Bundespatentgericht, Beschluss vom 15.04.2014, Az. 4 Ni 24/12 (EP)

4. Senat | REWIS RS 2014, 6264

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Gegenstand

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Zwischenwirbelimplantat" – am Verletzungsstreit orientierte Bemessung des Gebührenstreitwerts – Abstellung auf die verfahrenseinleitende Antragsstellung und das hierdurch bestimmte Drohpotential


Leitsatz

Zwischenwirbelimplantat

Auch bei einer sich am Verletzungsstreit orientierenden Bemessung des Gebührenstreitwerts im Nichtigkeitsverfahren ist nach § 40 GKG auf die verfahrenseinleitende Antragsstellung der jeweiligen Verfahren und das hierdurch bestimmte Drohpotential abzustellen, während nachträgliche Entwicklungen grundsätzlich die zu Beginn des Verfahrens zu treffenden Wertungen über den Gegenstandswert unberührt lassen.

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent …

(DE…)

hier: Streitwertfestsetzung

hat der 4. Senat ([X.]) des [X.] am 15. April 2014 durch den Vorsitzenden [X.], die Richterin [X.] und den Richter Dipl.-Ing. Veit

beschlossen:

Der Streitwert für das Verfahren wird auf 1.800.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Nach Rücknahme der Nichtigkeitsklage durch die Klägerin mit Schriftsatz vom 14. Januar 2014 war der Streitwert für das Verfahren vor dem [X.] nach § 63 Abs. 2 Satz 1 [X.] auf 1.800.000 € festzusetzen.

2

Der Senat hat durch [X.]uss vom 12. Juli 2012 den Streitwert für die am 8. Juni 2012 eingegangene Nichtigkeitsklage vorläufig entsprechend der Angabe in der Klageschrift auf 1.000.000 € festgesetzt. Nach erstmaliger Kenntnis des vor dem [X.] geführten parallelen [X.]s durch die Klageerwiderung vom 4. Februar 2013 hat der Senat im qualifizierten Hinweis vom 19. Dezember 2013 darauf hingewiesen, dass der Streitwert in Anbetracht der Festsetzung im [X.] bereits auf 1.250.000 € festzusetzen sei, im Hinblick auf die wirtschaftliche Bedeutung sowie Laufzeit des [X.] der Wert sogar zwischen 3.000.000 € und 5.000.000 € zu schätzen sein dürfte. Mit Schriftsatz vom 8. Januar 2014 hat die Klägerin ihre Nichtigkeitsklage zurückgenommen.

3

Das [X.] hat im parallelen Verletzungsrechtsstreit ([X.].: 7 O 331/11) zunächst durch [X.]uss v. 18. Juli 2013 einen Streitwert von 1.000.000 € und nach Verbindung der sowohl gegen die hiesige Klägerin als auch deren Mutterkonzern geführten parallelen Verfahren den Gesamtstreitwert unter Berücksichtigung des [X.] wegen wirtschaftlicher Identität zur Schadensfeststellung auf 1.800.000 € festgesetzt (vgl. Anlage NB 7). Im dortigen Verfahren hat die jetzige Klägerin dieser Streitwertfestsetzung nicht widersprochen.

4

Aufgrund des mit Schriftsatz vom 21. Januar 2014 gestellten Kostenantrags der Beklagten und des Antrags auf Festsetzung eines Streitwerts von mindestens 2.250.000 € hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 27. Februar 2014 vorgetragen, die Streitwertfestsetzung unter den Kriterien des vom [X.] bemessenen Werts sei unsachgemäß; der ursprünglich angenommene Wert von 1.000.000 € sei ausreichend. Denn die hiesige Beklagte nutze das Patent selbst nicht, bis heute habe sie kein patentgemäßes Produkt hergestellt oder vertrieben noch eine Lizenz auf das Patent erteilt. Das [X.] sei zudem über ein Produkt geführt worden, welches das Patent definitiv nicht verletze. Deshalb sei auch die [X.] aus dem Patent schon vor der dortigen mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 17. Juli 2012 zurückgenommen und die gegenständliche Nichtigkeitsklage nur vorsorglich von der Klägerin erhoben worden.

5

Die Beklagte hat sich auf den Schriftsatz der Klägerin vom 27. Februar 2014 nicht geäußert.

II.

6

Nach § 2 Abs. 2 Satz 4 PatKostG finden für die Festsetzung des Streitwerts im Patentnichtigkeitsverfahren die Vorschriften des [X.] ([X.]) entsprechend Anwendung. Deshalb sind nach § 63 Abs. 2 Satz 1 [X.] die für den Wert zu erhebenden Gebühren festzusetzen, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder wenn sich das Verfahren anderweitig erledigt, wie vorliegend infolge Rücknahme der Klage.

