Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.09.2012, Az. III ZB 24/12

3. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 3191

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Gegenstand

Berufungsbegründungsschrift: Notwendiger Inhalt bei Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts


Leitsatz

1. Wendet sich der Berufungsführer gegen eine ihm nachteilige Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts, so genügt er den Anforderungen an die Zulässigkeit seiner Berufung, wenn er deutlich macht, dass und aus welchen Gründen er die Beweiswürdigung für unrichtig hält. Eine noch weiter gehende Auseinandersetzung mit der (Beweis-)Würdigung durch das Erstgericht ist grundsätzlich nicht erforderlich. Es kommt insoweit auch nicht darauf an, ob die Berufungsbegründung inhaltlich schlüssig ist und begründeten Anlass für eine erneute und vom Erstgericht abweichende Würdigung (Feststellung) gibt.

2. Ergibt sich die Entscheidungserheblichkeit eines Rechtsverstoßes oder einer beanstandeten Tatsachenfeststellung unmittelbar aus dem Prozessstoff, so bedarf sie keiner gesonderten Darlegung in der Berufungsbegründung.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des [X.] vom 6. März 2012 - 6 U 32/11 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert des [X.] wird auf 77.569,88 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einem von ihr geltend gemachten abgetretenen Recht ihres Ehemanns, des Zeugen R.    M.    , unter dem Vorwurf einer fehlerhaften Kapitalanlageberatung im Zusammenhang mit der Zeichnung einer Beteiligung über 200.000 DM zuzüglich 5 % Agio an dem [X.], einem geschlossenen Immobilienfonds, auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Das [X.] hat die Klage nach persönlicher Anhörung der Klägerin und Beweisaufnahme durch Vernehmung der [X.] [X.]      mit der Begründung abgewiesen, dass es der Klägerin nicht gelungen sei, einen Abtretungsvertrag zwischen ihr und ihrem Ehemann hinsichtlich der streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche nachzuweisen; es lägen erhebliche Widersprüche zwischen den Angaben der Klägerin bei ihrer persönlichen Anhörung und den Bekundungen des Zeugen M.    vor.

3

Das [X.] hat die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin - nach vorherigem Hinweis - als unzulässig verworfen und hierzu ausgeführt, dass die Berufungsbegründung den Anforderungen nach § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO nicht genüge. Die Berufungsbegründung setze sich mit der ausführlichen Beweiswürdigung des [X.]s nicht auseinander und lege nicht dar, weshalb diese Beweiswürdigung unrichtig sein solle. Darüber hinaus fehle es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des behaupteten Rechtsverstoßes. Aus der Berufungsbegründung erschließe sich nicht, dass bei Bejahung der Aktivlegitimation das [X.] zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis hätte kommen müssen.

4

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

5

1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).

6

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt die Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Das Berufungsgericht hat die in § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO beschriebenen Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung überspannt und hierdurch der Klägerin den Zugang zur Berufungsinstanz in unzulässiger Weise versagt.

7

a) Wendet sich der Berufungskläger - wie hier - gegen die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts, so kann als Maßstab für den erforderlichen Inhalt der Berufungsbegründung neben § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO auch - etwa, soweit Verfahrensfehler in Rede stehen - § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO in Betracht zu ziehen sein (vgl. dazu [X.], Urteil vom 12. März 2004 - [X.], [X.]Z 158, 269, 276 f; [X.], 4. Aufl., § 520 Rn. 25; Musielak/Ball, ZPO, 9. Aufl., § 520 Rn. 34). Diese Frage bedarf hier indes keiner abschließenden Entscheidung, weil den Voraussetzungen gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO gleichermaßen Genüge getan worden ist.

8

aa) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO hat, wenn die Berufung darauf gestützt wird, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 513 Abs. 1, § 546 ZPO), die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände zu enthalten, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Da die Berufungsbegründung erkennen lassen soll, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, hat dieser - zugeschnitten auf den Streitfall und aus sich heraus verständlich - diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend beurteilt ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleitet. Zur Darlegung der Fehlerhaftigkeit ist somit lediglich die Mitteilung der Umstände erforderlich, die das Urteil aus der Sicht des Berufungsführers in Frage stellen. Besondere formale Anforderungen werden nicht gestellt; für die Zulässigkeit der Berufung ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind (ständige Rechtsprechung, vgl. Senat, Beschlüsse vom 26. Juni 2003 - [X.], [X.], 2532, 2533; vom 30. Oktober 2008 - [X.]/08, [X.], 442, 443 Rn. 12 und vom 26. Februar 2009 - [X.]/08, BeckRS 2009, 08726 Rn. 11; [X.], Beschluss vom 21. Mai 2003 - [X.] 133/02, NJW-RR 2003, 1580; Urteile vom 24. Juni 2003 - [X.], [X.], 3345 f, insoweit in [X.]Z 155, 199 nicht abgedruckt; vom 8. Juni 2005 - [X.], [X.], 142, 143 Rn. 12, 15 und vom 14. November 2005 - [X.], NJW-RR 2006, 499, 500 Rn. 9; Beschlüsse vom 22. November 2006 - [X.] 130/02, BeckRS 2006, 15202 Rn. 6; vom 27. Mai 2008 - [X.], NJW-RR 2008, 1308 Rn. 11; vom 31. August 2010 - [X.] 13/10, [X.], 48 Rn. 7; vom 1. März 2011 - [X.], BeckRS 2011, 07182 Rn. 11; vom 6. Dezember 2011 - [X.], NJW-RR 2012, 440 Rn. 7 mwN und vom 2. Februar 2012 - [X.], NJW-RR 2012, 397 Rn. 6).

