Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.12.2022, Az. 10 AZR 531/20

10. Senat | REWIS RS 2022, 9408

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Angemessener Nachtarbeitszuschlag - Dauernachtarbeit - Zeitungszusteller - Pressefreiheit


Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 5. Juni 2020 - 10 [X.]/19 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Höhe angemessener Nachtarbeitszuschläge nach § 6 Abs. 5 [X.].

2

Die Beklagte gehört zur Unternehmensgruppe D. Sie ist ein Zustellbetrieb und stellt die [X.]ungstitel der Unternehmensgruppe an die jeweiligen Abonnenten zu. Sie beschäftigt etwa 1.050 Zusteller. In ihrem Betrieb ist ein Betriebsrat gebildet.

3

Der Kläger war im streitgegenständlichen [X.]raum bei der [X.] als [X.]ungszusteller beschäftigt und erbrachte seine Arbeit während der gesetzlichen Nachtzeit im Umfang von mehr als zwei Stunden an mehr als 48 Tagen pro Kalenderjahr. Die Beklagte zahlte dem Kläger einen [X.] iHv. 20 % auf den jeweiligen Bruttostundenlohn.

4

§ 9 des Arbeitsvertrags der Parteien enthält eine Ausschlussklausel, wonach alle Ansprüche aus und im Zusammenhang mit dem Arbeitsvertrag innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden müssen. Ferner ist der Anspruch nach schriftlicher Ablehnung durch die Beklagte binnen einer Frist von drei Monaten gerichtlich einzuklagen.

5

In einer Betriebsvereinbarung vom 29. März 2016 ([X.]) heißt es:

        

„1.     

        

Die Arbeitgeberin verzichtet bezüglich solcher Ansprüche auf Zahlung eines angemessenen Nachtzuschlags, die zum heutigen Tag nicht bereits verfallen sind, auf die Einhaltung etwaiger Verfallfristen durch die Arbeitnehmer, die als [X.]ungszusteller bei ihr beschäftigt sind oder waren. Die Frage der angemessenen Höhe ist zwischen den Parteien streitig.

        

2.    

        

Die Arbeitgeberin verpflichtet sich, einen höheren Nachtzuschlag als zehn Prozent an alle bei ihr beschäftigten [X.]ungszusteller zu zahlen, wenn im Rechtsstreit eines [X.], der Arbeitnehmer der Arbeitgeberin ist oder war, durch rechtskräftiges Urteil ein höherer Nachtzuschlag als zehn Prozent als angemessen festgestellt worden ist (einer Feststellung im [X.] bedarf es nicht). Diese Verpflichtung übernimmt die Arbeitgeberin durch diese Betriebsvereinbarung spätestens für die [X.] ab Rechtskraft des Urteils.“

6

Dort ist als Arbeitgeberin die „[X.], vertreten durch ihre Komplementärin, die [X.]“, bezeichnet und als Betriebsrat der „Betriebsrat der [X.]“. Unterzeichnet haben die [X.] der Vorsitzende des Betriebsrats der [X.], [X.], und der damalige Geschäftsführer der Komplementärin der [X.], Herr B.

7

In einer Betriebsvereinbarung zur innerbetrieblichen Lohngestaltung vom 23. Dezember 2016 ([X.]), ebenfalls unterzeichnet von [X.] und Herrn B, ist in Abschn. I Nr. 3 geregelt:

        

„Lohnbestandteil: angemessener Nachtzuschlag. Dieser beträgt für bis zum 31.12.2016 eingestellte Arbeitnehmer mindestens 20 Prozent und für ab dem 01.01.2017 eingestellte Arbeitnehmer mindestens 10 Prozent.“

8

Der Kläger verlangt mit der Klage einen um zehn Prozentpunkte höheren [X.] jetzt noch für den [X.]raum Dezember 2015 bis März 2019, den er erstmals mit Schreiben vom 7. November 2018 verlangt hatte. Die rechnerisch unstreitige Vergütungsdifferenz für den vorgenannten [X.]raum beläuft sich insgesamt auf 2.568,14 Euro brutto.

