Bundesfinanzhof, Urteil vom 30.09.2020, Az. I R 37/17

1. Senat | REWIS RS 2020, 3632

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Gegenstand

Nichtrückkehrtage i.S. der Grenzgängerregelung des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2002


Leitsatz

Tage, an denen der Steuerpflichtige von einer Geschäftsreise aus dem Drittland tatsächlich an seinen Wohnsitz zurückkehrt, gehören nicht zu den Nichtrückkehrtagen i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2002. Entsprechendes gilt für Geschäftsreisen an Wochenend- und Feiertagen, sofern die Arbeit an diesen Tagen nicht ausdrücklich im Arbeitsvertrag vereinbart ist und der Arbeitgeber für die an diesen Tagen geleistete Arbeit weder einen anderweitigen Freizeitausgleich noch ein zusätzliches Entgelt gewährt, sondern lediglich die Reisekosten übernimmt. Die anders lautenden Regelungen des § 8 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 5 Satz 2 KonsVerCHEV vom 20.12.2010 verstoßen gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG).

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.], [X.], vom 06.04.2017 - 3 K 3729/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Beteiligten streiten über die steuerliche Behandlung der Einkünfte des [X.] und Revisionsklägers (Kläger) aus seiner Tätigkeit als Vizedirektor einer [X.] Aktiengesellschaft.

2

Der Kläger wohnte im Streitjahr (2010) im Inland. Dort war er auch ansässig i.S. des Art. 4 Abs. 1 des Abkommens zwischen der [X.] und der [X.] Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11.08.1971 ([X.] 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.F. des Revisionsprotokolls vom [X.] ([X.] 2003, 68, [X.], 166) --[X.] 1971/2002--.

3

Der Kläger war seit ... Arbeitnehmer der [X.] mit Sitz in [X.] ([X.]). Laut Arbeitsvertrag betrug sein Arbeitspensum 40 Stunden pro Woche, verteilt auf Montag bis Freitag. Mit Beschluss des Verwaltungsrats der [X.] vom ... wurde er als Vizedirektor eingegliedert. In das Handelsregister ... wurde zunächst nur das Zeichnungsrecht "Kollektivunterschrift zu zweien" eingetragen. Die Eintragung der Funktionsbezeichnung "Vizedirektor" erfolgte erst nach Ablauf des Streitjahres.

4

In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr ging der Kläger von 65 [X.]. 15a [X.] 1971/2002 aus, so dass er nicht als Grenzgänger mit seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit der inländischen Besteuerung unterliege. Zu den [X.] zählte er sowohl [X.] als auch Tage, an denen er von einer [X.] an seinen inländischen Wohnsitz zurückgekehrt war. Stattdessen folge aus Art. 15 Abs. 4 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d [X.] 1971/2002 die Freistellung der streitigen Einkünfte von der [X.] Besteuerung.

5

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) verneinte ebenfalls die Grenzgängereigenschaft des [X.] gemäß Art. 15a [X.] 1971/2002 und ging hierfür sogar von 67 [X.] aus. Mangels Eintragung der Funktion des [X.] in das Handelsregister verneinte das [X.] allerdings auch die Anwendung des Art. 15 Abs. 4 [X.] 1971/2002. Im Einkommensteuerbescheid 2010 vom 16.07.2012 unterwarf es deshalb denjenigen Teil des Arbeitslohns, der auf die Ausübung der Tätigkeit in [X.] oder im Inland entfiel, der inländischen Besteuerung (63/240 des [X.]). Die von der [X.] Steuerverwaltung nach Art. 15a Abs. 1 Satz 2 und 3 [X.] 1971/2002 einbehaltene Quellensteuer in Höhe von 4,5 % wurde in dem Bescheid nicht berücksichtigt. Den Einspruch des [X.] wies das [X.] mit der Einspruchsentscheidung vom 27.02.2013 als unbegründet zurück.

