Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.06.2022, Az. I R 24/21

1. Senat | REWIS RS 2022, 6605

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Gegenstand

(Teilweise inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 01.06.2022  I R 32/19: Grenzgänger nach dem DBA-Schweiz 1971/2010 bei geringfügiger Beschäftigung)


Leitsatz

Der Grenzgängerbegriff des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 setzt keine Mindestanzahl an Grenzüberquerungen pro Woche oder Monat voraus. Die anders lautende Regelung des § 7 KonsVerCHEV verstößt gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG).

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.], [X.], vom 22.04.2021 - 3 K 2357/19 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Beteiligten streiten über die steuerliche Behandlung der Einkünfte des [[X.].] und Revisionsklägers (Kläger) aus seiner Tätigkeit für eine [[X.].] Aktiengesellschaft.

2

Der Kläger hatte im Jahr 2013 (Streitjahr) seinen alleinigen Wohnsitz im Inland. Seit dem 01.12.2012 war er als Prokurist für die von ihm gegründete [[X.].] [[X.].] tätig. Die [[X.].] war Mieterin eines Büroraums in [X.] ([X.]); die Entfernung zum Wohnort des [[X.].] betrug 16 km. Der zwischen dem Kläger und der [[X.].] geschlossene Arbeitsvertrag sah eine Arbeitszeit von "3 Arbeitstagen (24 Stunden) pro Monat, je nach Bedarf nicht an feste Tage gebunden" vor. Im Streitjahr erzielte der Kläger hierfür einen Arbeitslohn in Höhe von … [X.], von dem [[X.].] Quellensteuer einbehalten wurde.

3

Darüber hinaus war der Kläger Alleingesellschafter der [X.], [X.] ([X.]). Im Streitjahr unterhielt die [X.]. im Inland eine unselbständige Zweigniederlassung. In den [X.] wurden dagegen weder betriebliche noch geschäftsleitende Aktivitäten ausgeübt. Der Kläger war bei der [X.]. als Vertriebsleiter angestellt und erhielt hierfür im Streitjahr einen Arbeitslohn in Höhe von … €. Der Arbeitsvertrag sah eine regelmäßige Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche vor. Die Beteiligten sind sich einig, dass sowohl der Gewinn der [X.]. als auch das von der [X.]. bezogene Gehalt des [[X.].] in der [X.] ([X.]) zu besteuern sind.

4

In der für das Streitjahr eingereichten Einkommensteuererklärung ging der Kläger davon aus, dass der von der [[X.].] gezahlte Arbeitslohn nach dem Abkommen zwischen der [X.] und der [[X.].]n Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11.08.1971 ([X.] 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.[X.] vom 27.10.2010 ([X.] 2011, 1092, [X.], 513) --DBA-[X.] 1971/2010-- von der inländischen Besteuerung freizustellen sei und lediglich dem Progressionsvorbehalt unterliege. Als leitender Angestellter erfülle er die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 4 DBA-[X.] 1971/2010. Er sei kein Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-[X.] 1971/2010, da es im Streitjahr zu 20 (schädlichen) [X.] gekommen sei und dadurch die in Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-[X.] 1971/2010 vorgesehene [X.] wegen der Teilzeitbeschäftigung proportional zu [X.] von 60 [X.] pro Jahr überschritten werde.

5

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt --[X.]--) führte antragsgemäß eine Einzelveranlagung durch und unterwarf den von der [[X.].] bezogenen Arbeitslohn im Einkommensteuerbescheid 2013 vom 16.12.2016 in Höhe von 20/36 der [X.] Besteuerung. Im Übrigen stellte das [X.] diesen Arbeitslohn unter Progressionsvorbehalt frei. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung --AO--).

6

Mit der Einspruchsentscheidung vom 06.09.2019 erhöhte das [X.] die festgesetzte Einkommensteuer auf … € und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Wegen fehlenden Nachweises der Nichtrückkehrtage sei der Kläger als Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-[X.] 1971/2010 anzusehen. Die von der [[X.].] bezogenen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit seien in voller Höhe der inländischen Besteuerung zu unterwerfen.

