Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10.09.2020, Az. 3 C 13/19

3. Senat | REWIS RS 2020, 4217

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Gegenstand

Ruhen der ärztlichen Approbation nur bei konkreter Gefahr im Zeitraum bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens


Leitsatz

Das Ruhen der Approbation eines Arztes darf nur angeordnet werden, wenn dies zur Abwehr einer konkreten, bereits vor dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens drohenden Gefahr für ein wichtiges Gemeinschaftsgut erforderlich und verhältnismäßig ist.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] für das [X.] vom 4. Juni 2019 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung des Ruhens seiner ärztlichen [X.].

2

Der 1958 geborene Kläger ist approbierter Arzt; er betreibt als niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin mit zwei weiteren Ärzten eine Gemeinschaftspraxis in [X.] Aufgrund der Strafanzeige eines Landesverbands von Betriebskrankenkassen leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen ihn und weitere Beschuldigte ein und klagte den Kläger im Jahr 2015 u.a. wegen Beihilfe zum Betrug an. Ihm wurde insbesondere zur Last gelegt, im Zeitraum von 2008 bis 2014 in rund 550 Fällen unrichtige Gesundheitszeugnisse ausgestellt und damit den Erhalt unberechtigter Leistungen von Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung im Umfang von mehr als 800 000 € gefördert zu haben.

3

Mit Bescheid vom 26. September 2016 ordnete die [X.] nach Anhörung des [X.] das Ruhen seiner [X.] als Arzt an und forderte ihn auf, die Original-[X.]surkunde spätestens zwei Wochen nach Bestandskraft der Verfügung zu übergeben. Die dem Kläger in den Anklageschriften vorgeworfenen Straftaten seien geeignet, sowohl seine Unwürdigkeit als auch die Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs zu begründen. Mit der Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse werde nicht nur die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems gefährdet, sondern auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität der [X.] erschüttert. Häufigkeit, Dauer und Schwere der dem Kläger zur Last gelegten Taten ließen in der Gesamtbetrachtung die Prognose zu, dass er auch künftig seine Pflichten als Arzt nicht in hinreichendem Maß erfüllen werde. Eine Fortdauer seiner ärztlichen Tätigkeit begründe die konkrete Gefahr weiterer finanzieller Schäden in der Gesundheitsversorgung sowie einer weiteren Schädigung des Vertrauens der Öffentlichkeit in die [X.]. Aus den Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft ergebe sich auch eine hinreichende [X.]; in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens sei daher das Ruhen der [X.] anzuordnen.

4

Die vom Kläger hiergegen erhobene Klage hat das [X.] abgewiesen. Die wahrheitsgemäße Ausstellung von [X.] gehöre zu den beruflichen Pflichten eines Arztes. Diese ärztliche Tätigkeit sei fremder Kontrolle weitgehend entzogen; den Arzt treffe daher eine erhöhte Verantwortlichkeit, die gemäß § 278 StGB als Sonderdelikt strafbewehrt sei. Der Rechtsverkehr müsse sich auf die Richtigkeit ärztlicher Atteste verlassen können. Unabhängig hiervon begründe der strafrechtliche Vorwurf auch die Annahme der Unwürdigkeit, weil der Kläger das für die ärztliche Berufsausübung erforderliche Vertrauen zerstört habe. Die Behörde sei schon während des Strafverfahrens zum Erlass von Maßnahmen ermächtigt, um Patienten und die Allgemeinheit rasch zu schützen. Die Anordnung des Ruhens der [X.] betreffe stets Fälle, in denen die Unzuverlässigkeit oder Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs noch nicht festgestellt sei. Erforderlich aber ausreichend zur Regelung des [X.] sei deshalb eine hinreichende [X.]. Sie werde mit der Anklageerhebung indiziert; im Übrigen lägen mit den Zeugenaussagen der Arzthelferinnen, der festgestellten Überlassung des Kartenlesegeräts für Krankenversicherungskarten an einen Mitangeklagten und den weiteren Ergebnissen der staatsanwaltschaftlichen Anklage hinreichende Indizien vor, die der Kläger mit seinen Einwendungen nicht erschüttert habe.