9

bb) Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO hat der Berufungsführer konkrete Anhaltspunkte zu bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Da das Berufungsgericht an die vom Gericht des ersten [X.] festgestellten Tatsachen grundsätzlich gebunden ist (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), muss die Berufung, die den festgestellten Sachverhalt angreifen will, eine Begründung dahin enthalten, warum die Bindung an die festgestellten Tatsachen ausnahmsweise nicht bestehen soll (s. dazu Senatsbeschluss vom 26. Februar 2009 aaO; [X.], Beschluss vom 28. Mai 2003 - [X.] 165/02, [X.], 2531, 2532).

b) Den Erfordernissen nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO hat die Berufungsbegründung der Klägerin - noch - genügt.

aa) Die Klägerin hat in ihrer Berufungsbegründung zu erkennen gegeben, dass sie die Würdigung des Berufungsgerichts bekämpfen möchte, wonach sie einen Abtretungsvertrag zwischen ihr und ihrem Ehemann hinsichtlich der streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche nicht nachgewiesen habe. Sie hat in diesem Zusammenhang im Einzelnen auf die Aussage des Zeugen Müller Bezug genommen und dessen Bekundung zum Zeitpunkt der Abtretung mit dem Hinweis auf die Angabe zur Abtretung der Schadensersatzforderung im [X.] zu stützen versucht. Sie hat gemeint, hiernach ergebe sich insgesamt ein genügender Nachweis für ihre Aktivlegitimation, zumal eine Abtretung auch formlos wirksam sei. Auf diese Weise hat die Klägerin schon hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass und aus welchen Gründen sie die Würdigung des [X.]s für unrichtig und eine erneute - ihr günstige - Würdigung (Feststellung) durch das Berufungsgericht für geboten hält. Damit ist den Anforderungen von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO entsprochen. Für die Zulässigkeit der Berufung ist eine noch weiter gehende Auseinandersetzung mit der ([X.] durch das Erstgericht nicht erforderlich; es kommt insoweit auch nicht darauf an, ob die Berufungsbegründung inhaltlich schlüssig ist und begründeten Anlass für eine erneute und vom Erstgericht abweichende Würdigung (Feststellung) gibt.

bb) Soweit das Berufungsgericht in der Berufungsbegründung eine Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des behaupteten Rechtsverstoßes vermisst, hat es - worauf die Rechtsbeschwerde mit Recht hinweist - nicht berücksichtigt, dass sich die Entscheidungserheblichkeit der Aktivlegitimation der Klägerin unmittelbar aus dem [X.] ergibt und somit keiner gesonderten Darlegung bedarf (vgl. dazu [X.], Beschlüsse vom 18. September 2003 - [X.], [X.], 3765 und vom 11. Mai 2004 - [X.], [X.]Z 159, 135, 138). Das [X.] hat die Begründetheit der Klage allein mangels Nachweises der Aktivlegitimation der Klägerin verneint und dementsprechend ausdrücklich offen gelassen, ob eine der Beklagten zurechenbare Pflichtverletzung vorliegt oder ein etwaiger Schadensersatzanspruch verjährt ist. Bei dieser Lage ist es nicht geboten, dass der Berufungsführer ausdrücklich noch einmal sein gesamtes erstinstanzliches Vorbringen zu den Voraussetzungen des von ihm verfolgten [X.] - das mit der (zulässigen) Berufung ohnehin vollständig in die Berufungsinstanz gelangt ([X.], Urteile vom 12. März 2004 aaO [X.] und vom 22. Mai 2012 - [X.]/10 juris Rn. 29 mwN) - wiederholt und auf diese Weise die Entscheidungserheblichkeit seiner Aktivlegitimation dartut.

3. Nach alledem durfte das Berufungsgericht die Berufung nicht als unzulässig verwerfen, so dass der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist, damit es über die Begründetheit der Berufung befindet (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Schlick                                 [X.]                                 Seiters

                    [X.]

Meta

III ZB 24/12

13.09.2012

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Bamberg, 6. März 2012, Az: 6 U 32/11

§ 520 Abs 3 S 2 Nr 2 ZPO, § 520 Abs 3 S 2 Nr 3 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.09.2012, Az. III ZB 24/12 (REWIS RS 2012, 3191)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3191

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