Bundesfinanzhof, Urteil vom 01.06.2022, Az. I R 32/19

1. Senat | REWIS RS 2022, 6606

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Gegenstand

Grenzgänger nach dem DBA-Schweiz 1971/2010 bei 24-Stunden-Diensten und geringfügiger Beschäftigung


Leitsatz

1. Der Grenzgängerbegriff ist in Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 unabhängig von örtlichen Voraussetzungen oder Grenzzonen definiert. Ob eine Rückkehr an den Wohnort aufgrund der großen Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort zumutbar ist, betrifft die Frage, ob eine (schädliche) Nichtrückkehr aufgrund der Arbeitsausübung vorliegt.

2. Wenn sich bei Krankenhauspersonal regulärer Dienst und Rufbereitschaft lückenlos jeweils abwechseln, liegt ein mehrtägiger ununterbrochener Arbeitseinsatz vor, der als Einheit zu behandeln ist. Ob ein sog. Nichtrückkehrtag vorliegt, richtet sich unter diesen Umständen allein nach der Rückkehr oder Nichtrückkehr am Ende des mehrtägigen Arbeitseinsatzes (Bestätigung des Senatsurteils vom 13.11.2013 - I R 23/12, BFHE 244, 270, BStBl II 2014, 508).

3. Der Grenzgängerbegriff des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 setzt keine Mindestanzahl an Grenzüberquerungen pro Woche oder Monat voraus. Die anders lautende Regelung in § 7 KonsVerCHEV verstößt gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 12.09.2018 - 15 K 1010/18 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Beteiligten streiten über den Status als Grenzgänger i.S. des Art. 15a des Abkommens zwischen der [[X.].] und der [[X.].] zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11.08.1971 ([[X.].] 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.[[X.].] vom 27.10.2010 ([[X.].] 2011, 1092, [[X.].], 513) --DBA-[X.] 1971/ 2010--.

2

Die Kläger und [[X.].] (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehegatten. [[X.].] (Streitjahr) wohnten sie in [X.] ([[X.].] --[X.]--). Der Kläger war als Honorararzt in einer Klinik in [X.] ([X.]) tätig. Darüber hinaus erzielte er aus einer Vertretungstätigkeit in einer Klinik in [X.] ([X.]) vom 24.08.2014 bis 14.09.2014, vom 28.09.2014 bis 05.10.2014 und vom 02.11.2014 bis 05.11.2014 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von … €. Der Kläger gab an, diese Einkünfte seien in der [X.] besteuert worden.

3

Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) qualifizierte den Kläger als Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-[X.] 1971/2010 und erfasste die [X.] Einkünfte im Einkommensteuerbescheid 2014 als steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der gegen diesen Bescheid erhobene Einspruch hatte insoweit keinen Erfolg.

4

Das Finanzgericht (FG) [X.] gab der hiergegen gerichteten Klage mit Urteil vom 12.09.2018 - 15 K 1010/18 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2019, 1658) statt und unterwarf die streitigen Einkünfte lediglich dem Progressionsvorbehalt. Der Status eines Grenzgängers i.S. des Art. 15a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 DBA-[X.] 1971/2010 scheide aus, da eine regelmäßige Rückkehr zum Wohnort wegen der großen Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort (207 km), des hierbei zu überwindenden Passes und der Fahrzeit von drei bis vier Stunden unzumutbar sei. In der Folge komme es nicht mehr darauf an, ob die vereinbarten [X.] zu einem Ausschluss schädlicher Nichtrückkehrtage i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-[X.] 1971/2010 geführt hätten. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass der Kläger während seiner Rufbereitschaft nicht in der Klinik habe anwesend sein müssen, sondern nur eine Rückkehr innerhalb von 45 Minuten erforderlich gewesen sei. Bei kürzerer Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort wäre damit eine tägliche Rückkehr an den Wohnort möglich gewesen. Deshalb seien die einzelnen Tage des Arbeitseinsatzes des [X.] in der [X.] getrennt zu betrachten und der Status als Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-[X.] 1971/2010 entfalle auch wegen der [X.]ahl schädlicher Nichtrückkehrtage. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass es sich um einen befristeten Einsatz in der [X.] von 31 Tagen gehandelt habe.

