Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.05.2021, Az. X ZR 23/21

10. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 6006

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Gegenstand

Patentnichtigkeitsverfahren: Bemessung des Streitwerts für ein standardessentielles Patent – Nichtigkeitsstreitwert III


Leitsatz

Nichtigkeitsstreitwert III

Der Umstand, dass das Streitpatent als standardessentiell angesehen wird, vermag es für sich gesehen nicht zu rechtfertigen, den Streitwert des Patentnichtigkeitsverfahrens auf einen Betrag festzusetzen, der den Streitwert der auf dieses Patent gestützten Verletzungsprozesse um mehr als ein Viertel übersteigt (Ergänzung zu BGH, Beschluss vom 12. April 2011 - X ZR 28/09, GRUR 2011, 757 - Nichtigkeitsstreitwert I).

Tenor

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird vorläufig auf 1.875.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Beklagte ist Inhaberin des am 26. Dezember 2008 angemeldeten [X.] Patents 2 228 933 (Streitpatents), das eine Vorrichtung und ein Verfahren zur Funkübertragung in Kommunikationssystemen mit adaptiver Modulation betrifft.

2

Bei Erhebung der Nichtigkeitsklage waren drei auf das Streitpatent gestützte Verletzungsverfahren anhängig. In diesen wurde der Streitwert jeweils auf 500.000 Euro festgesetzt.

3

Das Patentgericht hat das Streitpatent unter Abweisung der weitergehenden Klage teilweise für nichtig erklärt und der Beklagten neun Zehntel der Kosten auferlegt. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.

4

Den Streitwert für die erste Instanz hat das Patentgericht im Hinblick auf den Umstand, dass es sich um ein standardessentielles Patent handelt, auf 30 Millionen Euro festgesetzt. Eine Gegenvorstellung der Beklagten ist erfolglos geblieben.

5

Die Beklagte beantragt, den Streitwert für das Berufungsverfahren vorläufig auf 1.875.000 Euro festzusetzen.

6

II. Der Senat setzt den Streitwert wie beantragt fest.

7

1. § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG sieht die vorläufige Festsetzung des Streitwerts in den Fällen vor, in denen weder eine Geldsumme verlangt wird noch ein fester Wert gesetzlich vorgesehen ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

8

2. Der von der Beklagten angegebene Wert von 1.875.000 Euro erscheint nach vorläufiger Bewertung angemessen.

9

a) Die Höhe des Streitwerts im Patentnichtigkeitsverfahren ist gemäß § 51 Abs. 1 GKG nach billigem Ermessen zu bestimmen.

Der ständigen Rechtsprechung des Senats folgend ist dafür der gemeine Wert des Patents bei Erhebung der Klage bzw. bei Einlegung der Berufung zuzüglich des Betrags der bis dahin entstandenen Schadensersatzforderungen maßgeblich ([X.], Beschluss vom 11. Oktober 1956 - [X.], [X.], 79; Beschluss vom 7. November 2006 - [X.], [X.], 175 - [X.]; Beschluss vom 28. Juli 2009 - [X.], [X.], 1100 - [X.]; Beschluss vom 16. Februar 2016 - [X.]/13 Rn. 7).

In Ermangelung anderer Anhaltspunkte legt der Senat in ständiger Rechtsprechung die (vorläufige) Streitwertfestsetzung aus anhängigen Verletzungsverfahren zugrunde. Diese spiegelt regelmäßig das Interesse des [X.] an der erstrebten Vernichtung des Streitpatents wieder, mit der der [X.] die Grundlage entzogen werden soll. Dieser Betrag ist in der Regel um 25% zu erhöhen, um dem Wert der eigenen Nutzung Rechnung zu tragen ([X.], Beschluss vom 12. April 2011 - [X.], [X.], 757, Rn. 2 f. - [X.]; Beschluss vom 16. Februar 2016 - [X.]/13 Rn. 7).

b) Entgegen der vom Patentgericht bei der Festsetzung des Streitwerts in erster Instanz vertretenen Auffassung führt der Umstand, dass es sich bei dem Streitpatent um ein standardessentielles Patent handelt, für sich gesehen weder zu einer Festsetzung auf den Höchstwert von 30 Millionen Euro noch zu einer sonstigen Erhöhung des Zuschlags für die Eigennutzung.

Im Ansatz zutreffend ist das Patentgericht allerdings davon ausgegangen, dass ein höherer Zuschlag in Betracht kommen kann, wenn besondere Umstände die Annahme nahelegen, dass der Wert der eigenen Nutzung deutlich höher ist als 25 % des [X.]s.