9

Der Kläger hat gemeint, für seine dauerhaft während der Nachtzeit versehene Arbeitsleistung sei ein Zuschlag von insgesamt 30 % auf das Bruttoarbeitsentgelt angemessen. Selbst wenn sich die Beklagte für ihr Zustellkonzept auf die Medienfreiheit berufen könne, dürfe das den Gesundheitsschutz der Nachtarbeitnehmer nicht unterlaufen, der durch § 6 Abs. 5 [X.] gewährleistet werde. Auf die vertragliche Ausschlussfrist nach § 9 des Arbeitsvertrags könne sich die Beklagte nicht berufen, da hierauf in der Betriebsvereinbarung 3/2016 wirksam verzichtet worden sei.

Der Kläger hat - soweit für die Revision von Interesse - beantragt,

        

1.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.017,98 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz in gestaffelter Höhe zu zahlen;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 238,67 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz in gestaffelter Höhe zu zahlen;

        

3.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 305,93 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz in gestaffelter Höhe zu zahlen;

        

4.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat Dezember 2018 5,56 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 5. Januar 2019 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Zustellung von Tageszeitungen in den frühen Morgenstunden sei Gegenstand der grundrechtlich garantierten Medienfreiheit und für die freiheitlich-demokratische Grundordnung unverzichtbar. Sie sei im streitgegenständlichen [X.]raum für die Verwirklichung ihres Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG wegen der Kundenanforderungen zwingend auf die Nachtarbeit angewiesen gewesen. Die [X.]ungszustellung sei für das Gemeinwohl ebenso bedeutsam wie etwa die Arbeit von Rettungsdiensten und Feuerwehren. Da allein die mit der ungünstigen Lage der Arbeitszeit verbundene Erschwernis habe ausgeglichen werden können, sei ein geringerer [X.] iSd. § 6 Abs. 5 [X.] angemessen. Es sei auch zu berücksichtigen, dass es keinen „Regelsatz“ für einen Zuschlag iHv. 30 % für „Dauernachtarbeit“ gebe. Außerdem stelle die [X.]ungszustellung eine leichte Tätigkeit dar, die Teilhabe am [X.] Leben sei nicht gravierend tangiert, die tägliche Arbeitszeitdauer während der Nacht sei gering, habe zudem nur im frühmorgendlichen Randbereich des [X.] gelegen und es habe nur ein kurzer Arbeitsweg vorgelegen. Auch europarechtliche Wertungen seien bei der Festlegung des angemessenen [X.]s zu berücksichtigen, wonach nur die [X.] zwischen 24:00 Uhr und 05:00 Uhr als Nachtarbeitszeitraum umfasst sei. Schließlich sei zu beachten, dass die wirtschaftliche Lage der [X.] dramatisch sei und bereits die Einführung des Mindestlohns nach dem [X.] zu einer deutlichen Erhöhung der Zustellkosten geführt habe. Im Übrigen zeige die [X.], dass die Betriebsparteien grundsätzlich einen [X.] von 10 % für angemessen hielten.

Die streitgegenständlichen Ansprüche seien gemäß § 9 des Arbeitsvertrags verfallen. Ein Verzicht auf die Geltung der Ausschlussfristen sei durch die [X.] nicht erfolgt, wobei bereits fraglich sei, ob diese Betriebsvereinbarung formell wirksam geschlossen worden sei. Jedenfalls habe sich der Zweck der [X.] durch den Abschluss der [X.] und der dortigen Regelung zum [X.] erledigt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit für die Revision von Bedeutung - stattgegeben. Das [X.] hat die Berufung der [X.] zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das [X.] hat die Beklagte zu Recht dazu verurteilt, höhere [X.] zu zahlen.

I. Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere als abschließende Gesamtklage hinreichend bestimmt (vgl. zu den Voraussetzungen [X.] 10. November 2021 - 10 [X.] - Rn. 11).

