Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.10.2011, Az. XII ZR 162/09

12. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 1978

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Gegenstand

Nachehelicher Unterhalt: Sekundäre Darlegungslast des Unterhaltsberechtigten hinsichtlich ehebedingter Nachteile im Rahmen der Unterhaltsherabsetzung und -befristung


Leitsatz

Zur sekundären Darlegungslast des Unterhaltsberechtigten hinsichtlich ehebedingter Nachteile bei der Unterhaltsherabsetzung und -befristung (im Anschluss an Senatsurteile vom 24. März 2010, XII ZR 175/08, BGHZ 185, 1 = FamRZ 2010, 875 und vom 20. Oktober 2010, XII ZR 53/09, FamRZ 2010, 2059) .

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 8. [X.] des [X.] vom 19. August 2009 aufgehoben, soweit die Berufung des [X.] für die [X.] ab Januar 2009 zurückgewiesen worden ist.

Der Rechtsstreit wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Abänderung eines Titels über nachehelichen Unterhalt.

2

Der 1954 geborene Kläger und die 1957 geborene Beklagte heirateten im Jahr 1977. Aus der Ehe sind drei inzwischen volljährige Kinder hervorgegangen, von denen sich der jüngste [X.] noch in der Berufsausbildung befindet. Die Parteien trennten sich im April 1997. Ihre Ehe ist seit August 1999 rechtskräftig geschieden.

3

Der Kläger ist Tischlermeister. Er war als Gesellschafter-Geschäftsführer zu 25% an einer GmbH beteiligt, die Innenausbau betrieben hat. Außerdem war er Mitgesellschafter einer [X.], die ein Gewerbegrundstück an die GmbH vermietet hatte und inzwischen auseinandergesetzt ist. Er ist seit Januar 2008 unter anderem an einer rezidivierenden depressiven Störung erkrankt und bezieht seit Dezember 2008 eine - befristete - Rente wegen voller Erwerbsminderung. Als Geschäftsführer der GmbH ist er inzwischen abberufen, das Anstellungsverhältnis ist gekündigt worden.

4

Die Beklagte hat nach dem Hauptschulabschluss eine Ausbildung zur Damenschneiderin absolviert und war bis zur Geburt des ersten Kindes im Jahr 1978 in einer [X.] tätig. Während der Ehe betreute sie im wesentlichen die drei Kinder und versorgte den Haushalt. Außerdem erlitt sie 1980 eine Fehlgeburt. Seit Oktober 1999 geht die Beklagte einer Teilzeitbeschäftigung als Kommissioniererin in einem Bekleidungsunternehmen nach, war aber wegen einer im Jahr 2004 eingetretenen Krebserkrankung wiederholt arbeitsunfähig erkrankt. Nach mehreren Operationen sind gesundheitliche Einschränkungen mit einer Schwerbehinderung von 50% verblieben. Mit einer Arbeitszeit von 30 Wochenstunden erzielt sie ein monatliches Bruttoeinkommen von rund 1.600 [X.] und netto - vor Abzug von Fahrtkosten - rund 1.140 [X.].

5

Der Kläger war während der Ehe Eigentümer eines Mehrfamilienhausgrundstücks. Die darin befindliche Ehewohnung wurde nach der Scheidung zunächst noch von der Beklagten - als Nießbrauchsberechtigte - und den Kindern bewohnt. Inzwischen wurde das Hausgrundstück veräußert, nachdem die Beklagte gegen eine Abstandssumme auf ihren Nießbrauch verzichtet hatte.

6

Im Scheidungsverfahren schlossen die Parteien einen Vergleich, in dem sich der Kläger zur Zahlung eines nachehelichen Unterhalts von monatlich 521 DM (266,38 [X.]) verpflichtete. Nach Veräußerung des [X.] und Auszug der Beklagten stritten die Parteien im Jahr 2003 um eine Abänderung des titulierten Unterhalts. Im Ergebnis erhöhte das Berufungsgericht den laufenden Unterhalt durch Urteil vom 21. Dezember 2005 ab Januar 2006 auf monatlich 357 [X.].

