Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.03.2023, Az. 1 StR 22/23

1. Strafsenat | REWIS RS 2023, 1883

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Gegenstand

Vermögensabschöpfung bei einer Umsatzsteuerhinterziehungskette


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 5. Oktober 2022 – auch zugunsten der [X.] – im Ausspruch über die Einziehung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 19 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt; hiervon hat es wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung sechs Monate als vollstreckt erklärt. Zudem hat das [X.] gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 9.015.431,48 € angeordnet, gegen die [X.] in Höhe von 4.035.516,87 €, davon in Höhe von 3.817.258,10 € gesamtschuldnerisch mit dem Angeklagten. Die gegen seine Verurteilung gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, hat – unter Erstreckung auf die [X.] – den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. a) Nach den Feststellungen des [X.]s ließ sich der Angeklagte von unbekannt gebliebenen Hintermännern im Zeitraum von Februar 2013 bis September 2014 sowohl mit seinem Einzelunternehmen      [X.]                als auch mit der [X.]n, deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer er damals war, beim Handel mit [X.] in eine „Mehrwertsteuerbetrugskette“ einspannen. Er ließ sich von der [X.] und der [X.], seinen vermeintlichen [X.], Gutschriften unter [X.] erteilen; der [X.] händigte der Angeklagte Rechnungen mit ausgewiesener Umsatzsteuer aus. Dazu, ob er überhaupt und gegebenenfalls von wem er zuvor die [X.] bezog, verhält sich das Urteil nicht. Die [X.] veräußerte die Kathoden im Wesentlichen an die [X.], die ihrerseits an die Unternehmen der endverarbeitenden Industrie oder an [X.] weiterlieferte. Zur Begleichung des überwiegenden Teils der (angeblichen) Kaufpreisansprüche ließ sich der Angeklagte von der [X.] deren Forderungen gegen ausländische Unternehmen abtreten.

3

Der Angeklagte verbuchte sowohl bei seiner Einzelfirma als auch bei der [X.]n insgesamt deutlich mehr als 230 Scheinrechnungen und machte daraus unberechtigt Vorsteuer geltend, um die [X.] deutlich zu reduzieren. In den Fällen 1 bis 4 (Einzelunternehmen; September, Oktober und Dezember 2013 sowie Februar 2014; Gesamtvorsteuerbetrag: 1.302.660,51 €) und 12 bis 19 der Urteilsgründe ([X.]; Februar bis September 2014; Gesamtvorsteuerbetrag: 4.035.516,87 €) gab er auf elektronischem Wege die Umsatzsteuervoranmeldungen rechtzeitig ab, in den Fällen 5 bis 11 der Urteilsgründe (Einzelunternehmen; Februar bis Juni und November 2013 sowie Januar 2014; [X.]: 3.895.512,86 €) verspätet.

4

Der Angeklagte erhielt für jede Lieferung unter anderem einen Barscheck mit einem Betrag in Höhe von 19 % des Ausgangsumsatzes. Die Schecks löste er ein und beglich davon die geringen Provisionen der [X.]; rund 200 € behielt er jeweils für sich.

5

b) Das [X.] hat in den Fällen 1 bis 4 sowie 12 bis 19 der Urteilsgründe die Steuerersparnis in Höhe der unberechtigten Vorsteuerabzüge abgeschöpft; in den übrigen Fällen hat es allerdings die „verspätet fällig gestellten“ [X.] (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.]) für maßgeblich gehalten und insoweit nicht auf die unberechtigt gezogene Vorsteuer mit einem Gesamtbetrag von 3.885.638,13 € abgestellt. Dabei hat das [X.] in den Fällen 12 bis 19 der Urteilsgründe nicht nur einen Vermögensvorteil bei der [X.]n angenommen, sondern auch beim Angeklagten, und zwar – nach Abzug eines 4 %-Sicherheitsabschlags – in Bezug auf 15 % der von der [X.] im Zeitraum von Februar bis September 2014 mittels Barschecks vereinnahmten Kaufpreisgelder in Höhe von insgesamt 25.448.387,32 €.

6

2. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73 Abs. 1 Alternative 1, § 73c Satz 1 StGB) hält mitsamt den zugehörigen Feststellungen der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

7

a) Auch innerhalb einer Umsatzsteuerhinterziehungskette ergibt sich ein messbarer wirtschaftlicher und damit abschöpfbarer Vorteil nur für denjenigen Tatbeteiligten, in dessen Vermögen sich eine Steuerersparnis niederschlägt, also insbesondere bei den Unternehmern, die ihre aus realen [X.] resultierenden [X.] durch Verrechnung (vgl. § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG) mit aus [X.] gezogenen Vorsteuern zu Unrecht verringern. Dies ist bei den zwischengeschalteten bloßen Rechnungsschreibern, deren Steuerschuld sich aus § 14c Abs. 2 Satz 2, § 13a Abs. 1 Nr. 4 UStG ergibt, nicht der Fall. Dies gilt umfassend, also auch insoweit, als sie mit den unberechtigt aus [X.] gezogenen [X.] ihre sich allein aus § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG ergebenden Zahllasten sogleich wieder vermindern ([X.], Beschluss vom 25. März 2021 – 1 StR 28/21, [X.]R StGB § 73c Satz 1 Erlangtes 6 Rn. 8-10; anders noch [X.], Beschlüsse vom 14. Mai 2020 – 1 [X.] Rn. 13 und vom 5. Juni 2019 – 1 [X.], [X.]R StGB § 73c Satz 1 Erlangtes 1 Rn. 4, 12 [X.], 14 ff.; vgl. auch [X.], [X.] 2020, 223, 228 f.).