6

Die hiergegen gerichtete Klage hatte im ersten Rechtsgang keinen Erfolg (Finanzgericht --[X.]-- Baden-Württemberg, [X.], Urteil vom 19.12.2013 - 3 K 1189/13). Nachdem der [X.] ([X.]) das [X.] wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben hatte (Urteil vom 20.07.2016 - I R 40/14, [X.]/NV 2017, 312), wies das [X.] die Klage im zweiten Rechtsgang mit Urteil vom 06.04.2017 - 3 K 3729/16 erneut als unbegründet ab. Entgegen der Auffassung der Beteiligten sei der Kläger im Streitjahr als Grenzgänger i.S. des Art. 15a [X.] 1971/2002 anzusehen und damit der inländischen Einkommensteuer zu unterwerfen. Er habe nicht mehr als 60 Nichtrückkehrtage nachgewiesen, da sowohl [X.] als auch Tage, an denen der Kläger von einer [X.] an seinen inländischen Wohnsitz zurückgekehrt sei, keine Nichtrückkehrtage i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/2002 seien. Die hiervon abweichenden Regelungen in § 8 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 5 Satz 2 der Verordnung zur Umsetzung von [X.] zwischen der [X.] und der [X.] Eidgenossenschaft vom 20.12.2010 ([X.], 2187, [X.], 146 --[X.]--) seien wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes unwirksam und darüber hinaus erst ab dem Inkrafttreten der [X.] am 23.12.2010 anwendbar. Da der Arbeitslohn aufgrund des im finanzgerichtlichen Verfahren geltenden Verböserungsverbots weiterhin nur teilweise erfasst werde, könne auch die [X.] Quellensteuer zu keiner Änderung des angefochtenen Bescheids führen. Eine abweichende Steuerfestsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen i.S. des § 163 Satz 3 der Abgabenordnung in der für das Streitjahr geltenden Fassung ([X.]) liege ebenfalls nicht vor.

7

Der Kläger macht mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 16.07.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.02.2013 dahin zu ändern, dass die Einkommensteuer auf 0 € festgesetzt wird.

8

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

9

Das [X.] ([X.]) ist dem Verfahren gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) beigetreten. Es hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des [X.] ist zulässig. [X.] war am 26.05.2017, dem Tag, an dem die Revision beim [X.] einging, noch nicht abgelaufen, da sie erst am 25.04.2017 begann und am 26.05.2017 endete.

1. [X.] von einem Monat beginnt mit der Zustellung des vollständigen [X.]s (§ 120 Abs. 1 Satz 1 [X.]O). Gemäß § 53 Abs. 2 [X.]O ist ein [X.] wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) zuzustellen. Danach durfte das [X.] u.a. an Anwälte und Steuerberater gegen [X.] --auch durch [X.] (Fax)-- zugestellt werden (§ 174 Abs. 1 und 2 ZPO). Zum Nachweis der Zustellung genügt bei dieser Zustellungsform das mit Datum und Unterschrift des Adressaten versehene [X.] (§ 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO), welches durch [X.] an das Gericht zurückgesandt werden kann (§ 174 Abs. 4 Satz 2 ZPO).

2. Im Streitfall weist das von der bevollmächtigten Rechtsanwältin unterschriebene und an das Gericht per Fax zurückgesandte [X.] den 25.04.2017 als [X.] des [X.]s aus. Dadurch ist grundsätzlich der volle Beweis dafür erbracht, dass das Urteil tatsächlich an diesem Tag zugestellt worden ist (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 14.10.1998 - IV R 10/98, [X.]/NV 1999, 500; vom 23.02.2006 - IX B 206/05, [X.]/NV 2006, 1667; vom 22.09.2015 - V B 20/15, [X.]/NV 2016, 50).

