Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.11.2011, Az. IV ZR 173/10

4. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 1614

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Gegenstand

Geld- und Werttransportversicherung: Stofflicher Zugriff auf versicherte Sachen


Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 20. Zivilsenats des [X.] vom 16. Juli 2010 aufgehoben, soweit zu ihrem Nachteil entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin, eine Genossenschaftsbank, begehrt Versicherungsleistungen im Zusammenhang mit einer von der [X.] (im Folgenden: [X.]) bei den Beklagten im Wege der offenen [X.] genommenen Geld- und Werttransportversicherung ([X.]-03). Die zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen (im Folgenden: [X.]) sind im Senatsurteil vom heutigen Tag im Verfahren IV ZR 251/08 auszugsweise wiedergegeben. Versicherte dieses Vertrages sind die jeweiligen Auftraggeber der Geldentsorgung und -versorgung.

2

Geschäftsführer der [X.] verwendeten seit dem [X.] dieser zum Transport überlassenes Bargeld zweckwidrig, indem sie damit unter anderem Verbindlichkeiten der [X.] gegenüber anderen Auftraggebern beglichen. Nach Aufdeckung dieser Geschäftspraktiken im [X.] 2006 fochten die Beklagten den Versicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung bei Vertragsschluss an.

3

Die Klägerin macht einen Schaden aufgrund der unterbliebenen Befüllung von Geldautomaten in Höhe von 1.243.000 €, Fehlbeträge von 56.260,61 € und 51.540 € wegen [X.] Gutschriften aufgrund der Leerung von Einzahlungsautomaten und der Entsorgung von [X.] aus Auszahlungsautomaten, den Verlust einer Bargeldreserve von 150.000 € und weitere Schäden in Höhe von insgesamt 39.430,62 € im Zusammenhang mit der von der Klägerin in Auftrag gegebenen Bargeldentsorgung und -versorgung geltend. Hiermit war die [X.] auf der Grundlage eines mit der Klägerin geschlossenen "Vertrages über den Transport, die Bearbeitung und die Verwahrung von Bargeld und sonstigen Werten" (im Folgenden: Transportvertrag) betraut.

4

Die Klägerin beruft sich unter Berücksichtigung eines zurückerhaltenen Betrages von 525.654,40 € im Hauptantrag auf einen  jeweils am Mitversicherungsanteil orientierten Leistungsanspruch aus dem Versicherungsvertrag. Die Parteien streiten insbesondere darüber, ob die Beklagten schon infolge der Anfechtung leistungsfrei sind sowie ob die [X.] im Umgang mit dem ihr anvertrauten Bargeld gegen vertragliche Verpflichtungen verstoßen und dadurch einen Versicherungsfall ausgelöst hat.

5

Das [X.] hat den Beklagten zu 1 auf den Hauptantrag zur Zahlung anteiliger Versicherungsleistung wegen der Fehlbeträge, der unterbliebenen Befüllung von Geldautomaten und des Verlustes der Bargeldreserve verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat der Klägerin auf ihre Berufung gegenüber der Beklagten zu 2 insofern ebenfalls aufgrund des [X.] eine anteilige Versicherungsleistung zugesprochen und die Berufung des Beklagten zu 1 zurückgewiesen. Mit ihrer Revision wenden sich die Beklagten gegen ihre Verurteilung.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

7

I. Dieses hat im Wesentlichen ausgeführt:

8

Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Versicherungsleistung, den sie geltend zu machen berechtigt sei, gegenüber den [X.] entsprechend ihrer Beteiligungsquoten wegen der Fehlbeträge von 56.260,61 € und 51.540 €, des Verlustes der [X.] von 150.000 € und der unterbliebenen Befüllung von Geldautomaten mit 1.243.000 € zu.

