Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.01.2024, Az. 1 StR 422/23

1. Strafsenat | REWIS RS 2024, 1376

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 4. November 2022 im sie und den Mitangeklagten S.     betreffenden Ausspruch über die Einziehung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]    wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 513 Fällen und wegen Steuerhinterziehung in 65 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen den Angeklagten [X.]     hat es wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 51 Fällen, davon in 50 Fällen in Tateinheit mit Beihilfe zur Steuerhinterziehung, eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verhängt. Zudem hat es gegen beide Angeklagten die Einziehung des Wertes von [X.]n in Höhe des gesamten im Tatzeitraum vereinnahmten Arbeitslohns angeordnet, und zwar gegen den Angeklagten [X.]     in Höhe von 264.422,52 € sowie gegen den Angeklagten [X.]    in Höhe von 82.467,87 € und zudem einen weiteren Betrag von 283.500 €. Die gegen ihre Verurteilungen gerichteten Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts beanstanden, haben zur Einziehung – auch zugunsten des nichtrevidierenden Mitangeklagten S.     – Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); zum Schuld- und Strafausspruch sind die Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s war der Angeklagte [X.]     Geschäftsführer der [X.], erstellte er die Angebote zur Gebäudereinigung, war er der Ansprechpartner der Vergabestellen bei den Ausschreibungen und wickelte er die Aufträge technisch ab. Gemäß dem mit dem gesondert Verfolgten E.      verabredeten [X.] ließ der Angeklagte [X.]     einen erheblichen Teil der Arbeitslöhne nicht in der Buchhaltung der [X.] erfassen, um Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuern nur im geringeren Umfang zu zahlen. Um den Geldabfluss für die [X.] in der Buchhaltung zu verschleiern, erwarb die [X.]. Zugunsten der [X.] führte der Angeklagte [X.]    gegenüber den Einzugsstellen der verschiedenen Sozialversicherungsträger im Zeitraum von Oktober 2015 bis März 2021 fast 8,15 Millionen € an Sozialversicherungsbeiträgen nicht ab und verkürzte bis Februar 2021 rund 1,96 Millionen € an Lohnsteuer inklusive Solidaritätszuschlag. Der Angeklagte [X.]     verdiente im Tatzeitraum gemeldeten Lohn in Höhe von insgesamt 30.934,31 €; daneben vereinnahmte er rund 5.000 € monatlich in bar, insgesamt 230.345 €. Von der  [X.] bezog er weitere 3.143,21 €.

3

Der Angeklagte [X.]   , als Betriebsleiter bei der [X.] angestellt, ermittelte durch Auswertung der Stundenzettel die Löhne der Arbeitnehmer und bestimmte, welche Teile bar und welche unbar ausgezahlt wurden; dazu führte er eine Schattenbuchhaltung. Der Angeklagte [X.]    verdiente gemeldeten Lohn in Höhe rund 3.000 € monatlich; 2.167,87 € wurde auf das Konto seiner Ehefrau überwiesen. Daneben vereinnahmte der Angeklagte [X.]    insgesamt 80.300 € „schwarz“. Bei seiner Verhaftung im April 2021 hatte er 19 Uhren im Gesamtwert von 472.500 € im Besitz.

4

Der Mitangeklagte S.     war Vorarbeiter und Objektleiter. Er verdiente „offiziell“ 34.112,14 € im Tatzeitraum und „schwarz“ 44.228,47 €; daneben bezog er weitere 3.540,51 €.

5

2. Die Revisionen sind teilweise begründet. Die Einziehung des Wertes von [X.]n (§ 73 Abs. 1 Alternative 2, § 73c Satz 1 StGB) hält mitsamt den zugehörigen Feststellungen der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

6

a) „Für die Tat“ sind Vorteile erlangt, die einem Beteiligten als Gegenleistung für sein rechtswidriges Handeln gewährt werden, jedoch nicht auf der Tatbestandsverwirklichung beruhen (st. Rspr.; [X.], Urteil vom 6. September 2023 – 1 StR 57/23 Rn. 27 mwN). Von diesem Tatlohn sind Zuwendungen abzugrenzen, die der Tatbeteiligte aus einem anderen, von der Tatbegehung unabhängigen Rechtsgrund erhält. Ob ein solcher Rechtsgrund tatsächlich besteht oder ob der Tatlohn lediglich unter dem Deckmantel eines vorgetäuschten Anspruchs weitergeleitet wird, ist Tatfrage und im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (vgl. [X.], Beschlüsse vom 7. Februar 2023 – 2 StR 67/22 Rn. 14 und vom 22. September 2022 – 1 [X.] Rn. 19; Urteile vom 14. Juli 2022 – 6 StR 227/21 Rn. 45 und vom 29. Oktober 2021 – 5 [X.] Rn. 100).

