Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.05.2017, Az. II R 25/15

2. Senat | REWIS RS 2017, 11257

STEUERRECHT STEUERN ERBEN SCHENKUNG BUNDESFINANZHOF (BFH) TESTAMENTE

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Gegenstand

Besteuerung der Abfindung für den Verzicht auf einen künftigen Pflichtteilsanspruch


Leitsatz

Die Besteuerung der Abfindung, die ein künftiger gesetzlicher Erbe an einen anderen Erben für den Verzicht auf einen künftigen Pflichtteilsanspruch zahlt, richtet sich nach der zwischen den Erben maßgebenden Steuerklasse (Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung). Vorerwerbe vom künftigen Erblasser sind nicht zu berücksichtigen.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 26. Februar 2015  3 K 3065/14 Erb aufgehoben.

Der Schenkungsteuerbescheid vom 19. Februar 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. August 2014 wird dahingehend abgeändert, dass die Schenkungsteuer auf 23.647 € festgesetzt wird.

Von den Kosten des gesamten Verfahrens tragen der Kläger 73 % und der Beklagte 27 %.

Tatbestand

I.

1

Der [X.]läger und Revisionsbeklagte ([X.]läger) verzichtete durch notariell beurkundeten Erbschaftsvertrag vom 14. Februar 2006 gegenüber seinen drei [X.] für den Fall, dass er durch letztwillige Verfügung von der Erbfolge seiner [X.]utter ([X.]) ausgeschlossen sein sollte, auf die Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruchs einschließlich etwaiger Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen eine von den [X.] jeweils zu zahlende Abfindung in Höhe von 150.000 €.

2

Nachdem der [X.] ([X.]) mit Urteil vom 16. [X.]ai 2013 II R 21/11 ([X.]E 241, 390, [X.], 922) entschieden hatte, dass die Zahlung der Abfindungen an den [X.]läger nicht als Schenkung der [X.] an diesen, sondern als drei freigebige Zuwendungen der Brüder an den [X.]läger getrennt zu besteuern sind, setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) für die Zuwendung eines Bruders ([X.]) mit Bescheid vom 19. Februar 2014 gegen den [X.]läger Schenkungsteuer in Höhe von 28.405 € fest. Dabei berücksichtigte das [X.] die Abfindung abzüglich anteiliger [X.]osten der Schenkung in Höhe von 520 €. Dem Erwerb rechnete es Vorerwerbe (Schenkungen) von [X.] aus dem [X.] in Höhe von 1.056.232 € hinzu. Hinsichtlich des Freibetrags (205.000 € gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 des [X.] in der im Jahr 2006 geltenden Fassung --ErbStG--) und des Steuersatzes (19 % nach § 19 Abs. 1 ErbStG) ging das [X.] von der im Verhältnis des [X.]lägers zu [X.] geltenden Steuerklasse I Nr. 2 (§ 15 Abs. 1 ErbStG) aus. Für die Vorschenkungen zog es einen Steuerbetrag von 161.728 € ab.

3

Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

4

Das Finanzgericht (FG) setzte die Schenkungsteuer auf 10.810 € herab. Vorerwerbe nach [X.] rechnete es nicht hinzu. Entsprechend dem Antrag des [X.]lägers berücksichtigte es einen Freibetrag i.S. des § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG in Höhe von 51.200 €. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2015, 1108 veröffentlicht.

5

[X.]it seiner Revision rügt das [X.] eine Verletzung der §§ 14, 15 und 16 ErbStG.

6

Das [X.] beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die [X.]lage abzuweisen.

7

Der [X.]läger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

8

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Änderung des [X.] vom 19. Februar 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. August 2014 dahingehend, dass die Schenkungsteuer auf 23.647 € festgesetzt wird (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zwar zutreffend angenommen, dass die Vorerwerbe von M bei der Berechnung der Steuer nicht zu berücksichtigen sind. Entgegen der Auffassung des [X.] ist aber die im Verhältnis des [X.] zu [X.] gemäß § 15 Abs. 1 [X.] geltende Steuerklasse II maßgebend.

9

1. Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 [X.] gilt als Schenkung unter Lebenden jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf [X.]osten des Zuwendenden bereichert wird. Eine freigebige Zuwendung setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass die Leistung zu einer Bereicherung des Bedachten auf [X.]osten des Zuwendenden führt und die Zuwendung objektiv unentgeltlich ist, und in subjektiver Hinsicht den Willen des Zuwendenden zur Freigebigkeit ([X.]-Urteil vom 29. Juni 2016 II R 41/14, [X.], 64, [X.], 865, Rz 9).