Für einen möglichen Gegenbeweis reicht der Hinweis des [X.] auf die Angaben der Prozessbevollmächtigten in der Revisionsschrift vom 26.05.2017 nicht aus. Dort wird lediglich ausgeführt, dass das [X.] am 24.04.2017 "zugegangen" sei. Diese Aussage kann den durch das [X.] erbrachten Beweis schon deshalb nicht entkräften, weil der Tag des Eingangs im Büro der Prozessbevollmächtigten nicht mit dem [X.] identisch sein muss. Vielmehr ist der [X.] (erst) derjenige Tag, an dem der [X.] vom Zugang des übersandten Schriftstücks Kenntnis erlangt und es empfangsbereit entgegengenommen hat ([X.]urteil vom 25.01.2005 - I R 54/04, [X.]/NV 2005, 1572, m.w.N.).

3. Aufgrund des Fristbeginns am 25.04.2017 und des gesetzlichen Feiertages am 25.05.2017 ([X.]) endete die einmonatige Revisionsfrist am 26.05.2017 (§ 54 Abs. 2 [X.]O i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 ZPO sowie § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs).

III.

Die Revision ist aber unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O). Das [X.] hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist als Grenzgänger i.S. des Art. 15a [X.] 1971/2002 anzusehen. Seine Einkünfte aus der Tätigkeit als Vizedirektor bei der [X.] sind im Streitjahr unter Beachtung des Verböserungsverbots in die Bemessungsgrundlage der inländischen Einkommensteuer einzubeziehen.

1. Der Kläger war gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) unbeschränkt steuerpflichtig. Nach den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) hatte er einen Wohnsitz im Inland und unterlag daher mit sämtlichen im Streitjahr erzielten Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 EStG der inländischen Einkommensteuer.

2. Die Ausübung des inländischen Besteuerungsrechts ist hinsichtlich der streitigen Einkünfte des [X.] aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) nicht durch Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d [X.] 1971/2002 eingeschränkt. Zwar sieht diese Vorschrift bei einer in der [X.] ([X.]) ansässigen Person unter bestimmten Voraussetzungen vor, die aus [X.] stammenden Gehälter, Löhne und ähnlichen Vergütungen i.S. des Art. 15 [X.] 1971/2002 von der Bemessungsgrundlage der [X.] Steuer auszunehmen. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall aber nicht vor, da der Kläger als Grenzgänger i.S. des vorrangigen Art. 15a [X.] 1971/2002 anzusehen ist ([X.]urteil vom 17.11.2010 - I R 76/09, [X.]E 232, 68, [X.], 276 unter Hinweis auf dessen Wortlaut "ungeachtet des Artikels 15").

a) Nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 [X.] 1971/2002 sind Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragsstaat zu besteuern, in dem dieser ansässig ist. Grenzgänger ist jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 1 [X.] 1971/2002). Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, so entfällt ihre Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn sie bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahrs an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/2002). Ergänzend heißt es in Nr. II.2. des [X.] zum Änderungsprotokoll vom 18.12.1991 ([X.] 1993, 1889, [X.], 929 --Verhandlungsprotokoll--), Arbeitstage im Sinne dieser Regelung seien die in dem Arbeitsvertrag vereinbarten Tage. Diese Bestimmung enthält nach ständiger Rechtsprechung des [X.] eine verbindliche Vorgabe für die Auslegung des Art. 15a Abs. 2 [X.] 1971/2002 ([X.]urteil vom 13.11.2013 - I R 23/12, [X.]E 244, 270, [X.], 508, m.w.N.).

b) In Übereinstimmung mit den Beteiligten ist das [X.] davon ausgegangen, dass der Kläger gemäß Art. 4 Abs. 1 [X.] 1971/2002 in [X.] ansässig war und für seine Tätigkeit als Vizedirektor der [X.] im Streitjahr Einkünfte aus unselbständiger Arbeit erzielte. Insoweit sind keine Rechtsfehler erkennbar.