7

Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger die Reduzierung und Befristung des Unterhalts. Er beruft sich auf sein vor allem krankheitsbedingt verringertes Einkommen und auf eine nach geänderter Rechtslage seit Januar 2008 verstärkte eigene Unterhaltsverantwortung der Beklagten. Die Parteien streiten vor allem um das Bestehen [X.] Nachteile auf Seiten der Beklagten.

8

Das Amtsgericht hat den titulierten Unterhalt für November 2008 bis einschließlich April 2009 herabgesetzt, im Übrigen aber bestehen lassen. Auf die Berufung des [X.] hat das Berufungsgericht den Unterhalt - unter anderem gemäß § 1578 b Abs. 1 BGB - weiter auf zuletzt monatlich 150 [X.] ab Januar 2011 herabgesetzt und wie das Amtsgericht eine Befristung abgelehnt. Dagegen wendet sich der Kläger mit der zugelassenen Revision, mit welcher er sein Befristungsbegehren zum 31. Dezember 2008 weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision hat Erfolg.

Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 [X.] noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. [X.]surteile vom 11. August 2010 - [X.]/09 - [X.], 1637 Rn. 8 und vom 25. November 2009 - [X.] - [X.], 192 Rn. 5 und [X.]sbeschluss vom 3. November 2010 - [X.] 197/10 - FamRZ 2011, 100 Rn. 10).

I.

Das Berufungsgericht hat den Unterhalt aufgrund der gegenüber dem Vorprozess veränderten Einkommensverhältnisse der Parteien neu berechnet. Auf Seiten des [X.] ist es lediglich vom [X.] und später vom Rentenbezug sowie Zinseinkünften ausgegangen. Auf Seiten der [X.] hat das Berufungsgericht ihr Einkommen aus Teilzeittätigkeit angerechnet und eine weitergehende Erwerbspflicht verneint. Außerdem hat es ihr vorübergehend fiktive Mietzinseinnahmen zugerechnet.

Im Hinblick auf die Befristung des Unterhalts seien ehebedingte Nachteile nicht auszuschließen, was sich unter Berücksichtigung der Darlegungs- und Beweislast zum Nachteil des [X.] auswirke und einer Befristung entgegenstehe. Ehebedingte Nachteile folgten noch nicht aus den aufgrund der Kindererziehung und Haushaltstätigkeit verringerten Rentenanwartschaften. Auch eine Erkrankung sei nur in Ausnahmefällen ehebedingt. Da die Krebserkrankung der [X.] erst fünf Jahre nach der Scheidung aufgetreten sei, handele es sich insoweit um eine schicksalhafte Entwicklung. Ehebedingte Nachteile könnten aber deshalb nicht ausgeschlossen werden, weil die Beklagte nicht (mehr) in der Lage sei, in dem von ihr einmal erlernten Beruf vollschichtig zu arbeiten, und zudem die Möglichkeit offenbleibe, dass ihre Chancen im Erwerbsleben ohne Ehe und Kinderbetreuung besser wären, als sie es tatsächlich seien. Insofern sei nämlich zu berücksichtigen, dass die Beklagte, die zum Zeitpunkt der Trennung 40 Jahre alt und zu diesem Zeitpunkt nach früherer Rechtslage allenfalls verpflichtet gewesen sei, eine Geringverdienertätigkeit aufzunehmen, seit der Geburt des ersten Kindes im Jahr 1978, als sie gerade erst knapp 21 Jahre alt gewesen sei, nicht mehr in ihrem erlernten Beruf gearbeitet habe. In Anbetracht der nur sehr kurzen Berufstätigkeit im erlernten Beruf könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich der [X.] ohne die Berufspause Erwerbsmöglichkeiten und Einkommensquellen als Damenschneiderin eröffnet hätten. Die Feststellung, dass sie im Erwerbsleben ohne die Eheschließung und die vier Schwangerschaften nicht besser hätte Fuß fassen können, als dies tatsächlich durch ihre heutige Teilzeittätigkeit erfolgt sei, erscheine zu weitgehend. Zumindest hätte sie ohne die Ehe und die Schwangerschaften umfassende Berufserfahrung gehabt, die ihr bessere Einkommensquellen hätte eröffnen können. Auch wenn nicht zu übersehen sei, dass sich gerade in der Textilindustrie im Lauf der Ehezeit der Arbeitsmarkt fast durchweg verschlechtert habe und die Beklagte dadurch gezwungen worden wäre, sich beruflich umzuorientieren, bleibe gänzlich offen, welche endgültige Stellung sie ohne die Ehe und die Schwangerschaften im Erwerbsleben gehabt hätte. Darüber hinaus könne die Beklagte den Beweis für eine herausragende berufliche Entwicklung (Schneidermeisterin oder sogar eine Leitungsposition in der Textilindustrie) kaum führen. Die schon als lang zu bezeichnende Ehedauer (rund 27 Jahre unter Einschluss der Kinderbetreuungszeiten) sowie die Tatsache, dass sich die Beklagte "seit ihrer Berufspause 1978" allein für Ehe und Familie eingesetzt habe, begründe ein besonders gewichtiges Vertrauen in die erfolgte Unterhaltstitulierung (vgl. § 36 Nr. 1 EGZPO), das unter Abwägung der vorgenannten Umstände einer Befristung entgegenstehe.