II. Die Klage ist begründet. Das [X.] hat zutreffend erkannt, dass für die Arbeitsstunden, die der Kläger im streitgegenständlichen [X.]raum während der gesetzlichen Nachtzeit geleistet hat, ein Zuschlag von insgesamt 30 % auf das Bruttoarbeitsentgelt angemessen ist. Der Anspruch [X.]. insgesamt - rechnerisch unstreitigen - 2.568,14 Euro brutto folgt aus § 611 Abs. 1 BGB (bis 31. März 2017) bzw. aus § 611a Abs. 2 BGB (ab 1. April 2017) iVm. § 6 Abs. 5 [X.]. Für [X.] ergibt sich der Anspruch aus den Bestimmungen des EFZG und [X.].

1. § 6 Abs. 5 [X.] verpflichtet den Arbeitgeber, soweit eine tarifvertragliche Ausgleichsregelung nicht besteht, dem Nachtarbeitnehmer für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren. Eine tarifvertragliche Ausgleichsregelung besteht im Streitfall nicht.

2. Der Kläger war im streitgegenständlichen [X.]raum unstreitig Nachtarbeitnehmer iSd. Arbeitszeitgesetzes (§ 2 Abs. 3 bis 5 [X.]). Er hat, soweit [X.] gefordert werden, ausschließlich während der gesetzlichen Nachtzeit in dem gesetzlich geforderten Umfang gearbeitet.

3. Die Beklagte hat das ihr im Rahmen von § 6 Abs. 5 [X.] zustehende Wahlrecht für den streitgegenständlichen [X.]raum dahin ausgeübt, den Ausgleichsanspruch allein durch Zahlung von Geld zu erfüllen (vgl. hierzu [X.] 10. November 2021 - 10 [X.] - Rn. 16).

4. Bei dem Merkmal „angemessen“ in § 6 Abs. 5 [X.] handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung dem [X.] ein Beurteilungsspielraum zukommt. Er ist vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist (st. Rspr., zuletzt zB [X.] 25. Mai 2022 - 10 [X.]/19 - Rn. 23 mwN). Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Entscheidung des [X.]s stand.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] stellt ein Zuschlag [X.]. 25 % auf das jeweilige Bruttostundenentgelt oder die Gewährung einer entsprechenden Zahl von bezahlten freien Tagen regelmäßig einen angemessenen Ausgleich für geleistete Nachtarbeit iSv. § 6 Abs. 5 [X.] dar. Eine Erhöhung des [X.] auf 30 % kommt typischerweise bei einer Arbeitsleistung in Dauernachtarbeit in Betracht. Allerdings handelt es sich bei diesen Werten nicht um starre Grenzen. Demnach kann sowohl ein geringerer als auch ein höherer Zuschlag angemessen sein; es handelt sich weder um Unter- noch um Obergrenzen ([X.] 25. Mai 2022 - 10 [X.]/19 - Rn. 26 f., 29 mwN). Für die [X.]ungszustellung in Dauernachtarbeit hat der [X.] in einem vergleichbaren Fall entschieden, dass ein [X.] [X.]. 30 % angemessen iSv. § 6 Abs. 5 [X.] ist. Der [X.] hat dabei insbesondere umfangreich begründet, dass der Schutz der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG in Abwägung mit dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht dazu führen kann, die Zuschläge nach § 6 Abs. 5 [X.] gegenüber der regelmäßig anfallenden Höhe abzusenken ([X.] 10. November 2021 - 10 [X.] - Rn. 41 ff.; zustimmend [X.]. [X.] [X.] § 6 Nr. 22; Kohte [X.] 42/2022 [X.]. 3).