a) Schließen künftige gesetzliche Erben einen Vertrag gemäß § 311b Abs. 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB-- (früher § 312 Abs. 2 BGB), wonach der eine auf seine künftigen Pflichtteils([X.])ansprüche gegen Zahlung eines Geldbetrags verzichtet, stellt die Zahlung eine freigebige Zuwendung des Zahlenden i.S. des § 7 Abs. 1 Nr. 1 [X.] dar. Da die Abfindung in einem solchen Fall aus dem Vermögen des künftigen gesetzlichen Erben geleistet wird, liegt eine freigebige Zuwendung von diesem und nicht eine freigebige Zuwendung des künftigen Erblassers an den Empfänger der Abfindung vor (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 390, [X.], 922, Rz 10 f.).

b) Im Hinblick auf die anzuwendende Steuerklasse führte der [X.] in seiner bisherigen Rechtsprechung aus, diese richte sich nicht nach dem Verhältnis des Zuwendungsempfängers ([X.]) zum Zahlenden, sondern zum künftigen Erblasser ([X.]-Urteile vom 25. Mai 1977 II R 136/73, [X.]E 122, 543, [X.] 1977, 733; vom 25. Januar 2001 II R 22/98, [X.]E 194, 440, BStBl II 2001, 456, und in [X.], 390, [X.] 2013, 922). Der Verzicht auf Pflichtteils([X.])ansprüche gegenüber einem anderen gesetzlichen Erben sollte hinsichtlich der Steuerklasse vor Eintritt des Erbfalls nicht anders behandelt werden als nach Eintritt des Erbfalls, bei dem der Verzicht auf die noch nicht geltend gemachten Pflichtteilsansprüche gegen Abfindung gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 4 [X.] nach der Steuerklasse zu bestimmen ist, die im Verhältnis zum Erblasser gilt (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 194, 440, [X.] 2001, 456, unter II.2.d). Zudem sollte es für die anwendbare Steuerklasse keinen Unterschied machen, ob der Verzicht mit dem künftigen Erblasser oder dem anderen gesetzlichen Erben vereinbart wird. Es sollte stets das Verhältnis des [X.] zum künftigen Erblasser zu Grunde gelegt werden.

c) Nach nochmaliger Überprüfung hält der [X.] an dieser Rechtsprechung zur Bestimmung der Steuerklasse nicht mehr fest. Der Streitfall zeigt, dass eine steuerrechtliche Gleichbehandlung des vor und nach dem Erbfall erklärten Verzichts auf Pflichtteils([X.])ansprüche gegenüber anderen gesetzlichen Er-ben nicht möglich ist.

aa) Die vom [X.] verwendete Berechnungsmethode, die bei mehreren Zahlungsverpflichteten den im Verhältnis zum Erblasser maßgebenden Freibetrag bei jeder Abfindung des [X.] berücksichtigt, kann wegen der Vervielfachung des Freibetrags zu einer erheblichen schenkungsteuerrechtlichen Besserstellung des vor dem Erbfall vereinbarten Pflichtteilsverzichts führen. So wären im Streitfall --bei der vom [X.]läger begehrten Nichtberücksichtigung der Vorerwerbe von der künftigen Erblasserin M-- die von seinen [X.] gezahlten Abfindungen von jeweils 150.000 € geringer als der Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 [X.] von jeweils 205.000 €. Schenkungsteuer würde nicht anfallen. Demgegenüber würden die Abfindungen bei einem nach Eintritt des Erbfalls vereinbarten Pflichtteilsverzicht gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 4 Alternative 1 [X.] als von M zugewendet gelten mit der Folge, dass der Freibetrag von 205.000 € nur einmal anzusetzen wäre; für die Abfindungen wäre, soweit sie zusammen 205.000 € übersteigen, Erbschaftsteuer festzusetzen.

bb) Eine Aufteilung des im Verhältnis zum Erblasser maßgebenden Freibetrags nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 [X.] auf die jeweiligen freigebigen Zuwendungen der zur Abfindungszahlung verpflichteten gesetzlichen Erben kann ebenfalls nicht gewährleisten, dass beim Erwerber eine unabhängig vom Zeitpunkt des Pflichtteilsverzichts gleichmäßige Steuerbelastung eintritt. Denn auch hier sind die Abfindungen, die andere gesetzliche Erben leisten, bei einem Pflichtteilsverzicht vor dem Erbfall als freigebige Zuwendungen der anderen gesetzlichen Erben nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 [X.] zu besteuern, während bei einem Pflichtteilsverzicht nach dem Erbfall insoweit ein Erwerb von Todes wegen vom Erblasser nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 [X.] vorliegt. Wegen der progressiven Steuersätze könnte diese Berechnungsmethode eine im Ergebnis gleiche Steuerbelastung allenfalls zufällig erreichen.

