Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.03.2023, Az. 1 StR 336/22

1. Strafsenat | REWIS RS 2023, 1803

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Gegenstand

Gewerbsmäßiger Bandenbetrug: Tateinheitliche Verurteilung eines Bandenmitglieds beim sog. Stoßbetrug


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 4. Mai 2022

a) im Schuldspruch bezüglich der Taten 1 bis 54 der Urteilsgründe dahin abgeändert, dass er des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs (in 54 tateinheitlich begangenen Fällen) schuldig ist,

b) aufgehoben

aa) mit den zugehörigen Feststellungen im [X.] (Steuerhinterziehung) und zugleich zugunsten der [X.] im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 11.229,94 €,

bb) im weitergehenden gesamten Strafausspruch.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in 54 Fällen und wegen Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Zudem hat es gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen wegen der erlangten Waren mit einem Betrag von 393.344,01 € angeordnet, gegen die [X.] in Höhe einer ersparten [X.] mit einem Betrag von 11.229,94 €. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit der Sachrüge – unter Erstreckung auf die [X.] – den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

a) Im Tatkomplex des sogenannten „Stoßbetruges“ hält die Bewertung der [X.] der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand, obwohl das [X.] den richtigen Maßstab zugrunde gelegt hat ([X.] f.). Der [X.] hat hierzu zutreffend ausgeführt:

„aa) Sind mehrere Personen an einer Deliktsserie beteiligt, so ist bei der Bewertung des [X.]s für jeden Täter oder Teilnehmer gesondert zu prüfen und zu entscheiden, ob die einzelnen Straftaten der Serie in seiner Person tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen. Maßgeblich ist hierbei der Umfang des [X.] bzw. der [X.] des Beteiligten. Erfüllt er hinsichtlich aller oder einzelner Taten der Serie sämtliche Tatbestandsmerkmale in eigener Person oder leistet er für alle oder einige [X.] zumindest einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten, soweit nicht natürliche Handlungseinheit vorliegt, als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Erbringt er dagegen im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktsserie [X.], durch die alle oder je mehrere Einzeldelikte der Tatgenossen gleichzeitig gefördert werden, so sind ihm die je gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den jeweiligen einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden ([X.], Beschluss vom 20. September 2016 - 3 StR 302/16). Ob die anderen Beteiligten die einzelnen Delikte nach obigen Grundsätzen gegebenenfalls tatmehrheitlich begangen haben, ist demgegenüber ohne Bedeutung (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 17. Juni 2004 - 3 [X.], [X.]St 49, 177, 182 f.; Beschlüsse vom 7. Dezember 2010 - 3 [X.]; vom 18. Oktober 2011 - 4 [X.]). [X.] sich die [X.] im Aufbau und der Aufrechterhaltung des auf die Straftaten ausgerichteten ‚Geschäftsbetriebes‘, sind diese Tathandlungen als - uneigentliches - [X.] zu einer einheitlichen Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammenzufassen ([X.], Beschlüsse vom 14. Oktober 2014 - 3 [X.], [X.], 334 mwN; vom 23. Juli 2015 - 3 StR 518/14, [X.], 341 f.). Für die konkurrenzrechtliche Beurteilung der Taten des [X.] oder Teilnehmers kommt es dabei nicht darauf an, ob die anderen Beteiligten, die die tatbestandlichen Ausführungshandlungen vornehmen, (Mit-)Täter oder Gehilfen sind oder ob es sich um gutgläubige Werkzeuge handelt (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl., § 263 Rn. 203; [X.]/[X.] in [X.]/[X.], StGB, 30. Auflage, § 52 Rn. 20 f.). Lässt sich nicht klären, durch wie viele Handlungen im Sinne der §§ 52, 53 StGB ein Angeklagter als Mittäter oder Gehilfe die festgestellte Tat gefördert hat, so ist im Zweifel zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass er nur eine Handlung begangen hat ([X.], Beschluss vom 19. November 1996 - 1 StR 572/96 mwN).

bb) Das [X.] hat festgestellt, dass es zu 54 Bestellungen von Baustoffen bei insgesamt elf Lieferanten kam. Vorgenommen wurden diese Bestellungen gemäß dem gemeinsamen [X.] durch zwei ehemalige Mitangeklagte ([X.]). Sämtliche Bestellungen gingen dabei auf sogenannte [X.] zurück, die von dem Angeklagten erstellt worden waren. So übergab der Angeklagte den vorgenannten Mitangeklagten zunächst eine erste Liste mit Baustoffen, die nach Art, Menge, Preis und Lieferant konkret vorgegeben waren, weil lediglich der Angeklagte die erforderliche Sachkenntnis im Baustoffhandel besaß. Diese und nachfolgende Listen arbeiteten die beiden ehemaligen Mitangeklagten jeweils ab. Wie viele Listen der Angeklagte insgesamt oder mindestens schrieb, konnte nicht mehr festgestellt werden. [X.] steht jedoch, dass nicht für jede Bestellung eine eigene Liste erstellt wurde und dass auf Listen mit mehreren Bestellungen diese nicht etwa zusammengefasst, sondern getrennt nach einzelnen Bestellungen mit jeweiliger Ware, Menge, Preis und Lieferant vorgegeben waren.“