8

b) Die Urteilsgründe sind widersprüchlich, ob der Angeklagte mit seinem Einzelunternehmen bzw. die [X.] tatsächlich steuerbare Ausgangsumsätze ausführte (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 UStG) oder sich ihre Steuerschulden nur aus der Ausgabe von Scheinrechnungen bzw. dem Ausstellenlassen von [X.] jeweils unter [X.] ergaben. So werden das Einzelunternehmen und die GmbH auf [X.] als Zwischenhändler eingeordnet, die Umsätze mit den [X.] ‚tätigten‘ (etwa [X.], 32); der Angeklagte, der kein Strohmann gewesen sei, habe „die wesentlichen Entscheidungen getroffen“ ([X.]). Auf [X.] werden die beiden Unternehmen hingegen als „missing trader“ eingeordnet und der Angeklagte habe „nie tatsächliche Lieferungen von [X.] gesehen“ ([X.]8) bzw. „empfangen“ ([X.]), wobei offenbleibt, ob sich diese Feststellung nur auf die [X.] mit den Rechnungsschreibern auf der Eingangsumsatzseite bezieht. In der rechtlichen Würdigung wird die Steuerschuldnerschaft allein mit § 13a Abs. 1 Nr. 4, § 14c Abs. 2 UStG, § 13 Abs. 1 Nr. 4 UStG aF begründet ([X.]). Auf dieser Grundlage kann der [X.] nicht beurteilen, ob der Angeklagte mit ausreichender Verfügungsmacht an seine drei Abnehmer lieferte und damit leistender Unternehmer war (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 26. Juli 2022 – 1 [X.] Rn. 8) oder sich nur bei der Herstellung der falschen Gutschrifts- bzw. Rechnungslage am „[X.]“ beteiligte.

9

In den Fällen 12 bis 19 der Urteilsgründe sind zudem – anders als bei weitergereichten Vermögensgegenständen – die Vervielfältigung ersparter Aufwendungen und damit nachfolgend eine Gesamtschuld grundsätzlich – mit Ausnahme etwa der Konstellation mehrerer über ein Einzelunternehmen [X.] (dazu [X.], Beschluss vom 1. Juni 2021 – 1 [X.] Rn. 16-18, 26) – nicht denkbar (st. Rspr.; [X.], Beschluss vom 17. November 2022 – 1 [X.] Rn. 8 mwN): Entweder schlagen sich die Steuerersparnisse allein im Vermögen der [X.]n nieder oder – sollte tatsächlich allein der Angeklagte im Außenverhältnis der Verpflichtete gewesen sein und die [X.] im Einverständnis mit den [X.] nur „vorgeschobener Mantel“ (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Januar 2020 – 1 StR 529/19, [X.]R StGB § 73 Erlangtes 33 Rn. 16) – in dessen Vermögen; mit dem „Niederschlagen“ sind die Ersparnisse sogleich verbraucht.

c) Auf die von den [X.] in Höhe des – tatplangemäß nicht an den Fiskus abgeführten – [X.] vereinnahmten Gelder kann die Einziehung von vornherein nicht gestützt werden. Diese sind nicht „durch“ die Steuerstraftaten erlangt (§ 73 Abs. 1 Alternative 1, § 73c Satz 1 StGB), und zwar bereits nicht in zeitlicher Hinsicht. Die Steuerersparnisse werden erst im anschließenden Festsetzungsverfahren erzielt (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 Variante 3, § 150 Abs. 1 Satz 3, § 168 Satz 1 [X.]; § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG); mithin fehlt es an der Kausalität zwischen der Tat und dem daraus erzielten Vermögensvorteil (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Februar 2022 – 1 [X.] Rn. 7, 11).

d) Der [X.] schließt aus, dass sich der unter 2. b) ausgeführte Rechtsfehler auf die Strafzumessung ausgewirkt hat. Denn es steht fest, dass dem Fiskus durch den unberechtigten Vorsteuerabzug, den Schwerpunkt des Unrechts auch in den Fällen 5 bis 11 der Urteilsgründe, im Steuerschuldverhältnis zum Angeklagten Umsatzsteuer zumindest in Höhe von insgesamt 9.223.815,51 € vorenthalten worden ist; sowohl die verhängten Einzelstrafen als auch die Gesamtstrafe erweisen sich unabhängig von der exakten Einordnung des Angeklagten in die „[X.]skette“ bereits wegen des Ausmaßes der Steuerhinterziehung als äußerst maßvoll.

2. Die Sache bedarf nach alledem zur Einziehung der neuen Aufklärung und Bewertung. Sollte der Angeklagte nur in die Rechnungs-, nicht aber in die Lieferkette eingespannt gewesen sein, sind gegebenenfalls seine vereinnahmten Provisionen in Höhe von 200 € pro Lieferung oder gar seine tatsächlich erzielten [X.] als Tatlohn (§ 73 Abs. 1 Alternative 2, § 73c Satz 1 StGB) einzuziehen.

Jäger     

  

Bellay     

  

Fischer

  

Bär     

  

Leplow     

  

Meta

1 StR 22/23

08.03.2023

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 5. Oktober 2022, Az: 524 KLs 4/21

§ 73 Abs 1 Alt 1 StGB, § 73c S 1 StGB, § 13a Abs 1 Nr 4 UStG, § 14c Abs 2 S 2 UStG, § 16 Abs 2 S 1 UStG, § 370 Abs 1 Nr 2 AO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.03.2023, Az. 1 StR 22/23 (REWIS RS 2023, 1883)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1883

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