Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.11.2013, Az. I R 23/12

1. Senat | REWIS RS 2013, 1216

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Gegenstand

Grenzgänger zur Schweiz: Mehrtägige Rufbereitschaft bei Krankenhauspersonal


Leitsatz

1. Ist ein in Deutschland ansässiger Arbeitnehmer über die Tagesgrenze hinweg in der Schweiz tätig, ist für die Annahme eines sog. Nichtrückkehrtages im Sinne der Grenzgängerregelung in Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/1992 entscheidend, ob eine Nichtrückkehr an seinen Wohnsitz in Deutschland aus beruflichen Gründen erfolgt ist .

2. Schließt sich unmittelbar im Anschluss an eine "reguläre" Tagesschicht in einem Krankenhaus während der Nacht an einzelnen Wochentagen oder an Wochenenden eine Rufbereitschaft (Pikettdienst außerhalb des Betriebs) an, und schließt sich daran wiederum unmittelbar eine weitere "reguläre" Tagesschicht an, ist nur von einem einzelnen Nichtrückkehrtag auszugehen, auch wenn sich die Arbeitsausübung tatsächlich über eine oder sogar mehrere Tagesgrenzen hinaus erstreckt hat .

3. Dies gilt unabhängig davon, ob die Rufbereitschaft im arbeitsrechtlichen Sinne als Arbeitszeit anzusehen ist oder nicht; entscheidend ist allein die arbeitsvertragliche Verpflichtung hierzu (Abgrenzung zu BFH-Urteil vom 27. August 2008 I R 64/07, BFHE 222, 553, BStBl II 2009, 97) .

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) im Streitjahr (2008) Grenzgänger i.S. des Art. 15a des Abkommens zwischen der [X.] und der [X.]ischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 ([X.] 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.[X.] vom 21. Dezember 1992 ([X.] 1993, 1888, [X.], 928) --DBA-[X.] 1971/1992-- war.

2

Der Kläger wohnte im Streitjahr mit seiner Familie in der [X.] ([X.]). Als stellvertretender Chefarzt war er ca. 40 km von seinem Wohnort entfernt in einem Spital in der [X.] tätig. Im Arbeitsvertrag des [X.] war eine Teilzeitarbeit von 80 % (= 40 Stunden pro Woche) vereinbart worden. Die Arbeitszeit konnte sich aber nach Bedarf auf 100 % erhöhen. Zudem war eine "gleichmäßige Beteiligung am Rufdienst" in der Nacht und am Wochenende "als Arbeitszeit" vereinbart worden. Der Rufdienst führte dazu, dass der Kläger in der [X.] in einer angemieteten Wohnung übernachten musste, da er nach den Vorgaben seines Arbeitgebers verpflichtet war, im Notfall innerhalb von zehn Minuten im Spital zu sein. Im Rahmen des [X.] war der Kläger auch verpflichtet, zusätzlich zu seiner regulären Arbeitspflicht in der Klinik als "normale Dienstzeiten" bezeichnete Tätigkeiten wie geplante Operationen an Samstagvormittagen und regelmäßigen Visiten an Sonntagen nachzukommen. Jeweils nach Ende dieser Dienste kehrte er wieder in seine angemietete Wohnung zurück und versah von dort wieder den Rufdienst. Für den Rufdienst erhielt der Kläger eine Entschädigung in Höhe von 820 [X.] Franken pro Tag, außerdem wurden Rufdienst und Wochenenddienst mit zwei Wochen Freizeit pauschal abgegolten.