7

Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Nach dem Urteil des Finanzgerichts (FG) [X.], [X.], vom 22.04.2021 - 3 K 2357/19 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 1520) ist das [X.] Besteuerungsrecht nicht durch Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-[X.] 1971/2010 eingeschränkt, da der Kläger die Voraussetzungen eines Grenzgängers i.S. des Art. 15a DBA-[X.] 1971/2010 erfülle. Obwohl der Arbeitsvertrag nur drei Arbeitstage pro Monat vorsehe, habe der Kläger die Grenze an mindestens einem Drittel dieser Arbeitstage und damit nicht nur gelegentlich überquert. Darüber hinaus habe der Kläger nur zwei Nichtrückkehrtage i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-[X.] 1971/2010 nachgewiesen. Auch unter Berücksichtigung der Teilzeitbeschäftigung reiche dies nicht aus, um die Qualifizierung des [[X.].] als Grenzgänger entfallen zu lassen. Die Regelung des § 7 der Verordnung zur Umsetzung von [X.] zwischen der [X.] und der [[X.].]n Eidgenossenschaft vom 20.12.2010 --KonsVerCHEV-- ([X.], 2187, [X.], 146), die eine absolute Mindestanzahl von einem Tag pro Woche bzw. fünf Tagen pro Monat vorsehe, an denen sich der Grenzgänger an seinen Arbeitsort im anderen Vertragsstaat und wieder zurück begeben müsse, sei wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes unwirksam.

8

Der Kläger macht mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2013 vom 16.12.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.09.2019 dahin zu ändern, dass die Einkommensteuer auf … € herabgesetzt wird.

9

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[[X.].]O--). Das [[X.].] hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Einkünfte des [[X.].] aus seiner Tätigkeit als Prokurist für die [[X.].] sind im Streitjahr in die Bemessungsgrundlage der inländischen Einkommensteuer einzubeziehen; der Kläger war Grenzgänger i.S. des Art. 15a [[X.].] 1971/2010.

1. Der Kläger war gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Nach den bindenden Feststellungen des [[X.].] (§ 118 Abs. 2 [[X.].]O) hatte er im Streitjahr seinen alleinigen Wohnsitz im Inland und unterlag daher mit sämtlichen Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 EStG der inländischen Einkommensteuer. Hierzu gehörten auch die in [[X.].] erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG).

2. Die Ausübung des inländischen Besteuerungsrechts ist für diese Einkünfte nicht durch das [[X.].] 1971/2010 eingeschränkt.

a) Zwar sieht Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d [[X.].] 1971/2010 bei einer in [[X.].] ansässigen Person unter bestimmten Voraussetzungen vor, die aus [[X.].] stammenden Gehälter, Löhne und ähnlichen Vergütungen i.S. des Art. 15 [[X.].] 1971/2010 von der Bemessungsgrundlage der [[X.].] Steuer auszunehmen, wobei für den Kläger die Sonderregelung des Art. 15 Abs. 4 [[X.].] 1971/2010 für Einkünfte aus der Tätigkeit als Vorstandsmitglied, Direktor, Geschäftsführer oder Prokurist einer in [[X.].] ansässigen Kapitalgesellschaft in Betracht kommen würde. Die Anwendung des Art. 15 [[X.].] 1971/2010 ist aber ausgeschlossen, wenn die Person als Grenzgänger im Sinne des dann vorrangig anzuwendenden (z.B. Senatsurteil vom 30.09.2020 - I R 37/17, [[X.].], 120, m.w.[X.]) Art. 15a [[X.].] 1971/2010 anzusehen ist.

Nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 [[X.].] 1971/2010 sind Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragsstaat zu besteuern, in dem dieser ansässig ist. Grenzgänger ist jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 1 [[X.].] 1971/2010). Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, entfällt ihre Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn sie bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahrs an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [[X.].] 1971/2010).

Dabei sind nach Nr. II.2. des [[X.].] zum Änderungsprotokoll vom 18.12.1991 ([[X.].] 1993, 1889, [[X.].], 929) --Verhandlungsprotokoll--, das nach ständiger Rechtsprechung des Senats eine verbindliche Vorgabe für die Auslegung des Art. 15a Abs. 2 [[X.].] 1971/2010 enthält (vgl. zuletzt Senatsurteil in [[X.].], 120, m.w.[X.]), Arbeitstage i.S. des Art. 15a Abs. 2 [[X.].] 1971/2010 die in dem Arbeitsvertrag vereinbarten Tage. Insoweit sieht Nr. II.3. des [[X.].] vor, dass bei einem Arbeitnehmer, der nicht während des gesamten Kalenderjahrs in dem anderen Staat beschäftigt ist, die für die Grenzgängereigenschaft nicht schädlichen Tage der Nichtrückkehr in der Weise zu berechnen sind, dass für einen vollen Monat der Beschäftigung fünf Tage und für jede volle Woche der Beschäftigung ein Tag anzusetzen sind. Entsprechend regelt Nr. II.4. Satz 2 des [[X.].], dass bei einem Teilzeitbeschäftigten, der nur tageweise im anderen Staat beschäftigt ist, die Anzahl von 60 unschädlichen Tagen der Nichtrückkehr durch proportionale Kürzung im Verhältnis der Arbeitstage herabzusetzen ist.