c) Darüber hinaus hat das [X.] zu Recht entschieden, dass der Kläger entgegen der Annahme der Beteiligten nicht mehr als 60 [X.] i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/2002 nachgewiesen hat und deshalb als Grenzgänger anzusehen ist.

aa) Nach der Rechtsprechung des [X.] (Urteile vom 11.11.2009 - I R 15/09, [X.]E 227, 419, [X.], 602, m.w.N.; vom [X.] - I R 115/08, [X.]/NV 2010, 2275) führen Tage, an denen der Steuerpflichtige von einer Geschäftsreise aus einem Drittland tatsächlich an seinen Wohnsitz zurückkehrt, nicht zu [X.]. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/2002. Der Wortsinn des Begriffs Rückkehr schließt es aus, eine tatsächliche Rückkehr an den Wohnsitz als Nichtrückkehrtag anzusehen. Dies wird durch den Zweck der Grenzgängerregelung bestätigt, der engeren Bindung zum Ansässigkeitsstaat Rechnung zu tragen. Eine tatsächliche Rückkehr an den Wohnsitz kann nicht zu einer Lockerung dieser Bindung führen. Vielmehr hat jede tatsächliche Rückkehr an den Wohnsitz --unabhängig von ihrem Ausgangspunkt-- eine Stärkung der Bindung zum Ansässigkeitsstaat zur Folge.

Darüber hinaus zählen nach der Rechtsprechung des [X.] (Urteile in [X.]E 227, 419, [X.], 602, m.w.N.; in [X.]/NV 2010, 2275; vom 12.10.2010 - I R 86/08, [X.]/NV 2011, 579; in [X.]E 232, 68, [X.], 276) auch Geschäftsreisen an Wochenend- und Feiertagen nicht zu den [X.]. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/2002, sofern die Arbeit an diesen Tagen nicht ausdrücklich im Arbeitsvertrag vereinbart ist und der Arbeitgeber für die an diesen Tagen geleistete Arbeit weder einen anderweitigen Freizeitausgleich noch ein zusätzliches Entgelt gewährt, sondern lediglich die Reisekosten übernimmt. Dies ergibt sich insbesondere aus der für die Gerichte bindenden Regelung in Nr. II.2. des [X.]. Danach sind Arbeitstage i.S. des Art. 15a Abs. 2 [X.] 1971/2002 (nur) die in dem Arbeitsvertrag vereinbarten Tage.

bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze, an denen der Senat festhält, hat das [X.] von den 67 [X.], die das [X.] dem angegriffenen Einkommensteuerbescheid 2010 zugrunde gelegt hat, zu Recht insgesamt 12 Tage abgezogen und damit nur 55 [X.] ermittelt. Zum einen waren nach den für den Senat bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) insgesamt sechs Tage als [X.] berücksichtigt worden, an denen der Kläger von Geschäftsreisen in die [X.] tatsächlich an seinen Wohnort in [X.] zurückgekehrt war. Zum anderen waren bei den Geschäftsreisen insgesamt sechs weitere Wochenend- und Feiertage berücksichtigt worden, obwohl die Arbeit an diesen Tagen nach den Feststellungen des [X.] nicht ausdrücklich vereinbart war und die [X.] für die an diesen Tagen geleistete Arbeit weder Freizeitausgleich noch eine zusätzliche Bezahlung leistete. Vielmehr sah der Arbeitsvertrag des [X.] nach den Feststellungen des [X.] lediglich die Wochentage Montag bis Freitag als Arbeitstage vor. Etwaige Einzelweisungen des Vorgesetzten erfüllen nicht das aus Nr. II.2. des [X.] folgende Erfordernis einer arbeitsvertraglichen Regelung.

d) § 8 Abs. 1 Satz 3 [X.], nach dem bei mehrtägigen Geschäftsreisen alle Wochenend- und Feiertage als [X.] anzusehen sind, sofern der Arbeitgeber die Reisekosten trägt, sowie § 8 Abs. 5 Satz 2 [X.], nach dem eintägige Geschäftsreisen in [X.] stets zu den [X.] zählen, führen zu keinem anderen Ergebnis.