5

Auf die Berufung des [X.] hat das Oberverwaltungsgericht für das [X.] die erstinstanzliche Entscheidung geändert und den Bescheid des Beklagten aufgehoben. Nachdem der Kläger zwischenzeitlich durch Urteil der [X.] des [X.] vom 8. Februar 2019 wegen Beihilfe zum Betrug in 30 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten sowie wegen Beihilfe zum versuchten Betrug in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden sei, müsse von einer hinreichenden [X.] ausgegangen werden. Die den Verurteilungen zugrundeliegenden Taten seien auch geeignet, die Annahme der Unzuverlässigkeit und Unwürdigkeit zu tragen. Die Anordnung des Ruhens seiner [X.] erweise sich gleichwohl als ermessensfehlerhaft, weil es derzeit an einer konkreten Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter fehle. Tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass der offensichtlich weiter in geordneten Verhältnissen lebende Kläger bis zum Abschluss des Strafverfahrens seine ärztliche Tätigkeit für vermögensschädigende Handlungen zu Lasten der Krankenkassen ausnutzen werde, habe der Beklagte nicht beigebracht. Art und Schwere der dem Kläger vorgeworfenen Taten allein indizierten eine Wiederholungsgefahr aber nicht. Schließlich spreche auch nichts dafür, dass der Druck des noch laufenden Strafverfahrens sowie des drohenden Verfahrens auf Widerruf der [X.] nicht bereits genüge, um sicherzustellen, dass der Kläger während des maßgeblichen Zeitraums keine Abrechnungsbetrügereien begehe. Auch das Vertrauen der Bevölkerung in eine ordnungsgemäße Gesundheitsversorgung werde ohne den Erlass der [X.] nicht konkret gefährdet. Weder beträfen die Straftaten das unmittelbare Arzt-Patienten-Verhältnis noch würden medizinische Kompetenzen des [X.] in Frage gestellt. Der allgemeine Schutz des Ansehens der [X.] könne die schwerwiegende Präventivmaßnahme eines Berufsverbots nicht rechtfertigen.

6

Der Beklagte hat die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, die angegriffene Entscheidung verkenne den zutreffenden Maßstab; sie binde die Anordnung des Ruhens der [X.] an dieselben Anforderungen, die für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gelten würden. Anders als in den zitierten Entscheidungen des [X.] gehe es vorliegend aber nicht um eine Maßnahme des vorläufigen Rechtsschutzes. Die [X.] könne erst nach Abschluss einer vollständigen gerichtlichen Überprüfung vollzogen werden und beruhe damit auf einer im Hauptsacheverfahren gesicherten Grundlage. Soweit das Berufungsgericht eine konkrete Wiederholungsgefahr verneine, habe es überdies verkannt, dass die - von ihm selbst ausdrücklich bejahte - Unzuverlässigkeit auf einer Gefahrenprognose für das zukünftige Handeln beruhe. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt habe, ergebe sich im Übrigen aus den in Rede stehenden Straftaten auch eine konkrete Wiederholungsgefahr. Allein der Umstand, dass während des anhängigen Gerichtsverfahrens keine weiteren Verstöße bekannt geworden seien, entkräfte dies nicht. Im Übrigen habe die Staatsanwaltschaft inzwischen ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen den Kläger eingeleitet, weil er einem Patienten im Dezember 2018 ein Kilogramm [X.] verschrieben habe, das auch als Streckmittel für Kokain verwendet werde. Im Übrigen werde durch die fortdauernde Berufsausübung des [X.] auch das Vertrauen in die [X.] konkret gefährdet.

7

Der Kläger tritt der Revision entgegen. Für die Eingriffsintensität einer [X.] komme es nicht darauf an, ob hierüber im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes oder im Hauptsacheverfahren entschieden werde. Als Ordnungsverfügung diene die [X.] der Abwehr von konkreten Gefahren, deren Bestehen das Berufungsurteil zu Recht verneint habe. Aus der vom Beklagten im Revisionsverfahren erwähnten Verschreibung könne sich schon deshalb keine Wiederholungsgefahr ergeben, weil dieser Vorwurf ganz andere Fragestellungen betreffe und sich nicht auf die abgeurteilten Straftaten beziehe. Die Feststellungen des Strafgerichts dürften im Übrigen nicht ungeprüft übernommen werden, weil der Kläger Revision eingelegt habe und das Urteil noch nicht rechtskräftig sei.