b) Dem entspricht die Entscheidung des [X.]s. Bei der Beurteilung des Rechtsbegriffs der Angemessenheit hat es weder den Rechtsbegriff selbst verkannt noch bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und alle entscheidungserheblichen Umstände in sich widerspruchsfrei berücksichtigt. Die Angriffe der Revision führen zu keiner anderen Beurteilung. Die vorgebrachten Argumente der [X.] hat der [X.] bereits weitgehend geprüft. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entscheidung des [X.]s vom 10. November 2021 (- 10 [X.] -) verwiesen. Auch soweit einzelne neue Aspekte dargetan sind, hat der [X.] sie geprüft. Diese verhelfen aber der Revision nicht zum Erfolg. Ergänzend ist lediglich noch auf Folgendes hinzuweisen:

aa) Soweit die Beklagte einwendet, es handle sich bei der [X.]ungszustellung um eine leichte Tätigkeit, hat der [X.] hierzu in der vorgenannten Entscheidung bereits klargestellt, dass dies keine andere Beurteilung rechtfertigt, da der Zuschlag an das geschuldete Bruttoarbeitsentgelt anknüpft ([X.] 10. November 2021 - 10 [X.] - Rn. 35). Im Übrigen geht es um den Ausgleich für die spezifische Belastung durch die Nachtarbeit (vgl. [X.] 25. Mai 2022 - 10 [X.]/19 - Rn. 37), nicht durch die Tätigkeit an sich. Ebenfalls auseinandergesetzt hat sich der [X.] mit dem Umstand, dass nur im „Randbereich“ der Nachtzeit bzw. nicht während des gesamten Nachtzeitraums Arbeitsleistungen erbracht wurden. Auch wurde der Einwand behandelt, der Wegfall des sog. Lenkungszwecks müsse zu einer Absenkung des Zuschlags führen ([X.] 10. November 2021 - 10 [X.] - Rn. 36, 38 f.).

bb) Entgegen der Ansicht der [X.] stellt der Umstand, dass der Kläger wohnortnah arbeitet und deshalb einen kurzen Weg zur Arbeit hat, keinen Aspekt dar, der bei der Beurteilung der Angemessenheit des [X.] positiv oder negativ zu berücksichtigen wäre. Die Wahl des Wohnorts und daraus folgend die Länge des [X.] zählt regelmäßig - so auch hier - nicht zur Arbeitsleistung, sondern ist Privatsache des Arbeitnehmers (vgl. [X.] 13. Oktober 2021 - 5 [X.] - Rn. 45 f.).

cc) Ebenfalls entgegen der Ansicht der [X.] ergeben sich zur Frage der Angemessenheit der [X.] für Dauernachtarbeit auch keine Aspekte aus dem [X.]srecht, die eine Absenkung des Zuschlags begründen könnten. Soweit die Beklagte auf die Richtlinie 2003/88/[X.] verweist, strebt diese keine Vollharmonisierung an, sondern enthält Mindestvorgaben, die bei der Umsetzung der Richtlinie einzuhalten sind (vgl. den ersten Erwägungsgrund zur Richtlinie 2003/88/[X.]). Dementsprechend definiert Art. 2 Nr. 3 der Richtlinie, dass die Nachtzeit mindestens sieben Stunden zu betragen hat, welche auf jeden Fall die Spanne zwischen 24:00 Uhr und 05:00 Uhr umfasst. Dass der [X.] Gesetzgeber diese Spanne der Nachtzeit auf 23:00 Uhr bis 06:00 Uhr festgelegt hat, hält sich an diese Vorgaben. Maßgeblich ist diese Umsetzung in das [X.] Arbeitszeitrecht, wonach für die genannte [X.]spanne - und nicht lediglich für die in der Richtlinie aufgeführte - ein angemessener Ausgleich zu gewähren ist. Gleiches gilt, soweit die Beklagte einwendet, der Kläger sei iSd. Richtlinie nicht als Nachtarbeiter zu qualifizieren, weil er nicht mindestens drei Stunden in der „europarechtlichen Kernnachtarbeitszeit“ tätig gewesen sei (Art. 2 Nr. 3, Nr. 4 Buchst. a der Richtlinie 2003/88/[X.]). Auch insoweit kommt es auf das [X.] Arbeitszeitrecht an, das für einen über 05:00 Uhr morgens hinausgehenden Schutz sorgt. Eine Ausnahme von dem gesetzlichen Nachtzeitraum nach § 2 Abs. 3 Halbs. 1 [X.] gibt es nur für Bäckereien und Konditoreien in § 2 Abs. 3 Halbs. 2 [X.] (vgl. dazu [X.]. 13/4245 S. 7). Das hat zur Folge, dass für diese Tätigkeiten von 05:00 Uhr bis 06:00 Uhr morgens kein Ausgleich geschuldet ist. Eine entsprechende Regelung fehlt aber für die Zustellung von [X.]ungen, obwohl auch diese in den späten Nacht- bzw. frühen Morgenstunden üblich war und ist. Daraus kann gefolgert werden, dass der Gesetzgeber diesen Aspekt gerade nicht zur Rechtfertigung einer diesbezüglichen, sich in einem geringeren [X.] manifestierenden Sonderstellung der [X.]ungszusteller genügen lässt (vgl. [X.]. [X.] [X.] § 6 Nr. 22 zu III 3). Schließlich gilt, dass die Richtlinie 2003/88/[X.] nicht Fragen des Arbeitsentgelts für Arbeitnehmer regelt, da dieser Aspekt nach Art. 153 Abs. 5 AEUV außerhalb der Zuständigkeit der [X.] liegt (vgl. EuGH 7. Juli 2022 - [X.]/21 und [X.]/21 - [Coca-Cola European Partners Deutschland] Rn. 45 ff.).

