeitnehmer den arbeitsvertraglichen Vergütungsanspruch aufrechterhalten.

2. Der Ausfall der Arbeit beruht auch nicht auf einem fehlenden Leistungswillen. Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, die Klägerin wäre - die Arbeitsunfähigkeit hinweggedacht - nicht willens gewesen, die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung bei der [X.]n zu erbringen. Dass ihr Arbeitsplatz bei der [X.]n nicht mehr vorhanden, sondern durch Betriebsübergang auf den Erwerber übergegangen ist, und sie eine Beschäftigung bei diesem ablehnte, steht dem nicht entgegen (vgl. [X.] 24. März 2004 - 5 [X.] 355/03 - zu I 3 a der Gründe).

3. Die Höhe der der Klägerin vom [X.] zugesprochen Entgeltfortzahlung ist nicht zu beanstanden. Das Gesetz regelt - anders als im Ausbildungsverhältnis, § 18 Abs. 1 Satz 2 BBiG - nicht, wie die Höhe des Vergütungsanspruchs zu errechnen ist, wenn das vertragliche Entgelt nach Monaten bemessen, aber ein Kalendermonat lediglich anteilig zu vergüten ist. In diesem Falle ist für eine pauschalierende Betrachtungsweise die Grundlage von 30 Tagen monatlich statthaft ([X.] 16. Mai 2012 - 5 [X.] 251/11 - Rn. 22 - 24, [X.]E 141, 340; 19. Februar 2014 - 5 [X.] 700/12 - Rn. 48). Insoweit hat die Revision der [X.]n auch keine Angriffe erhoben.

III. Die Klägerin hat Anspruch auf Urlaubsentgelt für den ihr nach den nicht angegriffenen Feststellungen des [X.]s im [X.]raum vom 12. bis zum 16. August 2019 von der [X.]n erteilten Urlaub, § 1 [X.] iVm. § 611a Abs. 2 [X.].

1. Dem Anspruch auf Urlaubsentgelt steht, wie das [X.] zu Recht angenommen hat, § 615 Satz 2 [X.] nicht entgegen. Während des Urlaubs scheidet nicht nur eine Anrechnung anderweitigen Verdienstes aus ([X.] 23. Februar 2021 - 5 [X.] 314/20 - Rn. 25; 17. Oktober 2012 - 10 [X.] 809/11 - Rn. 36, [X.]E 143, 203; 25. Februar 1988 - 8 [X.] 596/85 - zu I 3 der Gründe, [X.]E 57, 366), es besteht auch keine Obliegenheit des Arbeitnehmers, im Urlaub anderweitigen Verdienst zu erzielen. Einer solchen stünde das Verbot der Erwerbstätigkeit während des Urlaubs nach § 8 [X.] entgegen. Außerdem ist ausschließlich das anzurechnen, was der Arbeitnehmer durch anderweitige Verwendung desjenigen Teils seiner Arbeitskraft hätte erwerben können, den er dem Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen verpflichtet war ([X.] 22. März 2017 - 5 [X.] - Rn. 33 [X.]). Während eines genehmigten Urlaubs ist der Arbeitnehmer aber nicht verpflichtet, dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen.

2. Die Höhe des [X.] hat das [X.] gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 [X.] mit 1.115,77 Euro brutto zutreffend berechnet. Insoweit hat die Revision der [X.]n auch keine Angriffe erhoben.

IV. Die Klägerin hat nur - wie vom [X.] ausgeurteilt - Anspruch auf ein weiteres Zwölftel der tariflichen Jahresleistung.

1. Nach § 5 Tarifvertrag über Einmalzahlungen und Altersvorsorge idF vom 20. September 2018 ([X.]), der nach den nicht angegriffenen Feststellungen des [X.]s auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar ist, beträgt die volle Jahresleistung 95 % eines monatlichen [X.]. In den dem [X.] nachfolgenden Kalenderjahren besteht ein Anspruch in Höhe von einem Zwölftel der Jahresleistung für jeden Kalendermonat, in dem der Berechtigte für mindestens zwölf Arbeitstage Anspruch auf Entgelt, Ausbildungsvergütung oder Entgeltfortzahlung hat, § 5 Nr. 3 [X.]. Danach steht der Klägerin ein weiteres Zwölftel der tariflichen Jahresleistung zu, denn sie hat im August 2019 für mindestens zwölf Arbeitstage Anspruch auf (Urlaubs-)Entgelt bzw. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle. Dagegen kann sie die volle tarifliche Jahresleistung nicht beanspruchen, weil sie in den Monaten September bis Dezember 2019 wegen § 615 Satz 2 [X.] nicht für mindestens zwölf Arbeitstage Anspruch auf Entgelt oder Entgeltfortzahlung hat.