8

Der Vertreter des [X.] beim [X.] beteiligt sich an dem Verfahren und trägt in Übereinstimmung mit dem [X.] vor, die in der Bundesärzteordnung im Interesse des Gesundheitsschutzes vorgesehene Regelung zum Ruhen der [X.] drohe leerzulaufen, wenn von den Gerichten zu hohe Anforderungen an das Vorliegen einer konkreten Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter gestellt würden.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des Beklagten, über die im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist nicht begründet. Das angegriffene Berufungsurteil verstößt nicht gegen [X.] (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Beklagte ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen für die Anordnung des Ruhens einer ärztlichen [X.] erfüllt sind (1.). Die Verfügung bewirkt indes ein vorläufiges Berufsverbot und ist daher an zusätzliche verfassungsrechtliche Vorgaben gebunden. Da die Tatsachengrundlage vor dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens nicht abschließend geklärt ist, darf das Ruhen einer ärztlichen [X.] nur angeordnet werden, um konkreten Gefahren zu begegnen, die bereits im Zwischenzeitraum bis zum Abschluss des Strafverfahrens drohen (2.). Eine solche Gefahrenlage hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei verneint (3.).

1. Maßgeblich für die Überprüfung einer Verfügung, mit der das Ruhen einer ärztlichen [X.] angeordnet wurde, ist § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Bundesärzteordnung in der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltenden Fassung (a). Die Vorschrift setzt eine hinreichende [X.] (b) in Bezug auf Straftaten voraus, die das Potential für einen Widerruf der [X.] wegen Unzuverlässigkeit oder Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs haben (c).

a) Die Anordnung des Ruhens einer ärztlichen [X.] ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtslage ist daher derjenige der gerichtlichen Entscheidung.

Durch das Ruhen seiner [X.] wird dem Arzt zwar nicht die mit der [X.] verliehene Rechtsstellung entzogen. Er darf weiterhin seine Berufsbezeichnung führen und bleibt auch Mitglied der [X.]; demgemäß bedarf es nachfolgend auch keiner Neuerlangung der [X.] (vgl. [X.], in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], Handbuch des [X.], 5. Aufl. 2019, § 8 Rn. 78). Das Ruhen der ärztlichen [X.] hat aber zur Folge, dass dem Inhaber die Ausnutzung der mit der Rechtsstellung verbundenen Befugnisse vorläufig verboten ist. Die Untersagung beschränkt sich nicht auf den Erlasszeitpunkt, sondern ist auf die Dauer des laufenden Strafverfahrens angelegt. Dementsprechend verpflichtet § 6 Abs. 2 der Bundesärzteordnung die Behörde, ihre Verfügung unter Kontrolle zu halten.

Rechtsänderungen bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sind folglich zu berücksichtigen (vgl. [X.], Beschluss vom 25. April 2018 - 21 ZB 17.311 - juris Rn. 10; [X.], Beschluss vom 21. Oktober 2016 - 13 B 893/16 [[X.]:[X.]:[X.]] - juris Rn. 5). Maßgebend für die Entscheidung des [X.] sind gemäß § 137 Abs. 2 VwGO die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil ([X.], Urteil vom 13. Juni 2019 - 3 C 28.16 [[X.]:[X.]:[X.]] - [X.]E 166, 32 Rn. 11).

Rechtsgrundlage für die gerichtliche Überprüfung der [X.] ist damit § 6 Abs. 1 Nr. 1 der [X.] - vom 16. April 1987 ([X.] I S. 1218) in der aktuellen Fassung des [X.] ([X.] I S. 1307).

b) Die Vorschrift setzt nicht nur ein eingeleitetes Strafverfahren, sondern eine hinreichende [X.] voraus.