3

Der Kläger erfasste seine Arbeitszeit für das Streitjahr mittels eines EDV-Systems und kennzeichnete die Tage, an denen er Rufbereitschaft hatte mit "P" (Pikettdienst). Aus diesen Aufzeichnungen ergibt sich, dass er sowohl während der Nacht als auch an Wochenenden [X.] zu leisten hatte, die sich jeweils unmittelbar an eine Tagesschicht anschlossen und nach deren Ende --erneut in unmittelbarem-- [X.] teilweise eine weitere Tagesschicht folgte. Der Kläger erfasste alle Tage der ärztlichen Rufbereitschaft --damit auch mehrtägige Dienste an Freitagen, Samstagen und Sonntagen sowie an einzelnen Tagen unter der [X.] als gesonderte Nichtrückkehrtage i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-[X.] 1971/1992. Insgesamt gab er die beruflich bedingten Abwesenheiten im Streitjahr mit 66 Tagen an.

4

Nach den Feststellungen des Finanzgerichts ([X.]) trifft das [X.] Arbeitsrecht eine Unterscheidung zwischen Arbeitsbereitschaft (Pikettdienst im Betrieb) und Rufbereitschaft (Pikettdienst außerhalb des Betriebs). Wird der Pikettdienst im Betrieb geleistet, ist die gesamte zur Verfügung gestellte [X.]. Ansonsten sind nur jene Zeiten als Arbeitszeiten zu rechnen, in denen der Arbeitnehmer tatsächlich abgerufen wird. Die Vergütung für die Rufbereitschaft können die Parteien schriftlich bestimmen.

5

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) folgte dieser Zählweise nicht und unterwarf den Arbeitslohn für das Streitjahr der Einkommensteuer. Die dagegen erhobene Klage hat das [X.], [X.], mit Urteil vom 13. April 2011  14 K 1357/11 abgewiesen. Das [X.] folgte dem Vorbringen des [X.] zwar insoweit, als es auch die Tage der ärztlichen Rufbereitschaft (Freitage, Samstage und Sonntage sowie einzelne Wochentage) im Grundsatz als gesonderte Nichtrückkehrtage i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-[X.] 1971/1992 berücksichtigte. Allerdings rechnete es neun (einzelne) Tage, an denen der Kläger zwar Rufbereitschaft leistete, in unmittelbarem [X.] an den Rufdienst sich aber kein regulärer Tagesdienst anschloss, nicht als gesonderte Nichtrückkehrtage. Im Ergebnis ergaben sich damit 57 Nichtrückkehrtage. Eine proportionale Kürzung der Anzahl von 60 Tagen im Hinblick auf die Teilzeitbeschäftigung des [X.] nahm das [X.] nicht vor. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2011, 1621 abgedruckt.

6

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Art. 15a DBA-[X.] 1971/1992. Er beantragt sinngemäß, das Urteil des [X.] aufzuheben und den geänderten Einkommensteuerbescheid 2008 vom 25. Februar 2010 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer auf 0 € festgesetzt wird.

7

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist unbegründet und deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zurückzuweisen. Das [X.] hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist als Grenzgänger [X.]. 15a [X.] 1971/1992 anzusehen. Seine Einkünfte aus der Tätigkeit in [X.] sind in die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer des Streitjahres einzubeziehen.

9

1. Der Kläger hatte im Streitjahr in [X.] einen Wohnsitz. Er war daher gemäß § 1 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes 2002 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Er war ferner aus abkommensrechtlicher Sicht in [X.] ansässig (Art. 4 Abs. 1 [X.] 1971/1992).

2. Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 [X.] 1971/1992 können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein in [X.] ansässiger Arbeitnehmer aus nichtselbständiger Arbeit bezieht, grundsätzlich nur in [X.] besteuert werden. Die genannten Bezüge dürfen jedoch in [X.] besteuert werden, wenn die Arbeit in [X.] ausgeübt wird (Art. 15 Abs. 1 Satz 2 [X.] 1971/1992). Ein aus Art. 15 Abs. 1 Satz 2 [X.] 1971/1992 folgendes Besteuerungsrecht [X.] führt, soweit die Arbeit in [X.] ausgeübt wird, zu einer Freistellung von der [X.] Steuer nach Maßgabe des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d [X.] 1971/1992. Nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 [X.] 1971/1992 können allerdings ungeachtet des Art. 15 [X.] 1971/1992 Einkünfte eines Grenzgängers aus unselbständiger Arbeit in dem [X.] besteuert werden, in dem der Grenzgänger ansässig ist.