dd) Soweit die Beklagte auch vorliegend geltend macht, die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG garantierte Pressefreiheit stehe einem höheren [X.] entgegen, hat sich der [X.] damit bereits ausführlich auseinandergesetzt ([X.] 10. November 2021 - 10 [X.] - Rn. 42 ff.). Insbesondere ist berücksichtigt worden, dass die Pressefreiheit für das freiheitlich-demokratische Gemeinwesen von hoher und wertsetzender Bedeutung ist ([X.] 10. November 2021 - 10 [X.] - Rn. 45).

ee) Gleiches gilt für den Einwand, der Regelung in § 24 Abs. 2 [X.] könne entnommen werden, dass eine Anhebung des Zuschlags für die in Dauernachtarbeit versehene [X.]ungszustellung auf 30 % ausgeschlossen sei ([X.] 10. November 2021 - 10 [X.] - Rn. 54 ff.).

ff) Entgegen der Ansicht der [X.] kommt es schließlich bei der Bewertung der Angemessenheit von [X.] nicht auf die [X.] an. § 6 Abs. 5 [X.] sieht einen Vorrang tariflicher Bestimmungen vor, enthält aber keine Öffnungsklausel für die Betriebsparteien. Eine betriebliche Regelung, die zum Nachteil der Arbeitnehmer hinter den gesetzlichen Vorgaben für einen angemessenen Ausgleich zurückbleibt, ist nach § 6 Abs. 5 [X.] iVm. § 134 BGB unwirksam (vgl. [X.] 25. Mai 2022 - 10 [X.]/19 - Rn. 22).

5. Soweit vorliegend höhere [X.] für Lohnfortzahlungszeiträume gefordert werden (Anträge zu 2. und 4.), ist der Anspruch ebenfalls gegeben.

a) Für Urlaubszeiträume des [X.] folgt der Anspruch aus §§ 1, 11 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 3 [X.], § 6 Abs. 5 [X.]. Nach § 1 [X.] hat der Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub und demgemäß Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung während des Urlaubs. Das Gesetz stellt mit dem sog. Referenzprinzip auf das in den letzten 13 Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhaltene Arbeitsentgelt ab ( § 11 Abs. 1 [X.] ). Es kommt auf den in den letzten 13 Wochen vor Urlaubsantritt gezahlten durchschnittlichen Arbeitsverdienst an (vgl. [X.] 27. Juli 2021 - 9 [X.] - Rn. 30). Aus der Durchschnittsvergütung des [X.] ist nur der zusätzlich für Überstunden gezahlte Arbeitsverdienst herauszunehmen ( § 11 Abs. 1 Satz 1 [X.] ). Zur Arbeitsvergütung zählt daher auch der [X.], soweit er im Referenzzeitraum - wie hier - angefallen ist (vgl. [X.] 12. Januar 1989 - 8 [X.] - zu II 2 der Gründe, [X.]E 61, 1).