Die verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit der Berufswahl umfasst nicht nur die Entscheidung über den Eintritt in den Beruf, sondern auch die Entscheidung darüber, ob und wie lange ein Beruf ausgeübt werden soll ([X.], Beschluss vom 2. März 1977 - 1 BvR 124/76 - [X.]E 44, 105 <117> m.w.N.). Bereits der mit der Anordnung des Ruhens der ärztlichen [X.] verbundene Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG ist daher nur zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft. Die obergerichtliche Rechtsprechung verlangt für die Anordnung des Ruhens einer ärztlichen [X.] zu Recht nicht nur ein eingeleitetes Strafverfahren, sondern auch eine hohe oder hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass das strafgerichtliche Verfahren zu einer Verurteilung des Arztes wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe in ihrem wesentlichen [X.] führen wird (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Juli 1991 - 9 S 1227/91 [[X.]:[X.]:[X.]] - NJW 1991, 2366 <2367>; [X.], Beschluss vom 16. März 2004 - 8 [X.]/03 [[X.]:[X.]:OVGNI:2004:0316.8ME164.03.0A] - NJW 2004, 1750 <1751>; OVG [X.], Urteil vom 29. November 2005 - 1 R 12/05 [[X.]:[X.]:[X.]] - [X.] 2006, 661 <663>).

Die Erfüllung dieser Anforderung wird regelmäßig durch den Eröffnungsbeschluss indiziert, der gemäß § 203 StPO nur erlassen werden darf, wenn der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Es ist nicht Aufgabe der Verwaltungsgerichte, einen parallelen Strafprozess mit eigenständiger Amtsermittlung zu führen (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Juli 2013 - 13 A 1300/12 [[X.]:[X.]:OVGNRW:2013:0719.13A1300.12.00] - [X.] 2014, 180 <182>). Dass das Berufungsgericht hier eine hinreichende [X.] mit Blick auf die bereits erfolgte, aber noch nicht rechtskräftige Verurteilung des [X.] wegen Beihilfe zum Betrug bejaht hat, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

c) Aus dem Verdacht der Straftat, die Gegenstand des Strafverfahrens ist, muss sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit des Arztes zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergeben können; die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit müssen also nicht feststehen. Allein auf der Grundlage des bloßen Verdachts dürfte eine solche Feststellung auch nicht getroffen werden; dass der Arzt wegen der Begehung einer Straftat unwürdig oder unzuverlässig ist, kann erst nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens im Verfahren über den Widerruf der ärztlichen [X.] festgestellt werden. Zu berücksichtigen sind dabei nicht nur die im Strafverfahren festgestellten Tatsachen, sondern auch alle weiteren bis zur Entscheidung über den Widerruf eingetretenen Umstände, die für die Beurteilung der Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit von Bedeutung sind. Für die Anordnung des Ruhens der ärztlichen [X.] ist erforderlich und ausreichend, dass die dem Arzt vorgeworfenen Straftaten - eine rechtskräftige Verurteilung unterstellt - die Unzuverlässigkeit oder Unwürdigkeit des Arztes zur Ausübung seines Berufs ergeben können. Die dem Arzt im Strafverfahren zur Last gelegten Taten müssen nach Art, Schwere und Anzahl das Potential haben, den Widerruf der ärztlichen [X.] zu begründen.

Von diesem Maßstab ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat die Begriffe der Unzuverlässigkeit und der Unwürdigkeit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des [X.] (vgl. zum Schutz der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung [X.], [X.] vom 28. August 2007 - 1 BvR 1098/07 - [X.]K 12, 72 <78>) und des [X.] ausgelegt und - ausgehend hiervon - das Gewicht der dem Kläger zur Last gelegten Taten geprüft. Seine tatrichterliche Würdigung ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

2. Die Anordnung des Ruhens der ärztlichen [X.], die ein vorläufiges Berufsverbot für den Betroffenen bewirkt, ist zusätzlichen Anforderungen unterworfen. Art. 12 Abs. 1 GG lässt einen derartigen Eingriff in die Freiheit der Berufswahl als Präventivmaßnahme nur zur Abwehr konkreter, bereits vor dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens drohender Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter zu.