3

cc) Da weitergehende [X.]stellungen in einem neuen Rechtsgang, die eine tatmehrheitliche Begehung der [X.] durch den Angeklagten tragen, auszuschließen sind, ist der Schuldspruch entsprechend abzuändern. Nicht einmal mindestens zwei [X.] sind anzunehmen, weil nicht aufzuklären ist, auf welche Lieferungen sich die erste – offensichtlich nicht auffindbare (vgl. insbesondere [X.] zweiter Absatz [X.], [X.] zweiter Absatz) – Liste bezog. § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Die Änderung des Schuldspruchs zieht den Wegfall der für die [X.] verhängten Einzelstrafen und der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.

4

b) Soweit der Angeklagte im [X.] der Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden ist (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 Variante 3, Satz 2, § 150 Abs. 1 Satz 3, § 168 [X.]; § 18 Abs. 3, § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG; § 25 Abs. 1 Alternative 2 StGB), begegnet bereits der Schuldspruch durchgreifenden Bedenken:

5

aa) Aus der am 9. Juli 2018 für die [X.] auf elektronischem Weg abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärung 2016, mit welcher der Angeklagten einen in Höhe von 29.220,24 € unberechtigten Vorsteuerabzug aus 21 Eingangsscheinrechnungen geltend machte, ergab sich ein Überhang an Vorsteuern in Höhe von 17.990,30 €. Die nach § 168 Satz 2 [X.] für die Tatvollendung erforderliche Zustimmung des Finanzamts (dazu zuletzt [X.], Beschluss vom 7. September 2022 – 1 [X.] Rn. 18 mN) ist weder ausdrücklich festgestellt noch lässt sie sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen. Zwar wird in der Beweiswürdigung zum Beleg der festgestellten Berechnungsgrundlagen ein ‚entsprechender Steuerbescheid‘ ([X.]) erwähnt. Dieser wird aber weder mit Datum noch in sonstiger Weise als [X.] präzisiert. Im Gegenteil wurde das Steuerstrafverfahren am 4. Dezember 2017 und damit bereits vor Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung eingeleitet ([X.]); dass das Finanzamt dennoch der Umsatzsteuerjahreserklärung zustimmte, versteht sich daher gerade nicht von selbst.

6

bb) In entsprechender Anwendung des § 357 Satz 1 StPO kann damit auch die gegen die [X.] wegen der [X.] angeordnete Einziehung (§ 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) keinen Bestand haben (vgl. zur Erstreckung auf die [X.]: [X.], Beschlüsse vom 22. September 2022 – 1 [X.] Rn. 9; vom 28. Juli 2021 – 1 StR 506/20 Rn. 24 und vom 6. März 2019 – 3 [X.] Rn. 15; je mwN). Denn die Einziehung ersparter Steueraufwendungen setzt Tatvollendung voraus ([X.], Urteil vom 8. März 2022 – 1 [X.]/21 Rn. 25-28; Beschluss vom 10. März 2022 – 1 StR 515/21 Rn. 15).

7

Dass das [X.] bei Bestimmung des Einziehungsumfangs nur auf das Ergebnis einer ordnungsgemäßen Saldierung von Umsatzsteuer (22.752,12 €) und Vorsteuer (11.522,18 €) ohne die unberechtigten Vorsteuerabzüge (29.220,24 €) abgestellt und dabei die etwaige Auszahlung eines Guthabens unberücksichtigt gelassen hat, beschwert die [X.] nicht. Sollte sich im neuen Rechtsgang ergeben, dass das Finanzamt tatsächlich den zu Unrecht geltend gemachten Überschuss in Höhe von 17.990,30 € auszahlte, wird nicht – wie an sich geboten – der gesamte unberechtigte Vorsteuerabzugsbetrag in Höhe von 29.220,24 € einzuziehen sein; dem stünde das Verbot der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) entgegen, dem zufolge nicht mehr als ein Betrag von 11.229,94 € abgeschöpft werden darf.

8

c) Um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht eine widerspruchsfreie Sachverhaltsermittlung im [X.] zu ermöglichen, hebt der Senat vorsorglich insoweit alle [X.]stellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO). Im Übrigen sind ergänzende [X.]stellungen möglich, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

Jäger     

  

Bellay     

  

Fischer

  

Bär     

  

Leplow     

  

Meta

1 StR 336/22

22.03.2023

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bochum, 4. Mai 2022, Az: II-13 KLs 16/20

§ 52 Abs 1 StGB, § 53 StGB, § 263 Abs 5 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.03.2023, Az. 1 StR 336/22 (REWIS RS 2023, 1803)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1803

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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