5

Das [X.] macht mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

7

Das [X.] ([X.]) ist dem Verfahren gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetreten, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.

Entscheidungsgründe

II.

8

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 [X.]O). Das [X.] hat die in [X.] erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu Unrecht von der inländischen Besteuerung freigestellt; der Kläger war Grenzgänger i.S. des Art. 15a [X.] 1971/2010.

9

1. Die Kläger waren gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Nach den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) hatten sie im Streitjahr ihren alleinigen Wohnsitz im Inland und unterlagen daher mit sämtlichen Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 EStG der inländischen Einkommensteuer. Hierzu gehörten auch die in [X.] erzielten Einkünfte des [X.] aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG).

2. Die Ausübung des inländischen Besteuerungsrechts ist für diese Einkünfte nicht durch das [X.] 1971/2010 eingeschränkt.

a) [X.]war sieht Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d [X.] 1971/2010 bei einer in [X.] ansässigen Person unter bestimmten Voraussetzungen vor, die aus [X.] stammenden Gehälter, Löhne und ähnlichen Vergütungen i.S. des Art. 15 [X.] 1971/2010 von der Bemessungsgrundlage der [X.] Steuer auszunehmen. Die Anwendung des Art. 15 [X.] 1971/2010 ist aber ausgeschlossen, wenn die Person als Grenzgänger im Sinne des dann vorrangig anzuwendenden (z.B. Senatsurteil vom 30.09.2020 - I R 37/17, [X.], 120, m.w.[X.]) Art. 15a [X.] 1971/2010 anzusehen ist.

Nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 [X.] 1971/2010 sind Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragsstaat zu besteuern, in dem dieser ansässig ist. Grenzgänger ist jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 1 [X.] 1971/2010). Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, entfällt ihre Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn sie bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahrs an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund ihrer [X.] nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/2010).

Dabei sind nach Nr. II.2. des [X.] zum Änderungsprotokoll vom 18.12.1991 ([X.] 1993, 1889, [X.], 929) --Verhandlungsprotokoll--, das nach ständiger Rechtsprechung des Senats eine verbindliche Vorgabe für die Auslegung des Art. 15a Abs. 2 [X.] 1971/2010 enthält (vgl. zuletzt Senatsurteil in [X.], 120, m.w.[X.]), Arbeitstage i.S. des Art. 15a Abs. 2 [X.] 1971/2010 die in dem Arbeitsvertrag vereinbarten Tage. Insoweit sieht Nr. II.3. des [X.] vor, dass bei einem Arbeitnehmer, der nicht während des gesamten Kalenderjahrs in dem anderen Staat beschäftigt ist, die für die Grenzgängereigenschaft nicht schädlichen Tage der Nichtrückkehr in der Weise zu berechnen sind, dass für einen vollen Monat der Beschäftigung fünf Tage und für jede volle Woche der Beschäftigung ein Tag anzusetzen sind. Entsprechend regelt Nr. II.4. Satz 2 des [X.], dass bei einem Teilzeitbeschäftigten, der nur tageweise im anderen Staat beschäftigt ist, die Anzahl von 60 unschädlichen Tagen der Nichtrückkehr durch proportionale Kürzung im Verhältnis der Arbeitstage herabzusetzen ist. Schließlich wird nach Nr. II.1. des [X.] die Annahme einer regelmäßigen Rückkehr an den Wohnsitz nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich die [X.] bedingt durch betriebliche Umstände --wie z.B. bei [X.] oder Krankenhauspersonal mit [X.] über mehrere Tage erstreckt.

b) Das [X.] ist in Übereinstimmung mit den Beteiligten davon ausgegangen, dass der Kläger im Streitjahr gemäß Art. 4 Abs. 1 [X.] 1971/2010 in [X.] ansässig war und für seine ärztliche Vertretungstätigkeit in [X.] abkommensrechtlich Einkünfte aus unselbständiger Arbeit erzielte. Insoweit sind keine Rechtsfehler erkennbar.

c) Rechtsfehlerhaft ist dagegen die Schlussfolgerung des [X.], die Voraussetzungen des Grenzgängerbegriffs i.S. des Art. 15a Abs. 2 [X.] 1971/2010 seien schon wegen der großen Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort und der daraus folgenden Unzumutbarkeit einer Rückkehr nicht erfüllt. Denn der Grenzgängerbegriff ist in Art. 15a Abs. 2 [X.] 1971/2010 unabhängig von örtlichen Voraussetzungen oder Grenzzonen definiert (s. z.B. [X.] in [X.], [X.] Art. 15a Rz 3 und 45).