aa) Ermächtigungsgrundlage für die [X.] ist der durch das Jahressteuergesetz 2010 ([X.] 2010) vom [X.] ([X.], 1768, [X.], 1394) eingefügte § 2 Abs. 2 Satz [X.]. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber zwischenstaatlichen Konsultationsvereinbarungen i.S. des Art. 25 Abs. 3 des Musterabkommens der [X.] ([X.]) den Rang einer Rechtsverordnung verleihen. Hintergrund war die Rechtsprechung des [X.] (Urteile vom 02.09.2009 - I R 111/08, [X.]E 226, 276, [X.], 387; I R 90/08, [X.]E 226, 267, [X.], 394), dass behördliche Konsultationsvereinbarungen für Gerichte keine bindende Wirkung haben.

bb) § 8 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 5 Satz 2 [X.] verstoßen aber gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes --GG--) und sind daher vom Senat als unwirksam zu verwerfen. Durch die im Rang einer Rechtsverordnung stehende [X.] kann keine Regelung getroffen werden, die dem im Rang eines Gesetzes stehenden [X.] 1971/2002 widerspricht oder dessen Lücken ergänzt. Vielmehr ist die "[X.]" des Wortlauts des Art. 15a [X.] 1971/2002 zu beachten ([X.]urteil vom 10.06.2015 - I R 79/13, [X.]E 250, 110, [X.], 326, m.w.N.).

Diesen Anforderungen werden weder § 8 Abs. 1 Satz 3 [X.] noch § 8 Abs. 5 Satz 2 [X.] gerecht. Wie bereits ausgeführt, stützt der Senat sein von diesen Vorschriften abweichendes Verständnis gerade auf den Wortlaut des Art. 15a [X.] 1971/2002 sowie auf die ausdrückliche Regelung in Nr. II.2. des [X.], auf das im Zustimmungsgesetz vom 30.09.1993 ([X.] 1993, 1886, [X.], 927) Bezug genommen wird. Auf die Schlussfolgerungen der Völkerrechtskommission der [X.], auf die das [X.] im Revisionsverfahren ausdrücklich Bezug genommen hat und die mit der [X.]Res/73/202 vom 20.12.2018 von der Generalversammlung der [X.] offiziell zur Kenntnis genommen worden sind, kommt es unter diesen Umständen nicht an. Zwar wird in diesen Schlussfolgerungen ausgeführt, "spätere Übereinkünfte" und eine "spätere Praxis" gemäß Art. 31 Abs. 3 des [X.] über das Recht der Verträge vom [X.] ([X.] 1985, 927) seien Mittel zur Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrags. Dies gilt aber nur im Rahmen möglicher Auslegungen des völkerrechtlichen Vertrags und kann nicht zu einer Überschreitung der [X.] führen.

cc) Ob § 8 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 5 Satz 2 [X.] darüber hinaus wegen fehlender Bestimmtheit (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) der Ermächtigungsgrundlage des § 2 Abs. [X.] zu verwerfen sind oder insoweit der Bezugsrahmen der Zustimmungsgesetze zum [X.] 1971/2002 den Anforderungen an die Bestimmtheit genügt (vgl. auch [X.]urteile in [X.]E 250, 110, [X.], 326 zu § 24 Abs. 1 Satz 2 [X.]; vom 30.05.2018 - I R 62/16, [X.]E 262, 54 zu § 9 Abs. 1 [X.]), braucht unter diesen Umständen nicht weiter erörtert zu werden. Entsprechendes gilt für den Umfang der [X.] des [X.] im Fall einer fehlenden Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage.