b) Für [X.]en der Arbeitsunfähigkeit ergeben sich die Ansprüche auf Entgeltfortzahlung aus § 3 Abs. 1 iVm. § 4 Abs. 1, § 12 EFZG, § 6 Abs. 5 [X.]. Nach dem Lohnausfallprinzip ist die volle Vergütung einschließlich etwaiger Zuschläge zu zahlen, denn diese wären angefallen, wenn ein Arbeitnehmer, der - wie der Kläger - dauerhaft Nachtarbeit leistet, gearbeitet hätte, wäre er nicht arbeitsunfähig erkrankt (vgl. [X.] 1. Dezember 2004 - 5 [X.] - zu II 4 a der Gründe mwN; 13. März 2002 - 5 [X.] 2 a der Gründe). Gleiches gilt für die Entgeltfortzahlung an Feiertagen. Hier folgt der Anspruch aus § 2 Abs. 1 EFZG, § 6 Abs. 5 [X.] (vgl. [X.] 1. Dezember 2004 - 5 [X.] - aaO).

6. Die Ansprüche des [X.] im noch streitgegenständlichen [X.]raum sind entgegen der Ansicht der [X.] auch nicht teilweise nach § 9 des Arbeitsvertrags verfallen. Einem Verfall der Ansprüche steht - wovon das [X.] zutreffend ausgeht - die [X.] entgegen.

a) Die Betriebsparteien haben in Nr. 1 [X.] bestimmt, dass die Beklagte auf die Einhaltung etwaiger Verfallfristen für Ansprüche der bei ihr beschäftigten [X.]ungszusteller auf Zahlung eines angemessenen [X.], die bei Abschluss der [X.] nicht bereits verfallen waren, verzichtet. Dadurch haben sie - wie im Fall des [X.] - arbeitsvertraglich geregelte Ausschlussfristen vorübergehend zugunsten der Arbeitnehmer abbedungen. Ausschließlich von dieser Betriebsvereinbarung erfasste Ansprüche sind noch streitgegenständlich.

b) Ausschlussfristen und damit in Zusammenhang stehende Bestimmungen können - unter Beachtung von § 77 Abs. 3 [X.] - Inhalt einer Betriebsvereinbarung sein. Die Betriebsparteien haben nach ständiger Rechtsprechung des [X.] grundsätzlich eine umfassende Kompetenz zur Regelung von materiellen und formellen Arbeitsbedingungen. Sie können durch (freiwillige) Betriebsvereinbarungen Regelungen über den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen treffen. Dazu gehören auch Regelungen über Ausschlussfristen ([X.] 25. Februar 2015 - 5 [X.] - Rn. 31, [X.]E 151, 56; 9. April 1991 - 1 [X.] - zu II 2 der Gründe, [X.]E 67, 377). Nichts anderes gilt, wenn durch eine Betriebsvereinbarung für bestimmte Ansprüche vertraglich vereinbarte Ausschlussfristen zugunsten der Arbeitnehmer vorübergehend nicht zur Anwendung kommen sollen und Fristen aus bestehenden Ausschlussklauseln insoweit von den Arbeitnehmern nicht eingehalten werden müssen.

c) Die [X.] ist - so zu Recht auch das [X.] - formell wirksam zustande gekommen. Nach § 77 Abs. 2 [X.] sind Betriebsvereinbarungen von Betriebsrat und Arbeitgeber gemeinsam zu beschließen und schriftlich niederzulegen sowie von beiden Seiten zu unterzeichnen. Diese Vorgaben sind hinsichtlich der [X.] eingehalten. Trotz der lückenhaften Parteibezeichnung ist erkennbar, dass die Beklagte und der bei ihr gebildete Betriebsrat die [X.] vereinbart haben. Bei beiden fehlt lediglich die Angabe „K“ in der Firma der [X.], wohingegen die Komplementärin korrekt bezeichnet ist. Dass es auch eine „[X.]“ mit derselben Komplementärin gibt, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Des Weiteren haben die jeweils vertretungsberechtigten Personen für die Beklagte und den Betriebsrat, die auch die nachfolgende [X.] - mit korrekter Parteibezeichnung - unterschrieben haben, unterzeichnet. Daraus ergibt sich hinreichend deutlich, dass die Beklagte und ihr Betriebsrat Parteien der [X.] sind und lediglich ein - unschädlicher - Schreibfehler (vgl. [X.] 17. November 2015 - 1 [X.] - Rn. 20) bei der Parteibezeichnung erfolgt ist. Die Beklagte hat im Übrigen selbst nicht in Abrede gestellt, dass sie die [X.] mit ihrem Betriebsrat vereinbart hat.