aa) Der Wortlaut des Art. 15a Abs. 2 [X.] 1971/2010 erfordert die regelmäßige Rückkehr der Person an den Wohnort. Weiterhin wird bestimmt, unter welchen Voraussetzungen (für den Grenzgängerbegriff schädliche) sog. Nichtrückkehrtage vorliegen. Für eine örtliche Einschränkung als zusätzliches Tatbestandsmerkmal bestehen keine Anhaltspunkte.

Dies wird durch einen Vergleich mit der ursprünglichen Grenzgängerregelung in Art. 15 Abs. 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik [X.] und [X.]erischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11.08.1971 ([X.] 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) bestätigt. Danach konnte Grenzgänger nur sein, wer in einem Vertragsstaat in der Nähe der Grenze ansässig ist und im anderen Vertragsstaat in der Nähe der Grenze seinen Arbeitsort hat. Dieser Ortsbezug ist aber nicht in Art. 15a Abs. 2 [X.] 1971/2010 übernommen worden. Hierauf hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 26.04.1995 - I B 166/94 ([X.], 451, [X.] 1995, 532) hingewiesen und hieraus den Schluss gezogen, dass die "Entfernung von Wohnung und Arbeitsstätte zur Grenze für den Grenzgängerbegriff ohne Bedeutung" ist. Entsprechendes muss auch für die Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort gelten.

bb) Die Erwägungen des [X.], ob und inwieweit eine Rückkehr aufgrund der großen Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort zumutbar ist, können somit erst dann eine Rolle spielen, wenn es darum geht, ob eine (schädliche) Nichtrückkehr aufgrund der [X.] i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/2010 vorliegt (vgl. allgemein Senatsurteile vom 15.09.2004 - I R 67/03, [X.], 452, [X.] 2010, 155; vom 20.10.2004 - I R 31/04, [X.] 2005, 840, jeweils unter Verweis auf die Verständigungsvereinbarung vom 24.06.1999, abgedruckt bei [X.]/[X.]/von [X.]/[X.], Doppelbesteuerungsabkommen [X.]-[X.], [X.]; für Veranlagungszeiträume ab 01.01.2019 vgl. auch die Konsultationsvereinbarung nach Art. 26 Abs. 3 [X.] 1971/2010 vom 12.10.2018, [X.], 1103).

d) Darüber hinaus ist das [X.] rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die einzelnen Tage der Tätigkeit des [X.] in [X.] getrennt zu betrachten sind und dadurch die zulässige Anzahl schädlicher Nichtrückkehrtage i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/2010 überschritten wird. Vielmehr sind die drei mehrtägigen Arbeitseinsätze in [X.] aufgrund der lückenlosen Verbindung über 24-Stunden-Bereitschaftsdienste jeweils als Einheit zu betrachten. Da der Kläger am Ende jeder dieser "Arbeitseinheiten" jeweils an seinen Wohnort zurückgekehrt ist, liegt im Streitfall kein einziger Nichtrückkehrtag vor, der den Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/2010 eröffnen und zum Ausschluss des Status als Grenzgänger führen könnte.

aa) Unter Berücksichtigung der Nr. II.1. des [X.] hat der Senat bereits entschieden, dass ein mehrtägiger ununterbrochener Arbeitseinsatz vorliegt, wenn sich --wie im [X.] bei Krankenhauspersonal regulärer Dienst und Rufbereitschaft lückenlos jeweils abwechseln (Senatsurteile vom 13.11.2013 - I R 23/12, [X.], 270, [X.] 2014, 508; vom 27.08.2008 - I R 64/07, [X.], 553, [X.] 2009, 97; I R 10/07, [X.], 546, [X.] 2009, 94; a.A. noch Senatsurteil in [X.], 452, [X.] 2010, 155). Daraus folgt, dass der jeweilige mehrtägige Arbeitseinsatz als Einheit zu behandeln ist und es für die [X.]ahl der (schädlichen) Nichtrückkehrtage allein auf die Rückkehr oder Nichtrückkehr am Ende des mehrtägigen Arbeitseinsatzes ankommt (vgl. auch Neu, E[X.] 2019, 1658, 1661 zu etwaigen Besonderheiten bei der Berechnung der Nichtrückkehrtage). Ob ein mehrtägiger ununterbrochener Arbeitseinsatz vorliegt, richtet sich dabei nach den arbeitsvertraglichen Regelungen und nicht nach der arbeitsrechtlichen [X.]ulässigkeit einer durchgängigen Rufbereitschaft oder der Möglichkeit einer Übernachtung außerhalb des [X.] während der Rufbereitschaften. Dies lässt sich insbesondere aus Nr. II.2. des [X.] herleiten (Senatsurteil in [X.], 270, [X.] 2014, 508).