Der Umstand, dass das Streitpatent als standardessentiell angesehen wird, vermag eine solche Erhöhung für sich gesehen aber nicht zu rechtfertigen.

aa) Der Umstand, dass es sich um ein Patent handelt, dessen Nutzung für den Zugang zu einem bestimmten Markt essentiell ist, findet in der Regel bereits bei der Festsetzung des Streitwerts im Verletzungsprozess Berücksichtigung.

Die Festsetzung des Streitwerts im Verletzungsverfahren hat die Bedeutung des Klagepatents für den Absatz marktgängiger Produkte und die darauf zurückgehenden Umsatzerwartungen der Rechtsinhaberin zu berücksichtigen ([X.], Urteil vom 13. November 2013 - [X.], [X.], 206 Rn. 16; Beschluss vom 27. September 1984 - [X.], [X.], 511, 512). Dieser Gesichtspunkt fließt - neben anderen - auch in eine der Streitwertermittlung dienende Lizenzprognose ein ([X.], [X.] 2010, 2425; [X.], 341).

Bei der Bewertung der zu erwartenden Umsätze und Lizenzeinnahmen ist jedoch gegebenenfalls auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Zugang zum Markt und die damit verbundenen Einnahmemöglichkeiten häufig nicht von einem einzelnen Patent abhängen, sondern von einem zahlreiche Schutzrechte umfassenden Portfolio, und dass der Ausgang eines einzelnen [X.] nicht ohne weiteres zu einer spürbaren Beeinträchtigung der aus diesem Portfolio resultierenden Marktstellung führt.

bb) Der zuletzt genannte Gesichtspunkt ist auch für die Festsetzung des Streitwerts im [X.] von Bedeutung.

Ist das mit der Nichtigkeitsklage angegriffene Patent Teil eines Portfolios aus zahlreichen Schutzrechten, das typischerweise in seiner Gesamtheit lizensiert wird, wird die Marktstellung des Inhabers durch den Wegfall dieses einzelnen Rechts in der Regel nur marginal beeinträchtigt. Dieser führt zwar nicht dazu, dass der Eigennutzungsanteil oder der Wert des Patents insgesamt als marginal zu bewerten ist. Er hat aber zur Folge, dass ein Zuschlag von 25 % auf den addierten Streitwert anhängiger Verletzungsverfahren auch für solche Patente in der Regel den Wert der Eigennutzung angemessen widerspiegelt.

Dem vom Patentgericht hervorgehobenen Umstand, dass der Berechtigte häufig schon dann eine starke Verhandlungsposition gewinnt, wenn gegen einen mutmaßlichen Verletzer auch nur aus einem einzelnen Patent ein vollstreckbarer [X.] ergeht, führt insoweit nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Dieser Aspekt betrifft nicht die Eigennutzung, sondern den Wert, den das Patent durch die Möglichkeit einer Verletzungsklage vermittelt. Darüber hinaus steht ein einzelnes im Verletzungsprozess geltend gemachtes Patent in dieser Situation stellvertretend für eine Vielzahl anderer Schutzrechte, aus denen der Inhaber im Falle eines Misserfolgs alternativ vorgehen kann oder möglicherweise bereits parallel vorgeht. Dementsprechend ist es in der Regel nicht angemessen, die von einem [X.] ausgehende Hebelwirkung wirtschaftlich an diesem einzelnen Patent festzumachen.

c) Sonstige Umstände, die im Streitfall die Festsetzung des Streitwerts in den Verletzungsverfahren als nicht angemessen erscheinen oder eine Festsetzung des Streitwerts im [X.] auf mehr als 125 % dieses Betrags nahelegen könnten, sind auf der Grundlage des derzeitigen Sach- und Streitstands nicht ersichtlich.

d) Ausgehend von einem [X.] von insgesamt 1,5 Millionen Euro erscheint für das [X.] danach ein Streitwert von 1.875.000 Euro angemessen.

[X.]     

      

Grabinski     

      

Kober-Dehm

      

Marx     

      

Rensen     

      

Meta

X ZR 23/21

11.05.2021

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend BPatG München, 1. Oktober 2020, Az: 2 Ni 54/20 (EP), Urteil

§ 51 Abs 1 GKG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.05.2021, Az. X ZR 23/21 (REWIS RS 2021, 6006)

Papier­fundstellen: MDR 2021, 1556 REWIS RS 2021, 6006

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