a) Nach der Rechtsprechung des [X.] können es überwiegende öffentliche Belange ausnahmsweise rechtfertigen, den [X.] einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Wegen der mit einer solchen Maßnahme verbundenen Eingriffsintensität sind hierfür jedoch nur solche Gründe ausreichend, die im angemessenen Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen und die ein Zuwarten bis zur Rechtskraft des Hauptverfahrens ausschließen. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von der Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit konkrete Gefahren für die geschützten Rechtsgüter befürchten lässt (vgl. grundlegend [X.], [X.] vom 16. Januar 1991 - 1 BvR 1326/90 - NJW 1991, 1530 <1531> sowie zuletzt etwa [X.] vom 8. September 2017 - 1 BvR 1657/17 [[X.]:[X.]:[X.]:2017:rk20170908.1bvr165717] - [X.] 2017, 739 <740> m.w.N.).

Diese Anforderungen sind in der ständigen Rechtsprechung des [X.] für die Anordnung der sofortigen Vollziehung geklärt (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2157/07 - NJW 2008, 1369 <1369> m.w.N.). Angesichts des Charakters als vorläufige Maßnahme muss auch die Anordnung des Ruhens der ärztlichen [X.] diesen Voraussetzungen entsprechen ([X.], [X.] vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2157/07 - NJW 2008, 1369 <1371>; ähnlich bereits [X.] vom 4. Oktober 2006 - 1 BvR 2403/06 - juris Rn. 15 und vom 2. April 2007 - 1 BvR 2403/06 - juris Rn. 9).

Aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG dürfte sich das allerdings nicht ergeben. Anders als die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann die Anordnung des Ruhens einer ärztlichen [X.] vor ihrem Wirksamwerden in einem verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren - ggf. also wie hier über drei Instanzen hinweg - einer gerichtlichen Kontrolle unterworfen werden. Der Rechtsschutzanspruch des Betroffenen wird, anders als in den Fällen des Eilrechtsschutzes, nicht einstweilen zurückgestellt (vgl. hierzu [X.], [X.] vom 23. November 2009 - 1 BvR 2709/09 [[X.]:[X.]:[X.]:2009:rk20091123.1bvr270909] - BayVBl 2010, 275 Rn. 6 und vom 8. April 2010 - 1 BvR 2709/09 [[X.]:[X.]:[X.]:2010:rk20100408.1bvr270909] - [X.]K 17, 228 <232>).

Die verfassungsrechtlichen Anforderungen folgen aber aus Art. 12 Abs. 1 GG, weil auch die Anordnung des Ruhens einer ärztlichen [X.] ein vorläufiges Berufsverbot noch vor rechtskräftigem Abschluss des gerichtlichen Verfahrens - hier bezogen auf das den Vorwürfen zugrundeliegende Strafverfahren - zur Folge hat. Auch im Fall der [X.] ist der maßgebliche Sachverhalt noch nicht abschließend geklärt. Die besondere Eingriffsintensität einer gleichwohl für den Zwischenzeitraum verhängten Maßnahme ist mit derjenigen im Fall der Anordnung der sofortigen Vollziehung vergleichbar (vgl. hierzu [X.], [X.] vom 29. Dezember 2004 - 1 BvR 2820/04 u.a. [[X.]:[X.]:[X.]:2004:rk20041229.1bvr282004] - juris Rn. 14 und vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2157/07 - NJW 2008, 1369 <1369>).

Die hohe Wahrscheinlichkeit einer strafgerichtlichen Verurteilung wegen Straftaten, aus denen sich die Unzuverlässigkeit oder Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergeben kann, genügt mithin nicht, um die Anordnung des Ruhens der ärztlichen [X.] zu rechtfertigen. Das Ruhen der ärztlichen [X.] darf nur angeordnet werden, wenn dies zur Abwehr einer konkreten, bereits vor dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens drohenden Gefahr für ein wichtiges Gemeinschaftsgut erforderlich und verhältnismäßig ist.