3. Im Streitfall ist das [X.] zu Recht davon ausgegangen, dass Art. 15 Abs. 1 Satz 2 und Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d [X.] 1971/1992 nicht eingreifen, da der Kläger Grenzgänger [X.]. 15a [X.] 1971/1992 ist.

a) Grenzgänger ist nach Art. 15a Abs. 2 Satz 1 [X.] 1971/1992 jede in einem [X.] ansässige Person, die im anderen [X.] ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, so entfällt ihre Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn sie bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahrs an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund ihrer [X.] nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/1992). Ergänzend dazu heißt es in Nr. II.1. des [X.] zum Änderungsprotokoll vom 18. Dezember 1991 (BStBl I 1993, 929), die Annahme einer regelmäßigen Rückkehr an den Wohnsitz [X.]. 15a Abs. 2 Satz 1 [X.] 1971/1992 werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich die [X.] bedingt durch betriebliche Umstände --wie z.B. bei [X.] oder Krankenhauspersonal mit [X.] über mehrere Tage erstreckt. Diese Bestimmung enthält eine verbindliche Vorgabe für die Auslegung des Art. 15a Abs. 2 [X.] 1971/1992 (Senatsurteile vom 27. August 2008 I R 64/07, [X.], 553, [X.], 97, und [X.], [X.], 546, [X.], 94, m.w.N.).

b) Das [X.] hat festgestellt, dass der Kläger aufgrund arbeitsvertraglicher Verpflichtung jeweils unmittelbar im [X.] an eine "reguläre" Tagesschicht im Spital während der Nacht an einzelnen Wochentagen und an Wochenenden Rufbereitschaft (Pikettdienst außerhalb des Betriebs) zu leisten hatte. Im Ergebnis hat sich seine Rufbereitschaft mithin mehrfach im [X.] an einen regulären Tagesdienst an einem Wochentag bis in den Morgen des nächsten Tages erstreckt; am Freitag nach Ende des regulären Tagesdienstes erstreckte sie sich oftmals über die Nacht zum Samstag bis zur Nacht zum Montag. An die jeweilige Rufbereitschaft schloss sich nach deren Ende --erneut-- in unmittelbarem [X.] in den meisten Fällen eine weitere "reguläre" Tagesschicht an; lediglich an neun einzelnen Wochentagen mit daran anschließender Rufbereitschaft war dies nicht der Fall.

Während der Rufbereitschaft musste der Kläger --solange kein Notfall eingetreten [X.] nicht an seinem Arbeitsplatz im Spital anwesend sein. Im Rahmen der Rufbereitschaft hat der Kläger allerdings als "normale Dienstzeiten" bezeichnete Tätigkeiten an Samstagvormittagen (geplante Operationen) und an Sonntagen (regelmäßige Visiten) durchgeführt. Hierzu hatte er sich in die Klinik zu begeben. Der Kläger hat die Anzahl der [X.] ursprünglich mit 66 Tagen berechnet und dabei alle Tage der Rufbereitschaft --also die einzelnen Wochentage, aber auch das Wochenende mit Freitag, Samstag und [X.] in die Zählung einbezogen. Das [X.] ist von dieser Berechnung insoweit abgewichen, als es jene einzelnen Wochentage mit anschließender Rufbereitschaft nicht als [X.] angesehen hat, an denen der Kläger nicht unmittelbar nach dem Ende der Rufbereitschaft erneut eine weitere "reguläre" Tagesschicht abgeleistet hat. Diese Beurteilung ist nicht zu beanstanden.

