Bundessozialgericht, Urteil vom 19.05.2022, Az. B 8 SO 9/20 R

8. Senat | REWIS RS 2022, 5715

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Gegenstand

(Sozialhilfe - Eingliederungshilfe - Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie - Erstattungsanspruch des erstangegangenen und leistenden Sozialhilfeträgers nach Wegfall der örtlichen Zuständigkeit mit Eintritt der Volljährigkeit des Leistungsberechtigten gegen den nunmehr örtlich zuständigen Sozialhilfeträger - Erstattungsanspruch nach § 14 Abs 4 S 1 SGB 9 aF - einheitliches Rehabilitationsgeschehen - Erstattungsanspruch nach § 2 Abs 3 S 2 SGB 10 - Vorrang des § 14 Abs 1 SGB 9 aF iVm § 104 Abs 1 S 1 SGB 10)


Leitsatz

Die Zuständigkeit eines Rehabilitationsträgers für ein einheitliches Rehabilitationsgeschehen wechselt nicht allein wegen des Eintritts der Volljährigkeit des Leistungsberechtigten.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 13. Februar 2020 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte für die Zeit bis zum 31. Dezember 2019 518 597,85 Euro zu erstatten hat.

Der Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 537 485,43 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

[X.] ist ein Anspruch auf Aufwendungsersatz. Der Kläger begehrt noch die Erstattung von Aufwendungen, die ihm durch die [X.]ewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ([X.]) sowie von [X.]ilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des [X.] im Zeitraum vom [X.] bis 31.12.2019 entstanden sind.

2

Der im Juni 1992 im Zuständigkeitsbereich des [X.] geborene und dort bis Anfang 1993 bei seiner Mutter bzw in Pflegefamilien wohnhafte [X.] (im Folgenden [X.]) leidet an einer dauerhaften geistigen Behinderung bei Trisomie 21 (sog Down-Syndrom) und [X.]ypothyreose. Seit Anfang 1993 sind ein [X.]rad der Behinderung ([X.]dB) von 100 und die Voraussetzungen für die [X.], [X.] und [X.] festgestellt. Im Alter von acht Monaten kam er Anfang 1993 in eine Pflegefamilie im Kreisgebiet des Beklagten, in der er bis heute lebt. Die Pflegemutter ist seit 1994 seine Betreuerin in sämtlichen Angelegenheiten; [X.] trägt seit 1994 auch den Familiennamen seiner Pflegemutter. Der Beklagte erbrachte bis zum Eintritt der Volljährigkeit [X.]ilfen zur Erziehung in Vollzeitpflege in der Pflegefamilie als Leistung der Jugendhilfe; Kostenträger war der Kläger.

3

Vor Eintritt der Volljährigkeit beantragte die Pflegemutter für [X.] im Frühjahr 2010 beim Beklagten, ihm für die weitere Betreuung in der Pflegefamilie [X.]ilfen nach den Bestimmungen der Sozialhilfe zu gewähren. Der Beklagte leitete diesen Antrag innerhalb von zwei [X.]ochen unter [X.]inweis auf § 14 [X.] behinderter Menschen - (S[X.]B IX) an den Kläger weiter und machte geltend, dass dieser weiterhin örtlich zuständig sei. Der Kläger widersprach dem. Im [X.] an eine entsprechende Verpflichtung in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Schleswig-[X.]olsteinisches Landessozialgericht vom [X.] - L 9 [X.] 100/10 [X.]) bewilligte der Kläger ab dem [X.] (Volljährigkeit des [X.]) Leistungen der Eingliederungshilfe (monatlich anfallende Kosten in [X.]öhe von rund 5200 [X.]) in Form der Familienpflege als Vollzeitpflege und der Übernahme der Kosten für die Beschäftigung und Betreuung im Tagesförderbereich einer [X.]erkstatt für behinderte Menschen ([X.]fbM) sowie [X.]ilfe zur Pflege während zweier Ferienbetreuungen im Juli 2010 und im Juli 2011 (2726,72 [X.]) und [X.]/Verhinderungspflege im Oktober 2012 (1609,23 [X.]) während der Verhinderung der Betreuerin.