b) Für die Anordnung des Ruhens der ärztlichen [X.] wegen einer möglichen Unzuverlässigkeit des Arztes müssen hiernach tatsächliche Anhaltspunkte dafür belegt werden, dass der Betroffene seine Berufspflichten in nächster Zeit verletzen wird und welche konkreten Gefahren insoweit drohen (vgl. [X.], [X.] vom 16. Januar 1991 - 1 BvR 1326/90 - NJW 1991, 1530 <1531> und vom 4. Oktober 2006 - 1 BvR 2403/06 - juris Rn. 19). Nur dann erweist sich die [X.], die gerade auf den Zeitraum bis zum Abschluss des strafgerichtlichen Verfahrens bezogen ist, als erforderlich. Sofern bereits aus anderen Gründen von einer Verhaltensänderung ausgegangen werden kann - etwa, weil während des [X.] des strafgerichtlichen Verfahrens mit einem Wohlverhalten des Betroffenen zu rechnen wäre (vgl. [X.], [X.] vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2157/07 - NJW 2008, 1369 <1371>) -, ist kein Anlass für Sicherungsmaßnahmen in Bezug auf diesen Zwischenzeitraum gegeben.

Die zur Begründung einer konkreten Wiederholungsgefahr erforderlichen Anhaltspunkte können sich auch aus den [X.] ergeben (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Juli 1991 - 9 S 1227/91 - NJW 1991, 2366 <2367>; [X.], Beschluss vom 26. Juli 2010 - 21 CS 10.1334 [[X.]:[X.]:[X.]] - juris Rn. 8; OVG [X.], Urteil vom 29. November 2005 - 1 R 12/05 - [X.] 2006, 661 <667>). Ob deren Indizwirkung ausreicht, um eine Wiederholungsgefahr für die Zeit bis zum Abschluss des Strafverfahrens zu begründen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. zur Indizwirkung im Bereich des Beamtendisziplinarrechts [X.], Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 [[X.]:[X.]:[X.]:2020:rs20200114.2bvr205516] - [X.]E 152, 345 Rn. 79).

c) Auch im Hinblick auf eine etwaige Unwürdigkeit des Arztes zur Ausübung seines Berufs darf das Ruhen der ärztlichen [X.] nur angeordnet werden, wenn dies zur Abwehr einer konkreten, bereits vor dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens drohenden Gefahr für ein wichtiges Gemeinschaftsgut erforderlich und verhältnismäßig ist.

Der Widerruf einer ärztlichen [X.] wegen Unwürdigkeit bezweckt, das Ansehen der [X.] in den Augen der Öffentlichkeit zu schützen, um das für jede Heilbehandlung unabdingbare Vertrauen der Patienten in die Integrität der Personen aufrecht zu erhalten, denen mit der ärztlichen [X.] die staatliche Erlaubnis zur selbstständigen Ausübung der Heilkunde verliehen ist und in deren Behandlung sich die Patienten begeben (stRspr, vgl. zuletzt [X.], Beschluss vom 31. Juli 2019 - 3 B 7.18 [[X.]:[X.]:[X.]:2019:310719B3B7.18.0] - [X.] 418.00 Ärzte Nr. 118 Rn. 12 m.w.N.).

Für die zur Anordnung des Ruhens einer ärztlichen [X.] wegen Unwürdigkeit erforderliche Begründung einer konkreten Gefahr gelten nach der Rechtsprechung des [X.] strenge Anforderungen. Dies findet seinen Grund in der Annahme, dass der angestrebte Schutz des Vertrauens in die [X.] bei Ablehnung präventiver Maßnahmen nicht vereitelt, sondern nur aufgeschoben werde (vgl. [X.], [X.] vom 23. November 2009 - 1 BvR 2709/09 - BayVBl 2010, 275 Rn. 11 und vom 1. August 2017 - 1 BvR 1657/17 - juris Rn. 3). Zugleich verweist das [X.] auf die "praktisch irreparablen beruflichen Folgen", die sich für den betroffenen Arzt beim vorübergehenden Verlust der Praxis, seines [X.] und seines Rufs sowie aus der etwaigen Kündigung seiner Kreditlinien ergeben könnten ([X.], Beschlüsse vom 28. August 2007 - 1 BvR 2157/07 - juris Rn. 26 und vom 8. April 2010 - 1 BvR 2709/09 - [X.]K 17, 228 <233>).