d) Soweit die Beklagte meint, in Nr. 1 [X.] gehe es nur um Ansprüche, die im [X.]punkt ihres Abschlusses bereits entstanden waren, kann dem nicht gefolgt werden. Die Einschränkung auf Ansprüche, die nicht bereits verfallen sind, bringt nur zum Ausdruck, dass die Beklagte sich insoweit auf den [X.] berufen kann. Für alle anderen Ansprüche, auch für solche, die bei Abschluss der [X.] noch nicht fällig waren, gilt die Verzichtsvereinbarung. Bei einem anderen Verständnis hätte Nr. 1 [X.] im Übrigen einen so eingeschränkten Geltungsbereich, dass sie ihrem erkennbaren Zweck, nämlich eine Welle von Geltendmachungen und ggf. Klagen der bei der [X.] beschäftigten [X.]ungszusteller abzuwenden, nicht hätte erreichen können.

e) Die [X.] ist entgegen der Ansicht der [X.] durch die [X.] weder abgelöst noch beendet worden.

aa) Die Geltungsdauer der [X.] ist nach ihrem Wortlaut nicht auf die [X.] bis zum Abschluss einer betrieblichen Regelung über die Höhe der [X.] begrenzt, sondern stellt vielmehr in Nr. 2 hinsichtlich der möglichen Verpflichtung der [X.] zur Zahlung eines höheren [X.] auf eine entsprechende rechtskräftige gerichtliche Entscheidung ab. Die [X.] enthält ihrerseits ebenfalls weder eine ausdrückliche Regelung zu Ausschlussfristen in Bezug auf [X.] noch wird die [X.] aufgehoben oder nur erwähnt.

bb) Allerdings kann eine Betriebsvereinbarung auch mit Zweckerreichung enden, sofern sich eine zeitliche Begrenzung aus dem mit ihr verfolgten Zweck ergibt (vgl. [X.] 17. Januar 1995 - 1 ABR 29/94 - zu II B 1 der Gründe; [X.]/[X.] 23. Aufl. [X.] § 77 Rn. 89; [X.] 30. Aufl. [X.] § 77 Rn. 142). Der mit der [X.] angestrebte Zweck, eine Welle individualrechtlicher Streitigkeiten über die Höhe der angemessenen [X.] für [X.]ungszusteller zu vermeiden, sollte und konnte durch die [X.] nicht erreicht werden.

(1) Die Regelung in Abschn. I Nr. 3 [X.] kann schon nach ihrem Wortlaut („mindestens“) nicht so verstanden werden, dass damit eine einheitliche und abschließende betriebliche Regelung über die angemessene Höhe der [X.] getroffen wurde. Vielmehr werden lediglich Mindest-Prozentsätze benannt und damit der betrieblich bestehende Streit nicht gelöst. Hätten die Betriebsparteien übereinstimmend eine abschließende Regelung gewollt, hätte es nahegelegen, einen bestimmten Prozentsatz festzulegen. Ein anderer Wille der Betriebsparteien hat jedenfalls in der [X.] keinen hinreichenden Niederschlag gefunden (vgl. zu diesem Erfordernis [X.] 7. Dezember 2021 - 1 [X.] - Rn. 25).