4

Nach fruchtloser Aufforderung zur Aufwendungserstattung und "Fallübernahme" hat der Kläger am 17.12.2013 Klage zum Sozialgericht (S[X.]) [X.] erhoben. Die Beteiligten haben übereinstimmend erklärt, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten. Das S[X.] hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger Aufwendungen i[X.]v 363 578,09 [X.] für den Zeitraum vom [X.] bis zum [X.] sowie für weitere laufende Leistungen der Eingliederungshilfe zu erstatten. Außerdem hat es festgestellt, dass der Beklagte die Leistungen der Eingliederungshilfe und der [X.]ilfe zur Pflege künftig in eigener Zuständigkeit zu leisten habe (Urteil vom 8.9.2016).

5

Auf die Berufung des Beklagten hat das LS[X.] [X.]-Brandenburg das Urteil des S[X.] abgeändert, die Klage hinsichtlich des [X.] abgewiesen und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 13.2.2020). Zur Begründung hat das LS[X.] ua ausgeführt, der Beklagte sei ab Eintritt der Volljährigkeit zuständig und auf [X.]rundlage von § 14 Abs 4 Satz 1 S[X.]B IX bzw § 104 Abs 1 [X.] - (S[X.]B X) erstattungspflichtig. Die [X.]ilfeform "Familienpflege" stelle vorliegend wegen der fortdauernden behinderungsbedingten [X.] keine ambulant betreute [X.]ohnmöglichkeit iS des § 98 Abs 5 [X.] dar. Mit der Volljährigkeit des [X.] sei nicht mehr § 98 Abs 2 [X.] entsprechend anzuwenden, sondern der gewöhnliche Aufenthaltsort des [X.] maßgeblich (§ 107 [X.]).

6

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 98 Abs 5 [X.]. Die konkrete Betreuungsform sei eine ambulant betreute [X.]ohnmöglichkeit im Sinne dieser Norm. Dies ergebe sich neben den Ausführungen in einem Rundschreiben der Senatsverwaltung des [X.] auch aus Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte der Vorschrift und aus dem [X.]egensatzpaar ambulant-stationär.

7

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts [X.]-Brandenburg vom 13. Februar 2020 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts [X.] vom 8. September 2016 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält das Urteil des LS[X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ). Zu Recht hat das [X.] entschieden, dass der Kläger vom [X.]n die Erstattung seiner Aufwendungen für die dem [X.] laufend erbrachten Eingliederungshilfeleistungen, soweit sie im Revisionsverfahren noch streitbefangen sind, und der erbrachten Leistungen der Hilfe zur Pflege einschließlich [X.]/Verhinderungspflege verlangen kann. Der [X.] ist mit dem Eintritt der Volljährigkeit des [X.] der örtlich und sachlich zuständige leistungsverpflichtete Träger geworden.

Gegenstand des Revisionsverfahrens sind nur noch die vom Kläger verfolgten Ansprüche auf Kostenerstattung für Leistungen der Eingliederungshilfe sowie von geleisteter Hilfe zur Pflege, begrenzt auf den [X.]raum vom [X.] bis zum 31.12.2019. [X.]egen der [X.] ab dem 1.1.2020, über die das [X.] ebenfalls eine Entscheidung in der Sache getroffen hat, haben die Beteiligten sich im [X.]ege eines Vergleichs in der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf die Hauptsache und die Kosten einer rechtskräftigen Sachentscheidung über die Erstattungsforderung unterworfen und den Streitgegenstand so auf die [X.] vom [X.] bis zum 31.12.2019 begrenzt. Den Anspruch auf Kostenerstattung verfolgt der Kläger statthaft im [X.]ege der allgemeinen Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG). Die von ihm vorgenommene Konkretisierung der Klageforderung im laufenden Rechtsstreit (insgesamt 518 597,85 Euro) stellt keine Klageänderung iS des § 99 Abs 3 [X.] SGG dar (vgl BSG vom 26.1.2006 - B 3 KR 4/05 R - [X.] 4-2500 § 37 [X.] Rd[X.]1). Das beim [X.] daneben noch verfolgte Feststellungsbegehren (§ 55 Abs 1 [X.] SGG), gerichtet auf die Feststellung einer Erstattungspflicht auch für zukünftige Leistungen (vgl BSG vom 13.2.2014 - [X.] [X.] 11/12 R - [X.] 4-3500 § 106 [X.] Rd[X.]3; vgl auch BSG vom 10.7.1996 - 3 RK 29/95 - [X.] 3-2500 § 125 [X.] - juris Rd[X.]8; BSG vom 10.11.2005 - B 3 P 10/04 R - [X.] 4-3300 § 40 [X.] - juris Rd[X.]2), hat sich mit Bezifferung der Klageforderung und der Begrenzung des [X.] erledigt. Den Feststellungsantrag zur sog "Fallübernahme" (vgl zu dieser Fragestellung [X.] [X.] [X.] 22/16 R - [X.] 4-3250 § 14 [X.]8 Rd[X.] 30) verfolgt der Kläger in der Revisionsinstanz nicht mehr.

Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der Kosten für die geleistete bzw laufende Eingliederungshilfe ist § 104 [X.].

Dagegen scheidet § 14 Abs 4 SGB IX (hier in der bis 31.12.2017 maßgeblichen Normfassung des [X.] schwerbehinderter Menschen vom 23.4.2004, [X.]; im Folgenden: alte Fassung ), der Erstattungsanspruch für den zweitangegangenen Träger der Rehabilitation, entgegen der Auffassung des [X.] als Anspruchsgrundlage aus. Auf Grundlage der bindenden Feststellungen des [X.] ist mit Eintritt der Volljährigkeit des Leistungsberechtigten keine Zäsur des Leistungsgeschehens in tatsächlicher Art eingetreten; eine solche Zäsur im Leistungsgeschehen ergibt sich auch nicht in rechtlicher Hinsicht (im Einzelnen später). Damit leistete der Kläger hier als erstangegangener Träger der Rehabilitation, weil seine Zuständigkeit schon 1993 (mit dem Antrag auf Leistungen der Vollzeitpflege in der Pflegefamilie) begründet worden ist und er sie durchgehend anerkannt hat. [X.]egen der Einheitlichkeit des rehabilitationsrechtlichen Leistungsgeschehens kommt es auch nicht auf weitere von den Beteiligten als "Erstanträge" gewertete Anträge an, weil diese jeweils kein neues rehabilitationsrechtliches Verwaltungsverfahren in Gang gesetzt haben (vgl BSG vom [X.] - [X.] [X.] 8/18 R - [X.], 241 = [X.] 4-3250 § 14 [X.] 30, Rd[X.]4).

Auch § 2 Abs 3 [X.] scheidet als Anspruchsgrundlage aus. Danach hat bei einem [X.]echsel der örtlichen Zuständigkeit die bisher zuständige Behörde die Leistungen noch so lange zu erbringen, bis sie von der nunmehr zuständigen Behörde fortgesetzt werden (Satz 1). Diese hat der bisher zuständigen Behörde die nach dem [X.] noch erbrachten Leistungen auf Anforderung zu erstatten (Satz 2). § 14 Abs 1 SGB IX aF und § 104 [X.] sind jedoch für den erstangegangenen Träger vorrangige Sonderregelungen (§ 37 Sozialgesetzbuch [X.] - ) und verdrängen § 2 Abs 3 Satz 2 [X.] (in diese Richtung bereits [X.] [X.] [X.] 22/16 R - [X.] 4-3250 § 14 [X.]8 Rd[X.]6 f).

Die Voraussetzungen des § 104 [X.] liegen zugunsten des [X.] vor. Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs 1 [X.] (nachträglich entfallene Leistungsverpflichtung) vorliegen, ist derjenige Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Leistungsberechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (§ 104 Abs 1 Satz 1 [X.]). [X.] verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (§ 104 Abs 1 Satz 2 [X.]). Ein Erstattungsanspruch besteht nicht, soweit der nachrangig verpflichtete Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen (§ 104 Abs 1 Satz 3 [X.]). Gemäß § 104 Abs 3 [X.] richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruchs nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Vorschriften. § 104 Abs 1 [X.] ist auch anwendbar, wenn - wie im vorliegenden Fall - die vorrangige Leistungsverpflichtung nur durch die örtliche Zuständigkeit von ansonsten sachlich gleichrangigen Leistungsträgern begründet sein kann.