9

An die Verpflichtung aus Ziffer 15.4 [X.], Ansprüche nur gegen den führenden Versicherer entsprechend seiner Beteiligungsquote geltend zu machen, sei die Klägerin nicht gebunden. Mit der Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung hätten die [X.] zugleich ihre aus Ziffer 15.4 [X.] folgende Verpflichtung infrage gestellt. Nach [X.] und Glauben könnten sie daher von der Klägerin nicht mehr verlangen, sich ihrerseits daran zu halten.

Hinsichtlich der Fehlbeträge von 56.260,61 € und 51.540 € wegen [X.] Gutschriften aufgrund der Leerung von Einzahlungsautomaten und der Entsorgung von [X.] aus [X.] sei ein Versicherungsfall eingetreten. Dies ergebe sich aus drei unterschiedlichen Gründen.

Die nach Ziffer 3.1 [X.] versicherte Gefahr für das allein vom Versicherungsschutz umfasste Bargeld habe sich bereits durch eine von der [X.] vorgenommene Vermischung der zu entsorgenden Gelder der Klägerin mit denen anderer Auftraggeber verwirklicht, da dies ohne hinreichende Dokumentation erfolgt sei. Das sei mitursächlich für den Schaden der Klägerin und habe den vertraglichen Verpflichtungen der [X.] widersprochen. Es habe zumindest stets klar sein müssen, mit welchem Anteil welcher Auftraggeber Bruchteilseigentümer einer bestimmten Geldmenge gewesen sei. Wegen der fehlenden Dokumentation sei es der Klägerin hingegen unmöglich, den Verbleib der an die [X.] übergebenen Gelder nachzuweisen.

Ein versicherter Zugriff sei auch in der Einzahlung des Bargeldes der Klägerin auf ein Konto der [X.] bei der [X.] zu sehen. Darin liege ein Verstoß gegen die im Rahmen der Geldentsorgung übernommenen Verpflichtungen. Der aus Einzahlungsautomaten stammende Betrag von 56.260,61 € sei gemäß den Vorgaben des [X.] nach Zählung von der [X.] zur Einzahlung auf ein Konto der Klägerin bei der [X.] zu bringen gewesen; das aus [X.] aus Geldautomaten zu entsorgende Bargeld in Höhe von 51.540 € sei im Wege des [X.] auf ein Konto der … einzuzahlen gewesen. Dass die Klägerin in Abweichung von dieser Vereinbarung - gegebenenfalls auch nur stillschweigend - mit einer Einzahlung auf ein Eigenkonto der [X.] einverstanden gewesen sei, habe diese nicht annehmen dürfen.

Letztlich sei ein Versicherungsfall gegeben, weil davon auszugehen sei, dass die [X.] die zu entsorgenden Gelder nicht bei der [X.] eingezahlt habe. Dies stehe fest, da die [X.] ihrer diesbezüglichen Darlegungslast nicht genügt hätten.

Auch mit der [X.] von 150.000 € sei ein Versicherungsfall verbunden. Diese sei als Notkasse in den Bereich der [X.] gelangt, eine Rückerstattung sei nicht erfolgt.

Hinsichtlich der unterbliebenen Bestückung von Geldautomaten mit einem Betrag von insgesamt 1.243.000 € liege ebenfalls ein Versicherungsfall vor. Diese Geldmenge sei der [X.] am 29. August 2006 von der [X.] im Auftrag der Klägerin ausgezahlt worden, zur Befüllung der Automaten sei es jedoch nicht mehr gekommen. Wenn dieses Geld mit dem anderer Auftraggeber vermischt oder auf ein Konto der [X.] eingezahlt worden sei, ergebe sich die Leistungspflicht der [X.] aus den Überlegungen zur Geldentsorgung. Im Fall einer Bargeldunterschlagung durch einen Mitarbeiter der [X.] folge die Pflicht zur Leistung unmittelbar aus den Ziffern 2.1, 2.1.1, 3.1 und 3.1.2 [X.].