bb) An dieser Auffassung hält der Senat ungeachtet des Umstands fest, dass sie im Streitfall dazu führt, dass sich einer der mehrtägigen (und damit einheitlich zu betrachtenden) Arbeitseinsätze über insgesamt 22 Tage erstreckt. [X.]war könnte ein solcher Fall Anlass zu weiteren Untersuchungen über die tatsächlich vereinbarten Arbeitszeiten geben. Auf Grundlage des [X.] und einer Bescheinigung der Klinik in [X.] gehen die Beteiligten aber übereinstimmend davon aus, dass der Kläger während seiner mehrtägigen Arbeitseinsätze in [X.] jeweils lückenlos 24-Stunden-Bereitschaftsdienste geleistet hat. Auch das [X.] hat dies in einer den Senat bindenden Weise (§ 118 Abs. 2 [X.]O) angenommen.

cc) Der Kläger ist jeweils am Ende seiner mehrtägigen Arbeitseinsätze --und damit "jeweils nach Arbeitsende" i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/2010-- an seinen Wohnort zurückgekehrt. Dies führt dazu, dass im Streitfall bereits die Eingangsvoraussetzungen des ersten Halbsatzes des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/2010 nicht erfüllt sind. Entgegen der Annahme des [X.] liegt kein einziger Nichtrückkehrtag vor, der Anlass für eine weitere Prüfung geben könnte, ob die zulässige Anzahl (schädlicher) Nichtrückkehrtage überschritten wird und dadurch der Status des [X.] als Grenzgänger entfällt. Dadurch erübrigen sich auch weitere Ausführungen dazu, ob und inwieweit mehrtägige Arbeitseinsätze Einfluss auf die Berechnung der Höchstgrenze schädlicher Nichtrückkehrtage haben (vgl. hierzu allgemein [X.] in [X.]/[X.]/[X.], Doppelbesteuerungsabkommen [X.]-[X.], Art. 15a Rz 41).

e) Schließlich hat das [X.] die Ablehnung der Qualifizierung als Grenzgänger zu Unrecht auch darauf gestützt, dass der Kläger ausschließlich in dem Streitjahr und nur an insgesamt 31 Tagen in [X.] gearbeitet hat. Auch diese Einschränkung lässt sich dem Grenzgängerbegriff des Art. 15a Abs. 2 [X.] 1971/2010 nicht entnehmen.

aa) Der Begriff "regelmäßig" in Art. 15a Abs. 2 Satz 1 [X.] 1971/ 2010 setzt keine Mindestanzahl an Grenzüberquerungen pro Woche oder Monat voraus ([X.] in [X.], [X.] Art. 15a Rz 46; grundsätzlich auch [X.] in [X.]/[X.]/[X.], a.a.O., Art. 15a Rz 48, aber Hinweis auf die gegenteilige Regelung in § 7 der Verordnung zur Umsetzung von [X.] zwischen der Bundesrepublik [X.] und [X.]erischen Eidgenossenschaft vom 20.12.2010 --[X.]--, [X.], 2187, [X.], 146; a.A. [X.]-Schreiben vom 19.09.1994, BStBl I 1994, 683 Rz 10; [X.]/[X.]/ Grotherr/[X.], Art. 15a [X.] Rz 16; [X.]/Enz/[X.], Die abkommensrechtlichen Grenzgängerbestimmungen zwischen den [X.], 2012, S. 23 Fn 66).

Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des Art. 15a Abs. 2 Satz 1 [X.] 1971/2010, da sich die Voraussetzung "regelmäßig" ausdrücklich nur auf das Verb "zurückkehrt" bezieht. In der Folge kommt als Bezugsgröße grundsätzlich nur die Gesamtzahl der Tätigkeitstage in Betracht, d.h. (nur) bezogen auf diese Tätigkeitstage --und nicht bezogen auf das gesamte [X.] muss eine regelmäßige und nicht nur gelegentliche Rückkehr vorliegen. Aus dem [X.]usatz "von dort" könnte allenfalls geschlossen werden, die Bezugsgröße noch enger auf die Tage der tatsächlichen [X.] in [X.] zu beschränken (so [X.] in [X.], [X.] Art. 15a Rz 46). Dies hätte im Streitfall aber keine entscheidungserhebliche Auswirkung, da der Kläger nach den Feststellungen des [X.] [X.] in [X.] geblieben ist.

Dass eine Mindestzahl an Grenzüberquerungen nicht erforderlich ist, ergibt sich zudem aus dem Wortlaut des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/2010, der definiert, was unter "regelmäßig" i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 1 [X.] 1971/2010 zu verstehen ist. Danach ist allein maßgebend, dass der Steuerpflichtige "nicht jeweils nach Arbeitsende" an den Wohnort zurückkehrt, ohne die Grenze von 60 schädlichen Nichtrückkehrtagen zu überschreiten. Anhaltspunkte für eine absolute Mindestzahl der Einsatztage am Arbeitsort in dem anderen Vertragsstaat lassen sich diesem Wortlaut nicht entnehmen. Dies wird durch Nr. II.3. und Nr. II.4. Satz 2 des [X.] bestätigt, die sowohl für Teilzeitbeschäftigte als auch bei einer nur zeitweisen Beschäftigung im Kalenderjahr lediglich eine proportionale Kürzung der Höchstgrenze schädlicher Nichtrückkehrtage vorsehen.

Im Übrigen entspricht diese Sichtweise auch dem [X.]weck der Grenzgängerregelung, der aus den Kriterien des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/2010 deutlich wird und darauf gerichtet ist, einer engeren Bindung des Steuerpflichtigen zum Ansässigkeitsstaat Rechnung zu tragen. Im [X.]usammenhang mit einer Rückkehr des Arbeitnehmers von Geschäftsreisen aus einem Drittland hat der Senat hierzu ausgeführt, dass eine tatsächliche Rückkehr an den Wohnsitz nicht zu einer Lockerung dieser Bindung führen kann. Vielmehr hat jede tatsächliche Rückkehr an den Wohnsitz --unabhängig von ihrem Ausgangspunkt-- eine Stärkung der Bindung zum Ansässigkeitsstaat zur Folge (vgl. Senatsurteil in [X.], 120, m.w.[X.]). Hiervon ausgehend kann allein der Umstand, dass der Arbeitsort in dem anderen Vertragsstaat nur selten aufgesucht wird, ebenfalls nicht zu einer Lockerung der Bindung an den Ansässigkeitsstaat und damit nicht zu einem Ausschluss der Anwendung der Grenzgängerregelung führen.

bb) Die Regelung des § 7 [X.], wonach bei geringfügigen Arbeitsverhältnissen eine regelmäßige Rückkehr i.S. des Art. 15a Abs. 2 [X.] 1971/2010 ausscheidet, wenn sich der Arbeitnehmer nicht mindestens an einem Tag pro Woche oder fünf Tagen pro Monat von seinem Wohnsitz an seinen Arbeitsort und zurück begibt, steht dem nicht entgegen. Unabhängig davon, ob die Ermächtigungsgrundlage des § 2 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung hinreichend bestimmt ist (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes --GG--, vgl. Senatsurteil in [X.], 120, m.w.[X.]), verstößt § 7 [X.] gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) und ist daher vom Senat zu verwerfen.

Durch die im Rang einer Rechtsverordnung stehende [X.] kann keine Regelung getroffen werden, die dem im Rang eines Gesetzes stehenden [X.] 1971/2010 widerspricht oder dessen Lücken ergänzt. Vielmehr ist die "[X.]" des Wortlauts des Art. 15a [X.] 1971/2010 zu beachten (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil in [X.], 120, m.w.[X.]).