Der Kläger war im hier streitigen [X.]raum nachrangiger Träger der Rehabilitation. Sein Nachrang iS des § 104 [X.] wird durch die Bestimmungen des § 14 Abs 1 und 2 [X.] begründet (vgl grundlegend BSG vom 26.6.2007 - B 1 KR 34/06 R - [X.], 268 = [X.] 4-3250 § 14 [X.] 4, Rd[X.]0 ff). [X.]ie der [X.] bereits entschieden hat, erfassen diese Vorschriften auch Sachverhalte mit einem Leistungsbeginn vor dem [X.] (vgl [X.] [X.] [X.] 22/16 R - [X.] 4-3250 § 14 [X.]8 Rd[X.]3 f).

Nach § 14 Abs 1 Satz 1 und 2 [X.] hat der mit einem Rehabilitationsantrag angegangene Rehabilitationsträger zu prüfen, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu. Leitet er den Antrag nicht weiter, wird er selbst umfassend für die erforderlichen Rehabilitationsleistungen zuständig (§ 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX aF).

Der Kläger, der den Antrag aus dem [X.] nicht weitergeleitet, sondern (bis zum Eintritt der Volljährigkeit zutreffend) in der Annahme eigener örtlicher und sachlicher Zuständigkeit geleistet hat, ist damit erstangegangener Träger iS § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX aF für die Leistungen der Betreuung in der Pflegefamilie. Mit dem Eintritt der Volljährigkeit und bei im Übrigen unverändert gebliebenem Leistungsgeschehen ist indes seine örtliche Zuständigkeit entfallen und der [X.] ist auf Grundlage von § 98 Abs 1 [X.]II örtlich zuständig geworden. § 98 Abs 5 [X.]II (in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des [X.] und anderer Gesetze vom 2.12.2006 - [X.] 2670) steht dem - unabhängig von der Reichweite der Regelung in § 107 [X.]II - nicht entgegen. Die Vorschrift kommt schon deshalb nicht zur Anwendung, weil es sich angesichts eines einheitlichen Leistungsgeschehens seit 1993 um einen sog [X.] im Sinne der Rechtsprechung des [X.]s handelt; die vor 2005 begründeten Zuständigkeiten bleiben unberührt (§ 98 Abs 5 Satz 2 [X.]II; vgl BSG vom 25.8.2011 - [X.] [X.] 7/10 R - [X.], 56 = [X.] 4-3500 § 98 [X.], Rd[X.]8 unter Hinweis auf BT-Drucks 15/4751 S 48; BSG vom 25.4.2013 - [X.] [X.] 6/12 R - [X.] 2014, 156).