b) Das [[X.].] ist in Übereinstimmung mit den Beteiligten davon ausgegangen, dass der Kläger im Streitjahr gemäß Art. 4 Abs. 1 [[X.].] 1971/2010 in [[X.].] ansässig war und für seine Tätigkeit als Prokurist der [[X.].] abkommensrechtlich Einkünfte aus unselbständiger Arbeit erzielte. Insoweit sind keine Rechtsfehler erkennbar.

c) Darüber hinaus hat das [[X.].] zu Recht entschieden, dass der Kläger als Grenzgänger i.S. des Art. 15a Abs. 2 [[X.].] 1971/2010 anzusehen ist.

aa) Nach den [[X.].] Feststellungen des [[X.].] hat der Kläger für das Streitjahr lediglich zwei Nichtrückkehrtage nachgewiesen (jeweils einen Nichtrückkehrtag für die Geschäftsreisen Nr. 3 und Nr. 7). Damit ist die in Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [[X.].] 1971/2010 geregelte Grenze von maximal 60 schädlichen [[X.].] selbst dann nicht überschritten, wenn sie nach Nr. II.4. Satz 2 des [[X.].] wegen der Teilzeitbeschäftigung des [[X.].] (36 Arbeitstage pro Jahr) proportional gekürzt wird.

Insbesondere ist das [[X.].] rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Dienstreisen nur insoweit als potentielle Nichtrückkehrtage in Betracht kommen, als sie überwiegend durch das Beschäftigungsverhältnis mit der [[X.].] veranlasst sind. Da die weitere Tätigkeit des [[X.].] für die [[X.].]. keinen Bezug zur [[X.].] hatte, entspricht dies den Grundsätzen des [[X.].] vom 17.11.2010 - I R 76/09 ([[X.].], 68, [[X.].], 276). Auch dort wurde in einer vergleichbaren Sachverhaltskonstellation darauf abgestellt, zu welcher Tätigkeit die Dienstreise "in einem engeren Zusammenhang" stand. Das Senatsurteil vom 30.05.2018 - I R 62/16 ([[X.].], 54), auf das sich der Kläger bezieht, steht dem nicht entgegen. Dort ging es --abweichend vom [[X.].] um mehrere Beschäftigungsverhältnisse mit [[X.].]erischen Arbeitgebern und um die Frage, ob es unter diesen Umständen für die Prüfung der Nichtrückkehrtage auf die getrennte Sicht jedes einzelnen Arbeitgebers ankomme. Der Umstand, dass in diesen Fällen eine arbeitnehmerbezogene Sichtweise unter Einbeziehung sämtlicher [[X.].]erischer Arbeitsverhältnisse maßgebend ist, hat keine Auswirkungen auf den Streitfall, in dem nur ein Arbeitsverhältnis einen Bezug zur [[X.].] hat und die einzelnen Dienstreisen zunächst den vom [[X.].] 1971/2010 erfassten Einkünften zugeordnet werden müssen.

Da das [[X.].] bei der Bestimmung der Nichtrückkehrtage die rechtlich zutreffenden Kriterien angewandt hat, ist der Senat an die tatsächliche Feststellung des [[X.].], der Kläger habe nur zwei Nichtrückkehrtage nachgewiesen, gebunden (§ 118 Abs. 2 [[X.].]O). In diesem Zusammenhang war auch zu berücksichtigen, dass der Kläger im [[X.].]-Verfahren erklärt hat, keine weiteren Nachweise zur Veranlassung der Dienstreisen erbringen zu können.

bb) Darüber hinaus kann dahinstehen, ob der Kläger an nur ein bis zwei Tagen im Monat oder häufiger seinen Arbeitsort in [X.] aufgesucht hat. Selbst wenn der Kläger die Grenze nur an einem Tag pro Monat überquert hätte, wäre er wegen der geringen Zahl der nachgewiesenen Nichtrückkehrtage als Grenzgänger anzusehen.