Demgegenüber sei ungeachtet nicht auszuschließender [X.] Nachteile unter Billigkeitsabwägungen eine Herabsetzung des Unterhalts auf 150 € ab 1. Januar 2011 gerechtfertigt. Der Kläger beziehe nunmehr selbst eine Erwerbsunfähigkeitsrente und habe seit mehr als zehn Jahren durchgängig Nachscheidungsunterhalt gezahlt. Die Beklagte habe nicht vorgetragen, dass sie im Vertrauen auf die fortwährende Unterhaltsverpflichtung konkrete Vermögensdispositionen getroffen habe. Darüber hinaus seien die krankheitsbedingten Einschränkungen der [X.] schicksals- und nicht ehebedingt. Die Beklagte verfüge mit dem Unterhalt ab dem 1. Januar 2011 über ein Einkommen, das dem angemessenen Selbstbehalt von 1.100 € entspreche. Andererseits sei der Kläger durch den Unterhalt nicht unangemessen belastet, berücksichtigend, dass er im Gegensatz zur [X.] in einer neuen Partnerschaft lebe und aus dem Zusammenleben - wenngleich nicht eheprägend - wirtschaftliche Vorteile haben dürfte.

II.

Diese Beurteilung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand.

Die Abänderungsklage richtet sich nach § 323 ZPO aF. Ihre Zulässigkeit steht im vorliegenden Fall außer Zweifel.

1. Das Berufungsgericht ist im [X.] an das abzuändernde Urteil davon ausgegangen, dass die Beklagte, nachdem die zeitweiligen Voraussetzungen eines ([X.]-)Unterhaltsanspruchs nach § 1572 Nr. 2 BGB entfallen sind, ("jedenfalls") Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB beanspruchen könne.

Ein umfassender Anspruch auf Aufstockungsunterhalt setzt indessen voraus, dass der Unterhalt begehrende geschiedene Ehegatte eine angemessene Erwerbstätigkeit ausübt oder ausüben kann ([X.]surteile vom 10. November 2010 - [X.]/08 - FamRZ 2011, 192 Rn. 16 f. mwN und [X.], 50 = FamRZ 2011, 454 Rn. 13). Das ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht in vollem Umfang verwirklicht. Vielmehr ist die Beklagte nach den - insoweit von der Revision nicht angegriffenen - Feststellungen des Berufungsurteils an einer Ausweitung ihrer vollschichtigen Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen gehindert, sodass sich der Anspruch zum Teil aus § 1572 BGB ergibt.