c) Der Senat unterscheidet bei der Auslegung von Nr. II.1. des zitierten [X.] zwischen einem eintägigen Einsatz am Arbeitsort, bei dem der Arbeitnehmer geringfügig über die [X.] hinaus seiner Tätigkeit nachgeht und damit am zweiten Tag lediglich der Einsatz am ersten abgeschlossen wird, und einem mehrtägigen Einsatz am Arbeitsort (vgl. hierzu Senatsurteil in [X.], 553, [X.], 97, Rz 15). Für den Fall des eintägigen Arbeitseinsatzes hat er entschieden, dass es für die Anwendung des Art. 15a [X.] 1971/1992 nicht darauf ankommt, ob das Ende der Arbeitszeit oder der Zeitpunkt der Ankunft am Wohnort auf den Tag des Arbeitsantritts oder auf einen nachfolgenden Tag fällt; deshalb kann ein "Nichtrückkehrtag" [X.]. 15a Abs. 2 Satz 1 [X.] 1971/1992 auch dann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer über die [X.] hinaus seiner Tätigkeit nachgeht und erst nach Mitternacht seine Arbeitsstätte verlässt (Senatsurteile vom 15. September 2004 I R 67/03, [X.], 452, [X.], 155, und vom 20. Oktober 2004 I R 31/04, [X.] 2005, 840). Für das Vorliegen eines [X.]s im Sinne der Regelung kann es danach nicht entscheidend sein, ob eine Rückkehr im Einzelfall mehr oder weniger zufällig vor oder nach Mitternacht stattgefunden hat.

d) Das [X.] ist danach zutreffend davon ausgegangen, dass nach Nr. II.1. des [X.] ein Nichtrückkehrtag [X.]. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/1992 nicht vorliegt, wenn sich an die über die [X.] hinaus dauernde Rufbereitschaft keine Tagesschicht anschließt. Das Fehlen einer Rückkehr an den Wohnort für den [X.] soll nur dann unschädlich sein, wenn der Arbeitnehmer nach der [X.] (Ende der Rufbereitschaft) am nächsten Tag an einer Rückkehr an den Wohnsitz gehindert ist, weil sich unmittelbar ein neuer Einsatz am Arbeitsort anschließt. Dies ist vorliegend an den vom [X.] festgestellten neun Tagen nicht der Fall.

aa) Dem kann mit der Revision nicht mit Erfolg entgegen gehalten werden, dass ein Arbeitnehmer, der Rufbereitschaft leiste, die nicht als Arbeitszeit zähle, nicht mit einem Arbeitnehmer gleichzustellen sei, der reguläre arbeitsvertragliche und auch vergütete Arbeitszeit leiste, mithin Nr. II.1. des [X.] auf den Fall des [X.] keine Anwendung finde. Allerdings hat es der erkennende Senat in seinem Urteil in [X.], 553, [X.], 97, in Bezug auf die Frage, ob eine Nichtrückkehr wegen eines Pikettdienstes beruflich bedingt i.S. von Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/1992 ist, als maßgeblich angesehen, ob der Dienst nach [X.] Arbeitsrecht zur Arbeitszeit zählt oder nicht. Daran ist indessen nicht festzuhalten. Denn im Wortlaut von Nr. II.1. des [X.] ist von "[X.]" über mehrere Tage die Rede. Eine Unterscheidung zwischen Tätigkeiten, die nach arbeitsrechtlichen Kriterien zur Arbeitszeit rechnen und solchen, die dies nicht tun, findet sich dort nicht (vgl. hierzu [X.]/Schwenke in [X.], [X.] Art. 15 Rz 170). Entscheidend ist allein, dass eine Leistung aufgrund arbeitsvertraglicher Verpflichtung erbracht wird (ähnlich [X.] in [X.], [X.] Art. 15a Rz 47c). So verhält es sich hier, da der Kläger nach den den Senat bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) arbeitsvertraglich verpflichtet war, sich gleichmäßig am Rufdienst in der Nacht und am Wochenende zu beteiligen.