Vom versicherten Schaden in Höhe von insgesamt 1.500.800,60 € sei ein der Klägerin zurückgezahlter Betrag von 525.564,50 € in Abzug zu bringen, so dass ein Anspruch in Höhe von 975.236,10 € verbleibe. Dieser sei nicht infolge der von den [X.] erklärten Anfechtung des Versicherungsvertrages entfallen. Mit der Geltendmachung dieses Einwands seien diese gegenüber der Klägerin aufgrund Ziffer 9.3.3 Abs. 2 [X.] ausgeschlossen.

Die Klägerin treffe auch kein anrechenbares Mitverschulden; Anhaltspunkte für eine grob fahrlässige Verursachung des Versicherungsfalles i.S. des § 61 [X.] a.F. bestünden nicht. Die Einstandspflicht der Versicherer sei nicht durch die Vereinbarung einer Höchstsumme von 10 Mio. € in Ziffer 9.3.3 Abs. 2 [X.] begrenzt. Auch ein gedehnter Schadenfall liege nicht vor.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung in entscheidungserheblichen Punkten nicht stand.

1. Das Berufungsgericht nimmt allerdings richtig an, dass die Klägerin infolge der erklärten Anfechtung des Versicherungsvertrages durch die [X.] nicht an die Verpflichtung aus Ziffer 15.4 Satz 1 [X.] gebunden ist, nur gegen den führenden Versicherer Klage zu erheben.

Wie der Senat mit Urteil vom heutigen Tag im Verfahren [X.] (unter [X.]) näher dargelegt hat, ist der Anwendungsbereich der in Ziffer 15.4 Satz 1 [X.] vereinbarten - lediglich passiven - [X.] nicht eröffnet. Es fehlt an dem von ihr vorausgesetzten Gleichlauf der Einwendungen der Versicherer, die dem Anspruch auf Versicherungsleistung entgegengehalten werden können. Darüber hinaus stellt sich die Erhebung dieses Einwandes bei gleichzeitigem Berufen auf die Unwirksamkeit des Vertrages insgesamt infolge Anfechtung wegen arglistiger Täuschung bei Vertragsschluss als ein nach § 242 BGB zu missbilligendes Verhalten dar.

2. Einen nach Ziffer 3.1 [X.] versicherten Schaden hat das Berufungsgericht sowohl betreffend den aus Einzahlungsautomaten zu entsorgenden Betrag von 56.260,61 € als auch bezüglich der unterbliebenen Befüllung von Geldautomaten (1.243.000 €) im Ergebnis zutreffend festgestellt, einen solchen jedoch in Bezug auf die Entsorgung von [X.] aus [X.] (51.540 €) und die [X.] von 150.000 € fehlerhaft bejaht.

a) Über die hier genommene Geld- und [X.] ist nur transportiertes Bargeld gegen typische Transportrisiken bei und während des Transports bis zu dessen Abschluss versichert. [X.] ist dabei lediglich das Sacherhaltungsinteresse des versicherten Auftraggebers. Der Versicherungsschutz erfasst nur einen "stofflichen" Zugriff auf versicherte Sachen, nicht aber einen Zugriff auf Buch- oder Giralgeld (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. November 2007 - [X.], [X.], 395 Rn. 4 ff. und - [X.], [X.] 2008, 129 Rn. 4 ff.; Senatsurteil vom 25. Mai 2011, [X.] - IV ZR 117/09, [X.], 918 Rn. 21 ff.; a.[X.], [X.], 1081, 1082 f.).

b) Die Klägerin muss als Versicherte darlegen und beweisen, dass der geltend gemachte Schaden in den vertraglich abgesteckten Schutzbereich der Versicherung fällt; erst dann obliegt es den [X.] als Versicherer nachzuweisen, dass der Verlust nicht auf einer Transportgefahr beruht (vgl. nur Senatsurteil vom 25. Mai 2011, [X.] - IV ZR 117/09, [X.], 918 Rn. 41).