2. Bei der Bedarfsermittlung nach § 1578 Abs. 1 BGB ist das Berufungsgericht nach zwischenzeitlichem Krankengeldbezug des [X.] von seinem aufgrund vollständiger Erwerbsminderung gesunkenen Einkommen (Erwerbsminderungsrente zuzüglich Zinsen) ausgegangen. Hierbei handelt es sich zwar um eine nacheheliche Veränderung. Unvorhersehbare nacheheliche Einkommensverringerungen können aber entsprechend der ständigen Rechtsprechung des [X.]s (vgl. [X.]surteil vom 18. März 1992 - [X.] - FamRZ 1992, 1045, 1046 f.) bereits im Rahmen der Bedarfsermittlung berücksichtigt werden, wenn sie nicht vorwerfbar herbeigeführt wurden. Die Berücksichtigung solcher auch im Fall des [X.] der Ehe eingetretener Veränderungen ist vom [X.] gebilligt worden ([X.] FamRZ 2011, 437 Rn. 70).

Auch ansonsten gibt die Bedarfsermittlung des Berufungsgerichts keine Veranlassung zu Beanstandungen, was schließlich auch für den Abzug des - wenngleich hier nachrangigen - Kindesunterhalts vom Einkommen des [X.] gilt (vgl. [X.]surteil vom 27. Mai 2009 - [X.]/08 - [X.], 1300 Rn. 44 mwN).

3. Hinsichtlich der Herabsetzung und Befristung des Unterhalts nach § 1578 b Abs. 1, 2 BGB begegnet das Berufungsurteil hingegen durchgreifenden Bedenken. Dass die Vorschrift des § 1578 [X.] entgegen der Auffassung der Revision nicht verfassungswidrig ist, hat der [X.] bereits entschieden ([X.]surteil vom 30. Juni 2010 - [X.] - [X.], 1414 Rn. 14).

a) Die Befristung oder Herabsetzung des nachehelichen Unterhalts wegen Unbilligkeit nach § 1578 b Abs. 1, 2 BGB hängt insbesondere davon ab, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Solche Nachteile können sich vor allem aus der Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes, aus der Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe sowie aus der Dauer der Ehe ergeben (§ 1578 b Abs. 1 Satz 2, 3 BGB).

aa) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger als Unterhaltsschuldner, der sich mit der Befristung auf eine prozessuale Einwendung beruft, die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der für eine Befristung sprechenden Tatsachen trägt ([X.]surteil BGHZ 185, 1 = [X.], 875 Rn. 18 mwN). In die Darlegungs- und Beweislast des Unterhaltspflichtigen fällt grundsätzlich auch der Umstand, dass dem Unterhaltsberechtigten keine ehebedingten Nachteile im Sinne von § 1578 [X.] entstanden sind.

Die dem Unterhaltspflichtigen obliegende Darlegungs- und Beweislast erfährt jedoch Erleichterungen nach den von der Rechtsprechung zum Beweis negativer Tatsachen entwickelten Grundsätzen. Entsprechend der - nach Erlass des Berufungsurteils weiterentwickelten - Rechtsprechung des [X.]s trifft den Unterhaltsberechtigten im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des [X.] zum Beweis negativer Tatsachen eine sogenannte sekundäre Darlegungslast ([X.]surteil BGHZ 185, 1 = [X.], 875 Rn. 18 mwN). Diese hat im Rahmen von § 1578 [X.] zum Inhalt, dass der Unterhaltsberechtigte die Behauptung, es seien keine ehebedingten Nachteile entstanden, substanziiert bestreiten und seinerseits darlegen muss, welche konkreten ehebedingten Nachteile entstanden sein sollen. Erst wenn das Vorbringen des Unterhaltsberechtigten diesen Anforderungen genügt, müssen die vorgetragenen ehebedingten Nachteile vom Unterhaltspflichtigen widerlegt werden ([X.]surteile BGHZ 185, 1 = [X.], 875 Rn. 23 und vom 20. Oktober 2010 - [X.]/09 - [X.], 2059 Rn. 24).