Auf Grundlage der bindenden, von dem [X.]n nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des [X.] (vgl § 163 SGG) ist bei [X.] seit 1993 durchgehend von einem einheitlichen - auch rehabilitativen - Leistungsgeschehen der "Familienpflege" auszugehen. [X.] hat bereits vor Eintritt seiner Volljährigkeit 2010 (unabhängig von der Bezeichnung der Leistung in den Bescheiden) Leistungen der Unterbringung in einer Pflegefamilie (§ 54 Abs 3 [X.]II m[X.]v 5.8.2009 eingeführt durch das Gesetz vom [X.], [X.] 2495; vgl seit dem 1.1.2020 § 80, § 102 Abs 1 [X.] 4, § 113 Abs 1 und Abs 2 [X.] 4 SGB IX) als ambulante Leistung der Eingliederungshilfe erhalten, die durch ein intensives Betreuungsverhältnis gekennzeichnet ist und ua zur Vermeidung eines Aufenthalts in einer vollstationären Einrichtung erbracht wird, wenn dies dem Kindeswohl dient (dazu bereits BSG vom 26.10.2017 - [X.] [X.] 12/16 R - [X.] 4-1750 § 524 [X.] Rd[X.] 33; BSG vom 25.9.2014 - [X.] [X.] 7/13 R - [X.], 53 = [X.] 4-3500 § 54 [X.]3, Rd[X.] 39). Die Leistung ist zwar erst 2009 klarstellend in das [X.]II eingefügt worden, stand aber auch zuvor über den offenen Leistungskatalog des § 54 Abs 1 [X.]II und der Vorgängerregelungen im [X.] ([X.]) zur Verfügung (vgl BSG vom 25.9.2014 - [X.] [X.] 7/13 R - [X.], 53 = [X.] 4-3500 § 54 [X.]3, Rd[X.]9, 37). [X.]egen § 10 Abs 4 Satz 2 [X.] - ([X.]) ist bei einem leistungsberechtigten Kind, bei dem - wie vorliegend - (auch) eine geistige Behinderung vorliegt, Eingliederungshilfe, auch in Form der Betreuung in der Familie, im Verhältnis zur Jugendhilfe vorrangig (BSG vom 25.9.2014 - [X.] [X.] 7/13 R - [X.], 53 = [X.] 4-3500 § 54 [X.]3, Rd[X.]6; BSG vom 26.10.2017 - [X.] [X.] 12/16 R - [X.] 4-1750 § 524 [X.] Rd[X.]0; BSG vom [X.] - [X.] [X.] 11/17 R - [X.], 36 = [X.] 4-1300 § 111 [X.]0, Rd[X.]4).

Auf Grundlage der Feststellungen des [X.] ist mit Volljährigkeit keine Änderung im tatsächlichen Geschehen eingetreten. [X.] unterfiel danach weiterhin dem Personenkreis des § 53 Abs 2 [X.]II aF iVm § 2 Eingliederungshilfe-Verordnung ([X.]) aF; auch für erwachsene Leistungsberechtigte kam über den offenen Leistungskatalog des § 54 Abs 1 [X.]II aF Eingliederungshilfe in Form der Hilfe in einer Pflegefamilie in Betracht, was § 80 Satz 3 SGB IX nunmehr klarstellt (vgl dazu BT-Drucks 18/9522 [X.]). [X.] hat weiterhin die erforderliche Betreuung allein von seiner Pflegemutter erhalten, insbesondere die Lebensführung im häuslichen Bereich konnte er behinderungsbedingt nicht ohne fremde Hilfe bewältigen. Am Inhalt der Betreuung hat sich angesichts der erheblichen Entwicklungsverzögerung bei [X.] nichts geändert. Die Betreuung ist durch die persönliche Zuwendung gerade durch die Pflegemutter gekennzeichnet gewesen. [X.]äre die Hilfe durch die Pflegemutter entfallen, hätte dies nach den Feststellungen des [X.] nicht durch andere ambulante Hilfen kompensiert werden können; die erforderliche Hilfe hätte dann nur durch stationäre Hilfe gesichert werden können.

