Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.09.2022, Az. 1 StR 101/22

1. Strafsenat | REWIS RS 2022, 7517

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Gegenstand

Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung und Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen: Anforderungen an die Feststellung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge und hinterzogenen Steuern in einer Vielzahl von Fällen der Beschäftigung von "Schwarzarbeitern" durch eine GmbH


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 2. November 2021 jeweils mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte in den [X.] bis 86 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,

b) im [X.],

c) unter Erstreckung auf die [X.] und [X.] im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 67 Fällen, versuchter Steuerhinterziehung in drei Fällen sowie wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen die [X.] hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 49.007,71 Euro, gegen die [X.] in Höhe von 22.500 Euro angeordnet. Gegen seine Verurteilung richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat, unter Erstreckung auf die beiden [X.], den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s war der Angeklagte im Tatzeitraum von Januar 2014 bis Juni 2017 faktischer Geschäftsführer der [X.] sowie der [X.] Gegenstand der beiden Unternehmen war der Betrieb von Gaststätten, Spielhallen sowie die Wartung und Reparatur von Spielgeräten einschließlich der Aufstellung von Automaten. Der Angeklagte verfügte bei beiden Gesellschaften über eine Generalvollmacht der formellen Geschäftsführerin und trat nach außen als deren verantwortlicher Geschäftsführer auf.

3

Für beide Gesellschaften beschäftigte der Angeklagte Arbeitnehmer in den Spielhallen, überwiegend als Spielhallenaufsicht, die er ganz oder teilweise „schwarz“ bezahlte. Für die [X.] wurden im Tatzeitraum von Januar 2014 bis April 2015 Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 33.335,75 Euro nicht abgeführt (Taten 1 bis 16 der Urteilsgründe) sowie im Zeitraum von Juni 2015 bis Juni 2017 Lohnsteuer in Höhe von insgesamt 30.875,77 Euro verkürzt (Taten 17 bis 31 der Urteilsgründe). Zugunsten der [X.] hinterzog der Angeklagte im Zeitraum von Dezember 2014 bis Juni 2017 Lohnsteuer in Höhe von insgesamt 21.341,66 Euro (Taten 32 bis 62 der Urteilsgründe).

4

Zudem gab der Angeklagte regelmäßig Erträge und Umsätze beider Gesellschaften gegenüber dem Finanzamt entweder zu niedrig oder überhaupt nicht an, so dass in der Folge Umsatz-, Gewerbe- und Körperschaftsteuer für die [X.] von 2014 bis Juni 2017 zu niedrig oder überhaupt nicht festgesetzt wurden (Taten 63 bis 86 der Urteilsgründe). Um die Unvollständigkeit seiner Erklärungen zu verschleiern, manipulierte er die von den Spielgeräten erstellten Kassenstreifen.

5

2. Der Schuldspruch hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nur teilweise stand. Die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 1 bis 62 der Urteilsgründe wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt sowie wegen Steuerhinterziehung weist keine Rechtsfehler auf (§ 349 Abs. 2 StPO); in den [X.] bis 86 der Urteilsgründe ist die Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung bzw. versuchter Steuerhinterziehung durchgreifend rechtsfehlerhaft.

6

a) Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung müssen die steuerlich erheblichen Tatsachen festgestellt sein. Dazu gehören insbesondere diejenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung sind (Besteuerungsgrundlagen; vgl. [X.], Beschluss vom 5. Juli 2018 – 1 [X.] Rn. 13; Urteil vom 12. Mai 2009 – 1 [X.], [X.]R StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 1 Rn. 13). Die auf den festgestellten Besteuerungsgrundlagen aufbauende Steuerberechnung ist Rechtsanwendung und Aufgabe des Tatgerichts (vgl. [X.], Urteil vom 12. Mai 2009 – 1 [X.] aaO Rn. 20 mwN).

7

b) Diesen Anforderungen trägt das Urteil des [X.]s in den [X.] bis 86 der Urteilsgründe nicht Rechnung. Die Feststellungen des [X.]s zu der hinterzogenen Umsatz-, Körperschaft- sowie Gewerbesteuer der [X.] und der [X.] sind für den [X.] nicht nachvollziehbar.

8

Das [X.] legt zwar schlüssig dar, wie es anhand der durch Auslesen der Spielgeräte für einen Teil des verfahrensgegenständlichen Zeitraums ermittelten tatsächlichen Spielergebnisse („Saldo 2“) auf den gesamten Zeitraum hochgerechnet hat ([X.] bis 21). Der [X.] vermag jedoch nicht zu erkennen, nach welchen Grundsätzen die Strafkammer anhand dieses Zahlenwerks und möglicherweise zusätzlicher Feststellungen die Besteuerungsgrundlagen für die einzelnen Steuerarten ermittelt hat. Insbesondere bei der Körperschaftsteuer und dem [X.] geht das [X.] zwar zurecht davon aus ([X.]), dass vorenthaltene Sozialversicherungsbeiträge und hinterzogene Umsatzsteuer gewinnmindernd einzustellen sind ([X.], Urteile vom 17. September 2020 – 1 StR 576/18 Rn. 28 und vom 11. November 2020 – 1 [X.] Rn. 59). Dem Urteil ist aber mangels Berechnungsdarstellung nicht zu entnehmen, ob die Strafkammer dies tatsächlich in der gebotenen Weise getan hat. Entsprechendes gilt für die „Schwarzlöhne“ als durch die Scheinrechnungen verschleierte Betriebsausgabe auf der [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 6. August 2020 – 1 [X.] Rn. 22 mwN). Um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen, hebt der [X.] unter den hier gegebenen Umständen vorsorglich alle Verurteilungen in den [X.] und Umsatzsteuerfällen auf.

9

3. Die Aufhebung der vorgenannten Schuldsprüche bedingt auch die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs sowie unter Erstreckung auf die [X.] entsprechend § 357 Satz 1 StPO auch die Aufhebung der Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 6. März 2019 – 3 [X.] Rn. 15 mwN und vom 8. Juni 2017 – 1 [X.] Rn. 10). Das [X.] hat die Einziehung nach einer entsprechenden Verfahrensbeschränkung (§ 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO) nur noch auf die von der Aufhebung umfassten Fälle 66 und 80 der Urteilsgründe gestützt.

Jäger     

  

Bellay     

  

Fischer

  

Bär     

  

Leplow     

  

Meta

1 StR 101/22

22.09.2022

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 2. November 2021, Az: 56 KLs 10/19

§ 261 StPO, § 267 StPO, § 370 AO, § 46 StGB, § 53 StGB, § 266a StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.09.2022, Az. 1 StR 101/22 (REWIS RS 2022, 7517)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7517

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