Der [X.] verkennt nicht, dass hierzu regelmäßig eine hypothetische Betrachtung angestellt werden muss und diese gerade dann auf unsicherer Tatsachengrundlage steht, wenn der Unterhaltsberechtigte bei Eheschließung noch am Beginn seiner beruflichen Entwicklung stand und die Ehe lange gedauert hat (vgl. [X.], 304 f.). Diesbezügliche Schwierigkeiten sind aber im Rahmen der an die sekundäre Darlegungslast zu stellenden Anforderungen zu bewältigen, welche nicht überspannt werden dürfen ([X.]surteil vom 20. Oktober 2010 - [X.]/09 - [X.], 2059 Rn. 32 f.) und den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung tragen müssen. Insoweit besteht für die Tatsachengerichte zudem ein Spielraum durch die Anwendung von [X.] in dem jeweiligen Berufsfeld wie auch die Berücksichtigung tariflicher Regelungen. Dies entbindet allerdings nicht von der Darlegung konkreter beruflicher Entwicklungsmöglichkeiten und bei behauptetem beruflichen Aufstieg zudem der entsprechenden Bereitschaft und Eignung des Unterhaltsberechtigten (vgl. [X.]surteil vom 20. Oktober 2010 - [X.]/09 - [X.], 2059 Rn. 33). Die Darlegungen müssen so konkret sein, dass die für den Unterhaltsberechtigten seinerzeit vorhandenen beruflichen Entwicklungschancen und seine persönlichen Fähigkeiten - etwa auch anhand vergleichbarer Karrieren - vom Familiengericht auf ihre Plausibilität überprüft werden können und der Widerlegung durch den Unterhaltspflichtigen zugänglich sind ([X.]surteile BGHZ 185, 1 = [X.], 875 Rn. 23 und vom 20. Oktober 2010 - [X.]/09 - [X.], 2059 Rn. 24).

bb) Diesen Anforderungen an den substanziierten Vortrag [X.] Nachteile hat das Berufungsurteil nicht hinreichend Rechnung getragen. Nach dem vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Vorbringen mangelt es an konkreten Darlegungen der [X.], welche beruflichen Nachteile ihr aufgrund der ehebedingten Berufspause entstanden sein sollen.

Das Berufungsgericht ist statt dessen ohne näheren Vortrag der [X.] davon ausgegangen, dass das Entstehen [X.] Nachteile nicht ausgeschlossen werden könne, weil die Beklagte nicht (mehr) in der Lage sei, in dem von ihr einmal erlernten Beruf vollschichtig zu arbeiten, und die Möglichkeit offenbleibe, dass ihre Chancen im Erwerbsleben ohne Ehe und Kinderbetreuung besser wären, als sie es tatsächlich seien. Eine solche Annahme wird in dieser Allgemeinheit aber den Anforderungen an einen substanziierten Sachvortrag nicht gerecht. Sie wäre für den beweisbelasteten Kläger auch nicht in zumutbarer Weise zu widerlegen.