aa) Die vom Berufungsgericht vorgenommene abweichende Verteilung der Darlegungslast rechtfertigt sich weder daraus, dass die Klägerin behauptet, durch eine vorsätzliche Straftat der [X.] zu Schaden gekommen zu sein, noch aus einer Auslegung des Versicherungsvertrages (vgl. dazu Senatsurteil vom 25. Mai 2011, [X.] - IV ZR 117/09, [X.], 918 Rn. 42 ff.).

bb) Beweiserleichterungen zugunsten der Klägerin sind - entgegen der Annahme des Berufungsgerichts - auch nicht damit zu begründen, dass - wie von der Klägerin behauptet - die Geldbearbeitung durch die [X.] nicht hinreichend dokumentiert ist. Eine etwaige unzureichende Dokumentation kann sich jedenfalls nicht zum Nachteil der Versicherer auswirken. Im Gegensatz zu den Auftraggebern ist ihnen nicht bekannt, welche Gelder der [X.] zum Transport anvertraut worden sind. Ihnen steht auch kein Anspruch gegenüber der [X.] auf Auskunft über deren Behandlung, Verbleib und Verbuchung zu. Dagegen haben es die Auftraggeber selbst in der Hand, ihre Interessen am Erhalt des Transportgutes durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen und die Überwachung ihrer Einhaltung zu schützen.

c) Den danach erforderlichen Nachweis eines innerhalb des nach Ziffer 5.1 Satz 1 [X.] versicherten Zeitraums eingetretenen Versicherungsfalles i.S. von Ziffer 3.1 [X.] hat die Klägerin für den aus Einzahlungsautomaten zu entsorgenden Betrag von 56.260,61 € erbracht.

aa) Der von den Versicherungsbedingungen vorausgesetzte "stoffliche" Zugriff erfordert einen nach außen in Erscheinung tretenden Akt des Zugreifenden, in dem sich der Zugriff auf eine für den Transport vorgesehene Sache manifestiert. Ein solcher Zugriff ist hier schon deshalb anzunehmen, weil die geschuldete Übergabe an die [X.] nicht nach den Vorgaben des [X.] ausgeführt worden ist.

Daher kommt es nicht darauf an, ob  wie die Klägerin behauptet  bereits vor Einzahlung bei der [X.] ein "stofflicher" Zugriff erfolgt ist. Denn auf der Grundlage des Vortrags der [X.], den sich die Klägerin zu Eigen gemacht hat, steht fest, dass die [X.] das für die Klägerin zu entsorgende Bargeld letztlich vollständig auf bei der [X.] unterhaltene eigene Konten eingezahlt hat. Allein dies begründet einen Verstoß gegen die im Transportvertrag niedergelegten Pflichten und damit einen vom Versicherungsschutz umfassten "stofflichen" Zugriff.

Das folgt aus der Regelung in Ziffer 1 der Anlage 2 zum Transportvertrag ("Vereinbarung über die Bearbeitung und Verwahrung sowie die Abholung von Werten"). Danach sind "Bargeldbestände, die aus Einzahlungen von Filialen des Auftraggebers stammen, … am darauffolgenden Bankarbeitstag gebündelt an die jeweilige Filiale der [X.] … zu Gunsten des Kontos der Hausbank des Auftraggebers zu liefern". Nach Ziffer 2 werden die eingenommenen und von der [X.] bearbeiteten Gelder "zur Einzahlung bei einer Filiale der [X.] zugunsten des Kontos des Auftraggebers gebracht".

Der Zusammenschau dieser Regelungen hat das Berufungsgericht entnommen, dass das Bargeld im Zuge der Übergabe an die [X.] von der [X.] auf ein Konto der Klägerin bei der [X.] einzuzahlen (sog. [X.]) und die Einzahlung auf ein Eigenkonto der [X.] nicht gestattet ist. Damit hat es den Transportvertrag in aus Rechtsgründen nicht zu beanstandender Weise ausgelegt. Seine tatrichterliche Auslegung unterliegt im Revisionsverfahren nur der eingeschränkten Überprüfung darauf, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt sind oder wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht gelassen wurde (vgl. nur [X.], Versäumnisurteil vom 6. Juli 2005 - [X.], NJW 2005, 3205 unter II 2 a; Urteil vom 7. Dezember 2004 - [X.] 366/03, NJW-RR 2005, 581 unter [X.] (2)).