bb) Bestätigt wird dieses Verständnis durch die zwischenzeitlich erlassene Verordnung zur Umsetzung von [X.] zwischen der Bundesrepublik [X.] und der [X.]ischen Eidgenossenschaft vom 20. Dezember 2010 --[X.]-- ([X.], 2187, [X.], 146). Unbeschadet grundsätzlicher Einwände (vgl. z.B. [X.], Internationales Steuerrecht --[X.]-- 2011, 733; [X.], Internationale Wirtschaftsbriefe 2011, 360; Hummel, [X.] 2011, 397; anders z.B. Oellerich in [X.], [X.] § 2 Rz 102 f.) und der Eingrenzung des zeitlichen Anwendungsbereichs der Verordnung auf Besteuerungssachverhalte seit dem 1. Januar 2010 (§ 25 [X.]) ist dem dortigen § 8 Abs. 1 [X.] zu entnehmen, dass maßgeblich auf eine [X.] aufgrund einer Anordnung durch den Arbeitgeber abzustellen ist.

cc) Dieses Auslegungsergebnis entspricht auch dem Sinn und Zweck des Art. 15a [X.] 1971/1992, der als maßgebliches Abgrenzungsmerkmal auf die "Regelmäßigkeit" der Rückkehr an den Wohnsitz abstellt. Da nach dem [X.] Arbeitsrecht für Bereitschaftsdienste grundsätzlich Zeitausgleich zu gewähren ist, der nur nachrangig durch eine Bezahlung abgegolten werden darf, und sich dieser Zeitausgleich regelmäßig im Ansässigkeitsstaat vollziehen wird, weist der Bereitschaftsdienst keinen gesteigerten Bezug des Arbeitnehmers zum [X.] ("Verwurzelung") auf und lässt es als berechtigt erscheinen, wenn im Fall von Bereitschaftsdiensten über mehrere Tage allenfalls von einem einzigen "Nichtrückkehrtag" [X.]. 15a Abs. 2 [X.] 1971/1992 ausgegangen wird (vgl. zu dieser Überlegung bereits Senatsurteile in [X.], 553, [X.], 97, und in [X.], 546, [X.], 94).

e) Für die Tage, an denen der Kläger im [X.] an einen regulären Tagesdienst am Freitag die Rufbereitschaft über die Nacht zum Samstag bis zur Nacht zum Montag abgeleistet hat, bedeutet diese Auslegung der Nr. II.1. des zitierten [X.] zugleich, dass --entgegen der Annahme des [X.]-- der Kläger einen mehrtägigen ununterbrochenen Arbeitseinsatz i.S. der Nr. II.1. des [X.] zu leisten gehabt hat. Denn der Fall eines mehrtägigen Arbeitseinsatzes am Arbeitsort ist als Einheit zu behandeln mit der Folge, dass ein "Nichtrückkehrtag" nur dann vorliegen kann, wenn der Arbeitnehmer nach dem Abschluss dieser Einheit aus beruflichen Gründen am Tätigkeitsort verbleibt (Senatsurteile in [X.], 553, [X.], 97, und in [X.], 546, [X.], 94). Der Senat hat sich dabei von der Überlegung leiten lassen, dass nach Nr. II.1. des [X.] die Annahme einer "regelmäßigen Rückkehr" an den Wohnsitz bei einer [X.], die sich bedingt durch betriebliche Umstände über mehrere Tage erstreckt, "nicht ausgeschlossen" sein soll. Dies bedeutet, dass der Fall der mehrtägigen [X.] eine Sonderbehandlung erfahren soll, bei der die Regelmäßigkeit der Rückkehr abweichend von den tatsächlichen Gegebenheiten bestimmt wird. Dabei nimmt das [X.] namentlich auf die Situation des Krankenhauspersonals mit Bereitschaftsdienst Bezug, das erfahrungsgemäß nicht selten über mehr als zwei [X.]n hinaus im Einsatz sei. Angesichts dessen muss die Protokollregelung bei verständiger Würdigung dahin gedeutet werden, dass in jenen Fällen das Fehlen einer arbeitstäglichen Rückkehr die Grenzgängereigenschaft nicht berühren soll. Vielmehr sollen hier als "[X.]" nur diejenigen Tage gezählt werden, an denen der Arbeitnehmer im [X.] an die mehrtägige Tätigkeit nicht an seinen Wohnort zurückkehrt; das entspreche insoweit dem Wortlaut des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/1992, als dieser auf die Regelmäßigkeit der Rückkehr "nach Arbeitsende" abstellt. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest.

