Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.11.2016, Az. V ZB 73/16

5. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 2248

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Gegenstand

Wohnungseigentumssache: Zuständiges Gericht für die Geltendmachung eines Anspruchs auf Unterlassung bzw. Widerruf einer in der Wohnungseigentümerversammlung getätigten Äußerung


Leitsatz

Wird ein Wohnungseigentümer von einem anderen Wohnungseigentümer auf Unterlassung bzw. auf Widerruf von Äußerungen in Anspruch genommen, die er in der Wohnungseigentümerversammlung getätigt hat, liegt eine Streitigkeit im Sinne von § 43 Nr. 1 WEG vor, es sei denn, ein Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer ist offensichtlich nicht gegeben.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des [X.] vom 3. Mai 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 2.000 €.

Gründe

I.

1

Die [X.]en sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Der Kläger nimmt den Beklagten auf Unterlassung und Widerruf von Äußerungen in Anspruch, die dieser im Rahmen einer Versammlung der Wohnungseigentümer getätigt hat. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des [X.] hat das [X.] als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der Kläger die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das [X.], hilfsweise an das [X.] erreichen.

II.

2

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung unzulässig, weil sie nicht bei dem nach § 72 Abs. 2 GVG zuständigen [X.] eingelegt worden ist. Es handele sich um eine Streitsache im Sinne des § 43 Nr. 1 [X.]. Die Voraussetzungen für eine Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige [X.] lägen nicht vor.

III.

3

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

4

1. Sie ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Ein Zulassungsgrund ist gegeben, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO eine Entscheidung des [X.] erfordert. Das Berufungsgericht hat dem Kläger den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert (siehe 2.b). Dies verletzt seinen Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. [X.] 77, 275, 284) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (Senat, Beschluss vom 20. Februar 2014 - [X.], [X.] 2014, 441 Rn. 4; Beschluss vom 23. Oktober 2003 - [X.], [X.], 367, 368 mwN).

5

2. Das Rechtsmittel ist auch in der Sache begründet.

6

a) Allerdings verneint das Berufungsgericht seine Zuständigkeit zu Recht. Zuständig für die Entscheidung über die Berufung ist gemäß § 72 Abs. 2 GVG das [X.], weil der Streit der [X.]en eine Wohnungseigentumssache im Sinne von § 43 Nr. 1 [X.] ist.

7

aa) Zu den [X.] gehören gemäß § 43 Nr. 1 [X.] unter anderem Streitigkeiten über die sich aus der [X.] der Wohnungseigentümer ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander; diese Bestimmung ist weit auszulegen (Senat, Beschluss vom 20. Februar 2014 - [X.], [X.] 2014, 441 Rn. 7; Beschluss vom 10. Dezember 2009 - [X.], [X.] 2010, 187 Rn. 7). Ausschlaggebend für die Zuständigkeit des Gerichts ist nicht die jeweilige Rechtsgrundlage, aus der die Ansprüche hergeleitet werden, sondern allein der Umstand, ob das von einem Wohnungseigentümer in Anspruch genommene Recht oder die ihn treffende Pflicht in einem inneren Zusammenhang mit einer Angelegenheit steht, die aus dem [X.] der Wohnungseigentümer erwachsen ist (Senat, Beschluss vom 20. Februar 2014 - [X.], [X.] 2014, 441 Rn. 7; Beschluss vom 26. September 2002 - [X.], [X.], 136, 142; Urteil vom 30. Juni 1995 - [X.], [X.], 159, 165).

8

bb) Daran gemessen ist der Rechtsstreit als Wohnungseigentumssache im Sinne von § 43 Nr. 1 [X.] einzuordnen.

9

(1) Ob Streitigkeiten wegen unwahrer Tatsachenbehauptungen bzw. ehrverletzender Meinungsäußerungen [X.] sind, wird allerdings unterschiedlich beurteilt.

Teilweise wird angenommen, die nach § 43 [X.] für [X.] zuständigen Gerichte seien funktionell zuständig für Ansprüche unter Wohnungseigentümern wegen ehrverletzender Äußerungen, die in solchen Gerichtsverfahren (vgl. [X.], NJW-RR 2007, 162; [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., § 43 Rn. 138) oder im Rahmen einer Eigentümerversammlung ([X.]/[X.], [X.], 13. Aufl., § 43 Rn. 73) getätigt worden sind. Nach anderer Ansicht fallen Streitigkeiten über ehrverletzende Äußerungen eines Wohnungseigentümers nicht unter § 43 [X.] ([X.]/[X.], BGB [2005], § 43 [X.] Rn. 22; Sauren, [X.], 6. Aufl., § 43 Rn. 7).

Ein ähnliches Meinungsbild ergibt sich bei der vergleichbaren Frage danach, ob Streitigkeiten zwischen einem Wohnungseigentümer und dem Verwalter [X.] nach § 43 Nr. 3 [X.] sind, wenn das Unterlassungs- bzw. Widerrufsverlangen sich auf unwahre oder ehrverletzende Äußerungen im Zusammenhang mit der Verwaltertätigkeit bezieht (bejahend BayObLG, [X.] 2001, 319; [X.], NJW-RR 2008, 1545; [X.]/[X.]/Abramenko, [X.], 4. Aufl., § 43 Rn. 17; [X.], [X.] 2001, 312, 313; ablehnend [X.] 1989, 67; vgl. auch [X.]/[X.], BGB [2005], § 43 [X.] Rn. 32).