Ob Leistungen der Hilfe in einer Pflegefamilie für erwachsene Leistungsberechtigte, die als ambulante Leistungen erbracht werden, zugleich den Begriff des ambulant-betreuten-[X.]ohnens erfüllen, braucht abschließend nicht entschieden zu werden. Gegen die Auffassung des [X.]n, die Betreuung in der Pflegefamilie sei für den erwachsenen Leistungsberechtigten zugleich ein Fall des ambulant betreuten [X.]ohnens, spricht allerdings, dass die Hilfe der Betreuung in einer Pflegefamilie als Leistung der Eingliederungshilfe voraussetzt, dass dadurch der Aufenthalt in einer stationären Einrichtung vermieden wird (vgl § 54 Abs 3 Satz 1 [X.]II aF). Demgegenüber orientiert sich der Begriff der betreuten [X.]ohnmöglichkeiten, den das Gesetz in § 98 Abs 5 Satz 1 [X.]II nicht näher definiert, über den Verweis in § 54 Abs 1 [X.]II an § 55 Abs 2 [X.] SGB IX aF (vgl BSG vom 30.6.2016 - [X.] [X.] 6/15 R - [X.], 293 = [X.] 4-3500 § 98 [X.] 4, Rd[X.]2 unter Hinweis auf BT-Drucks 15/1514 [X.] zu § 93). Von § 55 Abs 2 [X.] SGB IX aF (Hilfe zu selbstbestimmtem Leben in betreuten [X.]ohnmöglichkeiten) können vielfältige Leistungen unterschiedlichster Betreuungsleistungen sowohl in der eigenen [X.]ohnung, in [X.]ohngruppen oder [X.]ohngemeinschaften erfasst sein. Erforderlich ist, dass durch die geleistete Hilfe das selbstständige Leben und [X.]ohnen ermöglicht werden soll, damit der behinderte Mensch durch den Verbleib in der [X.]ohnung einen Freiraum für die individuelle Gestaltung seiner Lebensführung erhält (vgl zuletzt [X.] [X.] [X.] 22/16 R - [X.] 4-3250 § 14 [X.]8 Rd[X.]4). Zwar liefe es dem normativen Bestreben von § 98 Abs 5 [X.]II zuwider, wollte man die Abgrenzung allein nach der Art der Leistung vornehmen; maßgeblich für die Entscheidung, ob ein ambulant betreutes [X.]ohnen vorliegt, sind letztlich die aus der Bedarfslage (Art und Schwere der Behinderung und hieraus resultierende, durch geeignete Leistungen zu kompensierende Einschränkungen) folgenden Ziele und Zwecke der (erforderlichen) Leistungen (vgl BSG vom 30.6.2016 - [X.] [X.] 6/15 R - [X.], 293 = [X.] 4-3500 § 98 [X.] 4, Rd[X.]4). Voll- bzw teilstationäre Erbringungsformen sind im [X.] des § 98 Abs 5 [X.]II aber ausgeschlossen (vgl nur BSG vom 25.8.2011 - [X.] [X.] 7/10 R - [X.], 56 = [X.] 4-3500 § 98 [X.], Rd[X.]6). Dieser Abgrenzungsgesichtspunkt legt es nahe, dass die Betreuung in der Pflegefamilie für einen erwachsenen Leistungsempfänger nicht unter den Begriff des ambulant betreuten [X.]ohnens fällt, weil sie zwar ambulant erbracht wird, ihre Erbringung aber - ausgehend von den behinderungsbedingten Beeinträchtigungen - qualitativ andere Inhalte hat und voraussetzt, dass der Leistungsempfänger - entfiele die umfassende Betreuung in der Pflegefamilie - nicht durch ein alternatives ambulantes Angebot (und sei es rund um die Uhr) in einem eigenen (außerfamiliären) [X.]ohnumfeld ([X.]ohnung, [X.]ohngruppe oder [X.]ohngemeinschaft) betreut werden könnte, wie es das [X.] vorliegend auch festgestellt hat.

§ 98 Abs 5 Satz 1 [X.]II kommt hier schon deshalb nicht zur Anwendung, weil sich die örtliche Zuständigkeit von [X.] für Leistungen ambulant betreuter [X.]ohnformen nur bei nach dem 31.12.2004 eintretenden [X.] nach der Zuständigkeit vor Eintritt in die [X.]ohnform als solche richtet (vgl BSG vom 25.8.2011 - [X.] [X.] 7/10 R - [X.], 56 = [X.] 4-3500 § 98 [X.], Rd[X.]8 unter Hinweis auf BT-Drucks 15/4751 S 48; BSG vom 25.4.2013 - [X.] [X.] 6/12 R - [X.] 2014, 156; vgl auch [X.] [X.] [X.] 22/16 R - [X.] 4-3250 § 14 [X.]8 Rd[X.]9). Da eine Änderung im Leistungsgeschehen seit 1993 nicht eingetreten ist, handelt es sich hier aber um einen sog [X.] im Sinne der Rechtsprechung des [X.]s, selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass die Unterbringung in einer Pflegefamilie zugleich den Begriff des ambulant-betreuten-[X.]ohnens erfüllen könnte.