Die Vereinbarung des [X.] erschließt sich bereits daraus, dass die Einzahlung auf das Konto einer Bank bei der [X.] zu erfolgen hatte. Gerade dies weist auf das [X.], da Banken - anders als andere Auftraggeber der [X.] - berechtigt sind, eigene Konten bei der [X.] zu unterhalten. Zur Geldentsorgung bedarf es in diesem Fall keiner Zwischenschaltung eines weiteren Kontos. Anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass das Geld gebündelt zu liefern ist.

bb) Der "stoffliche" Zugriff durch Einzahlung auf ein eigenes Konto liegt innerhalb des nach Ziffer 5.1 Satz 1 [X.] versicherten Zeitraums, der erst endet, wenn das Bargeld "in die Obhut des berechtigten Empfängers übergeben" wird. Dazu ist hier erforderlich, dass zum einen das Transportgut der [X.] überlassen wird und diese zum anderen die - vertragsgemäße - Anweisung erhält, welchem Konto das noch "stofflich" vorhandene Bargeld gutzuschreiben ist (vgl. Senatsurteil im Verfahren [X.] unter [X.] c).

cc) Das Vorgehen der [X.] ist - wie das Berufungsgericht richtig sieht - auch nicht deshalb vertragsgemäß, weil die Klägerin einer Abweichung von den sich aus dem Wortlaut des [X.] ergebenden Weisungen von vornherein zugestimmt oder diese zumindest stillschweigend geduldet hätte. Selbst bei unterstellter Kenntnis der Klägerin davon, dass sie im Zuge der Geldentsorgung lediglich - gegebenenfalls verzögerte - Überweisungen von einem Eigenkonto der [X.] erhalten hat, ist nach den festgestellten Umständen zur Abwicklung des [X.] für ein stillschweigendes Abbedingen der vertraglichen Vereinbarung oder die Annahme einer rechtserheblichen Duldung kein Raum. Denn dies hätte dazu geführt, dass die zu entsorgenden Gelder einem erweiterten, teils nicht mehr versicherten Zugriff durch die Versicherungsnehmerin ausgesetzt gewesen wären (vgl. Senatsurteil im Verfahren [X.] unter [X.] d).

d) Darüber hinaus ist ein Versicherungsfall innerhalb des nach Ziffer 5.1 Satz 1 [X.] versicherten Zeitraums bezüglich des Geldbetrages von 1.243.000 € eingetreten, der für Befüllung von Geldautomaten vorgesehen gewesen ist.

aa) Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die [X.] auf Weisung der Klägerin am 29. August 2006 diesen Betrag an die [X.] ausgezahlt. Mit diesem Geld sind - auf der Grundlage des [X.] - am Folgetag einzeln benannte Geldautomaten in genau angegebener Höhe zu befüllen gewesen. Das ist nicht erfolgt; der Verbleib des Geldes ist ungeklärt.

bb) Im Unterbleiben der im Rahmen des konkreten [X.] geschuldeten Ablieferung der jeweiligen Geldmengen an den vorgesehenen [X.] liegt bereits ein "stofflicher" Zugriff auf das Transportgut. Die [X.] unterbricht damit - nach außen erkennbar - den vereinbarten Ablauf der Geldversorgung. Sie handelt - wie im Fall einer vertragswidrigen Einzahlung zu entsorgender Gelder auf ein Eigenkonto - den vertraglichen Vorgaben zuwider und entzieht damit zugleich der Klägerin als Auftraggeberin die Möglichkeit zu bestimmen, wie mit dem Bargeld verfahren wird.

Dieser Zugriff liegt innerhalb des nach Ziffer 5.1 Satz 1 [X.] versicherten Zeitraums. Das der [X.] im Rahmen der Geldversorgung überlassene Bargeld ist nicht "in die Obhut des berechtigten Empfängers" gelangt, da es nicht zu den von der Klägerin benannten Geldautomaten gebracht und dort eingesetzt worden ist.