7

b) Diesem Maßstab werden die [X.] nicht gerecht. Das [X.] hat sämtlichen Arbeitslohn abgeschöpft, da die [X.] ohne das Ersparen von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuern nicht weiter werbend hätte tätig sein können. Es hat dabei jedoch außer [X.] gelassen, dass das Ersparen von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer durch (teilweise) „[X.]“ nicht dazu führte, dass die [X.] ausschließlich illegal tätig war. Die [X.] hätte vielmehr – naheliegender Weise durch vorsichtige Schätzung (§ 73d Abs. 2 StGB) – den Teil der Vergütung ermitteln müssen, der den Angeklagten ausschließlich für ihre Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Hinterziehung von Beiträgen und der Verkürzung von Steuer gewährt wurde (vgl. zum Ganzen [X.], Urteil vom 6. September 2023 – 1 StR 57/23 Rn. 27-30). Dies gilt auch für den den Angeklagten „schwarz“ ausbezahlten Teil ihres Arbeitslohns. Allein aus der Zahlung unter Verkürzung von Beiträgen und Steuern kann nicht darauf geschlossen werden, dass damit die Begehung von bzw. Beteiligung an Straftaten vergütet wurde.

8

c) Die Aufhebung ist auf den Mitangeklagten S.     zu erstrecken (§ 357 Satz 1 StPO), da das [X.] auch insoweit zwischen Entgelt für legale und illegale Tätigkeiten hätte unterscheiden müssen. Dies gilt indes nicht für die Mitangeklagte So.  . Denn sie war – als weitere (Schein-)Geschäftsführerin – nahezu ausschließlich in den illegalen Scheinrechnungsverkehr eingebunden.

9

d) Beim Angeklagten [X.]   begegnet zudem die Einziehung in Höhe von 60 % des Wertes der aufgefundenen Uhren (§ 73a Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) jedenfalls deswegen durchgreifenden Bedenken, weil ein ausreichender Bezug zu den [X.] nicht festgestellt ist. Voraussetzung für eine erweiterte Einziehung des Wertes von [X.]n gemäß § 73a Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB ist, dass die [X.] aus den anderen nicht weiter aufklärbaren Taten zum Zeitpunkt zumindest einer der [X.] gegenständlich in seinem Vermögen vorhanden waren (st. Rspr.; etwa [X.], Urteil vom 10. August 2023 – 3 [X.] Rn. 59 mit weiteren umfangreichen Nachweisen). Dazu fehlen jegliche Feststellungen. Zudem ist gerade nicht auszuschließen, dass der Angeklagte [X.]     mit seinem Tatlohn aus den gegenständlichen Taten die Uhren erwarb; dann würde aber zum Teil doppelt abgeschöpft.

Jäger     

      

Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. [X.] ist urlaubsbedingt
ortsabwesend und daher
gehindert zu unterschreiben.

      

[X.]

                 

Jäger 

                 

      

     Bär     

      

     Leplow     

      

Meta

1 StR 422/23

11.01.2024

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankfurt, 4. November 2022, Az: 8/29 KLs 4/22

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.01.2024, Az. 1 StR 422/23 (REWIS RS 2024, 1376)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1376

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 275/20 (Bundesgerichtshof)

Hinterziehung von Lohnsteuer sowie Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt: Konkurrenzverhältnis bei mittelbarer Täterschaft; Beginn der …


3 StR 175/22 (Bundesgerichtshof)

Einziehung von Taterträgen aus Betäubungsmittelgeschäften: Erweiterte Einziehung von Kryptowährungen; Erlöschen einer zur Sicherung einer Baufinanzierung …


3 StR 10/23 (Bundesgerichtshof)

Relativer Revisionsgrund im Strafverfahren: Nichtgewährung des letzten Wortes nach zeitweiser Abwesenheit des Angeklagten


1 StR 22/23 (Bundesgerichtshof)

Vermögensabschöpfung bei einer Umsatzsteuerhinterziehungskette


1 StR 213/19 (Bundesgerichtshof)

Umsatzsteuerhinterziehung: Notwendige Feststellungen bei Heranziehung ausländischer Ebay-Accounts zur Begründung der Steuerpflicht; Recht auf Vorsteuerabzug


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

3 StR 412/22

5 StR 443/19

6 StR 227/21

1 StR 233/22

2 StR 67/22

1 StR 57/23

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.