Hierzu hätte es vielmehr des Vorbringens der [X.] bedurft, welche berufliche Entwicklung sie ohne die Eheschließung und die Übernahme der [X.] geplant oder zu erwarten gehabt hätte, welche Aufstiegs- und Qualifizierungsmöglichkeiten in ihrem speziellen Berufsfeld für sie bestanden hätten und ob sie hierfür eine genügende Bereitschaft aufgebracht hätte. Zudem ist in Rechnung zu stellen, dass sich aus anderen als in der ehelichen Rollenverteilung begründeten Ursachen keine ehebedingten Nachteile ergeben können. Insoweit hat das Berufungsgericht etwa angeführt, dass sich der Arbeitsmarkt in der Textilindustrie zunehmend verschlechtert habe, was jedenfalls gegen einen nachhaltigen Aufstieg der [X.] im Beruf der Damenschneiderin sprechen dürfte. Zudem sind auch gesundheitlich bedingte Einschränkungen regelmäßig nicht ehebedingt (vgl. [X.]surteile [X.], 43 = [X.], 406 Rn. 33; vom 30. Juni 2010 - [X.] - [X.], 1414 Rn. 18 und vom 7. Juli 2010 - [X.]/08 - FamRZ 2011, 188 Rn. 20).

Bei der Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte hätte sich bei zunehmend verschlechterten Möglichkeiten ohne die eheliche Rollenverteilung schon früher für einen Wechsel in ihr heutiges Berufsfeld entschieden, mangelt es schon an einer konkreten Darstellung, welche besseren Entwicklungsmöglichkeiten in diesem Fall bestanden hätten. Auch insoweit ist der [X.] eine konkrete Darlegung zumutbar. Ihr Vorbringen, dass sie ohne Eheschließung [X.] gemacht und sogar eine Leitungsposition in einer Textilfabrik erlangt hätte, hat das Berufungsgericht zwar bezweifelt, aber letztlich offengelassen, so dass es insoweit auch in der Revisionsinstanz nicht abschließend beurteilt werden kann.

Mit ihrem vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Sachvortrag hat die Beklagte demnach nicht ausreichend dargelegt, worin ein [X.] Nachteil liegen soll. Falls die Beklagte, wie bereits im vorausgegangenen Urteil des Berufungsgerichts aus dem [X.] angenommen, außerhalb ihres jetzigen [X.] nur als [X.] vermittelbar wäre und dann kein höheres Einkommen erzielen könnte, fehlt es an einer Begründung, dass ihre heutige Arbeitsstelle ihr nicht das Einkommensniveau bietet, das sie ohne die eheliche Rollenverteilung erzielen könnte. Dass sie nur mit 30 Wochenstunden und nicht vollschichtig arbeiten muss, liegt nach den Feststellungen des Berufungsgerichts darin begründet, dass ihr wegen der fortbestehenden gesundheitlichen Einschränkungen eine Ausdehnung ihrer Erwerbstätigkeit nicht zumutbar sei. Die gesundheitlichen Einschränkungen sind aber vom Berufungsgericht als [X.] Nachteil zutreffend ausgeschlossen worden.

cc) Auf der Grundlage des bisherigen Vortrags der [X.] durfte das Berufungsgericht nicht vom - nicht widerlegten - Bestehen [X.] Nachteile ausgehen.

b) Die zur Feststellung [X.] Nachteile erhobenen Beanstandungen ergreifen auch die vom Berufungsgericht vorgenommene Herabsetzung des Unterhalts. Gemäß der - ebenfalls nach dem angefochtenen Urteil ergangenen - Rechtsprechung des [X.]s bemisst sich der angemessene Lebensbedarf, der nach § 1578 b Abs. 1 BGB regelmäßig die Grenze für die Herabsetzung des nachehelichen Unterhalts bildet, nach dem Einkommen, das der unterhaltsberechtigte Ehegatte ohne die Ehe und Kindererziehung aus eigenen Einkünften zur Verfügung hätte. Aus dem Begriff der Angemessenheit folgt aber zugleich, dass es sich grundsätzlich um einen Bedarf handeln muss, der das Existenzminimum wenigstens erreicht ([X.]surteile vom 14. Oktober 2009 - [X.]/08 - [X.], 1990 Rn. 14; vom 17. Februar 2010 - [X.]/08 - [X.], 629 Rn. 29 und vom 29. Juni 2011 - [X.]/09 - zur Veröffentlichung bestimmt Rn. 27 f.).