Diesen Anforderungen wird § 7 [X.] nicht gerecht. Wie bereits ausgeführt, stützt der Senat sein von § 7 [X.] abweichendes Verständnis gerade auf den Wortlaut der Definition des Grenzgängers in Art. 15a Abs. 2 [X.] 1971/2010 sowie auf die ausdrücklichen Regelungen in Nr. II.3. und Nr. II.4. Satz 2 des [X.], auf die im [X.]ustimmungsgesetz vom 30.09.1993 ([X.] 1993, 1886, [X.], 927) Bezug genommen wird. Hiermit ist § 7 [X.] nicht vereinbar. Die Grenze von einem Tag in der Woche oder fünf Tagen im Monat ist lediglich in Nr. II.3. des [X.] vorgesehen. Diese Vorschrift regelt aber nur die Berechnung der Höchstgrenze schädlicher Nichtrückkehrtage bei zeitweiser Tätigkeit in dem anderen Vertragsstaat und gerade keine Mindestzahl der Einsatztage am Arbeitsort in dem anderen Vertragsstaat.

3. Das [X.] ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Daher war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif und die Klage abzuweisen.

a) [X.] steht als Ansässigkeitsstaat gemäß Art. 15a [X.] 1971/2010 das Besteuerungsrecht an den vom Kläger in [X.] erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu.

Auf Grundlage der den Senat bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) erfüllt der Kläger die Voraussetzungen eines Grenzgängers i.S. des Art. 15a Abs. 2 [X.] 1971/2010, da er regelmäßig an seinen Wohnort zurückgekehrt ist. Im Streitjahr ist es zu drei mehrtägigen Arbeitseinsätzen in [X.] gekommen, die nach Nr. II.1. des [X.] wegen durchgängiger 24-Stunden-Bereitschaftsdienste jeweils als Einheit zu betrachten sind und an deren Ende der Kläger jeweils an seinen Wohnort in [X.] zurückgekehrt ist. Es liegt kein einziger Nichtrückkehrtag vor, der zu einer Anwendung des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1971/2010 führen könnte.

b) [X.]ur Vermeidung der Doppelbesteuerung ist die gemäß Art. 15a Abs. 1 Satz 3 [X.] 1971/2010 in [X.] erhobene Quellensteuer in Höhe von 4,5 % auf die inländische Einkommensteuer anzurechnen (Art. 15a Abs. 3 Buchst. a [X.] 1971/2010 [X.]. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG).

Das [X.] hat zwar keine ausdrücklichen Feststellungen zur Anrechnung [X.] Quellensteuer getroffen. [X.]wischen den Beteiligten besteht hierüber aber kein Streit. Dass das [X.] die in Art. 15a Abs. 3 Buchst. a [X.] 1971/2010 vorgesehene Anrechnung im angefochtenen Bescheid vorgenommen hat, ergibt sich zudem aus den Akten. Eine zusätzliche Anwendung des § 34c EStG ist selbst dann ausgeschlossen, wenn die [X.] entgegen Art. 15a Abs. 1 Satz 3 [X.] 1971/2010 mehr als 4,5 % Quellensteuer einbehalten haben sollte (vgl. Senatsurteil vom 02.03.2010 - I R 75/08, [X.] 2010, 1820; [X.] in [X.], [X.] Art. 15a Rz 62, m.w.[X.]).

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.

5. Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Kläger und des [X.] im schriftlichen Verfahren (§ 121 Satz 1 [X.]. § 90 Abs. 2 [X.]O). Das Einverständnis des beigetretenen [X.] war hierfür nicht erforderlich (s. allgemein Urteil des [X.] vom 11.11.2010 - VI R 17/09, [X.], 40, [X.] 2011, 969).

Meta

I R 32/19

01.06.2022

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend FG München, 12. September 2018, Az: 15 K 1010/18, Urteil

Art 15a DBA CHE, Art 24 Abs 1 Nr 1 S 1 Buchst d DBA CHE, § 7 KonsVerCHEV

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 01.06.2022, Az. I R 32/19 (REWIS RS 2022, 6606)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6606


Verfahrensgang

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Az. I R 32/19

Bundesfinanzhof, I R 32/19, 01.06.2022.


Az. 15 K 1010/18

FG München, 15 K 1010/18, 12.09.2018.


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