Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 21.09.2020, Az. 2 BvR 660/20

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2020, 3001

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Verletzung des Schuldgrundsatzes (Art 2 Abs 1 iVm 1 Abs 1, 20 Abs 3 GG) durch Unterlassen gebotener (§ 120 Abbs 1 S 2 StVollzG iVm § 244 Abs 2 StPO) Maßnahmen zur Sachvershaltsermittlung - Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mangels Fristwahrung (§ 93 Abs 1 BVerfGG) und hinreichender Begründung (§ 23 Abs 1 S 2, 92 BVerfGG)


Tenor

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgelehnt.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde war nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie schon nicht innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 [X.] erhoben und im Sinne der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] ausreichend begründet worden ist. Die [X.], die angegriffenen Entscheidungen und sonstigen Unterlagen sind erst nach Ablauf der Verfassungsbeschwerdefrist am 9. April 2020 beim [X.] eingegangen.

2

Der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war gemäß § 93 Abs. 2 Satz 3 [X.] abzulehnen, da der Beschwerdeführer weder ausreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht hat, dass er ohne Verschulden daran gehindert war, die Verfassungsbeschwerde innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] einzureichen. Zur Begründung des [X.] müssen sowohl der Hinderungsgrund als auch die Umstände, die für die Beurteilung des Verschuldens maßgebend sind, dargelegt werden. Erforderlich ist eine substantiierte und schlüssige Darstellung der für die unverschuldete Fristversäumnis wesentlichen Tatsachen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 23. März 2018 - 2 BvR 2126/17 -, Rn. 20 m.w.N.). Der Beschwerdeführer hat nicht ausreichend dargetan, weshalb er in der [X.] nach Zustellung des angegriffenen Beschlusses des [X.] bis zum 31. März 2020 und in der [X.] ab dem 3. April 2020 an der Einlegung der Verfassungsbeschwerde gehindert war. Selbst unter voller Berücksichtigung der vorgetragenen Verhinderungen ab dem 31. März 2020 ist dem Beschwerdeführer nach Wegfall der Hinderungsgründe noch ausreichend [X.] verblieben, um die Verfassungsbeschwerde einzureichen.

3

Demnach kam es nicht darauf an, dass der Beschluss des [X.] verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, weil das Gericht den von der Justizvollzugsanstalt geschilderten Sachverhalt ohne nähere Begründung zugrunde gelegt und ausgeführt hat, dieser werde durch den Vortrag des Beschwerdeführers nicht erschüttert und die vom Beschwerdeführer angenommene Gesundheitsgefahr ließe sich auf tatsächlicher Basis nicht belegen, weshalb seine Weigerung, die Arbeit wieder aufzunehmen, schuldhaft sei.

4

Das Rechtsstaatsprinzip, die materiell berührten Grundrechte und das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG sind verletzt, wenn grundrechtseingreifende Maßnahmen im Strafvollzug von den Gerichten ohne zureichende Sachverhaltsaufklärung als rechtmäßig bestätigt werden ([X.]K 9, 390 <395 m.w.N.>).

5

Besondere Bedeutung kommt einer verlässlichen Feststellung der Tatsachen, die der Rechtsanwendung zugrunde gelegt werden, bei der gerichtlichen Überprüfung von Disziplinarmaßnahmen zu. Disziplinarmaßnahmen sind strafähnliche Sanktionen, für die der aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Schuldgrundsatz gilt. Dieser Grundsatz verbietet es, eine Tat ohne Schuld des [X.] strafend oder strafähnlich zu ahnden. Die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme auf der Grundlage eines bloßen Verdachts stellt daher einen Verstoß gegen den Schuldgrundsatz dar. Disziplinarmaßnahmen dürfen nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei geklärt ist, ob ein schuldhafter Pflichtverstoß überhaupt vorliegt ([X.]K 9, 390 <395 f. m.w.N.>).

6

Das nach § 120 Abs. 1 Satz 2 [X.] in Verbindung mit § 244 Abs. 2 StPO zur Amtsermittlung verpflichtete [X.] hat vorliegend aber trotz insoweit substantiierten Vortrags des Beschwerdeführers zu seiner Krankengeschichte und zu vorhergehenden Krankschreibungen sowie Behandlungsmaßnahmen keine weiteren Maßnahmen zur Sachverhaltsermittlung, wie etwa die Beiziehung der Krankenakte oder die Einholung von Stellungnahmen der den Beschwerdeführer behandelnden, namentlich benannten Ärzte, veranlasst.

7

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

8

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 660/20

21.09.2020

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Bayerisches Oberstes Landesgericht, 5. März 2020, Az: 204 StObWs 39/20, Beschluss

Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 93 Abs 1 S 1 BVerfGG, § 93 Abs 2 S 3 BVerfGG, § 244 Abs 2 StPO, § 120 Abs 1 S 2 StVollzG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 21.09.2020, Az. 2 BvR 660/20 (REWIS RS 2020, 3001)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3001

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2 BvR 2126/17

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