cc) Vorerwerbe des [X.] vom künftigen Erblasser können darüber hinaus nur berücksichtigt werden, wenn ein Erwerb vom Erblasser zu besteuern ist, also bei einem nach dessen Tod mit den anderen gesetzlichen Erben vereinbarten Pflichtteilsverzicht gegen Abfindung. § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] betrifft lediglich innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallende Vermögensvorteile. Vom künftigen Erblasser angefallene Vermögensvorteile können daher bei der Besteuerung der Abfindung, die von künftigen gesetzlichen Erben für den vor dem Ableben des Erblassers vereinbarten Pflichtteilsverzicht gezahlt wird, nicht als Vorerwerb berücksichtigt werden. Aus der nach der bisherigen Rechtsprechung gegebenen Anwendbarkeit der Steuerklasse I lässt sich kein vom klaren Wortlaut des § 14 Abs. 1 [X.] abweichendes Ergebnis ableiten.

d) Für die Besteuerung des Erwerbs eines gesetzlichen Erben von einem anderen gesetzlichen Erben aufgrund Verzichts auf künftige Pflichtteils([X.])ansprüche gegen Zahlung eines Geldbetrags ist nach den allgemeinen Regeln das Verhältnis des [X.] zu dem anderen gesetzlichen Erben maßgebend. Die Steuerklasse (§ 15 [X.]) und somit der Freibetrag (§ 16 Abs. 1 [X.]) sowie der Steuersatz (§ 19 [X.]) richten sich nach diesem Verhältnis (Abweichung von [X.]-Urteilen in [X.]E 122, 543, [X.] 1977, 733; in [X.]E 194, 440, [X.] 2001, 456, und in [X.], 390, [X.], 922). Vorerwerbe von dem künftigen Erblasser sind nicht nach § 14 [X.] für die Besteuerung dem Erwerb hinzuzurechnen, weil der Verzichtende die Abfindung nicht vom künftigen Erblasser, sondern von dem anderen gesetzlichen Erben erhält. Es fehlt an der von § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] vorausgesetzten Personengleichheit.

2. Nach diesen Grundsätzen ist dem Erwerb des [X.] nach § 15 Abs. 1 [X.] die Steuerklasse II nach seinem Verhältnis zu seinem Bruder [X.] zu Grunde zu legen. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 [X.] bleibt der Erwerb in Höhe von 10.300 € steuerfrei. Vorerwerbe von M sind dem Erwerb nicht hinzuzurechnen.

3. Die Steuer berechnet sich daher wie folgt:

Steuerklasse II, Steuersatz 17 % Schenkungsteuer

          23.647 €

4. Der [X.]läger kann sich nicht darauf berufen, dass die Aufrechterhaltung der bisherigen Rechtsprechung zur Anwendung der Steuerklasse I unter den Aspekten des Vertrauensschutzes oder der Rechtssicherheit geboten war.

Auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung konnte er nicht davon ausgehen, dass für die Besteuerung die für ihn günstige Steuerklasse I mit dem entsprechenden Freibetrag (§ 16 Abs. 1 [X.]) und dem maßgebenden Steuersatz (§ 19 [X.]) zur Anwendung komme, Vorerwerbe von M dem Erwerb aber nicht hinzuzurechnen seien. Intention der bisherigen Rechtsprechung des [X.] war, den Verzicht vor und nach dem Erbfall steuerrechtlich gleich zu behandeln (vgl. oben unter [X.]); wie die Besteuerung im Einzelnen zu erfolgen habe, wurde offen gelassen (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 390, [X.], 922, Rz 13). Hätte man im Streitfall nach dem Verhältnis des [X.] zu M die Steuerklasse I, den entsprechenden Freibetrag von 205.000 € und einen Steuersatz von 19 % angewendet sowie dem Erwerb die Vorerwerbe von M hinzugerechnet, hätte sich eine Steuerfestsetzung in Höhe von 28.405 € ergeben (vgl. Bescheid des [X.] vom 19. Februar 2014). Diese liegt über der durch die Revisionsentscheidung festgesetzten Steuer in Höhe von 23.647 € und wäre somit für den [X.]läger nachteilig. Aus diesem Grund ist die Entscheidung im Streitfall nicht an den Grundsätzen zum Vertrauensschutz zu messen, die der [X.] für eine Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung aufgestellt hat (vgl. zum Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen bei Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung Beschluss des Großen Senats des [X.] vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04, [X.]E 220, 129, [X.] 2008, 608, unter D.IV.2.).

5. Die [X.]ostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 [X.]O.

Meta

II R 25/15

10.05.2017

Bundesfinanzhof 2. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 26. Februar 2015, Az: 3 K 3065/14 Erb, Urteil

§ 7 Abs 1 Nr 1 ErbStG 1997, § 14 ErbStG 1997, § 15 ErbStG 1997, § 16 ErbStG 1997, § 3 Abs 2 Nr 4 ErbStG 1997, § 311b Abs 5 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.05.2017, Az. II R 25/15 (REWIS RS 2017, 11257)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 2783 REWIS RS 2017, 11257

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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