Für den Streitfall folgt daraus, dass bei den [X.] nicht jeweils drei Tage (Freitag, Samstag, Sonntag) als Tage der berufsbedingten Nichtrückkehr des [X.] an seinen Wohnsitz anzusehen sind. Schließt sich am Montag nach dem Ende der Rufbereitschaft ein regulärer Tagesdienst unmittelbar an, ist lediglich ein Tag als Nichtrückkehrtag für den mehrtägigen Arbeitseinsatz anzusetzen. Die Vorinstanz hat ihre gegenteilige Auffassung aus dem Umstand abgeleitet, dass der Kläger während seiner ärztlichen Rufbereitschaft an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen jeweils zugleich seiner regulären Arbeitspflicht im Spital nachgekommen ist und Operationsvorbereitungen getroffen, (Anästhesie-)Sprechstunden und Visiten neu aufgenommener Patienten durchgeführt hat und die Rufbereitschaft damit durch Tätigkeiten, die als Arbeitszeit anzusehen waren, unterbrochen worden war. Darauf kommt es jedoch nicht an. Entscheidend ist wiederum, dass dem Begriff der "[X.]" eine Unterscheidung zwischen Tätigkeiten, die im arbeitsrechtlichen Sinne als Arbeitszeit oder nicht als Arbeitszeit anzusehen sind, nicht zu entnehmen, vielmehr allein darauf abzustellen ist, ob für diese Tage der Rufbereitschaft eine arbeitsvertragliche Verpflichtung besteht.

Der Senat musste vor diesem Hintergrund nicht weiter darauf eingehen, dass die Vorinstanz, obwohl die Vereinbarung einer "gleichmäßige(n) Beteiligung am Rufdienst" in der Nacht und am Wochenende "als Arbeitszeit" festgestellt worden war, in den Entscheidungsgründen des Urteils maßgeblich darauf abgestellt hat, dass die Rufbereitschaft nicht als Arbeitszeit zu zählen und dass deshalb nicht von einem ununterbrochenen mehrtägigen Arbeitseinsatz i.S. von Nr. II.1. des [X.] auszugehen sei.

f) Im Ergebnis übersteigt damit die Zahl der "[X.]" im Streitjahr mit 39 Tagen nicht die in Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/1992 bestimmte Grenze. Daher hat der Kläger die in Rede stehenden Einkünfte als Grenzgänger erzielt, weshalb jene Einkünfte nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 [X.] 1971/1992 in [X.] besteuert werden dürfen. Dem entspricht der angefochtene Bescheid, der deshalb rechtmäßig ist. Ausführungen dazu, ob die in Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/1992 festgelegte Anzahl von 60 [X.]n aufgrund der Teilzeitbeschäftigung des [X.] mit vertraglich vereinbarten 80 % proportional zu kürzen gewesen wäre, sind in Anbetracht dessen entbehrlich. Dies wurde zudem von der Revision auch nicht weiter angegriffen.

Meta

I R 23/12

13.11.2013

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 13. April 2011, Az: 14 K 1357/11, Urteil

Art 15a Abs 1 S 1 DBA CHE, Art 15a Abs 2 S 1 DBA CHE, Art 15a Abs 2 S 2 DBA CHE, Art 15a Abs 1 S 1 DBA CHE 1971, Art 15a Abs 2 S 1 DBA CHE 1971, Art 15a Abs 2 S 2 DBA CHE 1971, Abschn 2 Nr 1 DBACHE1971VerhProt

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.11.2013, Az. I R 23/12 (REWIS RS 2013, 1216)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1216

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