(1) Der Begriff "regelmäßig" in Art. 15a Abs. 2 Satz 1 [[X.].] 1971/2010 setzt keine Mindestanzahl an Grenzüberquerungen pro Woche oder Monat voraus ([X.] in [X.], [[X.].] Art. 15a Rz 46; grundsätzlich auch [X.] in [X.]/[X.]/[X.], Doppelbesteuerungsabkommen [[X.].]-[[X.].], Art. 15a Rz 48, aber Hinweis auf die gegenteilige Regelung in § 7 [X.]; a.A. Schreiben des [X.] vom 19.09.1994, BStBl I 1994, 683 Rz 10; [X.]/[X.]/Grotherr/[[X.].], Art. 15a [[X.].] Rz 16; [X.]/Enz/ [[X.].], Die abkommensrechtlichen Grenzgängerbestimmungen zwischen den [X.], 2012, S. 23 Fn 66).

Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des Art. 15a Abs. 2 Satz 1 [[X.].] 1971/2010, da sich die Voraussetzung "regelmäßig" ausdrücklich nur auf das Verb "zurückkehrt" bezieht. In der Folge kommt als Bezugsgröße grundsätzlich nur die Gesamtzahl der Tätigkeitstage für die [[X.].] in Betracht, d.h. (nur) bezogen auf diese Tätigkeitstage --und nicht bezogen auf das gesamte [X.] muss eine regelmäßige und nicht nur gelegentliche Rückkehr vorliegen. Hierin besteht auch der Unterschied zu der vom Kläger angeführten Rechtsprechung des Senats zum abkommensrechtlichen Begriff der ständigen Wohnstätte (Senatsurteile vom 16.12.1998 - I R 40/97, [X.], 544, [X.] 1999, 207, und vom 05.06.2007 - I R 22/06, [X.], 217, [X.] 2007, 812). Aus dem Zusatz "von dort" könnte allenfalls geschlossen werden, die Bezugsgröße noch enger auf die Tage der tatsächlichen Arbeitsausübung in [[X.].] zu beschränken (so [X.] in [X.], [[X.].] Art. 15a Rz 46). Dies hätte im Streitfall aber keine entscheidungserheblichen Auswirkungen, da der Kläger nach den Feststellungen des [[X.].] [[X.].] in [[X.].] geblieben ist.

Dass eine Mindestzahl an Grenzüberquerungen nicht erforderlich ist, ergibt sich zudem aus dem Wortlaut des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [[X.].] 1971/2010, der definiert, was unter "regelmäßig" i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 1 [[X.].] 1971/2010 zu verstehen ist. Danach ist allein maßgebend, dass der Steuerpflichtige "nicht jeweils nach Arbeitsende" an den Wohnort zurückkehrt, ohne die Grenze von 60 schädlichen [[X.].] zu überschreiten. Anhaltspunkte für eine absolute Mindestzahl der Einsatztage am Arbeitsort in dem anderen Vertragsstaat lassen sich diesem Wortlaut nicht entnehmen. Dies wird durch Nr. II.3. und Nr. II.4. Satz 2 des [[X.].] bestätigt, die sowohl für Teilzeitbeschäftigte als auch bei einer nur zeitweisen Beschäftigung im Kalenderjahr lediglich eine proportionale Kürzung der Höchstgrenze schädlicher Nichtrückkehrtage vorsehen.

Im Übrigen entspricht diese Sichtweise auch dem Zweck der Grenzgängerregelung, der aus den Kriterien des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [[X.].] 1971/2010 deutlich wird und darauf gerichtet ist, einer engeren Bindung des Steuerpflichtigen zum Ansässigkeitsstaat Rechnung zu tragen. Im Zusammenhang mit einer Rückkehr des Arbeitnehmers von Geschäftsreisen aus einem Drittland hat der Senat hierzu ausgeführt, dass eine tatsächliche Rückkehr an den Wohnsitz nicht zu einer Lockerung dieser Bindung führen kann. Vielmehr hat jede tatsächliche Rückkehr an den Wohnsitz --unabhängig von ihrem Ausgangspunkt-- eine Stärkung der Bindung zum Ansässigkeitsstaat zur Folge (vgl. Senatsurteil in [[X.].], 120, m.w.[X.]). Hiervon ausgehend kann allein der Umstand, dass der Arbeitsort in dem anderen Vertragsstaat nur selten aufgesucht wird, ebenfalls nicht zu einer Lockerung der Bindung an den Ansässigkeitsstaat und damit nicht zu einem Ausschluss der Anwendung der Grenzgängerregelung führen.