7

Hierbei richtet sich die Höhe der Gebühren gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 PatKostG nach dem Streitwert, mithin auch nach § 51 Abs. 1 [X.], wonach in Verfahren über Ansprüche nach dem Patentgesetz der Gegenstandswert nach billigem Ermessen zu bestimmen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ([X.], [X.]. v. 12. April 2011, [X.] = GRUR 2011, 757 – Nichtigkeitsstreitwert) wird dieser Wert im Patentnichtigkeitsverfahrens durch den gemeinen Wert des Patents bei Klageerhebung zuzüglich des Betrags der bis dahin entstandenen Schadensersatzforderungen bestimmt, wobei für die Festsetzung des Werts regelmäßig von dem Streitwert eines auf das Streitpatent gestützten [X.] ausgegangen werden kann. Da mit der erstrebten Vernichtung des [X.] im [X.] der [X.] die Grundlage entzogen werden soll, beziffert der Streitwert des Patentverletzungsverfahrens grundsätzlich das Interesse des [X.] und damit die untere Grenze des Streitwerts für das Patentnichtigkeitsverfahren ([X.] Nichtigkeitsstreitwert, a. a. [X.]). Zugleich wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der gemeine Wert des Patents in der Regel über das im Verletzungsprozess auf den geltend gemachten Ansprüchen des [X.] basierende, maßgebliche Individualinteresse des dortigen Klägers bzw. der Streitparteien hinausgeht. Dies berücksichtigt der [X.] mangels anderer Anhaltspunkte regelmäßig mit einem Zuschlag von 25 % und weist zugleich darauf hin, dass für die Beurteilung etwaiger abweichender Anhaltspunkte im Hinblick auf die Höhe des Schadens auf den Zeitpunkt der Erhebung der Nichtigkeitsklage abzustellen ist (vgl. [X.] Nichtigkeitsstreitwert, a. a. O).

8

Zur Bestimmung des billigen Ermessens weist der [X.] darauf hin, dass der im Verletzungsverfahren vom Kläger bezifferte Betrag der Schadensersatzforderung in voller Höhe in die Wertbestimmung einzustellen ist, wenn bei Erhebung der Nichtigkeitsklage – also im maßgeblichen Zeitpunkt nach § 40 [X.] – über die streitige Höhe des wegen Verletzung des [X.] bereits entstandenen Schadens noch keine abschließende gerichtliche Entscheidung ergangen ist ([X.] [X.]. [X.], [X.] = GRUR 2009, 1100 – [X.]; [X.] Nichtigkeitsstreitwert, a. a. O). Ob sich dieser Wert als realistisch erweist oder als völlig unrealistischer "Phantasiewert", ist im Hinblick auf die allein dem Verletzungsstreitgericht vorbehaltene konkrete Schadensermittlung eine Frage der Berechtigung der Schadensersatzforderung, die ausschließlich im [X.] zu klären ist. Ebenso unerheblich ist in Anbetracht der Regelung in § 144 [X.], § 51 Abs. 5 [X.], welche eine Streitwertherabsetzung ermöglichen, ob die danach maßgebliche Höhe des Streitwerts im [X.] zu einer erheblichen Belastung für die Streitparteien führt.

9

Danach ist für die Bemessung des [X.] im [X.] auf das vom Kläger vertretene Interesse der Allgemeinheit an der Vernichtung des angegriffenen Patents (st. Rspr. [X.] GRUR 1957, 79) im Zeitpunkt der Erhebung der Klage abzustellen, so wie es auch ausdrücklich in § 40 [X.] allgemein für die [X.] auf Basis der verfahrenseinleitende Antragsstellung bestimmt ist und wie es dem Zeitpunkt entspricht, in dem nach § 63 [X.] der [X.] vorläufig ohne Anhörung der Parteien festzusetzen ist. Nachträgliche Entwicklungen lassen dagegen die zu Beginn des Verfahrens zu treffenden Wertungen über den Gegenstandswert unberührt (vgl. hierzu auch [X.] in [X.], Gebrauchsmustergesetz, 8. Aufl., § 17 Rdn. 11b), auch wenn die zu treffende (endgültige) [X.] nach § 63 Abs. 2 Satz 1 [X.] zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt, wie hier nach Erledigung des Verfahrens. So verweist auch die Rechtsprechung des B[X.] zum Gebrauchsmusterverfahren zutreffend darauf hin, dass bei der Frage nach dem Gegenstandswert in erster Linie zu prüfen ist, welches „Drohpotential“ das Gebrauchsmuster für die am Markt beteiligten Mitbewerber aufwies und die Frage der Rechtsbeständigkeit somit bei der Bemessung des Gegenstandswertes grundsätzlich zu unterstellen ist (B[X.] [X.]. V. 14. März 2013, 35 W (pat) 3/10; vgl. Busse/Keukenschrijver, [X.], 7. Aufl., § 84 Rdn. 57). Wie auch der [X.] hervorhebt ([X.] [X.], a. a. O), ist die Beantwortung der Frage einer sachlichen Berechtigung aus dem geltend gemachten Recht der Prüfung durch das Verletzungsgericht vorbehalten.