Zur Annahme eines Versicherungsfalles bedarf es - anders als die Revision meint - daher keiner Feststellungen dazu, ob die [X.] das Geld zu anderen Zwecken verwendet hat, oder zu dessen weiterem Verbleib.

e) Dagegen trägt die Annahme des Berufungsgerichts nicht, bezüglich der Entsorgung von [X.] aus [X.] (51.540 €) sei ein Versicherungsfall gegeben.

aa) Zwar sieht es auch insofern richtig, dass der nach außen in Erscheinung tretende Akt des Zugreifenden, in dem sich der Zugriff auf eine für den Transport vorgesehene Sache manifestiert, gegeben ist, wenn - wie hinsichtlich des aus Einzahlungsautomaten zu entsorgenden Bargeldes - die geschuldete Übergabe an die [X.] nicht nach den vertraglichen Vorgaben zur Geldentsorgung ausgeführt wird.

bb) Diese Vorgaben entnimmt das Berufungsgericht für die Entsorgung von [X.] jedoch fehlerhaft dem zwischen der Klägerin, der [X.] und der [X.] geschlossenen Vertrag über das sogenannte ... -Verfahren (vgl. dazu Senatsurteil im Verfahren [X.] unter [X.] b und c).

Die Klägerin hat erstmals im Berufungsverfahren behauptet, die [X.] seien nach Maßgabe dieses Vertrages zu entsorgen und die betreffenden Gelder auf ein Konto der [X.] bei der [X.] einzuzahlen gewesen. Trotz [X.] der [X.] hat sie diesen Vortrag, der in Widerspruch zu ihrem erstinstanzlichen Vorbringen steht, dass auch die [X.] aufgrund des mit der [X.] geschlossenen [X.] zu entsorgen und die Gelder Konten der Klägerin gutzubringen gewesen seien, nicht weiter substantiiert. Sie hat insbesondere nicht dargelegt, worin die im Vergleich zur Entsorgung von [X.] aus Einzahlungsautomaten abweichende Behandlung gründet.

Daher durfte das Berufungsgericht seiner Entscheidung nicht ohne weitere Sachaufklärung zugrunde legen, dass die [X.] auf Grundlage des Vertrages über das ... -Verfahren zu entsorgen waren. Zudem hat es nicht beachtet, dass bei einer Abwicklung auf diesem Wege eine Versicherung unter dem [X.]-03 nur solange besteht, wie die Klägerin Auftraggeberin der von der [X.] durchgeführten Transporte ist (vgl. dazu Senatsurteil im Verfahren [X.] unter II 4 a und b cc).

f) Des Weiteren hat die Klägerin einen Versicherungsfall bisher nicht bezüglich der [X.] in Höhe von 150.000 € dargelegt.

Die Revision greift die Feststellungen des Berufungsgerichts, das sich insofern auf das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme bezieht, zum Bestand der Reserve nicht an. Daher steht fest, dass die [X.] zu deren Anlage Bargeld in Höhe von 150.000 € erhalten hat und dass noch im August 2006 eine Geldmenge in diesem Umfang körperlich im Gewahrsam der [X.] vorhanden gewesen ist.

Ob es in der Folge zu dem in den Versicherungsbedingungen vorausgesetzten "stofflichen" Zugriff seitens der [X.] auf dieses Bargeld gekommen ist oder ob dieses nach dem Zusammenbruch der [X.] gegebenenfalls an andere Gläubiger gelangt oder noch vorhanden ist, hat das Berufungsgericht jedoch nicht festgestellt. Allein dass eine Rückerstattung durch die [X.] oder deren Insolvenzverwalter unterblieben ist, vermag dies nicht zu begründen.