Bei Unterbringung eines Kindes oder Jugendlichen in einer anderen Familie oder bei anderen Personen richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach § 104 [X.] iVm § 97 Abs 2 [X.] wie § 107 [X.]II iVm § 98 Abs 2 [X.]II; danach ist derjenige Träger örtlich zuständig, in dessen Bereich der Leistungsempfänger im [X.]punkt des Beginns der Unterbringung oder in den letzten zwei Monaten davor seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hat. § 104 [X.] bzw § 107 [X.]II als (auch) die Zuständigkeit regelnde Norm (vgl [X.] vom 17.12.2003 - 5 C 14.02 - BVerwGE 119, 356 = [X.] 436.0 § 104 [X.] [X.]; BSG vom 26.10.2017 - [X.] [X.] 12/16 R - [X.] 4-1750 § 524 [X.] Rd[X.]0) gilt aber ausdrücklich nur für Kinder und Jugendliche 7 Abs 1 [X.] und 2 [X.]), dh Minderjährige (§ 2 BGB), die außerhalb ihres Elternhauses untergebracht sind (vgl nur Rasch, NZS 2020, 772; Klinge in [X.]/[X.], [X.]II, § 107 Rd[X.] 5 Stand Juli 2021).

Endet mit dem Eintritt der Volljährigkeit des [X.] damit die durch § 104 [X.] und § 107 [X.]II zeitlich begrenzte Gleichstellung der Betreuung in einer Pflegefamilie mit der Pflege in stationären Einrichtungen, ohne dass sich seit dem 31.12.2004 das Leistungsgeschehen geändert hat, beurteilt sich die örtliche Zuständigkeit für die ambulant erbrachten Leistungen von diesem [X.]punkt an entsprechend der Grundregel des § 98 Abs 1 [X.]II nach seinem gewöhnlichen Aufenthalt (vgl § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I). Seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte [X.] seit 1993 durchgehend im Kreisgebiet des [X.]n (vgl zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts bei Minderjährigen [X.] [X.] [X.] 22/16 R - [X.] 4-3250 § 14 [X.]8 Rd[X.]0 mwN), wovon auch die Beteiligten zutreffend ausgehen.

Hinsichtlich der erbrachten Hilfen zur Pflege während zweier [X.] 2010/2011 (2726,72 Euro) bzw in Form der [X.]/Verhinderungspflege 2012 (1609,23 Euro) richtet sich der Anspruch wie vom [X.] ausgeführt nach § 105 [X.]. Hat ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs 1 [X.] vorliegen, ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (§ 105 Abs 1 Satz 1 [X.]). Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (§ 105 Abs 2 [X.]). Nach den Feststellungen des [X.] hat der Kläger diese Leistungen nicht nach außen erkennbar vorläufig geleistet (vgl zu diesem Erfordernis BSG vom [X.] - 9a [X.] - [X.] 1300 § 102 [X.]; BSG vom [X.] SF 1/14 R - [X.] 2014, 504) weshalb § 102 Abs 1 [X.] nicht zur Anwendung kommt. Die geltend gemachten Beträge und damit die erbrachten Leistungen sind nach den Feststellungen des [X.] nach Grund und Höhe zutreffend.

Die übrigen Voraussetzungen der Erstattungsansprüche liegen vor, sie sind rechtzeitig geltend gemacht (§ 111 [X.]); auf die Einrede der Verjährung (§ 113 [X.]) haben die Beteiligten verzichtet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz ([X.]).

[X.]

Meta

B 8 SO 9/20 R

19.05.2022

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Berlin, 8. September 2016, Az: S 195 SO 3349/13, Urteil

§ 104 Abs 1 S 1 SGB 10, § 2 Abs 3 S 1 SGB 10, § 2 Abs 3 S 2 SGB 10, § 37 S 1 SGB 1, § 14 Abs 1 S 1 SGB 9, § 14 Abs 1 S 2 SGB 9, § 14 Abs 2 S 1 SGB 9, § 14 Abs 4 S 1 SGB 9, § 53 SGB 12, § 54 Abs 1 SGB 12, § 54 Abs 3 SGB 12, § 107 SGB 12, § 98 Abs 2 S 1 SGB 12, § 98 Abs 1 SGB 12

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 19.05.2022, Az. B 8 SO 9/20 R (REWIS RS 2022, 5715)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5715

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