(2) Der Senat entscheidet die Frage dahin, dass eine Streitigkeit im Sinne von § 43 Nr. 1 [X.] vorliegt, wenn ein Wohnungseigentümer von einem anderen Wohnungseigentümer auf Unterlassung bzw. auf Widerruf von Äußerungen in Anspruch genommen wird, die er in einer Wohnungseigentümerversammlung getätigt hat, es sei denn, ein Zusammenhang mit dem [X.] der Wohnungseigentümer ist offensichtlich nicht gegeben.

Äußerungen eines Wohnungseigentümers in der Eigentümerversammlung stehen in aller Regel in einem Zusammenhang mit den sich aus der [X.] der Wohnungseigentümer und den sich aus der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer. Der Zusammenhang ergibt sich daraus, dass die Eigentümerversammlung das Willensbildungsorgan der Wohnungseigentümergemeinschaft ist. Sie dient der Erörterung und Beschlussfassung. Äußerungen in der Versammlung der Wohnungseigentümer tragen zur Meinungsbildung innerhalb der [X.] bei. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass eine Äußerung eines Wohnungseigentümers in keinem Zusammenhang mit dem [X.] steht. Davon kann aber nur ausnahmsweise dann ausgegangen werden, wenn die Äußerung nur gelegentlich der Eigentümerversammlung getätigt wird. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.

b) Die angefochtene Entscheidung verletzt jedoch deshalb den Anspruch des [X.] auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes, weil die Berufung als unzulässig verworfen worden ist. Zwar kann eine Berufung bei Vorliegen einer Streitigkeit nach § 43 Nr. 1 [X.] fristwahrend nur bei dem nach § 72 Abs. 2 GVG zuständigen Berufungsgericht eingelegt werden. Eine bei dem falschen Berufungsgericht eingelegte Berufung, die nicht rechtzeitig in die Verfügungsgewalt des richtigen Berufungsgerichts gelangt, kann grundsätzlich nicht in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO an dieses Gericht verwiesen werden. Sie ist vielmehr als unzulässig zu verwerfen (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Dezember 2009 - [X.], [X.] 2010, 197 Rn. 9 mwN).

Das gilt aber nicht ausnahmslos. Nach der Rechtsprechung des Senats kann die Berufungsfrist in Ausnahmefällen auch durch Anrufung des funktionell unzuständigen Berufungsgerichts gewahrt und der Rechtsstreit entsprechend § 281 ZPO an das zuständige Gericht verwiesen werden. So verhält es sich, wenn die Frage, ob eine Streitigkeit im Sinne von § 43 Nr. 1 bis 4 und Nr. 6 [X.] vorliegt, für bestimmte Fallgruppen noch nicht höchstrichterlich geklärt ist und man über deren Beantwortung - wie hier - mit guten Gründen unterschiedlicher Auffassung sein kann. Einer [X.] kann in einer solchen Konstellation nicht angesonnen werden, zur Meidung der Verwerfung ihres Rechtsmittels als unzulässig Berufung sowohl bei dem allgemein zuständigen Berufungsgericht einzulegen als auch bei dem des § 72 Abs. 2 GVG (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Februar 2014 - [X.], [X.] 2014, 441 Rn. 15; Beschluss vom 10. Dezember 2009 - [X.], [X.] 2010, 187 Rn. 9 ff.). Aus diesem Grund hätte das Berufungsgericht gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO darauf hinwirken müssen, dass der Kläger einen Antrag auf Verweisung an das zuständige [X.] in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO stellt (Senat, Beschluss vom 20. Februar 2014, aaO Rn. 15).

c) Da die Rechtsbeschwerde hilfsweise die ([X.] an das zuletzt genannte Gericht beantragt hat und ein solcher Antrag in Fällen der vorliegenden Art zulässigerweise auch noch im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellt werden kann (Senat, Beschluss vom 10. Dezember 2009 - [X.], [X.] 2010, 187 Rn. 11; vgl. auch [X.], Beschluss vom 4. Oktober 1978 - [X.], [X.]Z 72, 182, 198; Urteil vom 9. November 1967 - [X.], [X.]Z 49, 33, 39), ist die Sache unmittelbar an das nach § 72 Abs. 2 Satz 1 GVG zuständige [X.] zu verweisen.

[X.]          

      

[X.]t-Räntsch          

      

Brückner

      

Göbel          

      

Haberkamp          

      

Meta

V ZB 73/16

17.11.2016

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Stade, 3. Mai 2016, Az: 2 S 9/16

§ 43 Nr 1 WoEigG, § 72 Abs 2 GVG, § 823 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.11.2016, Az. V ZB 73/16 (REWIS RS 2016, 2248)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 2248

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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