Der Einwand des [[X.].], die Bindung an den Ansässigkeitsstaat werde schon durch Art. 15 Abs. 1 [[X.].] 1971/2010 ausreichend berücksichtigt, ist angesichts der spezielleren Regelung (Zuweisung des Besteuerungsrechts nach Art. 15a [[X.].] 1971/2010 unter Berücksichtigung der stärkeren Bindung eines Grenzgängers an den Ansässigkeitsstaat) nicht erfolgreich. Auf Art. 15 Abs. 4 [[X.].] 1971/2010 kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Da der Begriff des Grenzgängers in Art. 15a Abs. 2 [[X.].] 1971/2010 eigenständig definiert ist, kann sich der Kläger schließlich auch nicht mit Erfolg auf das unionsrechtliche Verständnis des Grenzgängerbegriffs im Bereich des Sozialversicherungsrechts berufen.

(2) Die Regelung des § 7 [X.], wonach bei geringfügigen Arbeitsverhältnissen eine regelmäßige Rückkehr i.S. des Art. 15a Abs. 2 [[X.].] 1971/2010 ausscheidet, wenn sich der Arbeitnehmer nicht mindestens an einem Tag pro Woche oder fünf Tagen pro Monat von seinem Wohnsitz an seinen Arbeitsort und zurück begibt, steht dem nicht entgegen. Unabhängig davon, ob die Ermächtigungsgrundlage des § 2 Abs. 2 Satz 1 AO hinreichend bestimmt ist (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes --GG--, vgl. Senatsurteil in [[X.].], 120, m.w.[X.]), verstößt § 7 [X.] gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) und ist daher vom Senat zu verwerfen.

Durch die im Rang einer Rechtsverordnung stehende [X.] kann keine Regelung getroffen werden, die dem im Rang eines Gesetzes stehenden [[X.].] 1971/2010 widerspricht oder dessen Lücken ergänzt. Vielmehr ist die "[X.]" des Wortlauts des Art. 15a [[X.].] 1971/2010 zu beachten (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil in [[X.].], 120, m.w.[X.]).

Diesen Anforderungen wird § 7 [X.] nicht gerecht. Wie bereits ausgeführt, stützt der Senat sein von § 7 [X.] abweichendes Verständnis gerade auf den Wortlaut der Definition des Grenzgängers in Art. 15a Abs. 2 [[X.].] 1971/2010 sowie auf die ausdrücklichen Regelungen in Nr. II.3. und Nr. II.4. Satz 2 des [[X.].], auf die im Zustimmungsgesetz vom 30.09.1993 ([[X.].] 1993, 1886, [[X.].], 927) Bezug genommen wird. Hiermit ist § 7 [X.] nicht vereinbar. Die Grenze von einem Tag in der Woche oder fünf Tagen im Monat ist lediglich in Nr. II.3. des [[X.].] vorgesehen. Diese Vorschrift regelt aber nur die Berechnung der Höchstgrenze schädlicher Nichtrückkehrtage bei zeitweiser Tätigkeit in dem anderen Vertragsstaat und gerade keine Mindestzahl der Einsatztage am Arbeitsort in dem anderen Vertragsstaat.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [[X.].]O.

4. Der Antrag des [[X.].], die Hinzuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, ist im Revisionsverfahren unzulässig. Für die Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 [[X.].]O ist das [[X.].] als Gericht des ersten Rechtszugs zuständig (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 04.03.2020 - II R 11/17, [X.], 401, [X.] 2021, 155, m.w.[X.]).

Meta

I R 24/21

28.06.2022

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 22. April 2021, Az: 3 K 2357/19, Urteil

Art 15a DBA CHE, Art 24 Abs 1 Nr 1 S 1 Buchst d DBA CHE, Art 20 Abs 3 GG, § 7 KonsVerCHEV

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.06.2022, Az. I R 24/21 (REWIS RS 2022, 6605)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6605

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