3. Die [X.] sind auch nicht - wie die Revision meint - deshalb nach §§ 130, 131 [X.] a.F. i.V.m. § 79 Abs. 1 [X.] a.F. leistungsfrei, weil die Klägerin mit Blick auf eine etwaige Kenntnis von Pflichtverletzungen die Fortsetzung der Geschäftspraktiken der [X.] ermöglicht oder zumindest begünstigt hätte.

Selbst bei einer - wie von der Revision behauptet - fahrlässigen Schadenverursachung durch die Klägerin ist Versicherungsschutz zu gewähren. Die §§ 130, 131 [X.] a.F. sind gemäß Ziffer 4.2.1 [X.] zugunsten der Versicherten abbedungen. Diese Regelung schließt vom Versicherungsschutz Schäden aus, "die vom Auftraggeber oder seinen Repräsentanten vorsätzlich herbeigeführt werden". Dem entnimmt ein durchschnittlicher, juristisch nicht vorgebildeter Versicherungsnehmer einer Transportversicherung, der zudem die [X.] und Interessen der Versicherten beachtet (vgl. dazu Senatsurteil vom 25. Mai 2011, [X.] - IV ZR 117/09, [X.], 918 Rn. 22), dass nur vorsätzlich vom versicherten Auftraggeber herbeigeführte Schäden ausgenommen sind. Das darf er dahin verstehen, dass eine lediglich fahrlässige oder grob fahrlässige Verursachung eines Schadens den zu gewährenden Versicherungsschutz nicht beeinträchtigt.

4. Mit Recht hat das Berufungsgericht einen gedehnten Schadenfall abgelehnt und angenommen, dass die in Ziffer 9.3.3 Abs. 2 [X.] vereinbarte Haftungshöchstgrenze von 10 Mio. € je Schadenfall den Anspruch der Klägerin nicht berührt. Jeder einzelne vertragswidrige Umgang mit zur Ent- oder Versorgung überlassenem Bargeld begründet einen "stofflichen" Zugriff infolge separaten Verstoßes gegen die sich aus dem Transportvertrag ergebenden Pflichten und damit einen getrennt zu beurteilenden Versicherungsfall.

5. Das Berufungsgericht hat die [X.] jedoch aufgrund Ziffer 9.3.3 Abs. 2 [X.] zu Unrecht mit dem Einwand der Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung i.S. von § 123 Abs. 1 BGB ausgeschlossen.

Wie der Senat mit Beschluss vom 21. September 2011 ([X.]I - [X.]/09 Rn. 26 ff.) entschieden hat, ist ein vertraglicher, im Voraus erklärter Ausschluss der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung bei Vertragsschluss unwirksam, wenn die Täuschung von dem Geschäftspartner selbst oder von einer Person verübt worden ist, die nicht Dritter i.S. des § 123 Abs. 2 BGB ist. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen den [X.] als Versicherer gegenüber den Versicherten einer Versicherung für fremde Rechnung. Es kann daher offen bleiben, ob Ziffer 9.3.3 Abs. 2 [X.] durch Auslegung ein solcher, gegenüber diesen wirkender Verzicht zu entnehmen ist.

Das Berufungsgericht wird der Frage nachzugehen haben, ob die [X.] ihre Vertragserklärungen wirksam wegen arglistiger Täuschung bei Vertragsschluss angefochten haben.

III. [X.] ist nicht zur Endentscheidung reif und daher gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Dr. [X.]Wendt                                             Felsch

                               Lehmann                                  Dr. Brockmöller

Meta

IV ZR 173/10

09.11.2011

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Hamm, 16. Juli 2010, Az: I-20 U 128/08, Urteil

§ 1 VVG, Nr 3.1 ValorenAVB 1981, Nr 4.2.1 ValorenAVB 1981, Nr 5.1 ValorenAVB 1981, Nr 9.3.3 ValorenAVB 1981, Nr 15.4 ValorenAVB 1981

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.11.2011, Az. IV ZR 173/10 (REWIS RS 2011, 1614)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1614

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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IV ZR 173/10 (Bundesgerichtshof)


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