3. Diese rechtlichen Maßstäbe hat auch das Berufungsgericht zugrunde gelegt. Dass es im vorliegenden Einzelfall eine konkrete, bereits vor dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens drohende Gefahr für das Vermögen der Krankenkassen (a) und das Vertrauen in die [X.] (b) verneint hat, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

a) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass Art und Schwere des dem Kläger vorgeworfenen Verhaltens die Gefahr weiterer vermögensschädigender Handlungen zu Lasten der Krankenkassen bis zum rechtskräftigen Abschluss des strafgerichtlichen Verfahrens nicht indizierten und es auch keine sonstigen Anhaltspunkte für eine solche Gefahr gebe. Diese tatrichterliche Würdigung des Sachverhalts hält der revisionsgerichtlichen Prüfung stand.

Für den Fall, dass die Verurteilung des [X.] rechtskräftig werden und kein wesentlich neuer Sachverhalt hinzutreten sollte, hat das Berufungsgericht zwar angenommen, dass ihm die erforderliche Zuverlässigkeit fehlen würde, weil sein über nahezu fünf Jahre andauerndes Verhalten in einer Vielzahl von Fällen auf eine verfestigte Neigung schließen lassen würde, sich auch künftig nicht an die beruflichen Pflichten zu halten ([X.]). Hieraus folgt indes kein Widerspruch zur Verneinung einer konkreten Gefahr. Denn aus der unterstellten Neigung folgt nicht zwingend, dass die Gefährdung für das Vermögen der Krankenkassen bereits während des laufenden Strafverfahrens besteht. Vielmehr ist nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts das in erster Linie von den Mitangeklagten installierte System von Scheinfirmen zerschlagen. Überdies lebe der Kläger in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen (a.a.[X.]). Angesichts dieser Umstände ist es vertretbar, anzunehmen, dass der "Druck" des laufenden Strafprozesses und des zu erwartenden Verwaltungsverfahrens über den Widerruf seiner ärztlichen [X.] ausreichen werden, die Einhaltung der Berufspflichten im Zwischenzeitraum bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens sicherzustellen.

b) Eine konkrete Gefahr für das Vertrauen der Bevölkerung in die [X.] durch eine weitere Berufsausübung des [X.] für die Dauer des Strafverfahrens hat das Berufungsgericht verneint, weil die dem Kläger vorgeworfenen Straftaten weder das unmittelbare Arzt-Patienten-Verhältnis berührten noch seine medizinischen Kompetenzen in Frage stellten ([X.]). Der Schutz des Vertrauens werde nicht vereitelt, sondern nur bis zu einer Entscheidung über den Widerruf der [X.] aufgeschoben. Ein unwiederbringlicher Vertrauensverlust sei auch mit Blick auf die Höhe der Verurteilung und die Vielzahl der streitgegenständlichen Straftaten nicht zu befürchten ([X.] f.).

Auch diese tatrichterliche Würdigung des Sachverhalts ist vertretbar und revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Das Strafgericht hat ebenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr gesehen und von der Verhängung eines Berufsverbots nach § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB abgesehen (vgl. Urteil des [X.] vom 8. Februar 2019 - 106 KLs 3/15 - S. 816 f.).

Soweit der Beklagte im Revisionsverfahren auf die Verschreibung einer unüblich großen Menge von [X.] durch den Kläger hingewiesen hat, fehlen hierzu tatsächliche Feststellungen des Berufungsgerichts. Da das angegriffene Urteil nicht auf einer Verletzung von Bundesrecht beruht, besteht auch kein Anlass, die Sache zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Meta

3 C 13/19

10.09.2020

Bundesverwaltungsgericht 3. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 4. Juni 2019, Az: 13 A 897/17, Urteil

Art 12 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 S 1 GG, § 6 Abs 1 Nr 1 BÄO, § 70 StGB, § 132a StPO, § 203 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10.09.2020, Az. 3 C 13/19 (REWIS RS 2020, 4217)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 4217

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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