2. Entgegen der Auffassung der Revision der Klägerin ist die vom [X.] berechnete Höhe der anteiligen Jahresleistung korrekt. Die volle Jahresleistung beträgt nach § 5 [X.] nicht 95 % des monatlichen [X.], sondern nach dem ausdrücklichen [X.] % „eines monatlichen [X.]“. Dieses betrug im Streitzeitraum in der [X.] 4.611,00 Euro brutto. Für eine von der tariflichen Regelung abweichende günstigere betriebliche Übung fehlt es an ausreichendem Sachvortrag der Klägerin. Insbesondere sind keine Anhaltspunkte für ein Verhalten der [X.]n dargetan, das aus Sicht der Belegschaft die Annahme rechtfertigen würde, die [X.] wolle abweichend von der tariflichen Verpflichtung die tarifliche Jahresleistung auf Dauer günstiger bemessen als tariflich vorgesehen (zu den Voraussetzungen einer betrieblichen Übung im Einzelnen sh. [X.] 19. Februar 2020 - 5 [X.] 189/18 - Rn. 15 [X.]).

V. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf weiteres tarifliches Urlaubsgeld.

1. Nach § 10 [X.] erhalten Arbeitnehmer neben dem Urlaubsentgelt für jeden tariflichen Urlaubstag ein Urlaubsgeld von 40,00 Euro, dessen Auszahlung gemäß § 11 [X.] in zeitlichem Zusammenhang mit tatsächlich gewährtem Urlaub stehen muss. Der Anspruch auf tarifliches Urlaubsgeld entsteht damit - wie das [X.] zu Recht angenommen hat - nur für tatsächlich genommen Urlaub. Die Klägerin hat jedoch nicht behauptet, im Urlaubsjahr 2019 mehr Urlaub als die 20 Tage, für die die [X.] unstreitig Urlaubsgeld gezahlt hat, genommen zu haben.

2. Soweit die Revision der Klägerin die Forderung nach restlichem Urlaubsgeld auf Schadensersatz stützen will, fehlt es schon an jeglichem Sachvortrag zum Eintritt eines Schadens. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass und aus welchen Gründen die Klägerin trotz Fortbestand des Arbeitsverhältnisses den restlichen Urlaub aus dem [X.] in der Folgezeit trotz der Mitwirkungsobliegenheiten der [X.]n (vgl. dazu etwa [X.] 29. September 2020 - 9 [X.] 266/20 (A) - Rn. 19 [X.]) nicht (mehr) nehmen konnte.

VI. Für die zugesprochenen Forderungen schuldet die [X.] nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 [X.] Verzugszinsen, die der Klägerin gemäß § 187 Abs. 1 [X.] ab dem Tag nach Eintritt der Fälligkeit zustehen (vgl. [X.] 19. Mai 2015 - 3 [X.] 891/13 - Rn. 45 [X.]). Das Entgelt ist gemäß § 4 Nr. 1 Bundesentgelttarifvertrag für die chemische Industrie idF vom 20. September 2018 zum Monatsende fällig, die tarifliche Jahresleistung nach § 6 Nr. 1 [X.] bis spätestens 30. November des jeweiligen Kalenderjahres. Wegen § 193 [X.] verschiebt sich der Beginn der Verzinsung entsprechend der in den Tenor aufgenommenen Maßgabe.

VII. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 iVm. § 92 Abs. 1 ZPO.

        

    [X.]    

        

    Berger    

        

    [X.]    

        

        

        

    Eberhard    

        

    E. Bürger    

                 

Meta

5 AZR 420/20

19.05.2021

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Offenbach, 21. Januar 2020, Az: 3 Ca 329/19, Urteil

§ 613a BGB, § 615 S 1 BGB, § 611a Abs 2 BGB, § 615 S 2 BGB, § 293 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.05.2021, Az. 5 AZR 420/20 (REWIS RS 2021, 5732)

Papier­fundstellen: NJW 2021, 2910 MDR 2021, 1540-1541 REWIS RS 2021, 5732


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 5 AZR 420/20

Bundesarbeitsgericht, 5 AZR 420/20, 19.05.2021.


Az. 3 Ca 329/19

ArbG Weiden, 3 Ca 329/19, 29.01.2020.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 AZR 205/21 (Bundesarbeitsgericht)

Annahmeverzug - unterlassener Zwischenverdienst - Böswilligkeit


5 AZR 337/16 (Bundesarbeitsgericht)

Annahmeverzug - unterlassener Zwischenverdienst


5 AZR 101/19 (Bundesarbeitsgericht)

Auslegung eines Prozessvergleich - Abrechnung eines Arbeitsverhältnisses


5 AZR 331/22 (Bundesarbeitsgericht)

Annahmeverzug - Anderweitiger Verdienst aus einer Geschäftsführertätigkeit - Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes - Übernahme einer …


10 AZR 171/16 (Bundesarbeitsgericht)

Mindestlohn - Nachtarbeitszuschlag - Feiertagsvergütung - Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld


Referenzen
Wird zitiert von

12 Sa 268/23

12 Sa 621/22

11 Sa 524/21

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.