dd) Im Übrigen würde eine durch § 8 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 5 Satz 2 [X.] bewirkte Änderung der Ermittlung der [X.] nach der Rechtsprechung des [X.] allenfalls für den Zeitraum ab deren Inkrafttreten am [X.] (§ 26 [X.]) gelten. § 25 [X.] i.V.m. Art. 97 § 1 Abs. 9 Satz 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung i.d.F. des [X.] 2010, wonach die [X.] bereits für Besteuerungssachverhalte ab dem 01.01.2010 anwendbar sein soll, ändert daran nichts (vgl. hierzu [X.]urteil in [X.]E 250, 110, [X.], 326). Im Streitfall liegen die entscheidenden Tage aber vor dem [X.].

e) Ob die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 4 [X.] 1971/2002 erfüllt sind, obwohl die Funktion des [X.] als Vizedirektor erst später in das Handelsregister eingetragen worden ist, kann wegen der Vorrangigkeit des Art. 15a [X.] 1971/2002 im Streitfall offen bleiben.

3. Auch wenn Art. 15a Abs. 1 Satz 1 [X.] 1971/2002 vorsieht, die Einkünfte des [X.] aus nichtselbständiger Arbeit in vollem Umfang in die Bemessungsgrundlage der inländischen Einkommensteuer einzubeziehen, ist der Senat wegen des Verbots der Verböserung im finanzgerichtlichen Verfahren an die nur teilweise Einbeziehung dieser Einkünfte im angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2010 gebunden.

Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass unter diesen Umständen auch eine etwaige Berücksichtigung [X.]erischen Quellensteuer zu keiner Änderung des angefochtenen Bescheids führen kann und deshalb nicht weiter zu erörtern ist. Aufgrund des geringen Umfangs der Tätigkeiten des [X.] in [X.] gilt dies auch für die Frage, ob derjenige Teil der Einkünfte, der sich auf Tätigkeiten in [X.] bezieht, nach den mit diesen [X.] bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen (im Streitfall nach dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen [X.] und den [X.]) in [X.] besteuert werden kann (vgl. hierzu [X.]beschluss vom 19.04.1999 - I B 141/98, [X.]/NV 1999, 1317).

4. Schließlich ist das [X.] rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Entscheidung des [X.], der Kläger sei kein Grenzgänger i.S. des Art. 15a [X.] 1971/2002, keine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen (§ [X.]) darstellt.

Zwar kann eine Billigkeitsmaßnahme, die als eigenständiger Verwaltungsakt ergeht ([X.]urteil in [X.]/NV 2011, 579) und hinsichtlich der Steuerfestsetzung einen Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. [X.] darstellt ([X.]beschluss vom 12.07.2012 - I R 32/11, [X.]E 237, 307, [X.], 175, m.w.N.), mit der Steuerfestsetzung verbunden werden (§ 163 Satz 3 AO). Im Streitfall ergibt aber eine Auslegung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids nach den für den Kläger erkennbaren Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (vgl. hierzu [X.]urteil in [X.]E 237, 307, BStBl II 2015, 175), dass keine Billigkeitsmaßnahme getroffen worden ist. Denn das [X.] hat sich allein auf die Anwendung der [X.] gestützt.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

I R 37/17

30.09.2020

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 6. April 2017, Az: 3 K 3729/16, Urteil

Art 15a Abs 2 S 2 DBA CHE, Art 24 Abs 1 Nr 1 S 1 Buchst d DBA CHE, Art 20 Abs 3 GG, § 2 Abs 2 S 1 AO vom 08.12.2010, § 8 Abs 1 S 3 KonsVerCHEV, § 8 Abs 5 S 2 KonsVerCHEV, § 53 Abs 2 FGO, § 120 Abs 1 S 1 FGO, § 174 ZPO, EStG VZ 2010, Art 25 Abs 3 OECDMustAbk, Art 31 Abs 3 VtrRKonv, Art 80 Abs 1 S 2 GG, Art 25 Abs 3 OECD-MA

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 30.09.2020, Az. I R 37/17 (REWIS RS 2020, 3632)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3632

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