Mit welchem Betrag nach diesen Maßstäben der angemessene Lebensbedarf der [X.] zu veranschlagen ist, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Seine [X.] kann daher nicht nachvollzogen werden. Dass es den Betrag von 1.100 €, der in der seinerzeit gültigen [X.] Tabelle und den Leitlinien der Oberlandesgerichte als angemessener Selbstbehalt ausgewiesen war, als Mindestbetrag betrachtet hat, lässt sich der Begründung des Berufungsurteils nicht entnehmen. Schon aus der mit 30 Wochenstunden aktuell ausgeübten Tätigkeit der [X.] ergibt sich hingegen ein Nettoeinkommen von rund 1.140 € und nach Abzug berufsbedingter Fahrtkosten von rund 950 €. Dieser Betrag könnte im Fall des Fehlens [X.] Nachteile dem angemessenen Lebensbedarf der [X.] bereits entsprechen, zumal die gesundheitsbedingten Erwerbseinbußen der [X.] - wie ausgeführt - nicht ehebedingt sind.

III.

Das Berufungsurteil ist demnach - soweit im Rahmen der eingelegten Revision zum Nachteil des [X.] entschieden worden ist - aufzuheben. Dem [X.] ist es nicht möglich, in der Sache abschließend zu entscheiden, weil weitere tatrichterliche Feststellungen und Würdigungen erforderlich sind.

IV.

Für das weitere Verfahren, weist der [X.] darauf hin, dass das Berufungsgericht der [X.] für die erneut anzustellende Billigkeitsabwägung Gelegenheit zu weiterem Vortrag zu geben hat, um etwaige ehebedingte Nachteile begründen zu können.

Sollten ehebedingte Nachteile nicht ausreichend vorgetragen sein oder vom Kläger widerlegt werden, steht damit noch nicht fest, dass und in welchem Umfang der Unterhalt herabzusetzen oder zu befristen ist. Ob bei fehlenden ehebedingten Nachteilen eine Herabsetzung des [X.] nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB) auf den angemessenen Lebensbedarf (§ 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB) in Betracht kommt, ist gemäß § 1578 [X.] vielmehr im Wege einer umfassenden Billigkeitsabwägung zu bestimmen, die dem Tatrichter obliegt. Dabei ist auch eine über die Kompensation [X.] Nachteile hinausgehende nacheheliche Solidarität zu berücksichtigen ([X.]surteile vom 6. Oktober 2010 - [X.]/08 - [X.], 1971 Rn. 21; vom 17. Februar 2010 - [X.]/08 - [X.], 629 Rn. 21 und vom 21. September 2011 - [X.]/09 - zur Veröffentlichung bestimmt Rn. 23 f.). Das Maß der Solidarität bestimmt sich neben der Ehedauer vor allem durch die wirtschaftliche Verflechtung, die durch Aufgabe einer eigenen Erwerbstätigkeit wegen der Betreuung gemeinsamer Kinder oder der Haushaltsführung eingetreten ist und nicht zuletzt auch durch die von der Unterhaltsberechtigten erbrachte Lebensleistung ([X.]surteil vom 30. Juni 2010  [X.] - [X.], 1414 Rn. 28). Zudem sind - wie vom Berufungsgericht bereits praktiziert - die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien einzubeziehen sowie die Dauer und Höhe des bereits geleisteten Unterhalts. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass sich das Berufungsurteil auch bei fehlenden ehebedingten Nachteilen nach erneuter Würdigung im Ergebnis als richtig erweist.

Dose                                                   Weber-Monecke                                        Klinkhammer

                        Schilling                                                            [X.]

Meta

XII ZR 162/09

26.10.2011

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Hamm, 19. August 2009, Az: II-8 UF 33/09, Urteil

§ 1578b BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.10.2011, Az. XII ZR 162/09 (REWIS RS 2011, 1978)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1978

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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