(2) Sollte Abschn. I Nr. 3 [X.] aber so zu verstehen sein, dass eine abschließende Regelung über die Höhe der [X.] beabsichtigt war, würde eine Ablösung der [X.] bereits an der Unwirksamkeit jedenfalls dieses Teils der [X.] scheitern. § 6 Abs. 5 [X.] sieht einen Vorrang tariflicher Bestimmungen vor, enthält aber keine Öffnungsklausel für die Betriebsparteien. Eine betriebliche Regelung, die zum Nachteil der Arbeitnehmer hinter den gesetzlichen Vorgaben für einen angemessenen Ausgleich zurückbleibt, ist nach § 6 Abs. 5 [X.] iVm. § 134 BGB unwirksam ([X.] 25. Mai 2022 - 10 [X.]/19 - Rn. 22). Das wäre hier der Fall, wenn man die [X.] so verstände, dass sie nur einen Anspruch [X.]. 10 % bzw. 20 % vorsähe, was den hier angemessenen Ausgleich [X.]. 30 % für die Dauernachtarbeit der [X.]ungszusteller (Rn. 21) unterschritte.

(3) Im Übrigen regelt die [X.] nicht nur die Abbedingung der vertraglichen Verfallfristen, sondern in Nr. 2 auch eine Verpflichtung der [X.]. Diese hat sich mit der [X.] nicht erledigt. Dann kann aber auch eine Zweckerreichung in Bezug auf Nr. 1 [X.] nicht vorliegen. Denn es liegt eine Verknüpfung zwischen dem [X.] der Ausschlussfristen und der von der [X.] übernommenen Verpflichtung in Nr. 2 [X.] vor.

f) Auf die Wirksamkeit der Ausschlussklausel in § 9 des Arbeitsvertrags kommt es nach alledem nicht an.

7. Dem Kläger stehen auch die begehrten Zinsansprüche zu. Verzugszinsen stehen dem Kläger gemäß § 187 Abs. 1 BGB ab dem Tag nach Eintritt der Fälligkeit zu (vgl. [X.] 19. Mai 2021 - 5 [X.] - Rn. 38). Fällig sind die Ansprüche auf [X.] mangels ausdrücklicher Regelung nach Ablauf des jeweiligen [X.]abschnitts - hier der Monat - am ersten Tag des Folgemonats (§§ 614, 271 BGB). Handelt es sich beim Monatsersten um einen Samstag, Sonntag oder Feiertag, tritt an die Stelle dieses Tags aber erst der nächste Werktag (§ 193 BGB; [X.] 8. September 2021 - 5 [X.] - Rn. 20). Die Verzinsungspflicht beginnt nach § 187 Abs. 1 BGB mit dem Folgetag der Fälligkeit ([X.] 5. Juli 2022 - 9 [X.] - Rn. 53). Danach stehen dem Kläger jedenfalls jeweils ab dem [X.] die beantragten Zinsen zu.

III. Die Kosten der Revision hat die Beklagte zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

        

    [X.]    

        

    Nowak    

        

    Günther-Gräff    

        

        

        

    S. Viehl    

        

    [X.]    

                 

Meta

10 AZR 531/20

14.12.2022

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Köln, 14. Juni 2019, Az: 18 Ca 8583/18, Urteil

Art 153 Abs 5 AEUV, § 2 Abs 3 Halbs 1 ArbZG, § 2 Abs 3 Halbs 2 ArbZG, § 2 Abs 4 ArbZG, § 2 Abs 5 ArbZG, § 6 Abs 5 ArbZG, § 77 Abs 2 BetrVG, § 187 Abs 1 BGB, § 193 BGB, § 271 BGB, § 614 BGB, § 1 BUrlG, § 11 Abs 1 BUrlG, § 13 Abs 1 S 3 BUrlG, § 2 Abs 1 EntgFG, § 3 Abs 1 EntgFG, § 4 Abs 1 EntgFG, § 12 EntgFG, Art 2 Abs 2 S 1 GG, Art 5 Abs 1 S 2 GG, § 24 Abs 2 MiLoG, § 611a Abs 2 BGB, Art 2 Nr 3 EGRL 88/2003

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.12.2022, Az. 10 AZR 531/20 (REWIS RS 2022, 9408)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9408 NJW 2023, 1759 REWIS RS 2022, 9408

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen
Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

10 AZR 261/20

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.