Dies gilt auch für die sich am Verletzungsstreit orientierende [X.] im [X.], die sich deshalb grundsätzlich an dem durch die Erhebung der [X.] zum Ausdruck kommenden Drohpotential des [X.] zu orientieren hat und nicht daran, ob sich dieses tatsächlich nach Sachprüfung durch das Verletzungsstreitgericht als unberechtigt oder überhöht erweist. Ausnahmen hiervon können allenfalls gerechtfertigt sein, wenn bereits im maßgeblichen Zeitpunkt der [X.] durch den Senat nach § 40 [X.] Umstände vorliegen, wie eine rechtsbeständige Entscheidung im [X.], die eine Orientierung an dem durch die Erhebung der [X.] ursprünglich zum Ausdruck gekommenen Drohpotential des [X.] als unsachgemäß erscheinen lassen – z. B. im Hinblick auf die endgültige Klärung von Schadensersatzforderungen oder die Reduzierung zukünftigen Drohpotentials durch Klärung des Schutzumfangs. Soweit der Senat in einer früheren Entscheidung (B[X.] [X.]. v. 28. Oktober 2011 - 4 Ni 45/09 = B[X.]E 53, 126) weitergehend ohne zugleich zeitliche Differenzierung die Auffassung vertreten hat, ein angeblicher Verletzungsgegenstand, der das Patent tatsächlich aber nicht verletzt und dessen Benutzung deshalb nicht geeignet ist, Schadensersatzansprüche zu verursachen, könne den Wert des Patents nicht beeinflussen, wird hieran nicht festgehalten. Es ist deshalb auch ohne Bedeutung, dass die hiesige Beklagte nach Erhebung der Nichtigkeitsklage ihre Verletzungslage zurückgenommen hat, aus welcher Motivation dies geschah und ob dies im Hinblick auf fehlende Erfolgsaussichten oder wegen eines weiteren zielführenden Schutzrechts erfolgte, wie auch unerheblich ist, ob die Klägerin die Nichtigkeitsklage „höchst vorsorglich“ erhoben hat, weil sie zu diesem Zeitpunkt bereits mit einer sicheren Abweisung der [X.] gerechnet habe.

Soweit die Klägerin vorgetragen hat, es sei zu berücksichtigen, dass die [X.] nach Verbindung gegen zwei Beklagte gerichtet war und der festgesetzte Betrag von 1.800.000 € den Gesamtwert betreffe, führt dies nicht zu einer anderen Bewertung als sie bereits das [X.] im Rahmen des § 39 [X.] und unter Berücksichtigung des [X.] wegen wirtschaftlicher Identität unter Hinweis auf [X.] in [X.], ZPO, 29. Aufl. § 5 Rdn. 8 in Ansatz gebracht hat. Auch kann der – im Übrigen spekulative – Umstand, dass die hiesige Beklagte ihre Rechte zugleich aufgrund eines – ggf. auch weiter gefassten – Gebrauchsmusters durchsetzen konnte, zu keiner anderen Bewertung führen, da hierdurch weder der Wert des auf dem Streitpatent gestützten Verletzungsrechtsstreit gemindert wurde noch losgelöst hiervon dessen gemeiner Wert als Ausschließlichkeitsrecht durch das Bestehen weitere Schutzrechte berührt oder gemindert wird.

Es ist daher nach Auffassung des Senats gerechtfertigt, den Streitwert auch in vorliegendem Fall jedenfalls nach dem Interesse der Klägerin an der Abwehr der gegen sie von der Patentinhaberin im Verletzungsverfahren geltend gemachten Ansprüche zu bemessen und entsprechend der Streitwertsetzung im Verletzungsverfahren mit 1.800.000 € zu bewerten. Ein möglicher "Zuschlag" in Höhe von 25 % zur Erfassung des über das Interesse des [X.] hinausgehenden gemeinen Werts des [X.], mit dem insbesondere einer Eigennutzung des [X.] durch den Patentinhaber Rechnung getragen werden soll, ist vorliegend nicht veranlasst, da dem Senat keine hinreichenden Erkenntnisse zu einer Eigennutzung des [X.] durch die Patentinhaberin vorliegen und diese den klägerischen Ausführungen zur fehlenden Eigennutzung nicht entgegengetreten ist.

Meta

4 Ni 24/12 (EP)

15.04.2014

Bundespatentgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: Ni

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 15.04.2014, Az. 4 Ni 24/12 (EP) (REWIS RS 2014, 6264)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6264

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X ZR 28/09

35 W (pat) 3/10

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